Wolfram Steude Die Rolle der Musik in der Festkultur des Wettiner Hofes in Dresden von 1548 bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts Wenn auf die pauschale Frage nach der Bedeutung der Musik am Dresdner Kurfürstenhof von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 die pauschale Antwort gegeben werden kann, daß die Musik immer gepflegt worden ist und zeitweise einen sehr hohen Stellenwert besessen hat, dann ist damit lediglich gesagt, daß unser Thema ein tat sächlich bedenkenswertes ist. Wir besitzen heute einen ungefähren Überblick über die erhalten gebliebenen älteren Dresd ner Musikwerke - „ungefähr“ deshalb, weil sich in auswärtigen Archiven und Bibliotheken noch manche Komposition Dresdner bzw. sächsischer Provenienz befinden mag, die als sol che bislang nicht erkannt wurde. Wir sind aber nur lückenhaft unterrichtet über die Gesamt heit jener Musik, die in Dresden seit 1548 vorhanden gewesen und erklungen ist. Trotz vielfäl tiger Archivforschungen besteht hier ein sehr erhebliches Wissensdefizit, zumal ein Inventar der Hofkapellmusikalien, das 1760 zugrunde ging, bis heute nicht aufgefunden worden ist. Und schließlich wissen wir fast gar nichts im Detail über den gesamten höfischen Kontext vor allem bis zum 18. Jahrhundert, dessen genaue Kenntnis uns aber erst ermöglicht, Rolle und Funktion der Künste, also auch der Musik hinlänglich zu beschreiben. Der Fürstenhof in seiner hierarchischen Struktur und seinem Zeremoniell 1 muß begriffen wer den als repräsentierendes „Spiel“ 2 der hierarchisch geordneten Welt schlechthin, wie sie bis zur Aufklärung in allgemeiner und verbindlicher Vorstellung existierte. Diesem Repräsenta tionsspiel dienten die Künste allgemein, die Musik im besonderen und galten von daher, am Dresdner Hof genauso wie an anderen Sitzen der Landesherrschaft, als unverzichtbar. Aber nicht nur die Künste wurden wesentlich beteiligt an diesem gesamthöfischen Spiel, sondern selbstverständlich und in gleich hohem Maße das, was auch heute noch als „Spiel“ im eigentli chen Sinne gilt: der Wettkampf, d. h. jede Art Turnierspiel und nicht zuletzt die mit ihrem ausgebildeten Zeremoniell als Spiel begriffene Jagd. Lediglich die verschiedene Gewichtung der Kunst- und Spielbetätigungen, die sich nach den Neigungen des jeweiligen Souveräns richtete, unterschied die Regentenperioden an einem Hofe und die Höfe untereinander. Seit ihrer Wiederbegründung war der Dresdner Hofkapelle (Kantorei und Instrumentisten) als wichtigste und vornehmste Aufgabe die Kirchenmusik aufgetragen. Deren Rahmen, der zeremoniell-liturgische Gottesdienst, verstanden als „Spiel vor Gott“ 3 , war dem sonstigen Hofzeremoniell wesensmäßig nicht nur verwandt, sondern lag ihm geradezu als Vor- und Urbild zugrunde. (Die wechselseitige Abhängigkeit von zeremonialem Herrscher- und Got teskult ist in vielfältiger Weise von der Antike an bis zum 18. Jahrhundert zu beobachten.) Insbesondere unter den Kurfürsten August (reg. 1553—1586) und Johann Georg II. (reg. 1656— 1680) erlebte die lutherische Kirchenmusik im 16. und 17. Jahrhundert ihre nachdrücklichste Förderung. Im 18. Jahrhundert hatte sie als katholische Kirchenmusik in der Ära Friedrich