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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.07.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-07-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188807083
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880708
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880708
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-07
- Tag1888-07-08
- Monat1888-07
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.07.1888
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Zweite Äeilage M Leipziger Tageblatt und Anzeiger, ^ 190. Sonntag dm 8. Juli 1888. 82. Jahrgang Vom Lürgerlichen Gesetzbuch. * In dem gestern bereit- von unS zu einem Theile be sprochenen zweiten Abschnitte de- dem BunveSralhen vor- ^leaten EinsührungSgesetzeS rum Bürgerlichen Gesetzbuche für daS deutsche Reich werden »ach de» Abänderungen, welche infolge der Einführung de- letzteren die Gewerbeordnung erfahren «nützte, in den Art 19 und 20 die jenigen Ergänzungen und Modifikationen formulirt, welche mit den Gesetzen über die Freizügigkeit, sowie über die Organi sation der Bundc-consulate und die Amt-rechte und Pflichten der BundeSconsuln vorgcnommen werden müßten. Der Art. 2l bestimmt, daß das Gesetz, betreffend die vertrags mäßigen Zinsen vom 14. November 1887, aufge hoben wirv. In den folgenden Art. 22—26 werden ein zelne Borschristen der Gesetze, betreffend die Eheschließung und die Beurkundung deS Personenstände- im AuSlante, über die Erwerbung und den Verlust der Bunde-- und Staats angehörigkeit, über die Haftpflicht und über die Rechts verhältnisse der ReichSbeamtcn abgeändert. Art. 26 lautet: „Tie Vorschriften des Z. 44 de- ReichS-Militairgesetzes vom 2. Mai 1874 (welcher von de» unter besonders erleichterten Formen zu vollziehende» letztwillige» Versagungen der den Militairgesetzen milerworscnen Personen in KriegSzeitei» oder während eine- Be lagerungszustandes handelt. D. R.) finden entsprechende Anwendung aus die Personen, wclclie zur Besatzung rineS in Dienst gestellten Schiffe- oder Fahrzeuges der kaiserlichen Marine gehören, so lange daS Schiff oder Fahrzeug außerhalb eines inländischen Häsens sich befindet oder die Personen als Kriegsgefangene oder Geißeln in der Gewalt eine- Feindes sind, ingleichen aus andere an Bord eine- solchen SediffeS oder Fahrzeuges genommene Personen, so lange dasselbe außerhalb eine- inländischen Hasen- sich befindet und die Personen an Bord sind. Die Frist, mit deren Ablause die letzt- willige Verfügung ihre Giltigkeit verliert, beginnt an dem Tage, an welchem daS Schiff oder Fahrzeug in einen inländischen Hasen zurückgekehrt ist oder der Verfügende aufgehört hat, zu jenen zu gehören oder als Kriegsgefangener oder Geißel au- der Gewalt des Feindes entlassen ist." In den Artikeln 27 bi- 30 find die nothwcndig werdenden Umgestaltungen einzelner Bestimmungen deS oben bereits erwähnten ReichömilitairgcsetzeS, deS Gesetzes über die Beurkundung des Personenstände« und die Eheschließung und deS Gesetzes, betreffend die Fürsorge für die Witlwen und Waisen der ReichSbeamtcn der Civilvcrwaltung, wie der Angehörigen des RcichshecrcS und der kaiserlichen Marine fixirt. Artikel 31 hat folgenden Wortlaut: „Ist aus Grund eines ReichSgesetzeS dem Eigenthümer einer Sache w gen der im öffentlichen Interesse erfolgenden Ent ziehung, Beschädigung oder Benutzung der Sache oder wegen Be- schränkung des EigenttjumS eine Entschädigung zu gewähren und steht zur Zeit der Entstehung de- EnlschädigungSa»ipruchcS einem Dritten ein Recht a» der Sache zu, für welches nicht eine besondere Ent schädigung gewährt wird, so wird diesem R eifte auch der Ent- fchüdigungsaniprnch untcrworsen. Besteht das Recht in einer Hypothek. Grundschuld oder Reallast und ist die Entschädigung wegen Benutzung des Grundstückes oder wegen Entziehung oder Beschädigung der Früchte zu gewähren, so finden die Vor schriften des 8. 1069 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches eiitsprcch.'nde Anwendung. Besteht das Recht in einem Rieß- brauche, so finden die Vorschriften über den Nießbrauch an einer aus Zinse» ausstehenden Forderung Anwendung. Wird durch die den Entschädigungsanspruch begründende Maßregel ein R-cht an der Sache beeinträchtigt, welches in einer Forderung nicht be stehe» kann, so hat der Eigenthümer aus der ihm zu gewährende» Entschädigung dem Berechtigten wegen der Beeinträchtigung ver- hältnißniäßigen Ersatz zu bieten. Dem Berechtigten steht wegen dieses Ersatzanspruches ein gesetzliches Pfandrecht an dem Ent schädigungsansprüche des EigenthümerS mit dem Range des beein trächtigte» Rechte- zu. Die Vorschrift des 8. 