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— (I8SJ) — IS.Auqust.^ 241 Deutsche Gewerbezeirung. Ueber die Entwickelung der gegenwärtigen Verhältnisse im deutschen Zunft- und Handwerksleben, seit dem Anfänge dieses Jahrhunderts. Von Fr. Jul. Crusiuö, Buchbindermeister in Leipzig, früherem Vorsitzenden des Kunst- und Gewerbevereins. Nachdem die deutschen industriellen Zustände im Jahre 1848 gegenüber dem Auslande mannigfachen Vergleichungen unterzogen wurden und in deren Folge so viele ehrenvolle und patriotische Bestrebungen sich kund gaben, konnte es nicht fehlen, daß man auch auf die Verhältnisse des Handwerksstandes eine größere Auf merksamkeit richtete, als es bis dahin geschehen war. Seit dieser Zeit sind einzelne Zustände des Handwerks-, Gesellen- und Wanderlebens zu wiederholt öffentlicher Besprechung gezogen worden, und haben eine mehr oder minder richtige Be- urtheilung gefunden, wie gerechte oder ungerechte Entgegnungen hervorgerufen, je nachdem Vorschläge oder Rügen, aus ruhiger oder leidenschaftlicher Anschauung der Dinge hervorgegangen wa ren, oder aufgefaßt wurden. Während man die Beseitigung wirklicher wie vermeintlicher Ucbel, die in der Gegenwart auf dem Handwerksstande laste», und die Mitwirkung aller Wohldenkenden gewünscht hat, beleuchtete man ledoch meist nur die Verhältnisse der Gegenwart. Die Ursachen aber, aus denen sie entsprungen sind, und die Herbeiführung Dessen, was dem Nichthandwerker eine tiefere Einsicht in diese Verhältnisse billigerweise geben mußte, um auf dessen Theilnahme bestimmend einzuwirken, hat man vielfach nicht in's Auge gefaßt. Die Klagen über Noth und Armuth des Kleingewerbes sind nicht in unserer Zeit zuerst aufgetaucht, sondern haben sich in ver schiedenen Zeitabschnitten der beiden letzten Jahrhunderte gleich laut wie jetzt erhoben und ^ebenfalls war die wirkliche Noth, i» welcher sich der Handwerksstand nach dem 30jährigen, wie den späteren Kriegen befand, größer als jetzt. Aber die Ursachen, aus denen die Klagen entstanden, sind weit verschieden von den früheren. Damals traten die Bevrängnifse hervor, als Nachwehen barbarischer Kämpfe in Folge mangelhafter Rechtspflege und Ver waltung und überhandgenommener Entsittlichung. Dies ist jetzt nicht der Fall, wo die Armuth neben dem Segen eines fast beispiellosen Friedens aufgekeimt ist, in einer Zeit, wo die Rechte der Menschen eine ganz andere Geltung er langt haben als früher. Aber dennoch fühle» wir die Wirkung dieser Bedrängnisse eben zu sehr, als daß die Wahrheit derselben in Zweifel gezogen weroen könnte. Wer eine» forschenden Blick aus die Zustände des Hand- werksstanbes richtet, die Formen, unter denen er sich bewegt, mit der Richtung vergleicht, welche der allgemeine Geschäftsgang seit länger als zwei Jahrzehnten genommen hat, wird nicht verken nen, daß jener Stand an Kraft fort und fort verliert; und läßt sich die Besvrgniß nicht zurückorängen, daß er seinem Verfalle mehr und mehr entgegengeführt wird, wenn Nichts für ihn von den Regierungen Deutschlands gethan wirv. Niemand wird verkennen, in welch' engem Zusammenhänge das Wohl des Handwerksstandes, dieses bedeutungsvollen Theils des Mittelstandes, mit dem ganzen Staatskörpcr steht, und wie Mo tto: „Mau belehre die Menschen oder ertrage sie." I>Irne. Aurel. Antoninu«, der römische Imperator. hinwiederum organische Einrichtungen und Verhältnisse, unter denen er sich bewegen und leben muß, geeignet sind gleich mäch tig einzuwirken auf seine Erhaltung, wie auf seinen Verfall, als daß es nicht gerechtfertigt erscheinen sollte, zum allgemeinen Be sten die Verhältnisse des Handwerksstandes einer parteilosen, treuen und offenen Darstellung zu unterwerfen. Als den Wendepunkt, an welchem die gegenwärtigen Ver hältnisse des deutschen Handwerksstandes zunächst den Weg des Rückganges einschlugen, ist der Zeitabschnitt in der Geschichte zu betrachten, der in Frankreich außer politischer Umwälzung auch im Gewerbswese» eine tiefgreifende Umgestaltung hervorbrachte. Dieser Zeitabschnitt begann mit Len Vorgängen in der Nacht vom 4. auf den 3. August 1789, in deren nächsten Folge von der französischen Nazionalversammlung außer Sehn- und Feudallaste», wie Slandesrechke auch die Zünfte aufgehoben wurden. Wenn auch jene Umgestaltung des Gewerbestandes in Frank reich keine» unmittelbaren Einfluß hatte auf die uralte Gliede rung des deutschen Zunftwesens, so doch einen mittelbaren und allmäligen. Mit dem Frieden von Süneville war der Verlust des linken Rheinufers für Deutschland entschieden, vom Anfang des Krieges an ebenso verschuldet durch unfähige Heerführer, wie Lurch grund satzlose diplomatische Unterhändler. Durch die späteren Kriege und die Niederlagen von Austerlitz und Jena war auch das übrige Deutschland der französischen Herrschaft theils unmittelbar, theils mittelbar anheim gefallen. Unter diesen traurigen Umstände», wozu noch die Stiftung des Rheinbundes und deS Königreichs von Westfale» kam, begann der Zerfall der deutschen Gewerbe in Folge der Einwirkungen fremder Macht auf die neue deutsche Verwaltung. Die Werkzeuge Fouchö's und Savarq's waren als Beamte de» französischen Heeren überall gefolgt und hatten bald in de» eroberten wie verbündeten Staaten das Polizeiwesen nach franzö sischem Bedürfnis; eingerichtet, und soweit in die Verwaltung sich eingenistct, als ihnen für ihre Zwecke nöthig schien. Das Mandcrwesen der Handwerker kam dadurch in die Hände der Polizei. Denn die französischen Polizeimänner schie nen damals in dem wandernden Handwerksburschen ebenso ver- kleidete Scndlinge des Tugendbundes erblickt zu haben, als man neuerdings nur Demagogen in ihnen vermuther. Durch französischen Einfluß entwickelte sich aus dem theil- weisen Fortbestände der die Gewerbe betreffende» Reichsgesetze und neuer Verordnungen ein Gemisch von Alt und Neu, was eines natürlichen Zusammenhanges entbehrte, und nach und nach die deutschen Gewerke auf den gegenwärtigen Standpunkt gebracht hat. Von 1806 bis aus die neueste Zeit wechseln in Deutsch land nach Zeit und Ort die Gewerbsgesetze von der schrankenlo sen Gewerbefrciheii bis zum starren Zunftzwang mit schwanken der Halbheit, hinfristenden Maßregeln, selbst im Uebergange vom Zunftwesen zu Gewcrbesreiheit und Rückkehr von letzterer zum erster».