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UNSTERBLICHER D'ANTHES Ein russischer Dichter besitzt keind Uhr. Er würde auch nicht an sie glauben. (Blök: "musikalische Zeit" gegen "KalenderzeitW; Majakowski: "Die Zeit voran, vorwärts die Zeit!"; Mandelstam: "Die Dichtung unter scheidet sich gerade dadurch vom automatischen Sprechen, daß sie uns mitten im Wort weckt und aufrüttelt. Dann zeigt sich, daß dieses weit aus länger ist, als wir dachten, und wir erinnern uns, daß Sprechen immer unterwegs sein bedeutet."; Stattdessen trägt er ein Medaillon an der Kette, das 3tAlexander Puschkin darstellt, wie er mit weit- aufgerissenen Augen in die weitaufgerissene Mündung der Duellpistole starrt. Puschkin als Leitbild, als Bestandteil der Biografie. Solan ge sich alle entsprechend verhalten, zeigt dieses Bild noch die Zeit an. Aber Puschkin ist tot. Umgekommen aus politischen Rücksichten. Hundert Jahre später änderte sich - was? Zar Nikolai I. hat Puschkin von dem Duellanten d'Anthes in einen Ehrenhandel, eine unlautere Affaire verwickeln lassen, die nur durch ein Duell gelöst werden konnte. Daß Puschkin fallen würde, war abzu sehen. Iber d'Anthes war nicht der Sieger, sondern eigentlich nur Sekundant des Siegers. Puschkin ist tot. Aber d'Anthes ist am Leben, immer wieder. Ist es etwa darum, daß auch ein Selbstherrscher sich einfindet, der seinen Puschkin haben will, um dessen "erster Leser", also Zensor, zu sein? Aber Puschkin ist tot, den er ist schließlich unsterblich. Und nichts wiederholt sich, auch wenn es so aussieht. ■Hier folgt dann eine Beschreibung der Vorgänge, die, analog, Mandel stam in ein solches"Duell" verwik- keln, demütigend und kleinlich, mit Gornfeld und Sargidjan als "Sekun danten", (]928 - 32), und wie er reagiert, insbesondere mit "Vierte Prosa", wie dann aber die Situation sich ändert, anders zuspitzt, bis zu seiner Verhaftung 1934 wegen zweier Gedichte."]