36 Abs. 4 des Gesetzes, betreffend die Beschränkungen des Grundcigenthuins in der Um gebung von Festungen, vom 2l. December 1871 bleibt unberührt. Die Vorschrift des ß, 37 desselben Gesetzes wird aufgehoben." Der dritte Abschnitt deS EtnsuhruugSgesetzeS behandelt, wie wir schon mitgelheilt, daS Berhältniß des Bürger lichen Gesetzbuches zu den LandeSgcsetzen. Wir wollen für heute nur noch die ersten Bestimmungen desselben erwähnen. Nach Artikel 32 treten die privatrcchtlichcn Bestimmungen der Landcsgesetze außer Kraft, soweit nicht in bei» Bürgerlichen Gcsetzbuche oder in dein EinführungSgesctzc selbst bestimmt ist, daß sic in Kraft bleiben sollen. Artikel 33 verordnet, daß in Ansehung der Landesherren und der Mit glieder der landesherrlichen Familien, sowie der Mitglieder der fürstliche» Familie Hvhenzolleru die Vorschriften de- Bürgerlichen Gesetzbuches nur insoweit Anwendung finden, alS nicht besondere Vorschriften der HauSversaffuiigen oder der LandcSgesctze abweichende Bestimmungen enthalten. Nach dem Artikel 34 bleiben in Ansehung der Familienverhält- nisse und der Güter der ehemals reichsständischen, seit 1806 mittelbar gewordenen Häuser, sowie de- ehemaligen Reich- adelS die Vorschriften der Landesgcsetze, sowie nach Maßgabe der LandcSgesetze die Vorschriften der HauSversastunge» un berührt. Unberührt bleiben desgleichen nach Artikel 35 die Vorschriften der LandcSgesetze über Familiensideicoinmisse und Lehen, einschließlich der allodisicirtcn Lehen, sowie über die Stamnigüter. In den ferneren Artikeln des dritten Abschnittes werden diejenigen LandcSgesetze aufgezählt, welche vom Bürgerlichen Gcsetzbnchc unberührt bleiben. Wir werden darauf zurückkommcn Zur Lage. bil.6. Berlin, 6. Juli, Die Preßerörtcrungen über den Fortbestand deS konservativ - nativnalliberalen WahlcartelS werden in den deutfchfreistnnigen und ultramontanen Blättern mit »och viel größerem Eifer fortgesetzt und verfolgt, alS in denjenigen der Cartcl- partcicn selbst. „Germania" und „Freisinnige Zeitung" füllen täglich ganze Spalten mit oft recht gleichgiltigen Prcßsiimmeu zu diesem Thema und verzeichnen jede scheinbare Wendung mit einer Sorgfalt, welche von der Wichtigkeit zeugt, die man im gegnerischen Lager diesen Vorgängen beimißt. Sie ver gessen darüber ganz, u»S auch ein Wort über den Fortbestand deSultramontau'sortschrittlichen CarlelS zu sagen,was doch auch nicht ohne Interesse wäre. Es wirv freilich Niemand an dem still, schweigenden Fortbestand dieser oppositionellen Wablverbrüvc rung zweifeln, ohne welche ja die parlamentarische Eristenz der deutschfreisinnigen Partei vernichtet wäre. Wenn man sich übrigens im ultramontan-fortschrittlichen Lager Hoffnung macht, bei Lösung deS EartellS zwischen den bisherige» McbrheitSpar- teien etwas für sich selbst gewinnen zu können, so dürste diese Rechnung sich als grundfalsch erweisen, Tie taktischen Tiffe renzen zwischen Nationallibcralcn und Eonservalivei« werden nie so weit gehen, daß die Herren Windthorst und Richter daraus Nutzen für ihre eigenen Parteien ziehen könnten. Vielleicht können Verschiebungen der Zahlenverhältiiisse inner halb der bisherigen nationalen Mehrheit eintretcn. eine Schwächung derselben in ihrer Gesammtheit ist aber nicht befürchten. Der BundeSrath geht nun auch i» die Ferien und die sommerliche Stille im politischen Lebe» tritt nun immer mehr in ihre Rechte. Bor September wird der BnndcSratl' nicht wieder zusainmentreten; alsdann werden die Vorbereitungen für die Wintersession deS Reichstags erfolgen. Die Haupt vorlage. die Arbeiter-Altersversicherung, ist bereits so weit aeförvert, daß sie dem NcichSIag mit Sicherheit alsbald nach seiner Eröffnung wird zngehen können, lieber einen vom Reich-tag beschlossene» Gesetzentwurf an- der FriibjahrSsession hat sich der Bundesrath immer noch nicht schlüssig gemacht, nämlich über die Verschärfung der Vorschriften hinsickftlich der SonntaaSarbeit, welcher der Reichstag bekanntlich fast ein- stiunnig zugestimmt hat. Die Zustimmung deS BundeSrath- wurde allerdings uie erwartet, und eS kann nicht befremden, wen» dem Reichstagsbeschluß keine Folge gegeben wird. ES