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ZWEIKAMPF 20 Das Duell hat längst begonnen, bevor es offenkundig wird. Die Waffen sind aus den Vertiefungen im dem samtausgeschlagenen Lederfutteral genommen worden, in dem sie sich schon immer befinden. Die Vifaffen: Wort und Machtwort. Das Duell - ein großartiger Zweikampf zweier Prin zipien. Ach was, zwei Personen sind xke gegeneinandergeraten und müs sen es ausfechten, bis einer liegenbleibt, so verlangen es beider Hirngespinste von Ehre. Nicht doch - etwas wie ein Uhrwerk ist aufge zogen worden und läuft nun ab. Eigentlich kämpft nur der eine und steht auf dem Spiel. Von dem anderen ist nur der Name beteiligt, und selbst der ist nur Symbol. Aber was für ein Symbol! Der Name Stalin steht keinesfalls nur für eine Person, er steht für die Union, für die Epoche, für das, was zwangsläufig geschieht, für Veränderungen, die Hoffnung erwecken, und ... Der Name Stalin überzieht allmählich alles, formt das Dasein um. ♦Alles verdanken wir der Sowjetmacht* - - das heißt Stalin. Und so wird alles stalinisch. Ich spreche von Ende der zwanziger Jahre. Noch ist nicht sicher, ob die Vereinheitlichung, die sich anbahnt, zurückzunehmen sei. Handelstam aber arbeitet weiter, als müsse es möglich sein, auch, als schon alles anders geworden ist ringsum. Dort oben schafft sich Stalin Gegner, um sie auszuschalten und seine Generallinie durchzusetzehn (Trozki, Sinowjew, Kamenew, Bu- charin ...). Die Atmosphäre in der Union änderte sich. Sämtliche So wjetbürger hatten von Loyalität zur Revolution, zuqi Sowjetstaat, zur Partei und zu Stalin erfüllt zu sein - welches alles fast synonym wur de und in Stalins Namen zur pathetischen Apotheose, spätestens seit 1920, dem Jahr des Großen Umbruchs. Wer nicht für uns ist, ist gegen ~ uns. c^Mandelstam war längst in die Position eines Duellanten, gar des Her- ausforderers, geraten. Sein Gedicht "Wir leben, nicht kennand das V Land unter uns" y war nicht der Beginn des Zweikampfs. Zu diesem Zeit punkt war er längst als Feind kenntlich und hatte seinerseits denen Gegner schon oft genug markiert. Auch Mandelstams frühere Ausfälle gegen die "Sekundanten" seines Widersachers (Gomfeld, Sargidjan, A. Tolstoj) waren nur folgerichtige Schritte auf dem von ihm längst betretenen Weg. Schon seine sozial fremde Herkunft machte jedes Wort, das Mandelstam geschrieben hatte und schreiben würde, verdächtig. Und er hatte sich nie bemüht, in irgendwelchen Äußerungen jemand an ders als er selbst zu sein, während doch alles sich änderte! Derselbe Mandel&tam, der kurz nach dem Beginn der Revolution ihre düstere Verherrlichung "Rühmen wir die Dämmerung der Freiheit" ge schrieben hatte, der in der Zeit des Bürgerkrieges bei den Weißen als bolschewistischer, bei den Menschewiki als bolschewistisch-weißer Spion ins Gefängnis geraten war, der 1918 dem Tschekisten Bljumkin welcher mit seiner Macht über Menschenleben geprahlt hatte, die Liste mit den Todesurteilen zerriß und von diesem dafür beinah auf der Stelle niedergeschossen xworden wäre, derselbe lebensunkundige Prophet, ka priziös und streng, mußte ganz zwangsläufig der Gegner des "Hausherrn" selbst werden. Er allein; so wie sich jeder, der es versuchte, oder auf den nur der Schatten des Verdachts, es versuchen tu wollen, fiel, fürchterlich allein wiederfand. Der Widersacher, der Hausherr, hatte \ alle hinter sich. Nicht nur aus Angst oder Berechnung, sondern weil hier das Verheißungsvolle, das Wirkliche, das Normale war. Ein Huma nismus, der auf komplizierten historischen Grundlagen ruhte, wurde zur Randerscheinung. Die vierschrötige Realität behauptete, die Skru pel der Intellektuellen nicht zu brauchen. Nur das Voranschreiten zu skandieren, akzeptierte sie, umso mehr Vereinfachung, je widersprüch licher stex die Lage wurde.