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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.09.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-09-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188809155
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880915
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880915
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-09
- Tag1888-09-15
- Monat1888-09
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.09.1888
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.1° L5S. Erste Beilage M Leipziger Tageblatt und Anzeiger. Tonnabend den 15. September 1888. 82. Der gute Voctor. Lrzihluiig voa I. Jseabeck. Sta-dru- »ertöte». (Fortsetzung.) Trotz brr Weigerung de» jungen Mädchen». da» den Liebe-dienst von keinem Fremden geleistet sehen wollte, eilte Erich Willen hinaus und kam gleich darauf mit dem hoch gewachsenen schwarzbärtigen jungen Mann zurück, den er der Frau Müller und ihrer Tochter al» den Maler Fritz Gronau vorstellte. Der Letztere war mit gleichgiltig lächelndem Gesicht ein- aetrrten und hatte die Kranke mit einem leichten Kopsnicken begrüßt. Al« er dann aber aus Marie blickte, waren seine Auarn wie gefesselt und gebannt. DaS junge Mädchen stand »welchen ihm und dem Fenster, scharf zeichnete sich da« strenge, schöne Prosit gegen den bellen Hintergrund ab, Stirn und Nasenrücken glänzten wie Marmor, auf den zusammengepreßlen Lippen lag ein rölhlicher Schimmer, wie aus einer Rosen- tzlüthe. Der sein movellirte Kops mit dem großen Nest asch blonder Flechten. der zarte und doch so energische Nackenansatz w.reu genau erkennbar. Zu diesem Aeußern paßte die Stel lung. in der da« Mädchen eine Weile verblieb, vorzüglich. Die leicht verschränkten Arme, der wie zum Borschreiten ge hobene Fuß gaben der Figur eine graciöse und doch wieder bestimmte, vornehm ruhige Festigkeit, die an eine Statue au» der Hand eine» gottbegnadeten Künstler« mahnte. Fritz Gronau stotterte endlich ein paar unverständliche Worte, die wodl eine Entschuldigung sein sollten. Marie fuhr leicht zusammen, eine Blutwette färbte für einen Moment ihr zarte» Gesickl, dann aber spielte um ihre Lippen der Anflug rille» säst spöttische» Lächelns, daS ebenso schnell wieder dem alten herben Ausdruck wich. Ohne eine Aeußerung zu thun. »« mit einer leichten Neigung de» KopseS, wandte sie sich darauf um und verließ den ärmlichen Raum. Aber ein Voller Blick ihrer großen Augen, in dem sowohl kindliche, unbefangene Unschuld, al» auch prüfende Forschung deS sich seiner Macht bewußten WeibeS lagen, hatte vorher noch den Maler getroffen. Dieser Blick schien ihn vollend» zu vcr« »irren und um den Rest seiner Fassung zu bringen. Erst aus einen mahnenden Zuruf des Doctors erwachte er au» seinen Träumen. Autoniatenhaft. wie unter der Nachwirkung eine» Zauber» stehend, trug er dann mit dem Freunde die eläbmte Frau in dem Lehnstuhl auS Zimmer und HauS mau» in den kleinen Garten. Auch dort verlor er seine Befangenheit nicht; er ant wortete zerstreut aus die Fragen des blinden Han-, der voller Freude war, daß sein Mütterchen neben ihm im Freien saß. Al» ihn dir blondlockige Lene fragte, ob sie ihm eine Rose schenken solle, entgegnete er abwehrend. daß er gebrochene Blumen nicht liebe. Aus de» kleinen Mädchen« Schilderung, wie ihre große Schwester, die Marie, den betreffenden Strauch pflege und hüte, der ihr ausschließliches Eigentbum sei. bat er säst flehentlich um die kurz vorher verschmähte Blüthe, und barg dieselbe, al- er sie erhalten, hastig, rrröthend und doL mit einer pietätvollen Sorgfalt in der Brustlasche feine- Rocke-. Auf deS DoctorS Mahnung, eS sei die höchste Zeit, wenn uicht die Suppe