hieß, die Regierungen bereiteten selbst einen Gesetzentwurf über diesen Gegenstand vor. DaS Staats Ministerium hat heute unter dem Vorsitz veS Reichskanzlers eine Sitzung abgehalte», welche für längere Zeit die letzie sein dürfte. Tie Abreise deS Fürsten BiSinarck nach FricdnchSruh wird morgen erwartet, und auch die meisten anderen Minister werden jetzt Urlaub antreten. In der heutige» Sitzung deS StaatSministcrini»- dürste auch be reits der Termin der LanbtagSwahlcn zur Erörterung ge kommen sei». Die Ausführungen der „Kreuzzeitung". daß da- Mandat deS ReichSlagSabgeordneten unv früheren Reichstag-Präsidenten o» Wedell PieSdors durch dessen Ernennung zum Minister deS königlichen HauscS nicht erloschen sei. werde» n parlamentarischen Kreisen alS unzutreffend angesehe». Dem HallSministerium wohnt allerdings wegen verschiedener Func tionen der Charakter einer Staatsbehörde bei und die Er nennung muß daher de» Verlust dcs ManvatS nach sich ziehen. So dürste ohne Zweifel die GeschästSordnungS-Eommission bezw. der Reichstag entscheide», wenn Herr von Wedelt der Entscheidung nicht durch MaiidatSniedcrlegnng zuvorkommt. Aus Brasilien. * Die vor Kurzem erfolgte Aushebung der Sklaverei in Brasilien ist ein staatsrechtlicher Act, testen Con- egncuzen sich naturgemäß zunächst dem betresfenven Lande elbst fühlbar machen müsse». Sofern eS aber gilt, Ersatz ür de» Ausfall an bereiten und verwendbaren Arbeitskräften u schaffen, hat auch Europa, und nicht zum Wenigsten )eutschland, triftigen Grund, die Entwickelung der bra- ilianischen Dinge aufmerksam zu beobachten. Denn da man alS sicher annehmen bars, daß die nunmehr der Freiheit überantworteten brasilianischen Neger nur zum geringeren Theile die Arbeit bei ihren srührrcn Herren, wenn auch gegen Entlohnung, sortsetzen werden, so folgt schon daraus alle Fälle wichtige Frage bis in die höchste Instanz verfolgt worden I Stricken verdienten und bei dieser Arbeit trotz angestrengtesten Fleißes wäre, ob ein Arbeitgeber nolhwendig hat, sich um inner« Vermal-1 eS nur auf einen wahren Hungerloh», per Tag 20 -H. zu bringe, tungS-Angelegenheiten der freien HiltScaffe» zu kümmern und für deren I vermochten, eine bessere und lohnendere Beschäftigung zugewieie» nach außen gar nicht erkennbare Versehen zu Hallen. Man bedenke, wohin I erhalten; die männlichen Blinden werde» vornehmlich ans Seiler- eS in der PraxiSsüdrensollte,wen»sichdrrArbeitgeberi,>jedeinrinzelne» I und Korbflechtarbeilln ringeüt» und ihre Protucte, für welche in der Falle und wo es sich doch auch um auswärtige Hilsscassen handelt, I DreS.ner Anstalt zwei Verkaussslclle» bestehe!', zeichnen sich durch überzeugen müßte, ob die Ausnahme ordnung-gemSs, erfolgt ist. I Haltbarkeit und Sande« keil aus. Hosrath Biillner schilderte in ES steht ihm nicht einmal das Recht den freien Hilsscassen gegenüber I beredter Weise die Freude der Blinden und seine eigene über daS zu. Für ihn muß das Vorhandensein d,S QniitungsbiicheZ ebenso I Gelingen des von vornherein an in ßg bender Stelle lehr vorsichtig genügen, wie der Ortskrankencasse gegenüber. Daß Verüben auch I ausgcnommenen Planes, die Sorgen und Mühen, w l-be ihm weniger hei ber OrtSkiankencasse Vorkommen könne», ging ebensalls aus I die von den Blinden mit B geistcrnng begonnene» Arbeiten selbst, obigem Proceß hervor. Zunächst muß eS auffällig erscheinen, das; I als vielmehr der Absatz und die Auffindung von Abnehmern der seriigeu die Verwaltung der Ortskrankencasse erst nach 2 Jahren solche Ber- I Bürsten verursachte, nicht minder die Verdrießlichkeiten mit der sehende wallungSiehlcr der freien Hilsscassen entdeckt, wiewohl dem mit ihr I Arbeiter beschäftigende» Coiicnrrcnz. 1880 wurde die Vn st n ab,ilalwu veibundencn städtische» Krankencasseiiamie die Lontrole über die am I in der Tresdner Blindenanstalt eingesuhrt und 1887 letzte letzter« ! Nutze befindliche» sreien Hilsscassen, und um zwei solche handelte I bereits 22 979 jür Bürstrnwnaren uni. Weiter erzählte inei» eS sich, ausübt. Ferner wurde unter Beweis durch Onitln igci« fest-s Begleiter von den «»eist traurige» Faniilienveilä tuiijen, in denen gestellt, daß die Lltskrankencasse in verschiedenen Fällen für dieselben Personen und aus die gleiche Zeit Krankenkassen- beitrüge doppelt erhoben hatte; außerdem waren gar nicht versiche rung-pflichtige Personen, Kochlehrmätchcn, welche kein Gehalt erhalten, andern im Gegentheil