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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.09.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-09-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188809131
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880913
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880913
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- S. 5531-5532 fehlen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-09
- Tag1888-09-13
- Monat1888-09
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.09.1888
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1 Erste Geilage jum LeWger Tageblatt und Anzeiger. 257. Donnerstag den 1ä. September 1888. 82. Jahrgang. Der gute voctor. Erzählung von I. Isenbeck. Nachdruck »erboten. I. Capitel. ' In der Nähe deS Rheins liegt ein kleines Städtchen, hier mag cS Maisclv heißen, obgleich cs in geographischen Lehr büchern und aus Landkarten einen ander», wenn auch ähnlich klingenden Namen führt. Die Begebenheiten, welche auf den vorliegenden Blättern geschildert werden sollen, ragen aber mit ihre» Folgen noch bis in die Jetztzeit hinein. Von den bctheiligtcn Personen lebt »och die eine oder die andere. Da muß eine gewisse Discretion gewahrt werden. Maifeld ist ein Muster von Behaglichkeit, dabei zum Träumen und Mrvitiren wie geschossen. Eng uud winkelig sind die Straßen. Wie mübe Wanderer kriechen sic den steilen Berg, aus Vesten Hohe die uralte Severinskirche thront, in steten Windungen und Krümmungen hinan. Die Häuser, von der Zeit gebräunt und vergilbt, scheinen sich wie Greise, die in Sturm und Wetter zusammen all geworden, gegen fcitig zu stützen, allein, von den treuen Gefährte» verlassen, würde sich nickt eins halten können. Die hohen, spitzen Giebeldächer gleichen riesige» Schlasmütze». und wo ein HauS Holzschnitzereien, Reste verwaschener Bemalung oder beschei Vene Verzierungen in Stein oder Eisen zeigt, da denkt der Beschauer unwillkürlich an ein verrunzeltes und verhutzeltes Weiblein, daS die Koketterie aus der Jugend goldenen Tagen noch nicht ganz abgelegt hat und sich mit dem altmodischen Zierrathc schmückt, den eS dereinst beim Tanz getragen. Ein schlafend Dornröschen ist Maiseid, hinter seinen Weinbergen uud Obstgärten wie hinter einen: Zaubcrwald verborgen. Noch hat kein schnaubend Dampfroß den schützenden Ring durchbrochen, noch erhellt keine Gasflamme das von Sagen durchwcbte Dunkel. Die Maiselder sind auch allen Neuerungen abbold. Sie sträuben sich gegen das Andrängen der Eultur und wollen lieber, wie ihre Vorväter, schlasend weiter leben, als in den tollen Wirbel der Neuzeit hinein gerissen werden. Wer an einem Sonnabend, um die Zeit der Weinblüthe, gegen Ende deS TageS, durch Maifeldö Straßen gegangen wäre, der bätte sich sagen müsse», baß der Reiz der Behag- lickkeit und deS ruhigen Genießens der Lebensfreuden mächtig aus ibn einwirke. Die Glocken der Sevcrinskircke läuteten den Sabbalh ein, wie aus höheren Regionen tönten ihre Klänge hernieder zu den Bürgern, die in der Vorfeier des kommenden Ruhetages vor den HauSthüren faßen. Zn singende» und scherzenden Gruppe» zogen die jungen Burschen und Mädchen nach alter Gewohnheit durch die Straßen. Jubelnd und lachend balgte sich der minderjährige Nachwuchs aus dem einzigen freie» Platze deS Städtchens, aus den bas Nathhaus griesgrämig heruntersah. Daß die Väter der Stadt in diesem Gebäude keinen Beschluß fasten konnten, der den Forderungen der Neuzeit Rechnung trug, war erklärlich. Die schmalen Fenster licßer kaum Licht ein und waren durch verschnörkelte und phantastisch verzierte Eisenstanaen »och undurchdringlicher