STÄNDIGE BEILAGE ZU DEN »TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN« Fachmitteilungen für die deutschen Korrektoren Herausgegeben von der Zentralkommission der Korrektoren Deutschlands Vorsitzender: Artur Grams, Berlin C 54, Gipsstraße 12,III rechts. Verantwortlicher Schriftleiter: Friedrich Oberüber, Berlin-Neukölln, Bergstraße 76/77, III März 1925 * Siebzehnter Jahrgang * Nummer J Die Sprachen der Menschen Von Johannes Ryschko (Kassel) In dem lehrreichen Werk »Der Mensch« von Dr. B. Platz fesselte mich besonders eine Abhandlung über die Sprachen der Menschen, aus der ich in Verbindung mit andern zuverlässigen Stoff<juellen das Hauptsächlichste wiedergebe. I. Die Zahl der Sprachen kann nicht mit Sicherheit angegeben werden. Der Forscher Balbi unterscheidet 860 Sprachen; davon entfallen 53 auf Europa, 153 auf Asien, 115 auf Afrika, 422 auf Amerika und 117 auf Australien. Jedoch bestehen zwischen diesen vielen Sprachen verwandtschaftliche Beziehungen, die in Gruppen zerfallen. Lepsius nimmt für alle afrikanischen Sprachen einen Urtypus an. Auch die amerikanischen Sprachen — das Englische freilich ausgenommen — werden als zusammengehörig betrachtet. Die Eskimosprachen zum Beispiel hängen mit den nordasiatischen Mongolensprachen zusammen. Diese Verwandtschaft reicht wieder durch die Finnen, Lappen, Ungarn und Türken nach Europa, durch die Drawida nach Indien, durch die südostasia tischen Malaien nach Polynesien — dem »Vielinselland« im Stillen Ozean. II. Die Sprachveränderungen bilden ein besonders anziehendes Kapitel. Die Sprache ist mit der Geschichte eines Volkes untrennbar verbunden und dem Wechsel der Zeiten unterworfen. Welch einen Wechsel hat zum Beispiel in anderthalb Jahrtausenden die germanische Sprache erfahren! Diese zerfällt in drei Hauptgruppen: a) Ost germanisch, schon früh ausgestorben, wovon das Gotische am bekanntestenist. b) Nordgermanisch; dazu gehört das Ostnordisch, das Schwedisch und Dänisch um faßt, und das Westnordisch, zu dem Norwegisch und Isländisch gehört. c) Westgermanisch; dazu gehört das Hochdeutsch oder Oberdeutsch, das Mittel deutsch, das Niederdeutsch oder Plattdeutsch, Flämisch, Holländisch und Englisch. Es ist bekannt, daß in ein und demselben Lande verschiedene, voneinander ab weichende Redeweisen herrschen. Manche Gegend hat eigentümliche Ausdrücke, die in einer andern gar nicht verstanden werden. Aus den sogenannten Provin zialismen entstehen Mundarten, die sich zu ganz neuen Sprachen entwickeln können. — Die Sprachveränderungen können auf verschiedene Ursachen zurück geführt werden: 1. Feindseligkeiten und Eifersucht wirken trennend und üben auch auf die gemein same Sprache einen ungünstigen Einfluß aus. Dagegen werden Kulturbestrebungen, besonders Literatur und Dichtkunst, der Sprachverwilderung Vorbeugen, wie über-