Volltext Seite (XML)
Der -Kaion. I I Unter Verantwortlichkeit der Redaction der Eilpost. Druck von C. P. Melzer in Leipzig. 1840. Neuestes Bulletin der Moden. Paris, den 5. März 1840. Unleugbar hat das Reich der Mode in unsrer Neuzeit eine sehr vielfältige, wir möchten sagen elastizitätsfähige Gestalt angenommen und die Wirren und Wehen der Gegenwart ge hen an ihr nicht spurlos, sondern tief eingreifend und einfluß reich vorüber. Das gefallsüchtige und glänzende Paris erhebt seine köwcnblicke stets nach den höheren Regionen und lauscht jeden kleinen Moment ab, um ihn flitternd und flatternd durch Bänder und Trachten zu verwirklichen. Das Aeußerlichkeits- lcbcn spielt jetzt mehr als je eine Hauptrolle in unsrer Haupt stadt, und die Industrie und ihre Jünger beeilen sich, wie lcichtlich zu bemessen, diesen Formcnzustand dauernd zu be gründen und zu erhalten. In diesem Augenblicke wird man um so mehr zu solchen Reflexionen genöthigt, als gerade jetzt die Glanzperiode des Salonslebcns und der Bälle eingetrcten ist und man jeden leisen Widerstand oder jede diese socialen Vergnügen trübende Begebenheit um so auffälliger bemerken muß. So hat denn die in der Kammer verworfene Dotation des Herzogs von Nemours manches Modentalent, manchen Klciderkunstler tiefer ergreifen müssen, weil in Folge derselben viele glänzende Hofbälle, die schon so fest bestimmt waren, abbcstellt worden sink Wie manche brillante Robe, wie manche gcschmackvolle und elegante Coiffüre hat nun den erwarteten Schauplatz verloren und ihre Eigner sind erfüllt von Herzeleid «nd Gram! Auf dem Balle, den jüngst die englische Gesandtschaft gab, fanden sich viele höchst geschmackvolle Modeartikel vor. So sahen wir die Lady Granville angcthan mit einer doppelten Robe von weißem Tüll, von der die obere bis zur Kniegegcnd ging. Jede dieser Robe war mit einer Guirlande von weißen Rosen garnirt und von einem leichten Laubwerk von Gold geschmackvoll unterbrochen. Das Leibchen war drapirt; die kleinen Pagoden, welche den Unterthcil der Aermcl umgaben, waren ebenfalls von einer kleinen Guirlande von Rosen, wie die des Hauptthcils, cingcrahmt, aber sie waren so fein und biegsam, daß sie durchaus die wellenförmigen Bewegungen des Tüllcs nicht verhinderten. Jene Rosen hatte Madame Lainnü n der Rue Richelieu Nr. 108 angescrtigt, welche Künstlerin auch Rosenbouqucts eomponirt hat, die zur Coiffüre verwen det worden waren, sich mehr nach dem Hinterkopfc ncigtcn und durch zwei Diamantnadcln festgchalten wurden. Eine Reihe Diamanten liefen noch außerdem etwas schräg über die klassisch geformte Slirngegcnd dieser Tochter Albions. — Aber wir sahen auch dort ganz einfache Coiffuren mit weißen Rosen verziert und durch eine Nadel, einen Knoten oder Blumenzweig van Diamanten fcsigchqlten. — — Merkwürdig ist es, wie dauernd sich die griechischen Mützchen an der Tagesordnung halten; sie zeichnen sich jetzt insonders durch den Reichthum ihrer Broderien aus, die namentlich in Perlen bestehen und auf ponceau ober blauem Sammetgrunde angebracht sind. — Der berühmte Ma urice Beauvais hatte auch bei dem erwähnten Balle sein möglichstes gethan; denn er hatte reizende Turbans aus Caschemir und Gold angefertigt, und Toqucn mit langen Barben ober Goldspitzen eomponirt, auch hatte er Semi-Turbans mit türkischen Torsaden geliefert, welche die Trägerinnen auf jeder der Hauptscitcn trugen und zwischen denen das Haar einfach hinlief. Bei den Herren fanden sich wiederum viele Sammetgilets vor, jedoch schien mir der Rundschnitt an Umfang sich verrin gert zu haben. Auch bemerkte ich viele weiße Satinwesten mit grüner Verblümung. Die Cravaten aus Satin oder leichtern, Seidenstoff wurden meistens einfach getragen. Noch will ich Ihre freundliche ^Aufmerksamkeit auf das LlLin lenken, welches Guerlain in der Rivok'straße Nr. 42 verkauft und das jetzt bei den Pariser Damcntoilettcn eine sehr gewichtige Rolle spielt. Dieses, die Hautzartheit auf eine wirk lich überraschende Weise befördernde Waschmittel enthält durch aus keine kaustischen Bcstandthcile und verbreitet den köstlich sten Wchlgeruch. — Pelerinen und Mäntel von Satin und koublirt mit Herme lin sind noch immer eine Art Nothwcndigkeit bei den Ball- und Schauspieltoilettcn; seit einigen Tagen sehen wir auch wieder auf den Promenaden Paletots mit Marder-, Zobel- und Hcrmelinpelzwerk garnirt, die nur am Sonnenscheine einen Gegner finden. Wohl wird diese Tracht der mächtige Sol baldigst erbleichen lassen. Wie immer u. s. w. Ihre Melanie. Feuilleton. Ein Abend bei Rossini. Rossini, der glücklichste Mensch auf Erden während drei Viertel des Tags, hat täglich seine zwei bis drei höchst fatalen Stunden. Während dieser Zeit der Langeweile, wo der unsterbliche Autor seinen Ruhm und sein Glück vergißt, wo die Besucher ihn von allen Seiten bcschn, dient er sich selbst zur Plage. Der Unglückliche ant wortet auf alle Fragen, er befriedigt alle Forderungen; und wenn der Ungelegene, welcher verschämt alle Winkel dieser Berühmtheit durchkramt, ein Mann ist, der besondre Auszeich nung verdient, setzt sich Rossini an's Piano, macht oder hört Musik. Doch der Maestro weiß durch allerhand Einfälle diese Plage zu unterbrechen und selbst Rache zu nehmen für