gemacht. Tie Zeiger der Uhr über dem niedrigen Portal, deren altersgraues Zifferblatt dem blöden Auge eines Idioten glich, standen unbeweglich und fest, schon seil Jahre»; vom Rathhausc schlug den glücklichen Bcwoh nern MaifelvS seit Menschengedenkc» keine Stunde mehr. Um so lustiger sah daS Haus aus der anderen Seite deS Platzes aus. Alt und unmodern war es auch, aber cS hatte sich eine lebenslustige Frische bewahrt. Die steingrane Tünche, die in der Abendsonne blitzenden Fenslerscheibcn. die graö grünen Läden, alles Das gab dem Gebäude daS Ansehen eines wohlconscrvirten alten Herrn. Das gastlich weit geössnete Thor glicb einem zu fröhlichem Lachen geöffnete» Munde, und dieS Bild könnte noch weiter auSgesührt werden, wenn man den Erker über der Thür mit der Nase dcö bejahrten Bon vivants itenlifieiren würde. Auch von dem steinernen Vor sprunge des Hauses strahlte ein rothcS Leuchten, aber nicht als Folge der dem BacchuS gebrachten Opfer, sondern als ein Wahrzeichen, daß dem Gotte hier ein Tempel geöffnet sei. Man sagte sogar, in den Kellern deS „Rothen Sterns habe der viclgcschmähte und vielgeliebte Olympier eine Zu flucht gefunden, da er sicher sei, daß ihm dort keine Ent Weihung und Entheiligung seiner köstlichen Gaben drohe. DaS Hans mit dein rotben Stern war der einzige Gasthos Maifelds, kein modisches Muslerbolel, aber eine Herberge, Von der Zeter sagen konnte: „Hier ist's gut wohnen!" WaS daS Städtchen an Honoratioren und TtandeSpersoncn aufzuweiscu hatte, das brachte die Abendstunden im „Rothen Stern" zu, im Winter in der warmen Gaststube, im Sommer vor der Tbür, unter dem Nnßbaum, oder in dem gewölbten Hausflur sitzend. An jenem Sonnabend war der Kreis der Stammgäste im „Stern" zu Malfeld lebhafter erregt, denn sonst. Es mußte etwas Wichtiges sein, daS die Herren noch beisammen hielt, obwohl das Abendläuten längst verstummt war. Für gewöhn lich eilte um diese Zeit Jeder an den heimischen Herd; die Frauen waren noch so altfränkisch, daß sic behaupteten, die Suppe könne nicht eine Viertelstunde warten. Wohl hatte schon mancher der Gevattern mit besorgtem Blick nach der Taschenuhr gesehen, aber diese dann mit einem heroischen Ent schluß wieder eingesteckt und dem vergnüglich schmunzelnden Wirlh den Auftrag gegeben, einen frische» Schoppen zu bringen. Am ängstlichsten schien der wohlbeleibte Manu daS Fort schreiten der Zeit zu beobachten, der oben an dem langen, weißgesch.iicrte» Tisch in der Flurhalle saß. Aus seinem glatt rasirten Gesichte prägte sich erwartungsvolle Neugier un verkennbar auS. Bald sah er mit prüscndem Blick über den kleinen Marktplatz, dann wieder durch die offene Thür in daS Schenkzinimer hinein nach der großen Wanduhr, die dort Uber der Ercdcn; hing. AlS tiefe schnarrend und heiser die achte Stunde verkündete, erhob er sich. „Ich muß hcimgchcn". ries er mit einer fettigen Stimme. „Eine ganze Lall von Arbeit will heute »och erledigt sein, da kann ich ans den Toctor nickt länger warten!" Vom »ntcrcn Ente des Tisches ließ sich eine hämische Bcmcrknng über daS strenge Regiment einer gewissen Frau Ehclicbsten bören, die der Wohlbeleibte nur mit einem strafen den, bitterböse» Blick beantwortete, woraus er nach seinem Hut griff. „Wie ichon gesagt, eine ganze Last von Arbeit wartet noch aus mich!" wiederholte er. „DaS Oberhaupt eines städtischen Gemeinwesens muß mit den Minuten für seine Erholung geizen, wen» cS die Pflichten dem allgemeinen Wohl gegenüber erfüllen will und " „Der Toctor kommt, Herr Bürgermeister!" unterbrach jetzt der Wirlh Len gewissenhaften Leiter der städtische» An gelegenheiten und deutele mit dem Finger nach dem Rath Hause