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Jahrg. 1884 Allgemeine Zeitschrift für Textil - Industrie. Seite 73 mm. ALLGEMEINE ZEITSCHRIFT • M » • M • .J» T EXTIL-INDÖSTRIE. li • y.r Chef - Red actf.ub: PH. ZALUD in Chemnitz. b H • • M I . • T>} r . . -7. * X* * ■•K * Nr. 7. Chemnitz—Leipzig^Wien, 1. April 1884. VI. Jahrg. Inhalt. Abhandlnngen: Vegetabilische Wolle. — Combinirte Maschine zum Scheoren, Leimen bezw. Schlichten, Trocknen und Aufbäumen der Webkette. — Muster-Compo- sitionen. — Gute und schlechte Farben. — Vorträge auf dem Gebiete der Textil-Industrie. (Fortsetzung.) — Ein neuer Motor für das Kleingewerbe. (Fortsetzung.) — Neuerungen und Verbesserungen: Verfahren, um beliebige Muster von geschnittenem und gezogenem Plüsch reliefartig in Gazegrund einzuweben. — Garnbaumpresse für mechanische Web stühle. — Verfahren zum Bleichen und Entfetten von Baumwolle, Leinen und vegetabili schen Textilstoffen überhaupt. — Drahtflechtmaschine. — Maschine zum Oeflhen der Wolle. — Mechanischer Drahtwebstuhl. — Kettenspann-Vorrichtung für mechanische Webstühle. — Schützenwechsel-Einrichtung für mechanische Webstühle. — Verfahren und Einrichtung zum gleichzeitigen Waschen von zwei, drei oder mehreren Geweben über einander auf Breitwaschmaschinen. — Einrichtung zum Vliess-Transport. — Patentwesen: Anmeldung, Ertheilung, Erlöschung, Versagung von Patenten in Deutschland. — Mittheilungen: Ver hütung von Unfällen in Fabriken der Textil-Industrie. (Fortsetzung und Schluss.) — Literatur. — Inserate. Vegetabilische Wolle. Wie oftmals sind unsere Mittheilungen starken Zweifeln begegnet und wie oftmals hatten wir bittere Kritiken zu bestehen, wenn wir s. Z. in dem von uns in Aachen redigirten „Rheinischen'Jacquard“ der Verarbeitung von Pflanzenfasern in der Wollen-Industrie das Wort redeten; wir liessen uns nicht beirren, da wir zu fest von der grossen Zukunft eines aus Fasern und Wolle hergestellten Stoffes überzeugt waren. Und unsere Zuversicht basirte auf langjährige Versuche, die uns manche harte Stunde und vielerlei Auslagen ver ursachten, ohne für unsere Bemühungen auch nur annähernd gerechte Würdigung zu finden. Die Herren Webschuldirectoren Denk in Spremberg, Eidam in Mittweida und Reiser in Lambrecht haben uns in unserm Vorhaben nachdrücklich unterstützt; ihnen verdanken wir zum Theil unsere Erfolge, und wir halten es angemessen, denselben an dieser Stelle unsere Anerkennung zu bethätigen: Sie haben sich um die deutsche Textil-Industrie verdient gemacht! „Unsere Erfolge“, sagten wir und verweisen mit Genug- thuung auf einen dies betreffenden Artikel vom 19. Januar d. J. in der Textil-Schrift „Cotton, Wool and Iron, and Boston Journal of Commerce“. Seit länger als Jahresfrist haben wir unsere Experimente am hiesigen Platze fortgeführt, was uns nur durch die ergiebige Unterstützung eines unternehmenden Amerikaners, des Cellu loid-Fabrikanten Herrn Andrew Albright ermöglicht war. Was wir hauptsächlich hier erzielten, ist: die Lösung des den Pflanzenfasern anhaftenden harzigen Pflanzenleims nach einer bisheran gänzlich unbekannten Methode, auf eine wenig kostspielige und zeitraubende Weise, wodurch wir es nicht aUein zu Wege bringen, den Fasern eine durchaus ächte, haltbare Farbe zuzuführen, sondern dieselben auch befähigen, in der Verspinnung und Appretur bis in’s Unendliche zu theilen, so dass solche in Feinheit den besten Seidensorten nicht nach