im .Stern" kalt werden solle, erhob er sich von der harte» rauhen Bank, auf der er neben den Kindern gesessen; zögernd, langsam waren feine Be wegungen. alS wenn er darauf warte, daß jede nächste Minute ihm noch eine Hoffnung erfülle. ES bedurfte einer neuen Mahnung de» ungeduldig werdenden Arzte-, bis er sich mit einem freundlichen Gruß von HanS und Lene trennte. Für die Mutter halte er nur eine stumme Verbeugung, aber seine Augen, sein Händedruck sprachen von Mitgefühl sowohl wie von Bevrbrung. Aus der Straße begann Willen in feiner lebhaften, er regten Weise sich auszusprechen. „Sind da» nicht liebe, herzige Menschen?" fragte er. „die alte Frau so geduldig, so göttergeben — die Kinder so wohlerrvgen und freundlich! Dann daS Hau-, bei all der Urmutb diese Sauberkeit und Ordnung! — Ich sage Dir, der Aufenthalt bei den Müller'» wirkt auf mich immer wie ein erfrischende- Bad nach einem mühevollen Tage. Mau spült sich da den Staub von der Seele herunter!" „Und da» Mädchen, die älteste Tochter, ist eine Göttin!" fiel Gronau ein. „Zehn Jahre meine- Leben» gäbe ich darum, wenn ich da» Gesicht aus eine Leinwand bannen könnte! Aber der Meister soll noch geboren werden, der mit elende» Farben die- Wmidcrgebilde der Natur mit seiner holdselige» Anmuth wiedergeben kann und doch der boheits- vollen Würde gerecht wird, die in jedem Zuge, in jeder Be wegung sich zeigt. Und diese Augen! So'etwas habe ich noch nie gesehen! — Ach, Erich, glaube es mir, elende Stümper sind und bleiben wir doch mit der ganzen Kleckserei, da« merkt man so recht, wenn man ein Gesicht vor sich hat. das wirklich wertb wäre, gemalt zu werken!" »Du bist ja Feuer und Flamme, mein Junge!" sagte der Doctor mit leisem Spott. „Am besten ist es wohl. Du nimmst ein niederschlagende» Pülverchen, ehe Du Dich zu Tische setzest, denn sonst wird Dir da- Mittagsessen schlecht bekommen. Aber thue mir den Gefallen und sprich Dein Ent zücken über die schöne Tochter der armen Wiltwe Müller nicht so laut au». Ich — nun ja. ich möchte nicht, daß die Leute durch Dich in» Gerede kämen. All die bösen Zunge» in Maifeld würben ihr Gift ausfpritzen und die Marie moralisch todt zu machen suchen, sobald man erführe, daß sie, die Arme, daS Interesse eine- heirathSsähigea Manne- — an der Sprcie» ist hier «in recht fühlbarer Mangel — erregte, der ihretwegen dann für unsere Honoratioren-Töchter keinen Blick mehr hat. Na — Muster von Schönheit wirst Du in der Gesellschaft nicht finden. — Einen Rath nimm aber noch von mir an. damit ich mit dem Schulmeisterton ein für allemal aushören kann. Glaube nicht, daß die Marie etwa gut genug ist. um Dir zum Zeitvertreib zu dienen. Suche nicht so eine Spielerei mit ihr anzusangen, wie sie von Euch liederlichem, gewissenlosem Künstlervolk nur zu oft beliebt wird, die Ihr dann noch gar ei» Vorrecht Eure» Stande» nennt, sonst — bei Gott, Fritz, ich könnte vergessen, daß ich Dich seit meinem fünfzehnten Jahre Freund und Bruder heiße!" Bei den letzten Worten hatte der Doctor den Arm deS Maler« fast krampshast gepreßt; dieser sah ihn eine Weile erstaunt und doch verlegen an, dann reicht« er ihm treuherzig die Hand: „Gei obne Sorge! Erich!" rief er. ».Ich will Deinen Schützling immer so ansehen, al» wenn ich Fischblut in den Adern hätte. Daß wir aber heut« Mittag «in Gla sow Besten aus da» Wohl der Königin von Maisrld trinken, dagegen darfst Du mit keinem Wort, mit keiner Miene opponiren k" M. Eapitel. Um die Mittagsstunde de» nächsten Tage« machte sich der Maler Gronau aus den Weg nach der Wohnung der Gräfin Wolsseck. der er seine Ankunst io Maiseld durch ein Villet ongrzeigt hatte. Ein alter Diener, in hellblauer. mit Silb, - schnüren verzierter Livrüe. aus deren Knöpfen ein wunderlich verschnörkelte« Wappen prangte, öffnete ihm die große eiserne Gartenvforte. Gronau glaubte sich in eine andere Welt versetzt, als der schwer« Tborslügel sich wieder hinter ihm schloß, vor sich sah er «ine» von breitästigen Bäumen ri,.