hin. „Nun bleiben Sie doch noch hier?" fragte da einer der Gäste. Der Bürgermeister hatte sich würdevoll wieder niederge lassen. „Nur zu Nutz und Frommen der guten Stadt Mai feld und ihrer Bewohner!" erwiderte er. „Der Doctor muß beichten, dainit wir Licht in das Dunkel bringen." Der Langerwartete war nnn beim „Rothen Stern" an« gelangt. Ein kleine-, vierschrötiges Männlein war eS, mehr als ernen Fuß unter dem gewöhnlichen Menschenmaß, aber »it Armen, deren Länge für einen Riesen auSgereichl hätte. Seine breitschulterige Gestalt steckte in einem kurzen, ^ngen Röckchen und ebensolchen Höschen von bräunlichem Stoff; dazu trug er eine weiße Weste. Sein Oberkörper erinnerte an ein Bündel Wäsche, daS man in ein kleines Kofserchen ge zwängt hat. DaS Gesicht war hochrotb, die dicke plumpe Nase säst bläulich glänzend; die kurze» semmelblonde» Borsten, die seinen vierkantigen Schädel bedeckten, Ware» ein zwcisel- haslcr Schmuck, der mehr den Stacheln eines Igels alö menschlichem Haar glich. Der Doctor trug in der eine» Hand eine» breitrandigen Strohhut, in der anderen ein große-, rothfeidenes Taschentuch, mit dem er sich Kühlung zuwehte. „Toctvrchen, Doclorchen. wo stecke» Sie denn? Wo bleiben Sie so lange?" fragte der Bürgermeister und gab dem Wirth einen Wink, worauf dieser eine» Slubl zwischen ihn und seinen Nachbar schob. Jst's denn schon so spät?" lautete des DoctorS Gegen frage. „Die Herren sind ja »och vollzählig beisammen." Der kleine Man» sprach so unbefangen, daß nur ein ausmerksamer Beobachter den leisen Auslug von Spott in seiner Stiinmc wahrgenommen haben würde; sein Gesicht hatte dabei de» unschuldigsten Ausdruck, wenn auch feine Auge» auf eine ver schlagene Weise zwinkerten. „Ja, wir sind über unsere gewöhnliche Zeit hinaus hier geblieben, Doclorchen", antwortete der Bürgermeister, der den Wortführer der ganzen Tafelrunde machte. „Aber nur Sie tragen die Sckuld, wen» wir heute ein GlaS mehr getrunken habe». Der Herr Syndicus Blomeycr behauptete. Sie seien heute Nachmittag zu der sogenannten Gräfin in daS alte verrufene Haus geholt worden, lind da wollte er —" „Bitte, bitte", fiel der Syndicus ein, „da wollten Sie, Herr Bürgermeister, gern erfahren, ob der Zustand der Frau Gräfin zu irgend welcher Besorgniß Veranlassung giebt!" „Frau Gräfin — Gräfin!" polterte der Bürgermeister mit schlecht verhehltem Ingrimm. „Wissen wir de»», ob es wirklich eine wahre, echte Gräfin ist? Ohne Papiere, ohne irgend welche» Ausweis über ihre Person kam sie „ach Mai- seld. Ich habe ja bisher nicht einschreite» können, nicht mit den zuständigen Mitteln eine Legitimation einsordern dürfe», da sich ei» hochgestellter Gönner für die Dame verbürgt. Aber der Schleier deS Geheimnißvollen muß gelüstet werden. Rath und Bürgerschaft unserer Stadt läßt sich nicht an der Nase heruinzichen." „Und die Frau Bürgermeisterin will nicht länger schlaflose Nächte haben", warf der Nachbar des Syndicus Biomeyer ein. derselbe, der schon vor deS DoctorS Ankunft den Unwillen des Gestrenge» erregt hatte. „Was wissen Sie von der Schlaflosigkeit einer Ehefrau?" herrschte dieser nun den Sprecher, eine» langen, dürren Mann mit pockennarbigem Gesicht, an. „Können Sie den Segen ermessen, der für einen Mann daraus erwächst, daß eine ge treue Ehefrau seine Sorgen theilt? Nur Mißgunst und Neid spricht auS Ihnen, da Sic keine LebenSgesährtin gesunden haben, auch nie finden werden. DaS ist meine Meinung, Herr Heppler, meine Meinung — verstehen Sie?" Heppler ließ einen pfeifenden Laut hören, sein Gesicht war hochroth geworden; er wollte antworten, aber der Bürger, meister hatte sich schon wieder an den Toctor gewendet: „Erzählen Sic uns, WaS Sie gesehen und gehört haben. Dann kann man sich doch ein Bild machen!" „Ja! — Erzählen Sie! — Wie sieht die Frau aus? — Wer ist sie?" ES dauerte geraume Zeit, bis der Doctor aus den ganzen Schwall von Fragen, der auf ihn einstürmte, etwas erwiderte. Bedächtig trank er erst einen Schluck aus seinem Glase, wischte sich mit dem seidenen Tuch die Stirn und sah dann einen der Gäste »ach dem andern mit komischem Blick an. „Die Dame, von der Sie so gern Näheres wisse» möchten, habe ich gar nicht gesehen! Ihre alte Dienerin ist schwer krank und bedurfte meiner Hilfe. Ich bin nicht einmal in das HauS der Gräfin gekommen, besten Thür mir ebenso fest verschlossen blieb wie jedem Andern Die Kranke hat ihre Wohnung in dem kleinen Gartenpavillo», der gleich links an der Mauer steht!" „Da hätten Sie aber doch fragen können!" Das Gesicht des Bürgermeisters war ganz Enttäuschung und Unwillen. „Ich hätte so gern meiner Frau und meiner Jnstiane — hm. hm! — I» der That, meine Herren. cS ist spät geworden. Ich wünsche allerseits geruhsame Nacht!" Der Bürgermeister zahlte seine Zeche und verließ den Flur des „Rothen Stern". Auch die klebrigen beeilten sich, de» Nest in ihren Flaschen auSzutrinken, und folgten ihm bald. Nur der Doctor und Heppler blieben zurück. „Pantoffelhelden!" lachte der Letztere aus. „Wenn sie jetzt nach Hause kommen, können sie den Zorn ihrer Xanthippen nicht einmal durch die Erzählung eines Histörchens von der Fremde», die nun schon seit einem Monat ganz Maisclv auf den Kops stellt, beschwichtigen! Heute wird noch Manchem die Suppe versalzen werden! Gott sei Dank, daß mich Hymens zarte Bande nicht drücken!" Der Doctor nickte beistimmend, aber wieder flog daS ironische Lächeln um seinen unschönen Mund. „Sie hasten recht, Bester!" sagte er. „Die Rosenketten sind immer voller Dornen und reißen die Haut blutig. Wir Beide können eigentlich nicht dankbar genug sein, daß unS die Natur so stiefmütterlich bedachte und unS dadurch gegen jede Versuchung, ein Weib freien zu wollen, gefeit hat." Hcppler's dürre Figur richtete sich höher aus. „Erlauben Sie, Herr Doctor Willen! Wenn Sie so sprechen, mögen Sie für Ihre Person die Wahrheit reden. Was mich anbclangt, so hätte ich schon lange ein ehrsamer Familienvater sein können. Bürgermeisters Iustiane hat mich sehr begchrenswerlh gefunden und alle ihre Künste spielen lassen, um die Eisrinde meines HerzcnS zum Schmelzen zu bringen. Aber eS war vergebens, partout vergebens! Ich bleibe meinem Entschlüsse getreu und wahre meine Freiheit l" Jetzt sah auch der Doctor nach der Uhr. „Schon neun!" ries er verwundert aus, der Schalk lachte wieder auS seinen Augen. „UebrigenS, bester Heppler. ist eS nicht lvbcnswerlh, daß Sie mit Ihren Erfolgen bei den Damen so rücksichtslos rcnommiren. Iustiane Brand, die zarte Maid, wird schamroth werden, wenn ich ihr erzähle, wie Sie die Unbefangenheit ihres kindlichen. Geniüths gedeutet haben. — Aber wollen Sie denn auch schon aufbrechen? Sie haben doch keine Gardinenpredigt zu befürchten; Sie sind ja ein freier, selbstständiger Mann." Heppler stand schon in der Tbür; nach einem kurzen .Gute» Abend" ging er nun eilend über den Marktplatz seiner Wohnung zu. Ein schallendes Lachen deö DoctorS folgte ihm. „TerAermste ist noch schlimmer daran als alle Maiselder Ehemänner. Wenn er nach neun Uhr heim kommt, so ver schließt ihm seine Wirthsckasterin die Thür, die dann kein Bitte» und Flehen mehr öffnet. — Wohlcr würde ihm auch sein, wenn ihn die eigne Frau tyrannisirte, als jetzt, wo er sich von seiner bezahlten Haushälterin muß Vorschriften machen lassen. — Ich glaube, in ganz Maiseid giebt es