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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.09.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-09-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188809270
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18880927
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18880927
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1888
- Monat1888-09
- Tag1888-09-27
- Monat1888-09
- Jahr1888
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.09.1888
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Erste Geilage M Leipziger Tageblatt mb Anzeiger. AZ 271. Donnerstag den 27. September 1888. 82. ZahMiiq. Der gute voctor. Erzählung von I. Isenbeck. «achdrvit Veristen. (Fortsetzung.) Do» geräuschvolle Oefsnen und Schließen der Hausthür schreckte den allen Junggesellen auf. .Dir Gertruoi« macht Ernst und geht wirklich!" sagte er sich. Aber dann hörte er flüsternde und tuschelnde Stimmen, und ehe er sich von dem Sopha hatte erheben können, stand da» bürgermeisterliche Ehepaar vor ihm. Frau Beatrix warf einen indignirten Blick aus Hcppler, der nun seiner mangelhaften Bekleidung wegen nicht auszu stehen wagte, und schnüffelte dann hörbar in der nach Tabaks» qualm duftenden Lust. „Sie wundern sich wohl, daß wir Sie besuchen?" fragte sie dann. „Nun, Ihre Verwunderung darUver kann nicht größer fein al» die unsere, daß Sie un» nicht be» suchen !" Heppler blieb sprachlos und saugte an seiner kalt geworbenen Pfeife. Frau Brand aber rückte kurz Gitschlossen den Tisch vom Sopha ab und setzte sich neben ihn. „Sie verzeihen wohl, lieber Heppler. aber ich kann da» Stehen nickt ouödalten. Nimm Dir einen Stuhl. Christian, und setze Dich auch hin. Und dann lege Deine» Hut beiseite. E» macht mich nervös, wenn Du den wie eine Drehscheibe Hern »'wirbelst. So, nun wieder zu Ihnen, lieber Heppler. Sie sind krank? — Ich finde auch, daß Sie sehr leibend und abgesallen auSsehen. Wissen Sie waS? Ich werde von beute ab täglich auf ein paar Stunden kommen und Sie pflegen!" „Um GotteSwillcn, nur daS nicht!" platzte nun Heppler heraus und rückle von seiner Nachbarin fort. „Sie brauchen sich nicht zu geniren, Heppler, ich komme gern. Ich will Ihnen schon jetzt zeigen, daß ich nicht zu den bösen Schwiegermüttern gehöre. ES ist doch ein gewaltiger Unterschied, ob eine bezahlte Person oder die Mutter der Braut in der Nähe des Kranken ist!" „Ich bin aber nicht krank, ich bin gesund wie ein Fisch im Wasser, ich —" „Sie wollen nicht krank sein? Eigentlich haben Sie Recht, wenn Sie so sprechen. ES wäre ja auch ein Skandal, wenn Sie als verlobter Bräutigam, so kurz vor der Hochzeit, Ihren Körper nicht mehr in der Gewalt hätten. Ich habe eS Justmchen gleich gesagt, al» sie sich abängstigte — daS arme Kind ißt und trinkt vor lauter Sehnsucht nicht —, daß eS wohl nicht gefährlich mit Ihrer Krankheit sein würde. Dann ziehen Sie sich nur an und kommen Sie gleich mit uns. Wir warten hier so lange!" „Ja, wir warten hier so lange!" fuhr nun der Bürger meister dazwischen, hoch erfreut, ein Wort anbringrn zu können, ohne seine Frau zu erzürnen. Heppler sah keinen Ausweg mehr. Schon wollte er rund heraus sagen, baß er an eine Heirath mit Iustiane Brand überhaupt nicht mehr denke, als sllr ihn, wie ein rettender Engel, Gertrudis erschien. Ah, Besuch — welche Ehre für Herrn Heppler — der Herr und die Frau Bürgermeister — bitte um Entschuldigung, wenn ich gestört habe", sing sie schon auf der Schwelle an. „Ich möchte noch einige Worte in Familienangelegen heiten mit Ihnen sprechen, lieber Hcppler", meinte Frau Beatrix, ohne die Haushälterin zu beachten. „Sie sind wohl so gut und sorgen dafür, daß wir uns ohne un» berufene Zuhörer unterhalten können. Bor