63 Bman aber dergestalt in dem Schüler eine große Anzahl neuer Bewegungsgewohnheiten entwickelt (oder auch solche Wiederaufleben läßt, die längst abgestorben schienen), wird man auch darauf bedacht sein, die Zeit zu verkürzen, die zwischen dem vom Zentralnervensystem ausgehenden Impuls und den von den Muskeln ausgehenden Hemmun gen der Bewegung gelegen ist; man wird alle für die Bewegung selbst unnötigen Elemente ausschei- den und mit einem Worte dem Schüler beibringen, über sich und seinen Körper Klarheit und Herr schaft zu erlangen, schnell und sicher das auszufüh ren, was er sich vorstellt, und dank einer Beseiti gung unnötiger Hemmungen in sich eine ruhige Sicherheit und das schöpferische Vermögen klaren Denkens zu entwickeln. Ernile Jaques-Dalcroze (1865-1950) ^ g esunc i es Dasein ist abhängig von der harmo nischen Ausbildung der Nervenzentren, von einer Regulierung der Bewegungsimpulse und von dem Gleichgewicht der immer im Antagonis mus zueinander arbeitenden Kräfte des Geistes und des Körpers. In den meisten, allermei sten Fällen entsteht die ärgerliche Neurasthenie unserer Zeit aus den ewig unausgeglichenen Kämpfen zwischen dem Vorstellungsvermögen und der Fähigkeit, das Vorgestellte zu ver wirklichen, aus der mangelhaften und unentwickelten Muskelfunktion, sowie aus den unaus geglichenen Beziehungen zwischen den Nervenzentren. Das Studium rhythmischer Körperbe wegungen in allen Nuancen der Innervation, in allen Graden des Schnellen und Langsamen, des Sichstreckens und Bewegens — und alles dies nicht fortgesetzt nur auf ebenem, sondern ebenso auch auf geneigtem Boden, auf Treppen, schrägen Ebenen u. a. m. und unter bestän diger Berücksichtigung der Beziehungen von Raum und Zeit sichert sicherlich eine gute Aus bildung der Nervenzentren und entwickelt nicht bloß die Aufmerksamkeit, sondern ebenso die Geistesgegenwart und die Willenskraft. Wie aber läßt sich nun ein solches Studium in seiner notwendigen Exaktheit und rhythmi schen Mannigfaltigkeit durchführen, so daß die Muskeln in allen Schattierungen der Dyna mik und Bewegung geübt und dem Bewußtsein die größtmögliche Zahl von Bewegungsbil- dern in jener Exaktheit und Deutlichkeit eingeprägt werden, wie sie aus starken und voll ständigen Empfindungen entspringen? Einfach genug! Indem man sich der Musik bedient, wo sich so viele und so geistvolle Verbindungen der Zeitmaße finden und wo wir für unsere Körperbewegungen ein unermeßliches Angebot rhythmischer Vorbilder haben. Und mehr noch: die Musik wird unsere Bewegungen leiten, ja oft sogar anspornen. Sie wird vermöge ihrer Fähigkeit, Körper und Geist zu erregen, das Wunder vollbringen, zwischen Geist und Körper schnelle Verbindungen zu schaffen, sie wird unsere Körperbewegungen idealisieren und in ihrer ursprünglichen Vollkommenheit adeln. Denn die Bewegung an sich ist nichts,