nur einen freien Mann, und der bin ick, der Doctor Erich Willen, der gerne seinen ungebundenen Iunggesellenstanb ausgeben würde, wenn er nur wüßte, wo daS Herz schlägt, da- in wahrer Liebe für ihn erglühen könnte!" Willen fuhr wieder mit seinem rothen Tuch über die Stirn; seine Augen hatten jetzt einen gewissen schwer müthigen Ausdruck, zu dem die ironische Art, wie er sprach, nur schlecht paßte. „Darum soll ich mir aber einen schönen Abend mit ver flixten sentimentalen Gedanken verderben?" fuhr er nach einer Weile in seinem Selbstgespräch sort und hob den träumerisch > gesenkten Kops mit energischer Bewegung. „Im Grunde ge- ^ »ommen kommt doch Alles daraus a», daß man den Verhält nissen die beste Seite abzugewinnen suchl. Da« soll auch jetzt! »ach Kiäslen geschehen — Herr Wirlh, eine Flasche von I Ihrem Besten!" Der Doctor stöpsle sich eine Meerscbaumpseise und blicS! bald daraus den bläulichen TabatSrauch mit einer so zu friedene» Miene in die Abendluft hinaus, als ob ihm niemals j iir seinem Leben ein Wunsch unerfüllt geblieben. Maifeldö Oberhaupt, der gestrenge Bürgermeister Brand, halte sich aus dem Wege »ach seiner Wolmung auch fest vor- genommc», den Verhältnissen die beste Seite abzugewiuncn. Dieser männliche Entschluß hob seinen gesunkene» Muth ge waltig, und er konnte die ehrfurchtsvollen Grüße der ihm Begegnenden mit der ganzen ihm eigenen Grandezza erwidern. Je näher er aber dem Hanse kam, unter dessen Dach die Frau Bürgermeisterin seiner harrte, um so kläglicher wurde ihm zu Sinne. Dem wohlbeleibten Herrn wurde eS warm unter dem Hule, als er die Steinstusen vor der Thür Hinaus stieg. seine Hand zitterte, als er die Klinke nicdcrdrückte. Kaum Halle er die Hausthür wieder hinter sich ins Schloß fallen lassen, als eine der in die Zimmer führenden Thüren sich öffnete. Ans der Schwelle stand eine kleine Frau, deren eckige, knochige Gestalt in ein verschossenes rosafarbenes Kleid von dünnem, säst durchsichtigem Stoff gehüllt war. Eine große Haube, mit langen Bandschlcisen auSgepntzt, bedeckte ihren Kops und ließ nur eine» schmalen Streifen glatt an liegender Haare frei, die von so bellem Blond waren, daß man sie fast farblos nennen konnte. In lebhaftem Wider spruch mit diesem Thcil deö Aeußercn der Dame standen aber ihre sunkelnde» Augen, die dem Eintretenden einen Wuthblitz zuwarsen; dabei zitterten die Flügel der spitzen, hakig gebogenen Nase wie in nervöser Erregung. „Wo bleibst Du denn so lange, Christian?" fragte die Frau in schneidendem, keifendem Ton. „Ich und Iustinchen sind beinahe vor Angst vergangen!" Der Bürgermeister wollte antworten, aber ihm wurde daS Wort abgeschniltcn. Eine Entschuldigung hältst Du natürlich für überflüssig. Wozu brauchst Tu Dich auch zu entschuldigen? Du bist ja Herr im Hause, kannst gehen und kommen, wann Du willst, »n „Stern" Geld und Zeit vertrödeln. Aber bitte, Vergiß nicht ganz, daß Du mir Rücksichten schuldig bist. Nicht etwa, weil ich Dich durch meine Conncxionen zu Dem gemacht habe, WaS Du bist. Ich verlange auch gar nicht, daß Du Dich von Zeit zu Zeit erinnerst, welche Opfer ich Dir brachte, als ich den Namen einer Baronesse v. Harder mit dem obscuren Brand vertauschte. O, daran denke ich gar nicht — aber Du sollst Rücksichten aus mich nehmen, weil ich Dein Weib, weil ich Justinchens Mutter bin." Die würdige Dame hatte so schnell und laut gesprochen, daß sie Athen, schöpfen mußte. Die dazu nöthigc Pause benutzte der Gatte, um auch zu Worte zu kommen. „Liebe Beatrix", sagte er, „ich weiß. Du und Iustinchen, Ihr intcressirt Euch Beide sür die fremde Gräfin und da —" Ein schrilles, höhnisches Auslacheu unterbrach ihn. „Wir