Dienstboten kann man sich nicht genug hüten, da» weiß ich von meiner Lisette!" Sie hatte laut genug gesprochen, um auch von Gertrudi» verstanden zu werden. Diese trat nun in da< Zimmer und stellte sich, die Hände in die Seiten gestemmt, dicht vor den Tisch, hinter dem Frau Brand saß. Ihre Augen funkelten, da» röthliche Mal auf der linken Wange glühte. „Meinen Sie mit unberufenen Zuhörern und Dienstboten mich?" fragte sie. „Wollen Sie mich mit Ihrer schlumpigen, rothhaarigen Lflette auf eine Stufe stellen? I, da soll doch gleich DieS und IeneS passiren. Wissen Sie, wer ich bin? Ich bin eine ehrbare Wittsrau. Noch lange kein Dicnstbote. wenn ich auch Heppler seit zwanzig Jahren scheuere und wasche und flicke und koche. Glauben Sie, daS hätte ich für da» bischen Lobn gelhan? Mit so einem Knockengcstell von Schwiegermutter, wie Sie eS sind, nehme ich'S auch noch auf. wenn eS auf Pflege ankommt, und mit Ihrem Justinchen schon lange. Bei der muß ja ein Mann fürchten, daß sie rhn mit den spitzen Backenknochen die Augen auSstößt, wenn er sie küßt!" Frau Brand stieß einen Wuthschrei au». „Hören Sie dab ruhig mit an. Heppler, daß diese Person mich, die Bürgermeisterin, Ihre Schwiegermutter» so in Ihrem Hause behandelt?" ries sie. „Auf der Stelle sagen Sie ihr, daß sie geht! Ich verlange eS, daß Sie die freche Person sofort au- dem Hause jagen." Frau GertrudiS lachte laut auf. > „Meinen Sie? O. Gott doch, wie haben Sie sich ver rechnet! Vorläufig hat die Person hier noch mehr zu sagen al» meine Schwiegermutter! — Lassen Sie mich man reden, Herr Heppler, wenn wir auch mal unsere kleinen Zänkereien unter vier Augen haben, gegen andere Leute holte ich dock Ihre Stange. Ihnen ist e« ja längst leid, daß Sie sich mit den Brand'S so hineingerilten haben. Sie simuliren Tag und Nacht darüber, wie Sie Ihren Kopf wieder auS der Schlinge ziehen können. Eigentlich müßte ich Sie drin lasten. Ihne» wär'S schon ganz recht so, weil Sie mich vorher nicht gefragt haben!" Beatrix rang nach Athem. Sie wollte sprechen, aber ihre Aufregung war zu groß, nur ein paar unverständliche Laute konnte Sie, nach Worten suchend, ausstoßen. „Sehen Eie", fuhr GertrudiS fort, „Herr Heppler sagt keinen Ton, er verbietet der Person den Mund nicht. Und da thut er auch gut daran, er weiß auS Erfahrung, daß e» doch Keiner besser mit ihm meint als ich. Daß eS sich auSgeschwiegermuttcrt hat, müssen Sie doch nun selbst ein seben. Frau Bürgermeisterin! ES ist auch wohl besser, wenn Sie nun gehen und die Person ruhig hier lassen. Sie stehen mir bei meiner Scheuerei im Wege!" „Christian. Christian!" ries Frau Brand jetzt unter Wuth- thränen. „Läßt Du mir und Dir so etwa- bieten? Vergißt Du ganz, daß es Deine Pflicht, mich gegen Beleidigungen zu schützen? Und Sie, Heppler, lassen Sie sich so bevormunden? Over ist eS wahr, haben Sie meinem Justinchen nur Liebe geheuchelt, um sie zu compromiltiren?" „Ich glaube, es ist wirklich für beide Thkile von Bortbeil» wenn wir da» Vcrhältniß. das in einiger Uebercilung ge schlossen wurde, wieder lösen!" antwortete Heppler, der in Gegenwart seiner GertrudiS seinen Mutb wieder fand. „ES hat sich bei Ihnen und auch bei mir so Biele» geändert, daß ich nicht mehr daran denken kann, Ihr Fräulein Tochter zu heiratben!" „Aber die Geschenke braucht meine Tochter nicht heraus zugeben". warf der Bürgermeister ein, hocherfreut, daß ihm ein praktischer Gedanke kam, der ibm den Bestall seiner Frau eintragen konnte „Sie sind e». der zurücktritt, nicht wir!" „Du bist ein Narr wie immer, Christian", saezte aber seine Frau aussiebend. „Hat er denn irgend ein annändigeS Geschenk gemacht, das der Rede Werth wäre?" „Na lasse» Sie man. Frau Bürgermeisterin", nahm »un GertrudiS wieder daS Wort. „waS Sir einmal