- aefaßten Weg. von dem durch da» dichte Blätterdach jeder Sonnenstrahl abgehaltrn wurde. Zn beiden Seiten diese», dem Kreuzgang «ine» Niesendome« ähnlichen Wege- zeigten sich a>i de» korzgefchoreuen Rasenflächen de« Garten« Gruppen von Bäumen und Strauchwerk, alle tief-, säst schwarz-grüu; hier blühte keine Blume, hier war keine Ab? Wechselung zwischen hell und dunkel in der Laubsärbung zu bemerken. Tannen und Taxu» schienen mit Absicht und Vorliebe gepflegt und gepflanzt zu sei», um dem von der Mauer eingeschlosscnen Raum seinen Lüstern, schwermüthigcn Charakter zu geben. Gronau schritt, von dem Diener gefolgt, den Weg hinunter, an dessen Ende sich der altersgraue Bau des Wohn hauses zeigte, der wie au» einem riesige» balbverwilterlen Granitblock gehauen schien. Dem unsreuudlichen Hause näher kommend, sah er in der ganzen Reibe der Fenster nicht ein«, welche» aus die Anwesenheit von Bewohnern schließen ließ, alle waren mit eintönig grauen Vorhänge» dicht verhüllt. In der Mittagsstunde bei der tiejen Ruhe dieser Tages zeit, in der die ganze Natur ermattet eingeschlasen zu sei» schien, dünkte den Maler die Umgebung fast beängstigend und erdrückend. Sein Fuß zögerte, au» der schattigen Allee hinau-zutreten aus den sonnigen, grell beleuchteten Platz, der sich vor dem Hause hinzog. Der Bediente war ihm schon vorauSgeeilt und hatte die Hauslhür geöffnet; der einladenden Bewegung mußte Gronau folgen. In dem Vestibül war es dämmerig und kühl, aber wie GrabeSlust webte es den Ein- tretenden entgegen. Unhörbar schrillen die Beiden die mit kicken Teppichen belegte Treppe hinaus und dann durch eine Reihe von Gemächern, alle dunkel und still Von den Möbeln und der Ausstattung der Räume war säst nicht- zu erkennen; nur hier und da blitzte der goldene Nahmen eine- Gemälde» oder der Metallbeschlag eines PrunkgcräthrS in einem neu gierig eindringenden Sonnenstrahl aus. In dem letzten Zimmer, einem weite», saalartigen Gemach, blieb Gronau'« Führer stehen, flüsterte ihm leise zu, baß er hier die Gräfin erwarten möge, und verschwand dann hinter einer faltigen Portiöre. Der Maler sah sich prüfend um. Aber seine Augen mußte» sich erst an daS Halbdunkel gewöhnen, ehe er etwas von Dem erkannte, was ihn umgab. Die dunkelrothen Stofs- tapetcn schienen den letzten Rest von Licht einzusaugen, da« durch die grauen Borbänge und die schweren Gardinen hindurchschimmerte. Außer einem großen Schreibtisch, besten geschnitzter Aussatz wie ein riesige» Ungelbüm hock ausraate. bemerkte Gronau nur noch ein alterthiunlicheS Betpult, über dem an der Wand ein von schwarzem Flor verhüllte- Bild hing. Dies Bild reizte seine Neugier und zog ihn wie i»it magischer Gewalt an. Er wollte den Flor beben, ohne daran zu denken, daß er sich in einer sremren Wohnung befand; aber die phantastisch gebildeten Köpfe sabelbastcr Unthiere. die die Lehnen der Stühle in der Nähe des Betpult» krönten, schienen sich drohend gegen ihn emporzurecken. Fritz Gronau'- Unbehaaen wuchs. Da hörte er hinter sich da» leise Rauschen eine« Gewände-; sich umwendend, sah er. daß die Gräfin eingetreten war. Die Hobe hagere Gestalt derselben umwallte ein langes Gewand von schwarzem Wollen- stoff, Vesten Schleppe sich wie die Trauerdecke eines Katafalks aus den rothen Teppich legte. Haupt und Gesicht der Dame waren von einer schwarzen Haube und einem dichten Schleier fast ganz verhüllt; gespenstisch stach dagegen da- silberne Weiß einiger Haarsträhnen