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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.12.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-12-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19051202022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1905120202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1905120202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1905
- Monat1905-12
- Tag1905-12-02
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S«r«A».Vrett d»M UMß^D^ stggEU "ßgehvkll ykttteljährklih ^ßt 8»^ bet ^wefM^llger Zusi^ümg tu» HimD vi«t«ljührUch L.—. Durch «es«« «» «lkttg«« AuSgabsstell« >uü> durch dt« Pop bezogen für Deutschland >md Oesterreich vierteljährlich L.KO, sür di« übrige» LLrder laut Zeitung «Preisliste. «ebakttou uu» ükypedttio«, Johanuitgass» 8. Delechh«, ?dr. 15L^ «r. Lvh Kr. U7» Berliner Nedakttous-Vurraur BeÄin rrv 7, Derotheensrratz, 8«. Del. 4 »r «7«. vretbuer Nedattioug-lvurr«»: D«gde»*^Lü»»«ritzstr,»^ Lel>^Nr.üSS«, - Abend-Ausgabe. MpMer. Tageblatt Handelszeitung. Amtsblatt -es LSnigl. La«-- ««- des Lönigl. Amtsgerichtes Leipzig, -es Nates «n- -es Nslizeiamtes -er Lta-t Leipzig. Arr-ekrn-Prri» die 8 ^spalte», Pettt^ü. «d Pf. PamlÜeM^ EüupuRugA» mch E-elle» «>Vg« »0 Pf. Finanziell« Anzeige», »eschSstsanzeigea unter Text oder an dejvnderer Stelle nach Daris. Für daS Erschein«! an desttormteu Dagen u. Plätzen wird leine Garantie übernommen. Änzetgen-Lunahme! Pugustuüplatz 8, Ecke JohauuiSgass«. Die Expedition ist Wochentag» uuunterbrochen geüffnet vou früh S bi» abend« 7 Uhr. Fillal-Erpedttt»«: verltu, ^Ltzowstr. 10. e e vrr»deu, Marien str. SS. Druck uub Verlag von E. Potz tu Leidig (Inh. V-. «, A. L W. «ltulhardtX HermeSgeberr vr. Viktor Kltnkhardt. 99. Jahrgang. Nr. 814 Sonnabend 2. Dezember 1905. Var Wichtig«« vsm Lage. * Gouverneur von vtuvequtft meldet an» Deutsch- Süvmeftafrttn, Saß der Widerstand der Herero »Snzltch gebrochen sei. (S. letzte Rachr.) * Die Vertreter der Justizverwaltungen aus den größeren Bundesstaaten treten am 5. Dezember zu der Beratung über die Grundzüge der neuen «traf- prozeßreform im ReichSjustlzamt zusammen. * Wie uns ein Privattelegramm meldet, wurde daS preußische Schulunterhaltungsgesetz vom Mini sterium genehmigt, dem König vorgelegt und wird sofort dem Landtag zugehen. * Petersburger Gerüchte beharren daraus, daß irgend etwa» gegen den Zaren im Werke gewesen sei. Man spricht von einer Verwundung des Zaren, einer Verschwörung gegen ihn, von OffizierSverhaslungen. Gleichzeitig wirv be richtet, daß die Garnison von ZarStoje Sselo verstärkt worden ist. (S. Ausl.) * Lord Robert»' hat sich infolge deS von ihm unter nommenen Feldzuge» zu gunsten der Bildung einer natio nalen Armee emschlofsen, seine Demission als Mitglied der Kommission der nationalen Verteidigung zu nehmen. * Da» spanische Ministerium, daS demissioniert halte, hat sich bereits neu gebildet. (S. Au-l.) ?slitirche cagerrrba«. Lei-zt«, 2. Dezember. Die Zukunft auf dem Wasser. Der bekannte Oberst Marchand, bekannt aus der Faschoda-Affäre, hat sich im „Eclair" in einem aus- führlichen Artikel über die Frage der M a ch t Verschie bung, zumal zur See, geäußert, die sich vor unseren Augen zu vollziehen beginnt, und ist der Meinung, daß ein Rivalitätskrieg zwischen dem größeren Großbritannien und dem „größeren Groß deutschland" unausbleiblich ist. Interessante