haben, da» können Sie gern behalten!" Mit gutmüthigem Spott fuhr ie dann fort: „Im Nebligen grämen Sie sich nicht zu sehr. Heppler hat so gut wie nichts und Ihre Tochter nicht viel mehr, denn die paar Thaler Rente werken Sie wohl allein verläppern. Wenn mein Herr ablolut heirathen will, dann il es schon besser, er nimmt sich eine Frau, die ordentlich ansasien kann, wenn eS auch keine BürgermeistcrStochter ist. Und waS Sie da von dem Compromiltiren sage», so ist daS nickt so schlimm, anderen Leuten passtet so etwa» auch. Die Müller hat nun da» viele, viele Geld, und der Maler läßt ie doch sitze»." Frau Brand beachtete auch jetzt die Stadtschreiberwittwe nicht. Sie wars den Kops hockmüthig in den Nacken und ging zur Thür hinaus. Der Bürgermeister wollte Heppler zum Abschied die Hand reichen. „Christian komm, aus der Stelle gehst Du mit", rief seine Gattin, „der Herr da soll weiter von unS hören." „Fallen Sie nicht, meine Herrschaften", ries Frau GertrudiS den Beiden nach, „auf der Treppe steht ein Eimer voll Wasser!" Als die Bürgermeisterin und ihr Mann da» eigene Wohn zimmer betraten, fanden sie dort den SyndicuS Blomeyer, der, mit seiner Dose spielend, aus und ab ging. Frau Brand kämpfte schnell ihren Aergcr herunter und fragte den SyndicuS in dem liebenswürdigsten Ton: „WaS verschafft uns denn die Ehre? Wie geht e» Ihrer lieben Frau? Sehen wir die denn nicht bald?" Blomeyer gab zerstreute Antworten. Trotzdem gingen die Fragen und Gegenfragen in der gewöhnlichen Weise noch eine ganze Weile hin und her. Auch der Bürgermeister Christian Brand betheiligte sich an der Unterhaltung, ohne eine Vorahnung von dem neuen Unwetter zu haben, da» sich drohend über seinem Haupte zusammenzog. „Ich kann Ihnen auch eine angenehme Nachricht bringen, lieber Brand!" sing dann Blomeyer an, nachdem er sich mit einer tüchtigen Prise versorgt hatte. „Ihr Abschiedsgesuch wird von den Vertretern der Stadt angenommen, obgleich man gehofft hatte, daß Sie ein solche» erst im höheren Alter einreicben würden. Aber wer kann eS Ihnen verdenken, wenn Sie Ihr Leben in Ruhe genießen wollen? Wenn mir so eine Rente in den Scbooß siele, ich machte e» ebenso wie Sie und hinge alle Arbeit und allen Aerger an den Nagel!" „Mein Mann ist um seinen Abschied eingekommen?" fragte Frau Brand erstaunt. „Ja. liebe Beatrix", antwortete Brand kleinlaut, „Du hast mir doch einmal gesagt, daß eS Dein Wunsch so sei. Aber wenn Du Deine Absicht geändert hast, so nehme ich mein Gesuch sofort zurück!" „DaS würde zu spät sein, lieber Brand", siel Blomeyer ein. „Ich komme eigentlich, um so ganz unter der Hand u frage», ob Ihnen ein Diner ober ein Abendessen alS lbschiedsseicr lieber ist. Rath und Bürgerschaft MaifeldS wolle Sie nicht ohne Sang und Klang ziehen lassen. Man hat den Sylvcstcrlag zu der Feier auSersehen, damit der neue Bürgermeister am zweiten Januar in daS Amt eingeführt Werden kann!" „So? — Na, ich ziehe mir ein Abendessen vor, wenn eS denn einmal nicht ander» sein kann — vorausgesetzt, baß eS meiner Beatrix so paßt. Denn meine Damen müssen mit dabei sein, Blom-yer, daS mache ich zur Bedingung!" Brand sah sich vergeblich »ach seiner Beatrix um. Diese hatte schon da» Zimmer verlassen, um in ohnmächtiger Wulh den Verlust der Erbschaft, des Schwiegersöhne» und des Amte» zu beweinen. und jubelnd beugte sich ihre Seele im stillen Gebet vor dem Höchsten, der ihr den rechten Weg gezeigt, auf dem sie wieder zu Ruhe und Frieden gelangen konnte. Wilken halte die Gäste der Gräfin wieder bi» an daS Gartenthor geleitet und dort den Kindern nacbgeschaut. die eilenden LauseS nach Hause strebten, um ihre Schatze den Eltern vorzuzeigen, das Lob der guten Dame weiter zu ver breiten. Seine Zuruse unk Ermahnungen verhallten j tzt un- gehört. Um so