ab; der bunderljährigem, ver gilbtem Elienbein ähnliche Ton der Gesichtsfarbe machte sich durch die Eonlraste auch bei der ungewissen Beleuchtung bemerkbar. De« Maler« respektvolle Verbeugung, die von der ge wandten Sicherheit eine- mit den UmgangSsormen der besten Gesellschaft vertrauten Manne- zeugte, erwiderte die Gräfin mit einer leichten Neigung und sah ihn bann fragend, wie eine Anrede erwartend, an. „Gnädigste Gräfin baben besohlen —" Gronau erschrak fast vor dem Klang seiner eignen Stimme; eS war der erste laute Ton, der an sein Ohr schlug, feit die Gartenpforte sich hinter ibm geschlossen. „Besohlen? — Hat eine alte Frau, wie ich eS bi», Macht über einen Künstler? — Ich habe Sie bitten lasten, hier in meinem Hause ein Bild anzusertigen. Daß ich Ihnen zu dem Portrait keine weiteren AnhaUSpuncte geben kann, als ein paar auSgeblaßte Photogramine und eine stümperhafte Bleistiftzeichnung, wissen Sie bereit-. Vielleicht können Ihnen meine mündlichen Angaben nützen. Frisch und lebendig steht ja dar Bild des theuren Wesen- jetzt noch vor mir, das nun schon jahrelang rin Raub der Verwesung, der Vernichtung geworden. E» ist mein Sohn, mein Herr, mein Sohn, der in der Blütbe seiner Jabre starb. Der innige Dank einer trauernden Mutter soll Ihnen lohnen, wenn Ihre Kunst mir hilft, daß mein tobte« Kind auch dann meinem Auge gegen wärtig bleibt, wenn Zeit und Alter ihren Schleier über meine Erinnerungen legen!" ES waren nicht die Worte allein, die Gronau so tief ergriffen; er konnte auch nicht bemerke», wie sich die Tiefe de» Schmerze» aus dem Gesicht der Gräfin abspiegelte, nur die bittend gehobenen Hände sah er. Aber mächtiger al« diese, bei einer alten Frau doppelt rührende Stellung wirkte die Stimme aus ihn ein. Volltönend und doch melodisch und weich, in innerer Bewegung vibrirend, einem klagenden Gesänge ähnlich, hatte die Gräfin gesprochen. Wie die verhallenden Töne einer Glocke schien die Stimme jetzt noch in der Luft nachzuzittern und ein Echo in des jungen Manne« Brust wachzurufen. Gronau mußte mit Gemalt ihm sonst fremde Gefühle nicderkämpicn, die mit Macht auf ihn ein drangen. Er schämte sich fast der Rührung, der er sich nicht erwehren konnte, und überlegte im Stillen, ob eS angemessen sei. der Dame eia Wort de» Trostes zu sagen. .Können Sie mir heute noch nicht Zusagen, daß Sie meine Bitte erfüllen?" begann diese nach einer sür beide Theile drückenden Pause wieder. .Wenn Sie glauben, daß vorher die Honorarsrage — aber nein, ich möchte von Geld nicht spreche», ich möchte Ihr künstlerische- Schaffen nicht prosamrt wissen, da» Bild meine» Sohne» nicht eiuer Krämer- waare gleichgestellt sehen, die man für irgend einen Preis kaufen kann!" In beinahe fieberhafter Hast eilte die Gräfin Wolsseck aus den Schreibtisch zu; die eine Thür deS Aufsatzes öffnete sich aus einen leisen Druck ihrer Hand; zugleich ließ ein ver borgener Mechani-niu- auch eine pultartige Platte hervor treten. AuS einem kleinen Heft riß die alte Dame ein Blatt, schrieb mit zitternder Hand ihren Namen daraus und reichte eS dem Maler. „Eine Anweisung aus meinen Bankier! Füllen Sie jede Ihnen beliebende Summe auS. Aber sagen Sie mir, daß Sie schon morgen mit der Arbeit beginnen!" Gronau stand erröthcno und verlegen da. Er zögerte, da« Blankctt onzunehmen. Dann hob er wie abwehrend die Hand. „Nein, Frau Gräfin!" sagte er. »Ich darf, ich kann Ihr hochherzige« Anerbieten nicht acceptiren. mein Künstler- stolz verbietet e« mir. von Ihnen eine Bezahlung anzunehmen, ehe ich Ihnen gezeigt habe, ob ich mit meinem schwachen Können Ihren Wünschen entspreche. Aber morgen srüh be ginne ich. Lassen Sie mich in dem Gedanke» arbeiten, daß meine Kunst nur dem Zweck