Lehrhonorar zahlen, trotz besonderer Erwälp »u»g diese- Umstandes zur Lasse herangezogeu worden, und endlich I wie er sie selbst durchlebt und ersahre». Aus allen seine» Aenße Halle man eine» Lehrling unter 16 Jahre» statt in die 7. in die I rungen und Mftlheilunge» klang aber jene echte reine Mensche« liebe Claffe, alio viel zu hoch eingcschätzt. Die Ortskrankencaffe mußte I heraus, aus deren Bode» allein jener Bliiidenwahliprnch eiwm s n diese widerrechllich erhobenen Beiträge, in Summa ca. 86 zurück ahle», lhat dies aber erst nach Beibringung erdrückender Beweis: eiteiis des K ügerS. Es folgt daraus, welche immense Schmierig keiten die Aussührung deS KrankencassengesetzeS »lacht, wie unvoll kommen dasselbe ist. und daß obiger Gastwirts, zwar theilweise in erster Instanz der Form nach abgcwiesen ist, in anderen wichtigen Dnueten aber gesiegt hat. ein, daß der Regierung wie den Großgrundbesitzern gleich mäßig an der Beschaffung eines brauchbaren Ersatzes gelegen ein muß. Solchen Ersatz kann aber einzig die Heranziehung >on Einwanderern auS Europa schaffe». In dieser Hinsicht md denn auch bereits Schritte unternomme», wobei es sich, wie schon früher, wieder vornehmlich um Gewinnung deutscher EiiiwanderungSelenicnte handelt. WaS für Bedenken einer Ucbersiedclung deutscher Arbeitskräfte »ach Brasilien cntgegeii- lelien, ist schon oft genug bervorgebobe» worden. Dabin gehört in erster Linie daS Unwesen der sogenannten Parcerie- verträge, welche den unerfahrenen Deutschen ans Gnade oder Ungnade der Willkür des brasilianischen Arbeitgebers über liefern, und Elfterem ein LooS bereite», welche-»och schlimmer ist alS daS ber ehemaligen Ncgersclavc». Dazu kommt daS ür Deutsche ungeeignete Tropcnklima in den weitaus «»»- angreichsten Gebieten des brasilianischen Reiches. Ten evan gelischen Glaubensgenossen erwachsen überdies noch besonders ernste Bedenken auS dem Umstande, daß in Brasilien keineswegs die Gleichstellung der Religionsbekenntnisse herrscht, daß de» Pr o testanten weder die freie und öffentliche Ausübung ihres Gottes diensteS, noch die Anerkennung ihrer nach protestantischem NitnS geschloffene» Ehen verbürgt ist, daß sie svniit in einer ganzc» Reihe öffentlicher und privater Beziehungen alS rechllo- gelte». ES kommt hinzu, daß die Lvhiivcrhällnisse und die Lebenshaltung in Brasilien den deutschen G ivohuheiten und Bedürfnissen nichts weniger als genügen, endlich, daß in Folge gerade der Sclavenhefreiung auch die bürgerliche» Verhältnisse deS Landes gewissen Bedenken unterliegen, sofern die vielen Tausende arbeitsscheu herumlungcrndcr Neger ans dem besten Wege sind, sich zu einer unter Umständen bedrohlichen Land plage hcrauSzubilden. Er ist rein willkürlich und schvn- ärbrrisch, wenn brasilianische Blätter zwar anerkennen, daß die Sclavenbesreiung eine große Verwirrung in allen wirthschasllichen Verhältnissen hervorgerujcn habe, daß aber der Höhcpnnct der Krise bereit- überschritten sei. Es könnte auch anders kommen, zumal wenn cS sich bestätigt, daß die in Brasilien von je vorhanden gewesenen »nv bisher zu völliger Ohnmacht vernrtheiltcn republikanische» Elemente de» Anlaß benutzen, ihren Einfluß durch Heranziehung der unzufriedenen ehemaligen Sclavenhaltcr zu verstärken. „Stürzt die Monarchie, so wirv die Republik euch schadlos Hallen", ist eine »euerdingS oft gehörte Parole. Selbst ein tculsch- brasilianischcS Blatt, dessen Sympathien eo ipso aus Seite» der monarchistischen Staatsordnung stehen, und welche- die sich hervorwagenden republikanischen Nelleitäten sehr von oben herab behandelt, meint doch, cS werde „immerhin die Erscheinung bcachtcnöwcrlh sein müsse», daß jetzt zum ersten Mal in der brasilianischen Geschichte ein Ueberlrill einflußreicherer Personen der herrschenden politische» Kaste zur republikanischen Partei droht. Sobald diese hervorragendere Führer gewinnt, alS sie bisher hatte, kann sie recht unanczenchni werden — so viel dürfte feststehen. Ferner dürste nicht zweifelhaft sein, daß die Emancipation in Brasilien ähnliche Erscheinungen zeitigen wirv wie in Rußland die Aushebung der Leibeigen schaft. Beim Wechsel der wirlhschaftlichen Verhältnisse werden Einzelne mehr oder minder hart betroffen und verarme» Dann sammelt sich ein gebildete- Proletariat an, da- ui» jeden Preis nach Veränderung strebt. Zu verlieren hal eS nicht-, also hofft eS zu gewinnen. Russische Nihilisten mögen zwar in Brasilien