dankbarer waren ihm aber die Alten für die Nathschläze. die er ihnen mit auf den Weg gab. AlS er dann wieder in den rothen Salon eintrat, fand er dort vor dem Kamin die Gräfin mit dem alten, ehrwürdigen Psarr- herrn in heiterem Gespräch und Marie mit HanS und Lene ich unterhallend. Bon der Festfreude, von dem Nachglanz der kaum erloschenen Weihnachtskerze», die aus den Gesichtern der Bejahrten und der beiden Kinder lag, war nur bei Marie nicht» zu merken. E>n feuchter Schimmer umflorte ihre Augen, ihre Lippen bewegten sich in einem schmerzvollen Zucken, trotz der Gewalt, mit der sie fest zusammeiigepreßt waren; die Braue» unter dem Gepräge tiefer Melancholie ast eine gerade Linie bildend, erschienen dunkler, alS ob die Schatten, die aus der jungfräuliche» Stirn lagen, aus sic sielen. Wenn sie sprach, klang ihre Stimme dumpf, gram- ersüllt im Vergleich zu den Hellen frohen Kindcrstimme». Weder die Gräfin, noch der Doctor schienen Theilnahme für den Kummer, der daS junge Mädchen sichtbar bedrückte, u haben. Mit einen, geheininißvollen Lächeln sah Willen ogar aus die Trauernde, als wenn er den Grund ihrer Leiden genau kenne und die Gewißheit habe, daß sie sich bald in Freude verkehren würden. In den Blicken, die die Gräfin mit ihn, wechselte, sprach sich ein unbedingtes Einvcrständniß an». Jetzt sali der Doctor ans die llbr und gab der Gräfin rin Zeichen. Diese erhob sich von ihrem Sessel und forderte den Pfarrer, ihre Enkelin und die Kinder aus, ihr zu folgen. AlS sic die Thür zu dem Nebenzimmer öffnete, strahlte» wieder WeihnachlSkcrzen den Einlrctciiden entgegen, die Gräfin besckieerle den ihrem Herzen am nächsten Stehenden. Nicht prunkvolle Gaben waren eS, die sie ihnen bot, aber jeder Kleinigkeit merkte man eS an, daß wahre Liebe sie auS- gewählt batte. „Doctor, nun macken Sie den Weihnachtsmann für Ihr Mündel!" ries dann die Gräfin in heilerem Ton und doch mit Tbräncn kämpfend. Wille» hob den Vorhang, der eine Thür verhüllte. Hell beleuchtet stand Gronau da. B ttend und doch siegeS- gewiß, jubelnd und doch von dem Glücksgesübl lang c»i- psundencr, endlich gestillter Sehnsucht gcsänsligt. sprach er Marie'» Namen aus. Zitternd, »nt geschloffenen Augen stand diese da, sie mußte sich auf deS Doctor» Arm stützen, um in freudigem Erschrecken nickt ttmznsinkcn. noch einmal mußte Gronau den geliebten Namen rufen. Aber dann eilte sie ans ihn zu, barg den stolzen Kops an seiner Brust und flüsterte leise, unter seinen Küssen in seliger Wonne erschauernd: „Nie mehr lasse ich Dick, Du Einziger, Dn Böser. Hast Du geglaubt, ich könne je sonst mein Glück finden, als nur bei Dir?" „Habe ich meine Sache als Knecht Ruprecht gut gemacht?" fragte Willen die Gräfin. Dann raunle er ihr leise zn: „Was war ich doch für ei» Narr, alS ick glauble, ich könne ein Weib wie Marie glücklich machen!" Dabei suchten seine Augen den blinden HanS, als sei der daS einzige. waS für sein liebevolles und liebcbedürsligcS Herz geblieben. (Schluß folgt.) XII. Capitet. Einsam und still war e» in dem Hause der Gräfin Wolfreck nicht mehr. Aus Wunsch der alten Dame halte der Doctor Wilken den hochbetagten, würdigen Sladlpsarrer, den Haupl- prcviger an St. Severin, bei ihr eingesührt. Der war ein gar lieber Herr, ein Geistlicher, der KotteS Wort nicht nur im Munde führte, sondern durch sein Tbun und sein ganzes Leben Liebe predigte. Auch auf seinem Gesicht, in jeder seiner Bewegungen zeigte sich jene Ruhe, die der echte rechte Glaube giebt; nicht» vo» der Pharisäcrstrenge und dem Pharisäer hockmuth war bei ihm zu bemerken, man sah ihm an. da ein Trostwort für Leidende und Bedrängte bei ihm auS dem Herzen kam. daß er auch mit den Fröhlichen sich freuen konnte. Bon dem wahren Geiste deS ChristenthnmS durch drungen. stand