stehen. Wir müssen uns vor der Hand versagen, Ihnen über unser neues Verfahren irgend welche Mittheilungen zu machen, bis wir durch Patenturkunden gegen Nachahmung geschützt sind. Dagegen sind wir bereit, Ihnen über die anderweitige Behandlung der Pflanzenfasern in der Wollen-Industrie, seien dies Ramie, Flachs, Wildnessel (Urtica dioica), Schwalbenwurz (Asclepias) etc. detaillirte Auskunft zu geben, und lassen solche im Nachstehenden folgen, hoffend, dass sie unserm alten Vaterlande von grossem Werthe sein möge. Zur Unterstützung unserer Auseinandersetzungen sandten wir heute eine Collection Proben von Rock-, Hosen-, Damenmäntel- und Wirkerstoffen an Sie ab, indem wir Sie autorisiren, dieselben den Interes senten vorzulegen und deren Urtheil zu provociren. Die Fasern, wie sie von der Compagnie des fibres Cosmos zu St. Nicolas in Belgien, Gebrüder Salomonson in Gadder baum-Bielefeld, besonders aber, und in hervorragender Güte von den Herren F. Seidel & Co. in Zittau i. S. bezogen werden, sind meistens mit Oel gefettet; wir betrachten dies als einen weittragenden Uebelstand, indem das Oel hei der Verspinnung der Fasern ein Rollen derselben und Knotenbildung veranlasst, welch letzterer Uebelstand nicht mehr zu beseitigen ist und zur Hervorbringung einer defecten, unterwerthigen Waare führen muss. Die Fasern, welche trocken, auch stroh- und staubfrei sein sollen, werden behufs deren möglichster Lockerung durch einen Mischwolf gejagt. Hierauf wird die Wolle im Mischungsverhältniss von 50 u / 0 mit 12—15 % flüs siger Seife, ohne anderweitigen Zusatz als das benöthigte Wasser, gefettet, ebenfalls durch den Mischwolf getrieben, um mit den Fasern gemeinschaftlich nochmals diese Maschine passiren zu lassen. Da die Pflanzenfasern nicht die gleiche Elasticität besitzen wie Schafwolle, so ist darauf besonders zu achten, ein möglichst feines Vorgespinnst zu liefern; bei der Verspinnung könnte es Vorkommen, dass die kleinen Bremscylinder sich klebrig zeigten, in welchem Falle der Uebelstand durch Bestreichung mit Steinöl sofort beseitigt wird. In der Weberei sind keinerlei besondere Massregeln zu beobachten; ebenso wenig in der Walke; es sei indessen darauf achtsam gemacht, dass bei dieser Manipulation eine bedeutende Ersparniss an Seife eintreten soll, indem ja das Garn der Walktuche mit diesem Material geschwängert ist. Nach der Walke werden die Stoffe in feuchtem Zustande mit schwachen Karden so lange auf beiden Seiten gerauht, bis der Stoff sich weich anfühlt; es ist zu empfehlen, zuerst die linke Seite des Tuches 4 bis 6 Striche zu rauhen. Der Stoff wird nunmehr an den Rahmen uud in trocknem Zustande wieder auf die Rauhmaschine gebracht, um damit in gleicher Weise wie im nassen Zustande zu verfahren; die Operation wird mit schwachen Karden begonnen und mit schärferen fortgesetzt; zu starke Spannung ist schädlich. Hat die Waare die nöthige Weichheit erlangt, so ist sie für die Scheerung fertig; in dieser Procedur zeigt sich bald, oh das Dessin klar liegt; wo nicht, ist ein Nachrauhen von einigen Strichen nöthig. Bei Damenmäntel- oder sonstigen lang pelzigen Stoffen werden selbstverständlich nur die Spitzen abgeschoren. Nach der Scheerung erfolgt Pressung in der Gessner’schen Cylinderpresse, Bürstung mit Dampf und — das Meisterwerk ist vollbracht. Als allgemeine Regel sei aufgesteRt: Die Pflanzenfaser ist leicht geneigt, in der Walke Farbe anzunehmen; deshalb