dient, ein betrübte» Multer- berz zu erfreuen, zu trösten. Die Ausgabe ist so schön, daß auch ich sie nicht durch den elenden Mammon prosamrt sehen möchte!' „Ich danke Ihnen!" Nur diese wenigen Worte kamen al- Erwiderung über die Lippen der Matrone, aber sie wurden mit dem ganzen Zauber ihrer wohlklingenden Stimme gesprochen, den schmerz volle Freude nur »och wirksamer machte. I» Gronau'S Augen leuchtete eS wie von Cenugtbuung aus. als die Gräfin nun den Cbeck zerriß und die Theile desselben auf den Teppich fallen fieß; mit Recht sah er darin etwa» wie einen Beweis der Achtung, die er sich bei der hoch- gestellten Dame erworben. .Ich stehe morgen gegen elf Uhr z» der Frau Gräfin Befehl, dann werde ick zuerst nach den Vorlagen eine Skizze ansertigen. Nur eine Frage bitte ich mir noch zu gestatten: Wo kann ich arbeiten? Ein Raum mit gutem Licht —" »Den haben Sie hier!" unterbrach ihn die Gräfin, die verhüllenden Gardinen und Vorhänge eines Fensters zurück- chlaqend. Volle» blendende» Sonnenlicht fluthete in den Raum ein. wie auslohend glühten die rothen Tapeten und Draperien. Die alte Frau beschattete mit der Hand ihre deS Lichts entwöhnten Augen. Eine Weile stand sie so du, wie in Nach' innen verloren. Dan» ließ sie die Hand sinken und sab den Maler an. Für einen Moment nur. Aber dieser eine Moment genügte, um dem geübten Künstlerblick ein Antlitz zu zeigen, da» edel und schön war. trotz der Spuren, die Alter und Gram in dasselbe gezeichnet, trotz der leichenhasle» Blässe. Die Gardinen waren wieder zusammengefallen. Vor Gronau'S Augen flimmerte und flirrte eS bei der nun wieder herrschenden Dämmerung. Er glaubte Züge gesehen zu haben, die ibm so bekannt schienen, «in Gesicht, das mit einem Bilde Ähnlichkeit hatte, welche» sich tief in seine Seele eingegrabe». Durchbobrend starrte er aus die schwarzverbüllte Gestalt, um nur noch einen Eindruck zu erhalten, der seine Zweisel löse», bin Gewißheit geben könnte, ob ihn nur eine Einbildung äffe, oder ob eine Erinnerung auS längst entschwundener Kindcrzeit in ihm wach geworden. „Also morgen um elf Uhr!" Die Wort« der Gräfin, die de« Maler» eigenartige Be fangenheit wohl bcnicrkle, riesen diesen in die Gegenwart zurück. Er empfahl sich mit einer tiefen Verbeugung und verließ den rothen Salon, an dessen Thür der alte Diener seiner schon harrte. Für Hau» und Garten halte Gronau kem Interesse mehr. Die der ganzen Stadt nach de- Doctor- Angaben so geheiinnißvolle Gräfin WolsSeck beschäftigte seine Gevanken ausschließlich. Aus der Straße blieb er noch eine Weile stehen. Er fühlte sich versucht. Alles, waS er gesehen, sür ein Traumgebilde zu Hallen. Aber die hohe Mauer, über welche die dunkeln Baumkronen herüberraglen, die fest zu- geschlossene Pforte, die Mahnung de» Dieners, am nächsten Morgen recht pünctlich zu sein, da die Gräfin uicht gern warte, alle- Da» mußte ihn von der Wirklichkeit überzeugen. „Die Neugier muß hier in der Thal in der Lust liegen!" ries er zuletzt au» und wandte sich dem belebteren Theil der Stadt zu. „Aber was nützt alle« Kopfzerbrechen! tzui vivra vorra! — Nur daS Eine möchte ich wissen: An wen erinnerte mich der Gräfin Wolsseck Gesicht?" » » » Die große Kaffeegesellschaft der Frau SyndicuS Alomeyer war mit allen hergebrachten Feierlichkeiten, mit der Entfal tung deS ganzen Pompes, den die Gastgeberin ermöglichen konnte, abgcbalten worden. Am folgenden Tage, demselben, an dem der Maler Gronau der Gräfin WolsSeck seinen ersten Besuch gemacht hatte, war die ganze Maifelder Damenwelt in Bewegung. Galt es doch, die Resultate der angestclltcn Beobachtungen auszutauschen und zu ergänzen, die Toiletten der Freundinnen zu bekritteln, jedes Wort, jede Bewegung derselben