er hoch über den Parteien, die sich auch in der Kirche breit machen, er predigte nicht den Gott, der strengen, starren Schristglauben fordert, sondern den All erbarmer, der mit menschlicher Schwachheit Geduld hat. DaS war der rechte Mann, der da» von Wilken begonnene Werk, die Gräfin Wolfseck dem Leben wiederzugeben, vollenden konnte. In den kleinen Kreis, der sich nun allabendlich in dem Salon der Gräfin beisammensand, wurden zur WeihnachtS- zeck auch noch einige Männer auS Maisclv gezogen, die der Pfarrer alS mit den Verhältnissen der Stabt vertraut und alS seine Gesinnungsgenossen bezeichnet«. Mit diesen wurde berathe», wie dem Wunsche der Gräfin, auS ibrcn reichen Mitteln woblzulhun und mitzuthcilen, entsprochen werden könne. Der Doctor Wilken war dabei der eifrigste von allen, mußte er doch dafür sorgen, daß keiner seiner Lieblinge, der Rangen, wie er sie bärbeißig nannte, vergessen wurde! Mit Verwunderung sahen die Maiselder, daß die Gräfin WvlsScck in Begleitung ihrer Enkelin, gefolgt von dem alten Friedrich, in allen Läden der Stadt Einkäufe machte. Jeder sprach davon, wie freundlich und bescheiden da» jetzte so reiche und vorncbme junge Mädchen sei, ganz so. alS ob cs noch die arme Näherin Marie Müller wäre. WaS die Maiselder nickt aus eigner Wahrnehmung erzählen konnten, daS be richtete ihnen die Dienerschaft der Gräfin, Friedrich und Albertine an der Spitze, die nickt mehr verschlossen und wortkarg waren, sondern ihrer Redseligkeit freien Laus ließen. So kam eS, daß man nicht mehr von dem verrufenen Haus« sprach, in dem Gespenster ihr Unwesen trieben; der alte graue Bau war ein Quell des Segen» geworden, in rem gute Geister walteten. Der Weihnachtsabend war da. Der Doctor Wilken batte e» sich nicht nehmen lassen, dir Kinder und Armen, denen von der Gräfin einbesckeert werden sollte, selbst in ihr Hau» führen zu dürfen. Als die Glocken der SeverinSkirche das Fest ein« läuteten, da ordnete der kleine Herr aus dem Markiplatze dir ganze Sckaar zu einem feierlichen Zuge. Wer ihn dabei sah, wie er mit dem Stock fuchtelte und über die nichtsnutzigen Rangen zeterte, ohne sein- Art zn kennen, der mußte glauben, in dem kurzen braunen Röckchcn stecke ein wahrer Kinder- sresser. Aber nur fröhliches Lachen und heitere unschuldige Scherze antwortelei, all seinen Drohungen, und au» den Hellen, freudestrahlenden Kinderaugen leuchtete nur Liebe und Vertrauen dem überglücklichen Doclor enlgezen. In den größten Gemächer» ilireS HauseS hatte Lie Gräfin Wo'.iseck lange weißgedcckic Taseln ausfiellen lassen. In den einen Raum wurde» die Kinder, in den andern die Erwachsenen aesührt. AlS nun beim Sckein der WeihnacktSkerze» da» „Still- Nackt. heilige Nacht" erklang, als der greise Stadlpsarrer ein kindlich frommes Gebet sprach und dann die Armen und Elenden ebenso srendig wie die Kleinen nach den Gaben, die ihnen wahre Menschenliebe bol, griffen, da fühlte die alte Dame die ganze Seligkeit in ihrem .Herzen, die der Zauber der Ebristiiackl verleiht. N»r stille Wehmutb. nickt der wühlende, peinigende Gram und Schmerz war eS, mit dem sie der Weihnachtsseste gedachte, die sie schon erlebt. Dankend Marine. * Wie verlautet, haben die CommisficiiSverhandliingen in der Admiralität Uber die Neuordnung der obersten Marine-Behörde jetzt ihren Abschluß gesunden. In Marinekreiscn hält man eS für feststehend, daß die wesenl- lickst« Aciidcrung die Abtrennung der Commando-Ablheilung von der Admiralität sein wird. Die Commando-Ablheilungen werben in Zukunft unter dem commandircnven Admiral stehen. Nack der Trennung von Commando und Verwaltung, die voraussichtlich schon mit dem Beginn deS neuen Jahres berbeigeführt werden wird, dürste Vice-Admiral Gras von Mont» mit dem Obcrcommai'ko betraut werken. Ob