Spekulationen stellt der Oberst dabei über die Rolle, die Frankreich zufallen würde, an, je nachdem es sich auf die eine oder andere Seite stellt. Der Oberst belehrt uns zu nächst, daß eine Flotte, die nur der Küstenverteidigung gewidmet ist, ein Unding sei; ja er scheut sich nicht, als Landsvldat seinen Kollegen von der Marine bittere Wahrheiten zn sagen: eine Flotte habe keinen größeren Feind als das Land. Er führt auch gleich das jüngste Beispiel für die Nutzlosigkeit der Flotte im Landkriege an: Port Arthur ist nicht durch die Flotte Togos, sondern durch NogiS Landarmee genommen worden. Aus diesem Gedankenzug deduziert der Oberst ganz richtig: Deutsch land habe bei feiner fieberhaft betriebenen Flottenver mehrung nicht Küstenschutz im Auge, sondern die Absicht, sich auf der See zu behaupten. Bitter klagt er darüber, daß man den deutschen Matrosen auf die hohe See weist, während dem französischen Seemann eingeschärft wird, den Küstenstützpunkt nicht aus den Augen zu verlieren. Was England betrifft, so wird seine Stärke zur See reich lich ausgewogen durch seine Schwäche zu Lande und das daraus immer wieder auftauchende Schreckgespenst einer feindlichen Invasion. Während Deutschland eine solche durch daS machtvolle Instrument einer furchtbaren Land armee sofort zunichte machen könne, sei eine Landung deutscher Truppen in England bei dem Fehlen aus reichender Landarmeen sofort möglich, sobald die eng lische Flotte anderweitig beschäftigt wird; Deutsch land könne binnen weniger Stunden seine ganze Han delsmarine zum Truppentransport heranziehen. Diese Betrachtung summiert Marchand mit der Frage, Frank ¬ reich betreffend: „Lernen wir nun verstehen, warum wir für England leben und sterben sollen? Weil Eng land keine permanente Landarmee hat, die es Deutsch land entgegenstellen kann; das sollen wir eben tun." Marchand will nichl, daß dieses Aus der Schule schwatzen von den Engländern als Nadelstich empfunden wird, des halb verzuckert er ihnen auch gleich die bittere Pille, in dem er ausführt: was Englands Schwäche zu Lande sei, das sei Deutschlands Schwäche zur See, die im Mangel an Klistenstützpunkten besteht; und daher fragt er: „Ge schieht es Wohl deshalb, daß der deutsche Kaiser sich Hoff nungen auf uns gemacht hat? Können wir ihm dieselben erfüllen im Anstand gegen Elsaß-Lothringen?" Es mag wohl richtig sein, daß die französische Bun desgenossenschaft England zu Lande ebensoviel wert wäre, wie Deutschland zur See; zu bedauern ist nur, daß auch die verständigste Beurteilung der politischen Lage von französischer Seite sich niemals von dem Alp der „ver lorenen Provinzen" freimachen kann und den nüchtern sten französischen Blick wie hypnotisiert nach der Ost grenze zieht. Marchand selbst scheint das Anachronistische dieser Situation wohl zu fühlen, denn er läßt seinen Ar tikel ausklingen in der Mahnung: „Um das Meer zu kennen, genügt eS nicht, daß man darüber spricht." , . . Tie Gefahr der Reaktion in Rußland. Von verschiedenen anscheinend gut unterrichteten Seiten wird seit kurzem die Stellung deS Ministerpräsidenten Witte als äußerst schwierig, ja als stark erschüttert bezeichnet und der wachsende Einfluß der Reaktion signalisiert. Als ihr Führer gitt Durnowo, der Minister des Innern, der frühere Gehilfe des ermorveten Plehwe. Trotz aller Warnungen hat Witte ihn in das Minister-Kabinett genommen — weil dieser Mann