nicht zu fürchten sein; aber die Zahl der brodlosen Unzufriedenen wird sich i» jedem Falle vermehren.' — So daS deutsche Organ. Die Nutzanwendung fällt nicht schwer; sie lautet dahin, daß in Ansehung der ictzigen Ber hättnisse unsere Landsleute sich mehr als je hüten müssen ihr LebenSglück an eine so absolut unsichere Chance zu setzen als die Auswanderung nach Brasilien ist. Socialpolitisches. * Leipzig, 7. Juli. In unserer Nummer vom 10. Mai d. I war unter derselben Rubrik ein Fall behandelt, nach welchem ein hiesiger Gaftwirth von der Ortskrankencasse zur Zahlung von Bei trägen sür bei ihm beschäftigte Leute augehalte» wurde, trotzdem diese durch anscheinend volltoinme» in Ordnung befindliche Quittungsbücher sreier Hilsscassen nachgew csen Hallen, daß si von« Beitritt-zwange zur Orlskrankencasse gesetzlich befreit seien Daraufhin Halle er sowohl di« An- wie die Abmeldung dieser Pell soiie» bei der Ortskrankeiieasse Unterlasten. Allein die Orlskranken caffe führte den Nachweis, daß die Ausnahme der betr. Arbeitnehmer anstatt vom Gesamml-Vorstand, wie eS das Statut vorschreibt, vom Cassirer, bezw. Vorsitzenden der betr. Hilsscassen allein vollzogen worden war, und folgerte daraus, die ganze Ausnahme sei ungiltig, mithin seien auch die Arbeitnehmer or>Skra»kencaffenpflich!ig und der Arbeitnehmer für die Beiträge zur Orlskrankencasse aus die Dauer bis zur Abmeldung, in diesem Falle ca. 2 Jahre, hasibar, gleichviel ob die Arbeitnehmer noch bei ihm in Stelle seien oder nicht. Selstvcrständ- lich erhob der Gaftwirth hiergegen Be'chwerde, wurde aber vom Landgericht in erster Instanz kostenpflichtig obgewiesen. Die Ent- scheidungSgrüttde sind in oben erwähnter Nummer veröffentlicht. Er oppcllirte an daS Obcrlandesgericht zu Dresden, nahm aber die Klage zurück, als die belr. Hilsscoffenbeamten, welche außerdem wegen pst chlivisrigen Verhallen- in eine Ordnungsstrafe genommen worden waren und diese widerspruchslos bezahlt halten, 'ich z» Schaden ersatzleistung crbole» — leider; den» e- wäre von präjndicieller Bedeutung g'wesen, wenn die immerhin für viele Kreise und analoge Lei den Llinden in Morihbnrg. Ei» Skizzenblalt vo» Max Dittricb. Nachdruck verboten. Wehmiithstlnäne», Mftleidsworle, Sind si: herzlich auch gemeint, Unterdrück' an diesem Orte, Wer als wrrthcr Gast erscheint. Tugend, Fleiß. Rrligio» Lat ber Blinde sich erkoren. Nicht der Nacht, der Thränen Soh» — I Hier wird er dem Licht geboren! Georgi. Das königl. sächsische Jagdschloß Moritzbnrg mit dem Dorfe Effenberg, inalerffch vom »lächtige» Friedewald uiiirahmt, wird ahraus, jahrein fleißig besucht, namentlich von bei Residenz Dresden 1 dff.uden als Wegweiser bienenden Geländer lausen, zerfällt i» zwei aus »»d mittelst der Secuudärbahn Radebeul-Radeburg. Es ist I verschiedene Abtgeilunge»^ Ja der erste» sind Kinder von 6 bis .> eine angenehme Fahrt, erst durch den ,b»,Richen Lößnitzgrund und der zwei en ^Iche von 9 bis ll Jahren unicegebracht. Knaben dann vorbei an de» »lächtige» Teichen des Rödel gebiete- inft ihre» I wie Mädchen. Alle Raume sind hell und hoch; die Ziiiiincr zum Unter die Blinde» auswachje», schilderte das allmälige Erwache» teS inneren LebcnS und seine Kundgebungen nach außen, welche sich a» den in die Anstalt verpflanzte» Blinde» zeige» »nb «ab lüheid- Züge ans deren Leben und Leide» nach ihrem Zniückliiti >» die Welt in Form kleiner ergreifender Erzählungen »»d Gesch chte». und Schalte» und Segen spenden kann sür das lichlloic Daiem der des Augenlichts beraubte» Menschen, welcher von dem Poitale der Blinde» hcrabgrüßt und welcher lautet: „Der Hei» mein Litt!' Wie im Fluge schwand die Zeit, und schon zog die Dämm rang über Schloß Moritzburg heraus, dessen Baiiketsaal hell irlenftiiel war, weil der König niit Gefolge heute hier gejagt hatte, als nnr die Klingel zogen a» jenem Hanse, welches als Blmdenhilssnnßa I sür 27 erwachsene Lorbmachee dient. Jni Arbcftssaale war es > non finster; die Leute halten, weil Sonnabend, bereits Schicht gemacht, aber die angesangenen Arbeite» bekundete» ebenso wie die ans Lager befindlichen fertige» k-rbe aller Art zum weitaus größten Tbe l: Fleiß und Accuratesse. Mein Vegl ilcr. wie der die Anffichft führende Meister versicherten. cS sei eine Lust, die fleißige» Hände der Vlmdc» in voller Arbeit zu sehen. Jetzt weiften Letztere in einem Gemache des Erdgeschosses, wo ihnen der eine Blinden lehrer, eine