76 Jörg Feldkamp Perspektiven sächsischer Industriekultur »Industriekultur« als Begriff hat in den letzten Monaten in Sachsen Konjunktur und auch in der Landeshauptstadt Dresden die Runde gemacht. Da befasste sich die Landes regierung in öffentlicher Anhörung und nicht zuletzt in der im Juni 2009 veröffentlich ten »Sächsischen Museumskonzeption 2020« mit der sächsischen Industriekultur. Die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen führte gemeinsam mit dem Zweckverband Säch sisches Industriemuseum am 20. und 21. März 2009 eine gut besuchte Tagung zum Thema »Industriekultur in Sachsen - Neue Wege im 21. Jahrhundert« durch. Ferner gründete sich in diesem Jahr in Dresden eine Tourismusinitiative, die sich »Netzwerk Industriekultur Dresden« nennt und in Ermanglung von entsprechenden Initiativen der offiziellen sächsischen Tourismusförderung als erstes Gemeinschaftsprojekt das Thema auf der internationalen Reisebusmesse RDA in Köln bewarb. Und vom 30. August bis zum 5. September 2009 trafen sich in Freiberg und Chemnitz knapp 300 internationale Teilnehmer zum 14. Weltkongress der TICCIH (The International Commitee for the Conservation of the Industrial Heritage). Zum zweiten Mal nach 1975 in Bochum war Deutschland damit Veranstalter dieses nur alle drei Jahre durchgeführten Expertentref fens zum Erhalt des industriellen Erbes in der Welt. Was bedeutet dies alles in Zeiten von Wirtschafts- und Finanzkrise und wie ist der Begriff »Industriekultur« zu verstehen? Es zeichnet den homo sapiens aus, auch abstrakte Sachverhalte und Phänomene mit Begriffen zu belegen, die zumindest erst einmal dabei helfen, die Verständigung situativ zu führen. Ein tieferes Verständnis ist damit noch nicht garantiert, weil solche Begriffe die Eigenschaft haben, sich zu verselbstständigen und aus komplizierten Prozessen einfache Formeln im Sinne von objektivem Tatbestand zu machen. Ist ein Begriff erst einmal in die Welt gesetzt, dann erscheint das vorher Unbestimmte oder Komplizierte plötzlich begreifbar und konkret. »Ölkrise«, »Null wachstum« oder aktuell »Finanzkrise« und »Kreditklemme« sind solche Begriffe vor zugsweise aus der Wirtschaftswelt, die komplexe Erscheinungen auf einen einfachen Nenner bringen. Habe ich für eine Sache einen Begriff, dann muss es sie auch geben. Im Umkehrschluss bedeutet dies - und wird gern als Methode interdisziplinärer Forschung etwa zwischen Germanisten und Volkskundlern angewandt -, dass bei Fehlen eines Begriffes in einem Kulturkreis auch das entsprechende Objekt nicht bekannt ist.