interessiren uns sür die Gräfin? — Ach, Iustinchen, mein Kind, höre doch! Dein Vater wagt eS, mir ins Gesicht zu sagen. Mir Beide interessirtcn unS sür seine Gräfin. Nein, daS ist köstlich! Gräfin! Gräfin! — Eine hergelaufene Person ist es. eine abgedanktc Theaterprinzessin, das wissen wir, mein Iustinchen und ick, jetzt ganz genau. Ei» tüchtiger Bürgermeister bist Du! Widersprich mir nicht, — so viel Menschenrecht wirst Du mir doch noch lasten, daß ich zwei Worte reden darf? Also deshalb sitzest Du bis um Miller nacht im WirthShauS? WaS? Tu meinst, eS ist noch nickt so spät? Es wird aber heute »och Mitternacht werden. Du kannst Dich daraus verlassen. Ja, ein tüchtiger Bürgermeister bist Du! Deinetwegen könnte eine Räuberbande wochenlang in Maiscld morden und sengen, könnte Deine Frau, mich, eine geborne Baroneste v. Harder, und Tein Kind, unser Iustinchen, vor Deinen sehenden Augen tödten und mit unfern entseelten Leichen Spott treiben, Du würdest doch sagen, die Mörder seien unschuldige Engel, die Choräle singen und mit Blumen spielen!" Die erregte kleine Frau wurde von einer ebenso schrillen Stimme wie die ihre unterbrochen. Ihre Tochter Justine, daS getreue Ebenbild der Mutier, auch knochig und eckig, im Gesicht dieselbe hakig gebogene Nase, den Kopf von dünnen, fahlblonden Locken bedeckt, erhob sich aus einem Sessel in der riesen Fensternische, trat ans ihre Eltern zu und rief: „Sprich nicht so laut, Mama! Du weißt doch, wie schwach nieine Nerven sind. Und nebenbei nutzt es Dir gar nichts, Wenn Du Dich auch noch so sehr aufregst — Papa ist ja einmal unverbesserlich!" Die Bürgermeisterin antwortete nur aus den ersten Einwand. ,Ia, inein Liebling", sagte sie, „Deine Nerven sind schwach und zart. Aber daraus nimmt Dein Vater nie Rücksicht; er vergißt immer wieder, daß Du durch Deine Mutter einem altadlige» Geschleckte angehörst, wenn Du auch den Namen Brand führen mußt. Er kan» cs niemals begreifen lernen, daß wir Beide auS anderem Stoffe gefügt sind, wie er, 'der seine Abkunst von Bauern nie verleugnen kann!" Christian Brand hatte sich knurrend und brummend abgcwandt und auf daS Scpha hinter dem großen Familien tisch gesetzt. Iustinchen war noch nicht beruhigt. „Der Papa soll me mehr von seiner Gräfin sprechen!" rief sie. „Sage Du es ihm, cbörs mamun, daß er uns damit verschont. Wir haben ja ohne ihn erfahren, was sie ist!" „Nun, dann sagt es doch. Haltet mit Eurer Weisheit nicht hinter dem Berge!" bat der Bürgermeister bescheiden Er hoffte wohl, daß die drohenden Wolken, die gewittcrschwcr über feinem Haupte hingen, durch eine Erzählung seiner Damen über die verhaßte Unbekannte zerstreut werden könnten. „Also neugierig bist Du auch?" höhnte Frau Beatrix. „Du warfst mir doch bisher immer vor, daß die Neugier ein Erbfehler der Frauen sei!" „Ich? Nie! Habe ich jemals von Fehler» gesprochen, die Du hast? Du hast überhaupt keinen Fehler, meine Liebe! Aber der Heppler sagte heute wieder, Du würdest nicht schlafen können, wenn Du nicht vorher erführst, wer und was die Person ist!" Der Aermstc hatte Oel in- Feuer gegossen. „Der Heppler?" fuhr seine Frau aus. „Du wagst eS, noch den Namen hier, in Gegenwart Deine- KindeS, zu nennen, daS der Mensch mit seinen zudringlichen, schamlosen HeirathSanträgen so schwer beleidigte?" „Ich hätte mich gefreut, wenn meine Tochter endlich einen Mann gefunden!" wagte der Bürgermeister zu erwidern. „Endlich, sagst Du? Endlich? AlS wenn ich wie eine Hökerin daraus wartete, daß so ein Scheusal meine Tochter nähme! Natürlich, Dir hätte cS gepaßt, wenn Du mit dem liederlichen Kerl kneipen und schwärmen, den Schwieger sohn zur Entschuldigung für Deine