die Personal-Angelegenheiten in Zukunft beim Commando oder in einer neu zu errickienden Marineabtheilung deS Militaircabinets behandelt werden, ist noch nicht bekannt. In dem zukünftigen RcichSamt der Marine würden also bleiben: 1) daS Marinedepartement, 2) daS V-r- waltungSkepartcment, 3) VaS Statistische Bureau, 4) daS Hydrographische Amt, und 5) die Dccernate für Ge richtswesen und sanitäre Angelegenheiten. Wesentliche Aen- derungen in der Organisation der Etationöbchörden solle» nicht beabsichtigt sein, auch bestätigt sich die Annahme nicht, daß den SlationSchcss die Befugnisse von commandircndcn Generalen beigelegl werden solle», wobl ab?r wird >lir Einfluß auf die ihr unterstellten Behörden innerhalb ihrrS Bezirk», wo eS thunlich ist, noch verstärkt werden. Alle Angelegen heiten, welche irgend bei der StalionSiiistan; erledigt werden können, sollen dort abgemacht werden. DaS neue Programm zielt also aus Deccntralisaiion und scharfe Zusammensassung der Kräfte bei den Stationen. Ob, wie vielfach angenommen wurde, auch eine Aendcrung in dem InspectionSwesc» ein- trelcn wird, ist ebcnsalls noch nicht bekannt. Dagegen bars man wohl aiinchmei,, daß der Aknnralilälörath, zu dcm man ja StabScssiciere und Techniker hcranziehcu kann, endlich in Wirksamkeit treten wird. Die Institution hat sich bei säst allen Marinen bewährt, sie ist überall der beste Schutz für eine organische Entwickelung gewesen. Zur preußischen Wahlbewegung. ADO. Berlin, 25. September. Hinsichtlich der Wahlen in Berlin hört man, daß eine Berständigung zwischen den Conservativen und National liberalen zn Stande gekommen ist, so daß die Parteien gemeinsame Candikatcn äusstclleir. In dem hauptsächlich in Betracht kommenden ersten Wahlkreis sollen zwei Coiffcrvativc und ein National librralcr ausgestellt werden, und auch in den übrigen Wahl kreisen sollen Lie Candidaturen zwischen Deulschconservaliven und Freieonscrvativen bezw. Nationalliberalcn angemessen verthcilt iverdcn. Unter den conservativen Candikare» be finden sich keine der crtrcmen und antisemitischen Richtung Im Wahlkreis Saarbrückcn-Ottwe ilcr hat eine zahlreich besuchte VcrlraucnSmänncr-Pcrsammlnng der frei conservativen und nationalliberalen Partei be schlossen, an den bisherigen Abgeordneten, dcm srciconservativen VopeliuS und den nationalliberalen Herren Olzen und Jordan fcstzubalten. Die Wabl ist vollkommen gesichert. Die Dentschsreisiniiigcn gehe» offenbar mit sebr gedrückten Hoffnungen in den Wahlkamps. DaS entnehmen wir u. A. auS einem Bortrag, den der StadtsyndicuS Zelle in einem Berliner BezirkSvercin gehalten hat Darin äußerte er: „In dieser ungewissen Zeit wäre c» außerordentlich wünschenswertst. wenn die Kundgebungen aus dem Volke heraus nach oben hin bestimmte Fingerzeige dafür geben. waS daS Volk eigentlich will. WaS solle denn ein junger Regent davon denken, wenn diese Knndgehungen labm sind, »nd wenn er von dem BolkSwillcn wenig vornehme» und hcrauSlescn kan». Wahrscheinlich werde dieser Wunsch aber nicht in Erfüllung gehen, wahrscheinlich werde da» Wahlresultat für die freisinnige Partei ein befriedigendes nicht werden, einmal wegen der Apathie des Volkes gegen die Art der LandtagSwahlen und ferner, weil cS in unserer Nation außerordontlich viele Männer gebe. die. wenn er so sagen dürfe, auS Tcntsaulhcit sich an den öffentlichen An gelegenheiten nickt mehr betheiligen, weil sie sich sagen: waS BiSmarck llmt, ist wohlgclhan. und endlich, weil der Idealis mus für freiheitliche Ideen in uuscrcm Volke verloren gegangen sei." AuS Königsberg i. Pr. wird berichtet, daß sich dort die Nationalliberalen mit den Deutsckfreisinnigen über die ausznstcllenden Caiididaten geeinigt haben »mV zwar aus der Grundlage, daß von den drei Königoberger