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5 4 "Logisch denken heißt: ununterbrochen staunen. Wir haben die Mu sik des Beweises gelernt. Die logische Beziehung ist für uns nicht das Liedchen vom Zeisig, sondern eine Symphonie mit Orgel und Chören, und zwar eine so schwierige und inspirierte, daß der Dirigent all seine Fähigkeit konzentrieren muß, um die AusfUh renden unter Kontrolle zu halten." "Wir fliegen nicht, wir steigen nur auf jene 8 Türme, die wir selbst erbauen können." Mandelstara beschreibt die Dichtung hier als eine herrliche Auf- f abe, unverstellt, täusch nicht vor, sie müsse Ausdruck eines amraertales sein. In jeder Wendung spart man, daß er die dies seitige Welt nicht nur nüchtern akzeptiert, sondern annimmt und bejaht, wie sie auch sei. Die Kraft, die er aufwendet, gewinnt er, und gewinnt der Leser zurück. "Wir werden denn unsere Rechtlichkeit so zu beweisen versuchen, daß atsä uns zur Antwort die ganze Kette der Ursachen und Wirkungen von Alpha bis Omega erzittern wird." Sicht in Siegesgewißheit oder gar in positive Vorurteile wird die Welt ura^ewandelt, sondern sie ist, wie sie ist, das ist die einzig reale Hoffnung! Trauer, Angst, Schrecken, gar seineam einem alt- ±k± testamentarischen Propheten anstehenden Zorn faßt Mandelstam in Kraftfülle, in der nichts unterschlagen wird, aber alles seinen Plat gewinnt in der Stimme des Menschen, dem lebendigen Bauwerk; roch, als er selbst schon ins Unglück geraten ist, in Woronesh, schreibt Mandelstam: "Wenn ein Schriftsteller es für seine Pflicht hält, koste es, was es wolle, »das Leben tragisch zu sagen*, aber auf seiner Palette keine tiefen kontrastierenden Karben kick besitzt, und vor allem das Gefühl für das Gesetz nicht hat, nach dem das Tragische» auf welch kleinem Abschnitt es immer entstehe, sich unweigerlich in ein allgemeines Bild der Welt fügt - bringt er nur 'Halbfabrikate^ von ochrecken urM Borniertheit hervor, Rohmaterial, das Ekel erregt und bei der wohlmeinenden Kritik den zärtlichen Damen •Milieu’ trägt."2 Die Welt an sich ist neutral, ohne Wertung. Aber wenn der Dichter sich ihrer bemächtigt, sie in die "unendlich überzeugendere Wirk lichkeit der Kunst"hebt, beginnt sie zu erklingen, aufzuleuchten uaw. Die heit, wie sie ist, die aber, sobald sie benannt wird, nicht mehr ist, v?ie sie gewesen ist* sie ist die benannte Welt. Hamen der Dinge heben Dinge heraus, Verschiebungen beginnen. Eine Eigen- dynomik setzt ein. Bine Kettenreaktion, die auch den Dichter zur Beteiligung bringt(und - das Meßgerät beeinflußt die Messung). Die strengeren Akmeisten mögen bewußt versucht haben, sJUxh davor zu hüten* aber das war willkürlich, und föüniljow Hat v selbst in einem Gedicht beschrieben, was da herauskommen mußte: "Bienengleich, die faul im Korb verwesen,/ Duftet übel toter ksdraBdfci Worte Schwall*", und es beherzigt in seinen besten Werken* Auch der Begriff von Zeit ändert sioh unter den Händen. Die Dauer, der Ablauf der Zeit werden zwar nicht beliebig, aber willentlich durch den Menschen in Abhän gigkeit von sich gebracht. Diese sowohl lyrische als auch moder ne Auffassung von der Zeit ist für Mandelstam durch Henri Bergeon beeinflußt und bestätigt worden, mit dessen Theorien er 1qö7/08 in Paris bekannt wurde. In "Uber die Irntur des Wortes" schreibt ian- delstam 1922: "Bergson betrachtet die Erscheinungen nicht in der Ordnung ihrer Unterwerfung unter das Prinzip seitlicher Aufeinanderfolge, son dern gleichsam in dei Ordnung ihrer räumlichen Ausdehnung. Ihn in teressiert ausschließlich die innerer Verbindung der Erscheinun gen. Diese Verbindung befreit er von der Zeit und betrachtet sie gesondert. Die auf diese Welse miteinander verbundenen Erschei-