aiigeiiehme Eischeinung mit klangvoller Stimme, auS eine»! Buche vorlas. Der Gruß meines Führers winde mit einer g-wisjen allgemeinen Freudigkeit erwidert, noch muiiieiei und zutiaiiftcher klang aber das „Guten Abend, Herr Hosrath!" binden in der Blindenvorschule von de» Livpen der dort uiite« gelochte» blinde» Kuder, welche wir in der Obhut vo» Lehrerinnen sa de». DaS iür 70 Kinder ausreichende Haus, aus dessen Eoriidore» und Trepven entlang de» Wänd » jene bekannte», den Hün en der blitzenden Wasserfläche», während nun am Horizont langsam die Uiiden rolhe» Schloßthilini-Ziegeldüchcr kiiiporsteige» und alsbald de» Geist ziilückstihre» auS der Gegenwart in längst enlichwu de»c -seiten. Wie mit einem Zauberschlage werden sie alle wieder lkb.iidig im Gedächtnis; die zierliche» und gezielten Heiren und Dame» de- Puder- und Reiffcck-Zeitalters, welche -nc Zeit es ersten sächsischen PolenkönigS, Aumst's des Stacke», i» jenem lauschige» weltverloren n Füistensttz gar manchen artigen und lustigen Herzensroma» durchleb!, manch glänzendes und originelles Hoffest mitgesciert und mit verschönt Hasen. Noch heutige» Tages grüße» tue in lebenssrischer Wcltliffl strahlende» Gesichter so mancher holde» Fra» »nd fürstliche» Favoritin jener Ta,,c von den »i>I Geinälden bedeckte» Saalwänden des- Schlosses herab und rufe» im Verein i»it de» lansendsältigen Jagdtriuk qeschirre», sonstigen Kiinstwerken, Kostbarkeiten und Emiosftäie», owie den selljamlichen Geweihinonslrosiiüte» gar manch Eap Icl von Gelagen und Feste», von fürstlicher Liebhaberei und Laune, von ansgelassenster, überichälimeiider Lebciislnst wach, während die Räume durchschritten werden, in denen dereinst so lustig gescherzt, jo übeimiilhig intriguirt, so heiß geseufzt, so bilt.r geweint worden ist. Alles voibci! Nur die Soiinenstäubehen tanzen noch imm r wie schon vor hundert und vor zweihundert Jahren im Schlosse z» Molitzblirg ihre» stillen Neigen, n»d von Zeit z» Zeit diirchlliiigt den weilen Forst der Lärm der Jagd. Tann ist der königliche Schloßherr aus Dresden da, nnd wenn der Soniieiiball gesunken, erglänzt beim Klange der Hörner der mit de«» erlegten Wild bedeckte Schloßhos im rolhe» Fackelschein, und im Banketsaale klirren d e Giäier und klavpcrn die Teller. Vom Schlosse eilen die meisten Besucher ve» Mmitzburg nach dem Fntterplatz i»> Wildgai ten und die dort sich n bipielendeii Scene» zwischen den in Rudel» anziehenden und vor dem Mfft >häu-che»denBeg>Nii der Füilcrmig in den rührendste» Schmeichcl- und Klagetönen erflehenden Wildschweinen sind so »i drollig nnd belustigend, daß schon sie allein den Besuch reichlich lohne». Auch zierliche Hirsche und Rchbücke mit ihre» Genossinnen ziehen tänzelnden Schrittes »fft erhobenem Kovse und glänzenden Augen aus dein Waldesdickicht Hera» zu dem Futter platz-, und daS sich aus dein Wieienplan von Minute zu Minute immer belebter aiisgesiaftende Bild ist io anmuthig, daß cS Jedem, der cs geschaui, mit »nauslüschlichen Zügen im Gedächtniß bleibt als reizvolles Ratlirgemätde. Die ewig srijch bleibende und sich all lährlich phönixartig »eu verjüngende und verschönende Natur, welche in ihrer Pflanze», wie Thierwelt gerade in und m» Moritzburg so mächtig aus die Menschensecle emwirkt und mit ihrem belebende» Gottesha»che rasch allen Menschenland, alle Hohlheit und Ziererei der Vergangenheit und Gegenwart znm Herze» hinaus weht, sie läßt auch gar schnell die Erinnerungen verbleiche» und zusammen sinken, welche sich »m das Jagdschloß Moritzbnrg schlingen und ranken, sest und unauflöslich sür olle Zeit. Während die Slädler, welche nieist per Eisenbahn hierher komme», in der Regel sich auf den Besuch des Schlosses und die Fütterung beschränken, wohl auch die Fasanerie und de» Lcuchtlhurni, sowie andere sehenswerlhe Plätze besuchen und sich so i» den, herrlichen Forste gründlich anSlaiisen nnd die Lunge ausbadcn, verfolgen die gewöhnlich mit eigenem Geschirr in Moritzbnrg ansahreiiden Land leuie ganz andere Zw cke als Erholung und Vergnügen. In Moritz bürg befindet sich das königt. Laiidstallamt. dessen derzeitiger Vor stand, Gras zu Münster, niannigsache und vom beste» Erfolge be gleitete Versuche zur Hebung der sächsische» Pferdezucht unternommen hat. Zu ihm und seinen Beamten fahren die Landlcute, um Fohlen vorzustellen, Stuten zu bringe» und zu holen und daS Landstallamt I dienen, aber theilweise doch auch schon andere nützliche