Mandaten den erstcrcn ein», den letzteren zwei zusallc». Bisher waren die Mandate in den Händen von zwei Teillschsreisinnigen und einem Wildlibcralen. Als nationallibcraler Canvidat wird Commerzicnrath Schröter genannt. Socialpolilisches. * Im Anschluß an die Frage der Lohnzahlung werden in dem Berichte der Fabrikinlpectoren für das Jahr 1887 d e Eiu- übrnnq der Fabrikordnunq. da» Verlassen der Arbeit ohne Kündigung, sowie die Thätigkcit einiger gewerb liche» Schiedsgerichte behandelt. Was die Einführung der Fabrikordnnngen betrifft, so bat diese auch im Berufsjahre wieder eine Zunahme erfti». Insbesondere gilt dies neben den Bezirken Sckäesw g-Holsteii, und Coburg-Goiba von d-n AiissichtSb-zirken Dresden, Chemnitz, Zwickau, Lcivjig und Meißen. In den genannten Bezirken d S Königreichs Sachsen wurden dcm Auisichtsbeamtcu häufst, Eniwu.se zur Begutachtung vorgelegt. Seitens deS Letzteren wurde dabin gewirkt, daß sür Arbeiter drückende Bestimm»agen darin beseitigt und der Lohntag aus einen anderen Tag als den Sonnabend »wiegt wurde. 'Aach den Berichte» aus den Besirke» Hohenzo . n und Dresden sind daiclbst die meisten größere» Anlagen nnl Fn'.nt- ordnungen v rieben »nd enthalten dieselben kein- den A'.eiicrn besonders lästigen oder den gesetzlichen Besinn nnnqen nun d rlaiistud: Bestimmungen. Im Anssichisbezirk' N,»ß j. L. vcrst'hl.ii die au- g-nroffene» Falrikordnungen ihren Zweck bisw'ilcii aus dein (Ev 'de, wiil man ans die Mitwirkung der Arbeiter zn wen g Rü,kiicht nimmt, hier »nd dort vcrhältnißinäßiq zu bol» Ordiiungsstra'cii sciijetzt, und weil über die Verwendung der Stras clder zu weissg klare Bestimmungen vorhanden sind, um Mißtrauen von voiuhcrein zu verhüten. Uebcr Verlassen der Arbeit ohne Kündigung wird im Vergleich zu den Vorjahren wenig Klage gelülirt. Wiederholt kamen solche Klagen außer dem Bezirke Coburg-Goiba. wo Co.traetbri.::.« nach Miithcilung des Auisichtsbenmien sebr banst, sta'lsi dr». ia den Bezirken Hohcnzollern, der Psalz re. und Mrmm, zur rtrniitiiiß der Beamten. Dem Beamt«» deS Bezirks der Pialz Warden zehn Fälle, darunter drei bezüglich weiblicher Arbeiier, zur Auzd'e ge bracht , in welcher Personen unter 2t Jahren unter Zur,ick ,ssi,ng der Arbeitsbücher vertragsbrüchig gewordm wa-en. Die Ewstibrung des freien Arbeitsverhältnisses unter beider'citi'em au nücklichen Verzicht aui jede Kündigniigsiiist ist offenbar In weiterer Zmagiiio b-gr ssin. „VicleFabrikbesitzer", ichreibtder Aust'ichlsheam: u Plaue», „Ness n mit ihren Arbeitnehmer', cm Abki'".»».»', i. ge r -i . r Einhaltung der 14 tägigen Küiidiqiuigssrm beiderlei!? entbinde', weil sie der Nebcrzeugiing sind, daß em Zurnckhssieu de? ' lrbütcrs, sobald dieser wegzugehen wünscht, den Arl e'tgebrra wenig NaM—, rueliach sogar vielen Schate» tenirsacliei, kao.i." Ja, bezirke Hannover dagegen, wo man in den größeren S'ä-ten o.i> falls vo» der Festhaltung der 14tägigen Konti,uu -C st mir uns mehr zurückkommt, hat sich in Osterode a. H, um sich gegen un- beiugtks Verlasse» der Arbeit seitens der Arbeiter zu C -u. ein Fabrikantenvercin grbitd-t, welck-r die dortigen 12 T n ..iss issu uminßt Mid dessen Mitglieder sich gegenseitig vervstichlel l a u, keine» Arbeiter unter einander anzunehmcn, der nicht einen r,: n .n n Abkebrichein seines vorigen Arbeitgebers vorzeigen kann. Hie, ist die 14 tägige Kündigung noch beibebalten, und die Eiuiichlun be währt sich »ach dem Berichte des betreffenden Aussichisb.-am! n> - t. Was die gewerblichen Schiedsgerichte .ni.u ! l, deren Einrichtung in einzelnen Orten des Aussicht me',->'?? Ko > Wiesbaden beabsichtigt. Ans die a» deli Aussic! Iso-aimeu di l s Bezirkes geeicht t- Unfrage empfahl derselbe das Statut t ' 'm Februar 1887 in Frank'urt a. M. >» Wirksamkeit getrewu n Pck i ' gerichts. Das gewerbliche Schiedsgericht i» St»tt;ait b r stir des Jahr 1887 seinen ersten Jahresbericht veröffentlicht. Aach d ms ib n wurden im Eanzen 567 itlage» erhoben und zwar 66 von Cr >,!