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157 158 (Eingesendet.) Es ist zwar über diesen Gegenstand, selbst in den Spalten dieses beliebten Blattes, bereits soviel und gründ lich geschrieben worden, daß man fürchten möchte, es könnten weitere Erörterungen darüber wenig Beachtung finden; und doch kann eine Frage, welche so tief in daö bürgerliche Leben cingrcift, nicht vielseitig genug erwogen werden. Leider gicbt es noch so viele „erleuch tete" Männer, welche die Gcwcrbefreiheit als das Ideal der Vollkommenheit im Gcwerbweseu betrachten, während-sie doch den Keim der gänzlichen Vernichtung des Mittelstandes in sich trägt, wie das Beispiel Preu ßens evident nachweis't. — Ein Jeder, der sich seine eigene Eriftenz zu begründen denkt, muß nvthwendig alle Fähigkeiten besitzen, um einem Geschäft eigenmäch tig und mit gutem Erfolg vorstehcn zu können; und je größer seine Geschicklichkeit ist, desto sicherer ist die Aussicht auf das Gedeihen seines Etablissements. Es ist dies zwar in jedem Geschäfte der Fall, jedoch bei'm Handwerker um so mehr, da er seine Kenntnisse nicht aus Büchern schöpfen kann, sondern sie in der Werk statt durch lange Ucbuugszeit und oftmals durch weite Reisen praktisch sich erwerben muß. Wie kann dem nach ein junger Handwerker, der sich nach kaum zu- rückgclegtcr Lehrzeit etablirt, schon ausreichende Kennt nisse besitzen, um seine Existenz für die Dauer zu be gründen? Muß dies nicht um so schlimmer sein, da bei Gewerbefreiheit oft von Lehrzeit gar keine Rede ist? Wie soll ein solcher Mensch wohl gar noch eine Familie rechtlich ernähren können? Wer da glauben sollte, dergleichen junge Leute etabliren sich nicht, den wollen wir auf die sogenann ten jungen „Patentmeister" in Preußen, namentlich in den Hauptstädten Berlin, Breslau u. s. w. aufmerk sam machen. Man sehe dort die jungen abgezehrten Gestalten mit ihren zerlumpten Kindern; und reuevoll werden sie erzählen, daß sie sich selbst in's Unglück stürzten, indem sie die Gewerbefreiheit mißverstanden und sich ohne hinreichende Erfahrung etablirtcn. Selbst ein hinreichendes BetriebScapital vermag dergleichen Geschäftsleute nicht vor dem Untergange zu schützen, wie tausend Beispiele beweisen. — Diese beklagens- werthen Leute sind meist Sclaven reicher jüdischer Händ ler, die ihnen ihre Arbeiten für den möglichst niedrigen Spottpreis abnehmen, damit Frau und Kinder wenig stens das Leben fristen können. Für den Absatz auch der schlechtesten Waare ist diesen Händlern nicht bange; denn was sie am Platze nicht lvswerdcn, schleudern sie in die Nachbarstaaten, wo noch keine Gewerbefrei heit existirt und wo wenigstens solches Elend imGe- werbstande nicht vorkommt, daher auch nicht so wohl feile Waaren erzeugt werden können; denn nur der allerunglücklichste Mensch läßt sich zu solchem Zwecke benutzen. Daß dergleichen billige Waaren immer noch den schönsten Gewinn für den Händler abwerfen., be weis'! am besten, welche Spottpreise die unglücklichen Arbeiter bezahlt bekommen. Gar Viele wollen behaupten, das Junuugswesen mache den Handwerker träge, die Concurrcnz und Ge werbefreiheit sei dagegen eine Triebfeder zu erhöhter Thätigkeit und größerer wissenschaftlicher Fortbildung. Es dürfte aber leicht daö Gcgeutheil zu beweisen sein, denn wer mit Nahrungssvrgcn kämpfen muß, dem bleibt keine Zeit übrig zu wissenschaftlicher Fortbildung und zur Benutzung der Mittel, die dazu nvthwendig gehö ren. Da übrigens die Zahl der Meister bei einem geregelten Jnnungswesen keineswegs eine beschränkte ist und sein darf, so ist auch jedenfalls die Concurrcnz groß genug und jeder Einzelne von selbst gezwungen, die Hände nicht in den Schoß zu legen. Man siehr cs in nicht gewerbfreien Staaten zur Genüge, daß nur Derjenige bestehen kann, der etwas Ordentliches gelernt hat und sich gehörig rührt; ein Stümper wird selten gute Geschäfte machen, mit Ausnahme etwa Derjenigen, denen das Glück gleich anfangs eine so große Kundschaft zuführt, daß sie sich Leute und Werk führer halten können, um ihr Geschäft nach den An forderungen der Zeit zu betreiben. Die Gcwcrbefreiheit ist aber nicht nur im In teresse des Gcwerbstandes verwerflich, sonden auch das größere Publicum in Preußen fühlt bereits ihre Nach- thcilc; denn wo eine so maßlose Concurrenz besteht, schreitet der Pauperismus mit Riesenschritten vorwärts und täglich mehren sich die Ausgaben an Unterstützung und die Abgaben für Armen- und Versorgungshäuser. Auch wird bei dieser Concurrenz das Publicum am schlechtesten bedient; es ist daher im Nachtheil, selbst wenn es billig kauft *). Nur theoretisch und praktisch gebildete und in ihren Rechten wenigstens vor ganz Unberufenen geschützte Gewcrbsmeister bieten dem Pu blicum die nöthigcn Garantien. Wäre die zügellose Gewerbefreiheit nur einigermaßen praktisch, es würden *) Sehr treffend und gründlich erörtert sind diese That- sachen in einer zu Leipzig erschienenen Schrift: „Reform des Gewerbwescns," deren Verfasser der Rcdactcur die ses Blattes ist, weßhalb ich nicht unterlassen kann, diese mit vieler Sachkenntniß behandelte Schrift einer besonder» Be achtung zu empfehlen. Anmerk, des Eins.