Verwendung ncht können durch Schicbctdüren in kleinere Abtlieilnngen abgeschlossen werden und aus de» in jeder Weise musterhaft auSgestattclen Schlaf« säten befinden sich auch praktische Einrichtungen sür die das körper liche Wohllefffiden so ungemein sördcrnden Abreibungen mit lauem und kaltem Wasser. Wir gingen zuerst zu de» ganz Kleinen, um die Anfänge des Bftndeiiiinlerriafts kenne» zu lerne». Die betreffende Lehrerin, ehemals Kindergärtnerin, sing die kleine» Blinden Vcr- icüiedcnes »ber die Theile des i»enschliche» Körpers und sührte sodann Frübkl.Beschäftigungen vor, durch welche die Blinden die erste Unter weisung zu mamieller Schulim > und Fettigkeit erhalte», damit die erste» Schritte lhun zu der Fähigkeit, die Blindenschrift schreiben und lesen zu lerne», den Ortssinn zu wecken und zu schulen und vor Allen« erwerbsfähig zu werden, was ja der Endzweck alle» Blindenlinterlichts ist. Hier sitzt zum Beispiel ei» blinder Knabe und Hot vor sich eine Mciallplatie ans dick r Filzunterlage liegen. Die Platte zeigt durch in kurzen Zw sch'ilräume» von einander angebrachte Löcher den Siluationsplan des Erdgeschosses der Anstatt, wo sich der Kleine befindet, de» er inin seinem Geiste einprägen soll. Tastend fahren zu dits-i» Zwecke die kleinen Finger über die Platte und solgen den Löcher», in jed s derselben eine Nadel niit Glosknopj steckend, der über der Platte herausragt. Sind dann alle Löch r ousgesüllt, so zeigen die vo» den Knöpfe» gebildeten L>n e» genau die verschie dene» Grenzlinien der eiiizelnen Räume des beireffenden SlockiverkeS der Anstalt an und geübtere blinde Kinder geben aus die Frage: „Wo ist der Garten, die Küche u. s. w?" sofort die richtige Ant wort, indem ihre Finger über die verschiedenen Knopjlinien rasch dahingleitkn. zuletzt aus der rechten Stelle verharre» und dazu sage»: „hier!" A» den einzelnen Linien und ihrer Neigung zu einander lerne» die Blinden scrner die Richtung derselbe», wie senk recht, wagcrecht, spitzwinklig, stumpfwinklig, kennen und so »ach und »ach die Zusammensetzung der Buchstabe» der Blindenschrift, die sie durch Einstcchen von Nadel» einüben. Die Blindenschrift ist bekanntlich erhaben und wird mittelst Tastens gelesen. Andere der Kleinen wurde» durch Flechtarbeiten geübt und geschult und man konnte in der Hauptsache ganz deutlich an den einzelnen Kinder» und ihrer größere» oder geringeren Handfertigkeit heraus« finde», wie kurze oder lange Zeit sie bereits »n der Anstalt unter- gcbracht sind. Der Unierschied springt ganz srapp.int in die Augen. Dann führte die Lehrerin mit ihren Zöglingen auch einige Spiele vor »»d die kleine» Blinden Ware» dabei, abgesehen vo» einer gewissen Unsicherheit im Auftreten und sich Wenden, die mit dem längeren Verweilen in der Anstalt sich aber mehr und mehr verliert, gerade so lustig und munter, wie sehende Kinder. Noch fröhlicher tummelte» sie sich zuletzt an den Kletterstange», welche sich im ^ muner befinden und einzelne der Kleinen waren flink wie die ichhörnche», oben aus der höchsten Spitze. Man sah und suhlte, daß sür die kleinen Blinden hier alle und jede Mittel zur Anwendung kommen, um ihren Geist zu wecken und zu bilden, sw zur späteren ErwerbSsähigkeit zu erziehen und ihr körperliches Wohlbefinden zu hebe», wie den» auch Krankheiten und Sierbesälle in der Anstalt nur äußerst selten Vorkommen. Während in dieser Abiheilung der Blindcnvorschule sür daS Alter von 6—9 Jahren Spiel und Unterricht noch eng verbunden waren, zeigte die Abiheilung von 9—11 Jahren, welche wir sodann aussuchten und daselbst die Blinden unter Aufsicht eine- Lehrer- und einer jungen Lehrerin fanden, ein etwas ernstere- Gesicht. Die Kinder mit ihrrn schon mehr geübte,> Fingern lernen hier bereit- allerhand Pioducte Hervorbringen, welche zwar meist noch dem Unterrichte im Verein mit den öfters i» Eisenberg abgehallenen PselLemärkten bringen im Lause des Jahres Hunderte, Tausende nach Moritzbnrg. Von ihnen, wie vo» jene» Hunderten und Tausenden, welche die Bahn, zumal zur Sommerszeit, die Woche über dorthin befördert, gehe» die meisten achtlos vorüber an jenem großen Gebäude an der durch Eisenbrrg lausenden Landstraße mit den Hellen, blanken Fenstern und dem weiten, daranstoßendcn Garten, in dem man ost frohe finde». Lesen und Rechnen geht hier recht flott; für elftere Art von Ausfüllung der Mußestunden ist eine kleine Bibliothek in Blinden schrift vorhanden, deren