mit einem Commentar zu versehen. Ware» die Gäste der Frau SyndicuS an dem Festtage selbst deS LobenS und Rühmens voll gewesen über AlleS, was ihnen geboten, hatte» sie einstimmig den Kaffee bei der lieben, guten Blo- meyer sür den woblgelungensien, vorzüglichst arrangirten er klärt, so mußte» sie auch noch die Nacbsrcude genießen und von eiuer der Gevatterinnen bestätigt hören, daß gar Manches hätte ander- sein können, daß sich im Grunde genommen die Blomeyer wieder einmal als eine recht dumme eingebildete Person gezeigt habe. Darin lag dock erst der echte Iiaut-goat, der prickelnde Reiz, den keine der Damen entbehren wollte. Ohne diese Zulhal wären die Maiselderinnen ihrer Kaffee kränzchen bald überdrüssig geworden, obgleich sie daS Einzig« waren, waS ihnen in dem eintönigen Leven de» verschlafenen LandstädlchenS an Abwechselung geboten wurde. Am eisrigsteu beschäftigt in diesem löblichen Thun waren die Frau Bürgermeister Brand und ihre Tochter Justiane. Die Letztere hatte in der Runde am Kafseetisch eine besonder« wichtige Rolle gespielt; war sie eS doch gewesen, die zuerst durch ihre Entdeckung den Vermuthungen über die Gräfin WolsSeck einen festen Halt gegeben hatte. Daß die Gräfin Namen und Titel mit Unrecht führte und uicktö Anderes sei als eine abgcdonktc Theaterprinzessin, unterlag nun keinem Zweisel mehr. Frau Beatrix batte schon am Sonntag Nach mittag die stet» erwünschte Gelegenheit gehabt, mit ihre» Erinnerungen au» dem Jugendleben in der Residenz brilliren zu können. Nach den Schilderungen, die sie wieder ent worfen, mußte Jeder zu der Ueberzeugung komme», daß die Baronesse Harder in den aristokratischen Kreisen so viel um worben, so gefeiert und begehrt gewesen, wie nie eine Andere ihre» Geschlechts. Uebersätligt von Triumphen, hatte sie sich nach der Einfachheit deS Lebens, nach der Zurückgezogenheit in einem kleinen Städtchen gesehnt und Dutzende von hoch adligen Freiern abgewicsen. um die Gattin deS brave», ehr lichen, treuen Christian Brand zu werben. Der gefühlvollen, zartbesaiteten grau waren die Thränen in die Augen ge treten. als sie erzählte, dieser Schritt sei ihr nie leid geworden, den Tausch Hab? sie nie, nie bereut! „Täglich erfahre ich es. daß ei» Weib sein Glück, die reinste Herzensfreude nur in der Erfüllung seiner häuslichen Pflichten findet. DaS können Sie ja Alle an sich selbst auch erfahren, meine lieben Freundinnen! Aber die Seligkeit, die sür mich in dem Gedanken liegt, daß ich um der Liebe zu meinem Christian willeu Rang und Stand, alle Vorrechte meiner Geburt ausgab. mich ihm in demüthiger Selbst verleugnung unterorvne und immer deS SchrisiworteS ein- gedenk bi», daß or mein Herr sein soll, diese Seligkeit bleibt mir Vorbehalten!" Frau Beatrix war stolz aus diese Tirade." Sie hatte mit Befriedigung die Händedrücke und lobenden Bewunderungen der Dame» entgegengenoinnien und dabei kein Auge gehabt sür die boShast lächelnden Mienen, welche die Gesichter der selben annahmen. Dies Tbema schien ihr ergiebig genug, um auch am folgende» Morgen noch weiter behandelt zu Werden. Justinchcn mußte koch auch Gelegenheit haben, ihr Nrtheil Uber den Gesang der Gräfin »och einige Male aus- znsprechen; war sie doch die Einzige in ganz Maiseld, die als Sachverständige über Musik reden konnte. Als die beiden Damen da« bürgermeisterlicbe HanS ver lassen batten, öffnete sich eins der Fenster desselben, ein von verworrenen brandrothen Haaren bedeckter Kops beugte sich heraus und sab spähend hinter den Fortqebenden her, bi» die- selben an der nächsten Straßenecke verschwanden. Auch au« dem gegenüberliegende» Hanse wurden die Beiden beobachtet. Frau Gertrudi-. Herrn Heppler'S Wirthschafteriii, war aber durch