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Die Sculptur. 3 fich in den Praterauen vollzog, die bevorzugtefte Rolle ipielen follen, die fchönfte Schale hätte den edelften Kern erwarten follen; denn weitaus mehr als die Malerei bedarf das plaftifche Werk einer ftimmungsvollen Umgebung und einer wirkungsvollen Beleuchtung, da ja nur Formen fprechen und in der Linien- fchönlieit allein die Intention des Kiinftlers zum Ausdrucke gelangt; in diefem Punkte ift denn die Sculptur auf der Weltausftellung 1873 übel weggekommen. Für alles Andere fand der Befuchende zweckmäfsige Räume, Pavillons etc., nur der Plaftik war kein Plätzchen gewidmet, wo fie fich im Zufammenliange hätte entfalten können und ihre Werthfchaft zur Geltung gekommen wäre. Vieles von ganz Bedeutendem ging dem Gros des Publicums dadurch verloren und fpielten plaftifche Kunftwerke überhaupt mehr die Rolle des Decorativen, als die einer felbftändigen Bedeutung auf der Weltausftellung. Die Marmorarbeiten der Italiener fand man in der Induftriehalle an allen Ecken und Enden bei äufserft zerftreuendem Hintergründe und in meift ganz wirkungslofer Beleuchtung. Die wichtigften Werke der Franzofen waren in den Sälen der Malerei in der Kunft - halle untergebracht, wo fie vielfach total vom Oberlichte gefchlagen wurden und überdiefs durch Goldrahmen und Farben im Hintergründe jeder ruhigen Betrach tung entzogen waren. Die beften Gegenftände, die überhaupt von der deutfchen Plaftik ficli vorfanden, waren vor dem Weft- und Südeingange poftirt, wo fie den aus- und einwogenden Maffen nur im Wege ftanden und den dag über Sonnen licht hatten. Nur Weniges der Öfterreichifchen und fchweizerifchen Plaftik war in den öftlichen kleinen Nebenfälen der Kunfthalle einigermafsen geniefsbar placirt Ganz verloren gingen begreiflicherweife die Bildwerke, welche in dem eigenthümlichen Clair-obscur der Rotunde fich der Welt zu präfentiren hatten. Es war zu bedauern, dafs, während gerade in der Gegenwart die Träger des Humanismus am regften daran arbeiten, den Kunftfmn im Volke durch Mufeen, Sammlungen, Schulen etc. wieder zu beleben, es in der Ausftellung im Prater verfaumt wurde, darin anregend zum Verftändniffe des Schönen in der form zu wirken, was doch mit wenig Mitteln hätte bewerkftelligt werden können. Werden doch, feit die Malerei fich vollends dem Realismus zugewendet hat und in den Seelenfchilderungen ihre Triumphe feiert, leider die Sympathien für die Plaftik im Publicum immer geringer und noch immer läfst eine Erziehung des Geiftes für das Edle im Raume an unferen humaniftifchen Bildungsanftalten auf fich warten; Perikies wird noch immer ohne Phidias in der Gefchichte gefchildert, das XV. und XVI Jahrhundert tradirt, ohne nur die Namen zu erwähnen, die für alle Zeiten mit goldenen Lettern in .der Kunft- und Culturgefcliichte prangen, unvergänglicher als manche Heldenfcala, mit der das Gedächtnifs unferer Gyrn- nafiaften gequält wird. Rü ckblick. Wenn die Griechen die Formen der Natur unbewufst nach gewiffen Gefetzen in eine ftrengere Tektonik fetzten und darin ihre Götterideale zu perfoni- ficiren fuchten, fo folgten fie wohl zunächft dem Geifte ihrer Mythen, in welchen ja nach ähnlichen Gefetzen das Reale ins Wunderbare, Uebernatürliche umgefetzt erfcheint — alsPotenz des wahrgenommenen Schönen. Auchals das philofophifclie Denken fich gegen das leere Dahinleben in den hergebrachten Vorftellungen auflehnte, als dem vorgefchrittenen Bewufstfein in der Kunft Befriedigung gefchaffen werden mufste und Phidias in vollfter Freiheit feine Geftalten in Marmor fchuf, blieben es noch beftimmte tektonifche Normen, nach denen die Naturformen höher geftimmt wurden, als fie das Leben begegnen liefs. Dem Geheimnifsvollen der menfchlichen Natur wurde in der Erfcheinung nicht näher zw treten verflicht; fremd blieb der Kunft noch die Scala feelifcher Affedle und das Kunftwerk hielt fich in feiner Bedeutung noch rein auf der Stufe der