Diabolus in musica Hugo Distiers unveröffentlichte Opern- und Oratoriumstexte Winfried Lüdemann E s wird den meisten Disder-Liebhabern bekannt sein, dass der Komponist nicht nur als Musiker tätig war, sondern auch als Verfasser zahlreicher Aufsätze und Zeitungsbe richte hervorgetreten ist 1 . Er verfasste sogar ein beachtenswertes pädagogisches Werk, die Funktionelk Harmoniekhre. Es wird den meisten Liebhabern aber nicht bekannt sein, dass Dist ier auch eine starke schriftstellerisch-dramaturgische Begabung besaß und sich auf diesem Ge biet ebenfalls schöpferisch betätigte. So hegen unter den zahlreichen unveröffentlichten Do kumenten im Hugo-Distier-Archiv Lübeck zwei selbstverfasste Texte zu groß angelegten, aber unvollendet gebliebenen Werken. Eine Betrachtung dieser Texte mag dazu dienen, Dist ier einmal von einer ganz anderen Seite kennen zu lernen. Bei diesen Texten handelt es sich zum einen um den „Entwurf zu einer Oper in 5 Akten“ Der Schalksknecht Gottes, den Distier im Juli und August 1936 in Ramsau bei Berchtesgaden schrieb. Dieser Entwurf wurde aber weder zu einem Libretto ausgestaltet noch kam es zu ei ner musikalischen Realisierung. Im zweiten Fall geht es um den vollständig ausgearbeiteten Text zu einem Oratorium Die Weltalter, den Distier im Februar 1942 in Berün fertigstellte. Musikalisch gedieh dieses Projekt jedoch über einige spärliche Skizzen nicht hinaus. Obwohl beide Fragmente in früherer Literatur zu Distier durchaus schon erwähnt wer den, wurden sie zum ersten Mal in meiner Distier-Monographie eingehend untersucht 2 . Wäh rend das Zustandekommen dieser Fragmente und ihre Quellenlage dort möglichst vollständig beschrieben wurden, setzte die weitere Darstellung unterschiedliche Schwerpunkte. Im Falle des Opernentwurfs wurde vor allem die ihm zugrunde liegende Auffassung von Kunst und Künstlertum herausgearbeitet und auf den Komponisten selbst bezogen. Damit wurde der Text dem Typus der in den Dreißigerjahren vielfach bevorzugten „Bekenntnisoper“ 3 zuge ordnet, für den etwa Paul Hindemiths Mathis der Maler ein herausragendes Beispiel ist. Distier ist in seinem Entwurf dieser Oper Hindemiths stark verpflichtet. Für seinen Stoff wählt er ebenfalls das tragische Schicksal eines Künstlers: des „zwiespältig-genialen“ 4 Malers und Holz schnitzers Veit Stoß. Im Falle des Oratoriumstextes beschränkte sich meine Untersuchung hauptsächlich auf die Verbindung zwischen dem Werk und der Erlebniswelt des bekanntlich sehr sensiblen Komponisten. Vor allem das Erleben des als gottlos empfundenen Krieges und der Stoff des Oratoriums durchdringen sich gegenseitig. Nicht nur beeinflusste der Kontext das Werk, Distiers Erleben jener Knegsmonate wurde zugleich wesentlich durch sein im Entstehen be griffenes Werk bestimmt 1 Ein vollständiges Verzeichnis bei Winfried Lüdemann, Hugo Distier - Eine musikalische Biographie, Augsburg 2002, S. 455-457. 2 Lüdemann (wie Anm. 1), S. 201-210 und 304-324. 3 Hermann Danuser, Die Musik des 20. Jahrhunderts, Laaber 1984 (= NHdb 7), S. 234. 4 Ursula Herrmann, Hugo Distier— Rufer und Mahner, Berlin 2/1973, S. 102.