eigne Liederlichkeit auf stellen könntest!" „Ich habe ihn aber doch fragen müssen, ob er Iustinchen heirathen will —" „Sei ganz still, Mama", fiel nun die Tochter ein, „er widere niäffS aus des Papa» Beleidigungen! Aber Vas bitte ich wir auS, der Name des Krämers soll auch nie mehr hier genannt werden. Er kann ja die Gräfin heiratben — ha, ha. die Gräfin! Mama hat ganz reckt, wenn sic sagt, cö sei eine abgedanktc Theaterprinzessin. Etwas andere« kann sie nicht fein, soll sie auch nicht sein. Ich habe sie heule Nach mittag singen hören, so rin Lied auS einer neuen Oper. Ihrem Gesang hörte ich eS gleich an, daß sie für Gelb ge- sungcn hat. Gesehen habe ich die Person auch, nur durch eine Thür in der Gartenmauer, die zufällig offen stand, alnr ich konnte ganz genau erkennen, daß sie alt und häßlich ist. Den Kops trug sie ebenso, als wenn sie noch aus der Bühne stände!" Iustinchen schüttelte ihre fahlen Locken und machte, de» Kops aus steifem, langgerecklcm Halse tragend, ei» paar gezierte Schritte durch daS Zimmer. Frau Beatrix lächelte befriedigt bei den Worten ihrer Tochter und klatschte entzückt mit den Händen. „Du bist reizend, mu mignouno, ganz reizend!" ries si >. wie prächtig Du die dumme Person copiren kannst! Ick habe ja nie geglaubt, daß sie eine Gräfin ist. De» Beweis sür meine Ännahme hatten wir doch in Hände»! Eine Gräfin, eine Dame von Stand, hätte so viel Chic gezeigt und unS gleich in den ersten Tagen ihres Hierseins eine Visite gemacht. Aber so — gefürchtet hat sie sich, daß ick mit einem Blick Tombak von echtem Gold würde unterscheiden können. Daß die Bürgermeisterin von Maifeld eine geborene Baronesse Harder ist, wird sic schon wissen. Gleich morgen in aller Frühe läßt Du ihr daS durch den Amtsdicner noch einmal sagen, Christian, und ihr dabei befehlen. daß sie sich nicht mehr Gräfin WolsScck nennt, sondern nur noch ihren richtigen Namen führt!" Der Bürgermeister sagte bereitwillig „Ja". Der Rede strom seiner Frau war nun in ei» anderes Fahrwasser gelenkt, und er konnte hoffen, daß seine späte Abendmahlzeit ihm durch nichts mehr vergällt werden würde. Er stimmte später sogar kräftig rin, als Frau und Tochter sich in weiteren Schmähungen und Verdächtigungen der gehaßten Dame ergingen und über Jeden den Stab brachen, der cS jemals gewagt, sie, Frau Beatrix und Fräulein Iustiane. nickt als die Schönsten, Besten und Edelste» ihres Geschlechts anzusehcn. Christian Brand zeigte sich als ein hartgesottener Egoist, er verrieth seine Freunde um einer Flasche Wein willen, die er sich zuletzt aus gnädige Erlaubniß seiner Fra» noch auS deni Keller holen lasten durste. (Fortsetzung folgt.) Hlarint. * Wilhelmshaven, ll. September. Se. Majestät der Kaiser und König befindet sich an Bord der -sacht Hohenzollern", im feindlichen Geschwader, welches, soviel auS den bisherigen Dispositionen ersichtlich ist, die Ausgabe hat, die Jade zu sorcircn und den Kriegshasen Wilhelmshaven zu nehme». DaS Angriffögeschwadcr, welches aus unbekannter Richtung aus Tee kommt, besteht auS den Panzersckisscn „Baden", „Bayern", „Kaiser" und „Friedrich der Große", Geschwaderches Cvntre-Admiral Knorr, dem Schulgcsckwader, bestehend auö den Panzersregattcn „Stein", „Moltke", „Prinz Adalbert" und „Gneise,rau", Geschwaderckes Contre Admiral von Kall, und einer Torpedodivision, bestehend auS einem Torpcdodivisionöboot Or und 6 Torpedoboote». Mit im Angriffsgeschwader befindet sich der commandircnLe Admiral Gras von Monts, der Contre Admiral Holtmann und mehrere andere hohe Ossiciere als Unparteiische. DaS Wetter ist ziemlich stürmisch, steife Brise aus Westen, wodurch einiger Seegang, gegen Nachmittag