Da», wa« sie geseben, wohl noch nicht befriedigt. „Kommen Sie doch einen Augenblick herunter, Lisetkchen!" ries sie der Rolhhaarigen zu. Diese nickte eifrig, schloß eilig das Fenster und zeiqte sich bald daraus schlumpig und schmierig auf der Straße. Die niedergeiretenen, schlappenden Schuhe erschwerten der bürgermristerlichen Küchensee da- Gehen; Frau Gertrudis mußte vor ihrer Hausthür eine Geduldsprobe aushalten. „Ihre Frau hat ja heute daS Braunscidene an. da ist wob! ganz was Besonderes loS ?" fragte sie schon, als Lisette eme» ihrer Schuhe fester an den Fuß zu treten versuchte und deshalb mitten aus der Straße stehen blicb. Dabei konnte die Letztere aber doch antworten. „Ja. ihr Wohl und Wehe hat die Gnädige wieder auf dem Leibe!" schallte eS laut durch die stille Straße. Mit einer energischen Bewegung zwang Lisette die widerspenstig« Hülle nach ihren, Willen und schlurfte aus die Wartende zu. .Visiten machen gebt sie mit ihrer Vogelscheuche von Tochter", fuhr sie leiser sort. „Früher habe ,ch mir Wunder waS gedacht, wenn ick von Visiten hörte. Aber nun bin ich dahinter gckvinineu, daß ich auch Visite, wenn ich hier bei Ihnen stehe. Meine Frau nennt das Klatschen, aber wa« AnbereS tbut sie ja auch nicht!" .Sie haben ganz recht, Liscltchen!" bestätigte Frau Ger- lrudis », mütterlichem Ton. „Man muß sich Viele» gefallen lasse», wenn man anderer Leute Brod ißt. Sehen Sie nur zu, daß Sie noch in Ihren guten Jahren zu «mein Manu und eignen Herd kommen!" Lisctle hob höhnijch den Kops und reckle die Schultern höher. „Einen Mann — nun, schneller als unser Fräulein komme ich wohl noch unter die Haube! DaS ist schon jahrelang aus der Jagd nach einem Freier, aber keiner will aus die ab gestandene Waare anbeißen. Erst hat die Justine den Doctor Wilken kaveru wollen. Herr du meine Güte! Dreimal am Tage mußte ich rennen und ihn holen, bald fehlt« eS der Jungfer hier, bald da. Aber der war und blieb kalt und wollte nicht merken, warum sie ihn so gottserbärmlich au« glotzte und seufzte, wen» er nur ins Zimmer trat. Dann kam Ihr Herr an die Reihe. Ich bab's mit meinen eignen Ohren gehört, daß die Frau unscrm Alten gesagt hat. er solle nur zu Hcppler gehen und ihm sogen, der Geschichte müsse ein Ende gemacht werden, er müsse die Justine keirathen. Und weshalb? Weil Ihr Herr Heppler unserm Fräulein zu genickt hat, wenn er mal am Fenster stand." Lisette mußte ierncbalten bei dem Wortschwall» der jetzt den Lippen der Frau Gertrud,- entströmte. .Herr Heppler — mein Herr — und Bürgermeisters Justine hciralhcn?—Wir heiralhcn überhaupt nicht — wir haben eS so gut, daß wir an eine Frau überhaupt nicht denken — und wenn uns gar solche dumme Ideen in den Kopf kommen sollten, dann werde ich sie schon auStrciben. da kann Jeder Gift daraus nehmen. Glaubt Venn die hoch- inüthigc Frau Bürgermeisterin, ick hätte seit zwanzig Jahren geflickt und gewaschen, gepflegt und gehütet und Alles zu Rathe gehalten, damit sich ihre Ganü von Tochter nur so in daS warme Nest Hineinsetzen kann? Mir würde dann wohl so mir nichts dir nicht» der Stuhl vor die Thüre gestellt werden!" „Ne. ne", siel Lisette ein. „an Ihren Herrn denken die ja auch nickt mehr, und unser Fräulein haßt ihn jetzt wie die Pest. Sie sollen ihn sür sich behalten, hat sie gesagt — sie wünscht ihm, daß Sie noch seine Frau Heppler» werden " e „Hat sie? Hat sie das gesagt?" unterbrach die Alte die Sprecherin- aus ihrer linken Wange färbte sich ein röth- licheS Mal dunkler. waS sür ihre Bekannten immer da» Zeichen eine» loSbrcchenden Sturmes war. „Sie hält mich wohl nicht für gut genug, sie vergißt wohl, daß mein Seliger, der schon drei Monate nach der Hochzeit starb. Stadlschreibcr war und längst Bürgermeister sei» könnte? Ihr zum Trotz soll mich Hcvpler heirathen, dann werde ich ihr zeigen, wer ich bin. Sie können ihr immer wieder erzählen, waö ich gesagt habe. Blttzblau soll sie sich über mich noch ärgern!" (Fortsetzung folgt.) 