Volltext Seite (XML)
23 D£$ OLIFANT Der Held des Rolandsliedes, der unter den zwölf Pairs des Franken reichs herausragt, keinen ebenbürtigen Gegner findet, stirbt als Sieger, als er das Horn bläst, denn er ruft die gesamte Streit macht Karls des Großen zum Sieg über die Heiden. Der gewaltigen Waf fe seines Rufs ist auf der Gegenseite tatsächlich nichts gewach sen. Es reicht nicht, zu sagen, die fränkischen Ritter hätten für Christentum und Europa gekämpft. Sondern dafür, ihre 3Segriffe Welt in die Welt zu tragen, ihre Begriffe von Ehre. Den "Rosenroman" im Kopf, jenen ummauerten Garten, worinnen Gleichgewicht der Kräfte herrschte und die Prinzipien unvermischt aneinanderpaß^ten, schlugen sich die mit dem Schwert, die mit dem Horn und die mit den Gesängen dafür, der Undurchschaubarkeit und den Schrecknissen der Wirklich keit etwas gegenüberzusetzen, was alles ordnet mit dem gesamten Reich tum (dem weltlichen und geistlichen und beider wechselseitiger Ent sprechungen), alles in Maß und Geist hüllt, Menschen aufrichtet und Bauwerke zu ihrem eigenen Wert. Die Welt des Rituals und der Subli mierung ist aus der Wirklichkeit entstanden, aber gibt sie nicht wieder. Eher gibt sie Bilder vor, denen die Menschen zu entsprechen suchten und bis heute suchen: Die Tragkraft der Rundbögen, die Zärt lichkeit»® des Maßwerks, die Gedxuld der Madonnen - und ritterliche Ehre. Strenge und Treue, wie sie nur in den Epen vorkommt , wie sie in der Wirklichkeit nichts zu suchen hat. Und jeder, dem der Ruf gilt, kann versuchen, dem unvergMchlichen Rittör zu gleichen, und er kann unvergleichlich wie jener Roland werden, wenn er seine eige ne Ehre verwirklicht. Diesen Stolz auf sein Dasein als Erbauer und tragender Stein lernt Mandelstam von dem französischen Mittelalter, als er es 1909/10 an der Heidelberger Universität studiert. Doch er hat es gwi-irrwirrKErteBm erfahren schon von den steinernen Epen, den den französichen Domen, von dem größten lebenden Dom selbst - Paris. (Vgl. z. B. das .Gedicht ^"Notre-BgmeW) und d-en Aufsatz "Morgen--£es &jürmr>-i rti»Us“ L ) *** <#/<?*{ > (Vielleicht aber hat er es von Anfang an gewußt. Es gibt Dinge, für die wir uns zu entscheiden glauben, dabei haben sie sich für uns entschieden. Und diese Entscheidung läßt sich immer weiter zurück verfolgen, doch nie an den Ursprung. [ÜSo wie ich mich entschieden habe, dies hier zu schreiben.3) Mandelstam versucht, das Literatur gewordene Gebäude dieser Ehre dem verwirrten verworrenen nachrevo lutionären Rußland vorzuschlagen, als er 1922 Auszüge aus dem Ro landslied nachdichtet und mit anderen Beispielen altfranzösischer Heldenepen zusammen einem Verlag anbietet. Aus dem Projekt wird nichts, aber wie eine Blutkonserve fährt die weither bewahrte Rede im Innern des Nachdichters fort, zu leben.[('►"Den steigenden Zeiten zu höherem Ruhme")jAuch wenn das Horn Rolands von niemandem mehr an die Lippen gesetzt wird, ist doch sein Schall zu hören. 1923 sieht Mandelstam den Zweikampf für unausweichlich an, als er den Es^ay "Humanismus und Gegenwart" schreibt. Die Herausforderung ist überbracht worden, noch aber sind Ort, Zeit und Waffen ungewiß. Kann man noch die hergebrachte Ritterlichkeit der Austragung voraus setzen? Die zukünftigen Duellanten sind einerseits etwas, das Mandelstam mit Assyrien und Ägypten vergleicht: "Es gibt Epochen, die erklären, daß der Mensch .sLe nichts angehe, daß man ihn benutzen solle wie einen Ziegelstein, wie Zement; daß man mit ihm, nicht für ihn bauen solle. Die gesellschaftliche Architektur wird mit dem Maß des Men schen gemessen. Manchmal wird sie dem Menschen zum Feind und mehrt ihre eigene Größe mit seiner Erniedrigung und Nichtigkeit," und an- andererseits"eine gesellschaftliche Gotik: das freie Spiel der Ge wichte und der Kräfte, eine menschliche Gesellschaft, begriffen als komplexer und dichter architektonischer Wald, wo alles zweckdienlich, individuell ist und jede Einzelheit im riesenhaften Ganzen ihren Wi derhall findet." Er läßt keinen Zweifel, auf welche Seite er sich selbst stellt: "Wenn nicht eine wahrhaft humanistische Rechtfertigung die Grundlage der künftigen gesells cJlaf tlichen Architektur bildet wird diese den Menschen zerdrücken, wie Assyrien und Bol^n *