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Nur der Wald schenkt noch Ruhe und Geborgenheit. Wenn er nächtens aufrauscht, ist es, als klängen Mönchsgesänge und Litaneien herauf, als wehe Weihrauchduft um Kreuz und Blumen. Die Menschen achten das am Tage kaum. Sie lärme» fröhlich über die Gräber hinweg und ziehen zur berühmten Wirtschaft. Vielleicht verweilen sie eins bei jenem Grabstein, der die ganze Lebensgeschichte eines Ehepaares erzählt, wenn er berichtet, daß da ruhen „Jo hann Jubel und seine Ehefrau geb. Schönin, die in einer 49 jährigen vergnügten Ehe — jedoch ohne Leibeserben — gelebt." Aber die Zeit ist laut. Sie drängt an den Toten vor bei. So auf dem Friedhof der Kirche Wang im Riefen gebirge. Die Bergwälder stehen träumerisch darüber, und die große schlesische Ebene grüßt still herauf. Die Menge gedenkt nur flüchtig der Schlafenden. Irgend etwas Bezeichnendes weiß wohl jeder Fried hof. Er redet Geschichte. Er ist das große Ahnenbuch der Gemeinde. Er zeigt vielleicht in einem feingearbeiteten und gegliederten Kreuz ein Stück gute alte Handwerks kunst oder sonst eine denkwürdige Stätte. So liegt am Eingang der freundlichen Stadt Hoyers werda hinter hoher Mauer ein Friedhof, der wilde Schön heit hat. Kaum eine bunte Blume blüht dort. Alles ist grün, und selbst die braunen Baumstämme werden um wuchert von Efeu, der hoch in das Geäst wächst. Verrostete Kreuze und zerbrochene Grabsteine machen den Eindruck düstrer und schwerer. Aus uassen Gräsern und tropfen den Blättern kommt eine traurige Melodie. Plötzlich wird der Blick durch ein schwarzes Holzkreuz gebannt. Die getünchte Inschrift lautet: Hier ruhet in Gott Friedrich August von Sachsen gen. Lehmann. Groß ward ich geboren. Ärmlich wurde ich erzogen, Mühsal ivar mein ganzes Leben. Ich ward verfolgt auf allen Wegen. Ein Regenschauer durchpeitscht die grüne Wildnis. Die Stunde hat nachdenklich gemacht. Zu einer wahren Gartenstadt ist der Friedhof von Ohlsdorf bei Hamburg geworden. Große breite Fahr straßen, verbunden durch schöne breite Seitenwege, führen zu zwölf Kapellen. In fünf Stunden etwa kann man das gewaltige Gebiet umschreiten, und die Hamburger er gehen sich hier zu Tausenden, wie in einem Park. Natürlich gibt es in einem Friedhof solcher Ausmaße bedeutsame Stätten und Steine. Da steht rechts vom Ein gang das Revolutionsdenkmal über etwa 60 Gräber derer, die in jenen Jahren, da eine Verwirrung der Gefühle und Begriffe deutsche Menschen gegeneinandertrieb, fielen. Fünfzig Gräber! Darinnen meist blutjunge Leute. Der jüngste Gefallene 1903 geboren! Im Weitergehen über kleine Flüsse, an Teichen vor bei, kommt man zu einem Platz, an dem Hunderte ver schiedener Rosensorten blühen, und den parkähnlichen Eindruck verstärkt die Verwendung von Findlingen, die wuchtige und würdige Grabmäler ergeben. Der Ehren friedhof der Gefallenen ist vom zarten Duft und Glanz Heller Kletterrosen eingespounen, und in ihre sichtbar lie bende Gebärde schließen auch wir unsere Dankbarkeit ein. Noch ein seltsames Denkmal fällt uns auf. Verwelkte Kränze und verwaschene Schleifen lehnen an dem Stein. Die Inschrift aber verkündet: „Durch Zusammenstoß der „Hansa" mit dem „Primus" fanden in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1902 auf der Elbe bei Nienstetten Mit glieder und Freunde der „Liedertafel Treue von 1887 zu Eilbeck" ihren Tod in den Fluten." Ein Regen- und Nebel tag war es gewesen, der diese Menschen zu fröhlicher Fahrt vereinte. In den Kajüten hielten sie sich auf, als die Katastrophe geschah und