Auftreten leichter Regenböen. Da« Defensiv - Geschwader hat folgende Zusammensetzung: das Panzerschiff „König Wilhelm", das Artillerieschulschiff „Marö", die Kreuzercorvcttc „Ariadne", die Panzersahrzeugflottille (Küstcnvcrtheidigungssahrzcugc). bestehend aus den Panzerfahrzeugen „Mücke", „Viper", „Salamander" und „Camaclcon", dem Aviso „Blitz" und der ersten Torpcdodivision, bestehend aus dem Torpedo divisionsboot vg und O Torpedobooten. Zur Defensive ge hören ferner mehrere kleinere Hascndampser, Barkasse» :c., ein in unbekannter Richtung versenktes submarines Vcrthci- digungöwcrk und die aesammte Küstenbefestigung mit ihrer kolossalen Armirung. DaS Desensivgeschwader liegt unter Dampf, ca. 7 lcm vor Wilhelmshaven gefechtsbereit vor Anker und erwartet den Feind, dessen erster Angriff seit Nacht vcr- mnthct wird. Ein wirklich großartiges Schauspiel wird sich morgen aus der Rhede von Wilhelmshaven abspiclen, woselbst sich die Schlacht in Gegenwart Sr. Majestät entwickelt und die Entscheidung stattsindet. Zwei Torpedoboote sind beständig unterwegs und übermitteln die hier sür den Kaiser einlauscnde Post. Der Frcnidenzudrang ist ein gaiiz enormer; die Oldcn- burgischc Staatsbahn hat mehrere Ertrazügc für morgen eingelegt, und mehrere Dampfer mit Passagieren von Bremen uni» Hamburg sind bereits angemcldct. Die Stunde der Landung Sr. Majestät ist bis jetzt noch unbestimmt und richtet sich lediglich nach dem Ausfall der kriegerischen Opera tionen zur See. v erwisch tes. ---Berlin, lt. September. Der König von S ach sen wird, dem Vernehmen nach, am 13. d. M. Nachmittags zwischen 5 und 8 Uhr aus Dresden hier cintresfen, ui» den Manövern beizuwohnc». In seiner Begleitung befinden sich der Gcnerallicutenant und General-Adjutant v. Carlowitz und die Flügeladjutanlcn Oberst Müller,». Berneck und v. Schimpfs. — Der Erzherzog Albrechl von Oesterreich wird am l2. d. M. Nachmittags auS Wien hier cintresfen und im königlichen Schlöffe absleigen. In seiner Begleitung werden sich befinde» Ober-Hofmeister Frhr. Piret de Bihain, Oberst Schönaich, die persönlichen Adjutanten Obcrstlicnlenant Fischer-Kolbrin und v. Sznaecsany und der Leibarzt Dr. Ritter Hübl von Stollenbach. Zum Ehrendienst bei dem Erzherzog Albrecht sind besohlen Gencrallieutenant v Harnisch und Major v. Bülow. — Der Großfürst Nico laus von Rußland wird am 14. September au» Petersburg hier rintreffcn und im königlichen Schlöffe ab- steigen. In seiner Begleitung befinden sich der Gencral- lieutenant v. Lewizki, die Generalmajors Orlow und Scalon, der Hosstallmeister Andrejesf rc. Zum Ehrendienst sind zum Großiürstcn während dessen Anwesenheit hiersclbst besohlen der Generallicutenant von Secckt und der Oberst und Fiüget» adjutant von Villaume. --- Coblcnz, 10. September. Die durch Wolken- brüchc angerichteten Schäden lasten sich nunmehr zum Theil übersehe». Der Verlust im Kreise Kreuznach beziffert sich aus eine Million, im Kreise Ahrweiler auf etwa eine halbe Million, im Kreise Mayen aus 2—300 000 Die Kreise St. Goar und Adenau sind nicht minder hart be troffen. Die Sammlungen zu Gunsten der Geschädigten haben sehr erfreuliche Ergebnisse gchabt, dennoch wird die Provinz zur Instandsetzung der Wege und Brücken die Ge meinden unterstützen müssen, obsckon auch sür die Provinual- straßen voraussichtlich bedeutende Summen auszuwcnde» sind. ---- Elmshorn, 10 September. Ein prachtvolles Pserd, ein Gesckenk Sr. königlichen Hoheit de» Prinz« regentcn von Bayern an Se. königl. Hoheit den Prinzen Heinrich in Kiel, kam mit dem Zuge hier durch. Man sltz' re» Werth auf 25,000 .ck « ss z
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