1 vermischtes. AuS Thüringen, 13. September. Eine erfreuliche Nachricht sür die Erfurter Bevölkerung und weit über ErsurtS Mauern hinaus theilt die .Thür. Ztg." von zuver lässiger Seite mit, wonach der Magistrat bei der Polizei- Verwaltung die Aushebung der in Erfurt ein. geführten Polizeistunde beantragt bat. Die letztere soll dem Verlangen auch keinen Widerstand entgegenbringen, sondern nur die Absicht baben. vor der Fassung eine» e»d- giltiqen Beschlusses die Gastivirthe um ihre Ansicht zu fragen. — Durch die Aushebung der Polizeistunde würden viele UnzutrSglichkeitcn abgcschaffl werben, die in augensälligem Mißverhältnisse zu den Größenverhältnissen und den Vcr- kehrSansprüchen einer Stadt von der Bedeutung Erfurts standen und die besonders schwer von den Erfurt besuchenden Fremden empsundcn wurden. — DaS herzogliche Staatö- ministerium zu Meiningen hat nunmehr die Einverleibung der Gemeinde Altsaalseld in die Stadtgeineinve Saatfeld sür den 1. Januar 1889 festgesetzt. So kommen denn »ach mehr als 1000 Jahre»-die ersten Ansiedelungen SaalselbS mit der in Folge häufiger Uebcrschweminuligeii später aus dem hohen linken User angebautcn Sladt zusammen unter eine Verwaltung. — Durch die Zeitungen geht »och immer daS Gerückt, daß die Kaiserin Friedrich an den Erwerb des Schlosses Tenncberg bei WalterShauscn denke. Die „Cob. Ztg." glaubt nach ihren Jnsormalioucil diese Angabe als unrichtig bezeichnen zu könne». lH Nürnberg, 12. September. Ein Provisor der Anncnapotheke ist kürzlich gelegentlich des großen Zapfe», streiche« sür de» Inspekteur der bayerischen Armee, Gcnerat- seldinarschall Blumenthal, aus einen originellen Gedanken verfallen. Vor der Apotheke entstand ein große» Gedränge und wurden hierbei einige Fensterscheibe» eingedrückt. Rasch entschlossen holte der Provisor Hamiiicr unv Nägel, packle die zunächst an den betreffenden Fenstern siebenden Personen am Rockflügel und nagelte diese am Fensterbreltc fest, um sofort Schadenersatzansprüche geltend machen zu könne». Einer der Festgenagelten riß sich loS und floh, den halb zersetzten Rockflügel zurücklasscnd. Aus Franken, 13 September. Ein gräßlicher Raubmord wurde in der vorvcrgangenen Nacht in Bergtheim bei Würzburg verübt, indem daselbst ein wchl badender Bauer Namens Schimmel, bei dein im vorigen Jahre schon zu wiederholten Male» eiiigebrockei, und gestohlen wurde, in seiner Wobnung von unbekannter Hand mit einem Beile erschlage» und beraubt wurde. Eine GcrichtScommission »st zur Feststellung des TliatbcfiandcS bereits an Ort und Stelle eiiigetrosscn. — Das letzte Heft der .Berbandlungcii der seismolozischcn Gesellschaft" enthält einen interessanten Aussatz auS der Feder des bekannte» ErtbebensorschcrS Pros. Milne über die Wirkung der Erderschiitteruiigen aus die »ievere Tbier wett. Während deS Erdbebens in Tokio im Jabre >830 liefen die Katzen au- den Häusern und die Pscrde rissen sich in den Ställen lo». Besonders empfindlich sür Erdbeben sind Gänse. Schweine und Hunte. Viele Vögel stecken den Kops vor eine», Erdbeben unter die Flügel, andere flattern furchtsam umber. Seevögcl stiegen dem Laude zu. Vor dem gewaltigen chilenischen Erdbeben deS JahreS 1835 sollen alle Hunde a»S der Stadt Talcabuano gelaufen sein. Professor Milne erklärt das Verbalte» aller dieser Tbiere dadurch, baß sie auch sür die kleinen Vibrationen, welche einer Erd- crschütterung vorausgehen, empfindlich sind.
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