Vermehrung recht wünschenswerth wäre, aber nur langsam vorwärts schreitet, weil die Bücher sür Blinde mit ihren erhabenen Buchstaben schwer herzustellen sind, dadurch theuer werden und die Anschaffung erschwere». Aus dieser zweilen Stufe der Blindenvorschulc zeigen die Zöglinge vielfach weit led- Kindcrstimme» so sreudig jauchze» hören kan», daß man kaum j hasteres Interesse und ihre Gesichter ein größeres Mienenspiet beim Unterricht, als dies bei den kleinen, erst in die Anstalt gekommene» Blinden zu beobochlen ist; da- bei letzteren noch sehr ost zu be merkende Bohren der Fäuste in die lichtlosen Augenhöhlen hat sich hier bereits säst völlig verloren, daS Auftreten ist sicherer gewordrn und die Kindesiecle verlraut nun ihren Leitern und Lehrern unbe dingt und sreudig. als Denen, welche ihnen Licht und Leben bringen in die sic umgebende Nacht. ES ist erstaunlich, wo- das bei seinem Einlritt in die Anstalt meist durchaus unbeholfene Kind in einigen Jahren hier Alles lernt, wie rege sein ehedem noch gar »ich! ec- wachles Geistesleben sich eulwickelt. Ein hübsches völlig normal enlwickelleS Mädchen von elf Jahren mit nußbraunem Haar und intelligentem Antlitz zeigte uns beispielsweise aus Befragen aus einer den Laus deS Rhemstroms darstellende» selbstgeserligten Reliefkarte säst !» tewpo mit der Frage jede an dem Strome gelegene Stadt mit dem Finger und gab auch sonst kluge und richtige Aiftworten. Die Slroinläiise und Gebirge, da« engere Vaterland Sachsen und andere deutsche Länder werden voii de» blinden Kindern in Relieskarlen mittelst Thon oder durch Nadelstiche aus starkem Papier vielfach in recht erfreulicher Genauigkeit dargcstellt. Auch schreiben sie sich durch Nadelstiche in starkem Papier Lieb- ling-lesestücke, Lieder und dergleichen ab. Die einzelnen Blätter heften sie zusammen und schaffen sich aus diese Weise Atlanten und Bücher mit eigener Hand. Der geographische Unterricht der Blinde» beginnt mit ihrer oben erwähnten Orieiitirung in der Anstalt fflbst, geht dann aus deren nächste Umgebung, zunächst Garten und W esen, dann in die weitere Umgegend, im vorliegenden Falle also Mori^ bürg, über und erweitert so den Horizont der Schüler von Wach» zu Woche, von Monat zu Monat. Situation-Pläne vo» Moiitzburg, von den blinden Kindern gefertigt, waren mehrere vorhanden und insgesommt recht gut auSgesührt. Weit mehr noch, wie bei sehenden Kindern, sicht der Lehrer bet der Inschrift Glaube» zu schenken vermag, welche das Gebäude ausweist und welche lautet „Königliche Blinden-Vorschule." Die landläufige Anschauung will und kan» sich einmal noch immer nicht daran gewöhnen, daß auch die Blinden gar wohl sröh lich, Hefter und lustig sein können. Von diesem Hause geben die »achstchenden Zeilen verschiedene Mittheilungen, welche sür Viele sicherlich neu und interessant sein dürsten. Der Direktor der sächsischen Landes-Blinden-Anstalten, Büttner in Dresden, hatte mir, als ich ihm einmal den Wunsch äußerte, die Blindeiivorschule und die dortige Unterweisung sür Bttndenimterricht und -Erziehung kennen zu lernen, die Erlaubniß erlheilt, ihn dorthin zu begleiten Es war an einem Spätherbstlage, als wir nach Moritzburg ausbrachen, und zwar benutzten wir weder die Eisenbahn, noch Pferd und Wagen, sonder» Schusters Rappen, welches Lorwärtskommen zugleich auch d:e beste Gelegenheit zu einer Aussprache und Unterhaltung bietet. Mein Gesährie wußte die lauge Wanderung an den Kasernen der berittenen Truppen in der Albert stadt und der Hellerschänkc vorbei, über writausgedrhute Fluren und durch den stillen Friedewald in überaus anziehender Weise durch Mitlheilungen aller Art aus der Praxis und Erfahrung der Blinden- pflege ta und außer der Anstalt abzukürzen. Lr brachte sie vor genau in derselben einfachen und schlichten Weise, nur frischer und lebendiger, wie die- schon sein Vorgänger und Schwieger- Vater, der unvergeßliche „Batcr Reinhardt" (* 6. Oclober 1822, f 13. September 1879) so meisterhaft verstand und damit ollerwärlS die Herzen und Hände sür seine blinde» Kinder im Fluge gewann. Besonders interessant war e» mir, als mein Begleiter ans die erst von ihm in der Blindenanstalt zu Dresden eiugcsührte Bürstenbiuderei zu sprechen kam. Durch die- selbe haben namentlich die weiblichen Blinden, welche ehedem nach ihrer Entlastung aut der Anstalt ihr karges Brod meist durch
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