konnten so nicht gerettet wer den. Ergreifend bleibt darum auch die plattdeutsche In schrift. „Biet Unglück au de Waterkant, Da gev dat nich mehr Nam un Stand. Een Nod, een Dood, een Grav, een Leev, Ganz Hamborg stun tosam un geev." Eine Not, ein Tod, ein Grab! So sinnend geht man da hin und mag stundenlang hin- und hergehen in diesem größten deutschen, der wohl auch größter Friedhof der Welt ist. Hart dabei wogt und rauscht das große Leben der herrlich schönen Stadt Hamburg. Hier aber ist trost- same Ruhe, der erlösend stimmende Frieden einer besseren Welt. Es ist ein rechter Garten Gottes. Eindringlich ist seine Predigt von der Gewalt des Todes und von der Ohnmacht der Menschen, wenn sie vor Gott stehen; aber gütig bleibt auch sein Zuspruch, daß über der Erde mit ihrem Hassen und Härmen, Neiden und Streiten doch ein Himmel der Versöhnung steht, an dessen Tor geschrieben ist: Der Friede sei mit euch! Darum ist es notwendig, daß wir bei unsren Wander fahrten jene stillen Gärten nicht meiden, die abseits oder an den Straßen liegen; denn solche Gänge geben der be kümmerten Seele ihr Gleichgewicht zurück, geben uns innere Erhabenheit, bannen die Furcht vor Menschen und ihrem Werk und machen ehrfürchtig und demütig vor Gott. In diesem Sinne erhalten Lenaus schöne Worte „Mitten in dem Maienglück lag ein Kirchhof innen" be sondere Bedeutung, und es schadet wohl nichts, wenn auch wir, Wanderer im Leben, einmal zu ernstem Sinnen ge rufen werden; denn unsre Zeit hat viel von jenen beiden verlernt: Ehrfurcht und Demut! Ein Bannkopf E. N i e r i ch - Neuktrch Bei dem Bau der Siedlungshäuser in Neukirch gruben die beim Grundgraben beschäftigten Arbeiter einen aus rotem ungebrannten Ton gefertigten massiven Kopf aus. Er besitzt nur ein ziemlich großes Ohr, ist 23 Zentimeter breit, 17 Zentimeter hoch, aber, da er rückwärtig ziemlich abge plattet ist, nur 12 Zentimeter dick. Das linke Ohr muß schon früher verloren gegangen sein, denn die Bruchstelle I ist ziemlich abgerundet. Darnach hat der Kopf eine ur sprüngliche Breite von 27 Zentimetern gehabt, zu der Höhe von 17 Zentimetern ein ziemlich unmögliches Ver hältnis. überhaupt scheint der Verfertiger dieses bäuer lichen Kunstwerkes sehr wenig anthropologische Kenntnisse besessen zu haben. Die breite, etwas gebogene Nase ist durch Kneten aus den Backen herausgeformt worden, so daß beiderseitig tiefe Mulden entstanden sind, die Augen sind zwei Zentimeter tiefe kreisrunde Löcher ohne Augen brauen, der große Mund tief und rechteckig eingeschnitten und das Kinn gleich aus der Unterlippe vorgezogen. Aus Schweinsborsten ist ein Schnurrbart eingeklebt. Auf der Unterseite befindet sich ein 9 Zentimeter tiefes Loch, als habe der Kopf auf einem Pfahl gesteckt. Das 5 Pfund schwere Gebilde lag 1 Meter tief im Sandboden eingebet tet, der oben eine 10 Zentimeter dicke Ackerkrume trägt. Beigaben waren keine zn sehen. — Was stellt nun dieser Kopf dar und wie ist er hier in die Erde gelangt? Da bis her ähnliche Funde nicht bekannt sind, kann nur eine Ver mutung ausgesprochen werden. Fast könnte man ein heid nisches Götzenidol vermuten, verriete nicht der Schnurr bart eine viel jüngere Entstehungszeit. Darnach kann diese rätselhafte Bauernplastik wohl nicht länger als 100—160 Jahre hier gelegen haben. Der Aberglaube hat in der Landbevölkerung früher feste Wurzeln geschlagen, ja er hat sich bis in unsere Zeit sehr keimkrästig erhalten. Saat und Ernte, häusliche Verrichtungen, Geburt, Kindtaufe, Hochzeit, Tod, kurz, das ganze Leben war nach bestimmten