- gebcrn und 50l von Arbeitnehmern. G'genstaiid drr > ! ar in 52 Fällen Antritt, Fortsetzung und Au'h.'l iing d>S Ar C r- IrageS, in 452 Fällen Leistung aus dem Arbenemrl'ag (L :>. cr. t- schäd'gung), in 44 Fällen Ausstellung vo» Zcvgniff ' » ung und Herausgabe von Arbeitsbüchern, in ,5 Fällen Ersta'lnna von zuviel erhobenen KrankenversicherungSbeträgen. in 8 Fällen ort- ictzung oder Ausbebung des Lehiverbältuch'es, in 6 F>6 en C' ing aus dem Lehrverhältmß. Bei dem im Vorjahre io. i >i , in Wirk samkeit getretenen Schiedsgerichte waren im Beine! ,,,, re 12 t ge werbliche Slreilsachen anhängig, darunter 17 vo» Albestgebern erhobene Klagen. Gestellt!. Verhandlungen -er Stadtverordneten am 14. September (Aus Grund de? Protokolls bearbeitet und m'tgetheilt.) Anwesend 43 Stadtverordnete und am Rassistische Herr Bürgermeister Iustizratll Dr. Tröndli n und Herr 't'.dtrass-. D »irr. Der Vorsitzende, Herr Vorsteher Justizrath 1>r. Sttii! l. a-dachlr nach Ei ösfiiiiiig t'r Sitzung zunächst des Ablcbkns d s H"rr tl. Geh. RathS Ilr. Pape, Cxcellenz. hob die Verdienste d H H-» um liniere Liadt in seiner srüneren Stellung als Piänacnt des Buv > - und Reichsoberhaudilsgerichts hervor, und beionte, daß cs 'einer Thätigkcit wohl hauptiääilich mst zu verdanke» sei, daß j u r Gciichlölios, der untcr ieiner Leitung raich zu höchster Au'r lit gelangt sei, in hiesiger Stadt feste Wurzeln geschlagen habe u,.o das; damit der Beweis erbracht worden sei, daß L-ivssg wob. dam geeignet sei, als Sitz sür einen höchsten deutsche» Ge, ich,, he z>, dienen. So habe der Verstorbene den Boden dakiir geebrrt, > ao Le'vzig später der Ehre Ideilhastig geworden sei, !>,S Reich te C in seine» Mauern aisszunehmen. In dankbarer Aueikennuv, Verdienste deS Herrn Dr. Pape »m unsere Stadt haben die stäci. . , Eollegien ihm icinerzeit das Ehrcnbürgerrccht verliehen »iio Ce Stadt werde ihm sür allezeit ein dankbares und ehrendes Ander! i bewahren. Tic Mitglieder des Collegiums erhoben sich während der An- spräche von den Plätzen und der Herr Vorsteher bemerk', daß ' dies als eine Bestätigung der von ihm ausgesprochenen Grsinnu igeu annehine. Hieraus theilt der Herr Vorsitzende zur Reqistrande mit: ».Schreiben, wonach der Rath die Vorlage, betr. den Einbau von Gallerieu in die Markthalle, einstweilen zurückzieht. 1>. Rathsschreiben, die Herstellung deS Weges von der Heiligen Brücke nach dem Kuhthurm nach dcm Anträge des Collegiums betr. Es bewendet hierbei, da Niemand das Wort verlangt. c. NathSichretben, Mittheilung eines Dankschrei ben- des königlich preußischen Gesard u in Dresden aus die aus Anlaß des Hinlcheidens weil. Sr. Majestät des Kaisers Friedrich von 73 sächsischen Städten an Se. Majestät den Kaiser Wilhelm II. gerichtete Bcileidsadrcise. Das Dankichreiben wird vom Herrn Vorsitzende,i mit verlei-n. ck. Mittheilung des Ratks hinsichtlich des Abkom mens mit Herrn Beztrksthicrarzt Dr. Prictsch wegen der Controle der Freibank. Herr Vorsteher bittet den Rath »m Ausschluß über den Passus der Vorlage, wonach Herr Dr. Pr etich auch mit der B-autsjchn aing der Privaiichiachtereieii beauftragt sei, während doch die Privat- schlächtcre>e» ausgchoben sind. Herr Laue bemcrkt.es könne hier nur ein Schreibfehler vorliegen; gleicher Ansicht ist Herr Bürgermeister Jostizrath Dr. Tr Sn dl in. der aber bemerss. daß er das Raihsiehr.ibcn nicht unterzeichnet habe und bestimmte Auskunft nicht geben könne. E? bewendet hierbei. *) Eingegangen bei der Redactioo am 81. Sevtember.
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