mit der Organisation der Polizei gut bekannt ist —, und er hat sich somit eine gefährliche Opposition geschaffen. Eine Mitteilung, die uns aus Petersburg zugeht, erklärt, die Meldungen über die Gefahr, daß Witte zu Falle kommt, und die Möglickkeit einer Reaktion beruhten auf realer Grundlage und die Situation sei in der Tat nicht unbedenklich. Zur Begründung dieser Mitteilung beißt eS: „Der Kaiser persönlich ist durchaus für re gressive Maßregeln und wird in dieser Stimmung von Trepow und Durnowo bestärkt. Trepow ist bekanntlich Palastkommandant deS Kaisers geworden, nachdem er vom Posten deS Petersburger General - Gouverneurs entfernt worden war, und ist infolge dessen stets in unmittelbarer Nähe des Zaren. Er arbeitet mehr in unkontrollierbarer Weise, während Durnowo offener auftritt. Die Opposition Durnowos geht aber soweit, daß Wirte ihn sofort entfernen müßte, wenn er es könnte. Er kann eS aber nicht, da Durnowo einen zu starten Einfluß aus den Zaren auSübt, und der Zar seinem eigenen Ministerpräsidenten nicht traut. In der Dvnnerslagsitzung des Minister- Kabinetts in Zarswje Sselo in Gegenwart des Kaisers trat Durnowo zur Unteriliitzung des Kaisers für regressive Maß regeln ein. Er meinte, es genüge, 200 0 — 30 00 „In telligente" zu arretieren uno „einige hundert Arbeiter" aus Petersburg und Moskau ausruweisen, um Ruhe herzustcllen. Witte, der seiner Wurde und Selbständig- keil nichts vergibt, erwiderte, wenn Seine Majestät eS wünsche, würde er die nötigen Rcpre>sivmaßregetn ergreifen, dann aber sofort um seine Entlaisung bitten, denn er könne dann nicht am Ruder bleiben. Da nun andererseits der Kaiser ohne Witte auSzukommeu nicht wagt, bleibt die Frage unent schieden. Witte selbst sagt, daß er nur sür die nächsten 24 Stunden sicher sei. Von den anderen Ministern wird Witte sehr schlecht unterstützt. Schipoff, Timiriaieff und Kuttler schweigen in den Sitzungen, als ob sie den Mund voll Wasser hätten. Am besten sieht man aus dem Verhalten der Regierung der Presse gegenüber, welche entgegengesetzte Strömungen herrschen. Es ist wahr, daß die Zeitungen in Petersburg und Moskau sich einer vollständigen Freiheit erfreuen. Die provinzielle Presse wird aber ganz ebenio, wie früher, ge knebelt. lieber die Iudenhetze konnten die provinziellen Zei tungen in den meisten Fällen nichts schreiben. Die Zensur für dem Gebiete des HilfSkassenwesenS zutage getreten, die sich an der Hand deS jetzt geltenden Rechts nicht bekämpfen ließen. Viele eingeschriebene Hilfskassen haben wohl eine einwands freie Tätigkeit entfaltet, namentlich die Berujskassen. Ein geschritten muß aber gegen die „Schwindrlkassen" werden, die von geschästsunkunvigen und vermögenslosen Personen zur Täuschung des Publikums begründet sind und nichl daS Wohl ihrer Mitglieder im Auge haben, sondern in ihre Tasche wirtschaften. Diese Kapen „blühen" während der Karenzzeit und gehen zugrunde, wenn sie Gelder auszahlen sollen. Das Publikum muß gegen diesen Schwindel geschützt werden. Ter Entwurf eines Gesetzes über die Hilfskasscn, der gestern dem Reichstage zugegangen ist, enthält u. a. folgende Bestimmungen: Das Gesetz über die eingeschriebenen HilsSkassen wird aufgehoben. Die beteiligten Landes- regürungen können bestimmen, daß die auf Grund landeS- rechtlicher Vorschriften errichteten HilsSkassen (.Gesetz vom 7. IV. 1878) den Vorschriften des neuen Gesetzes unterliegen. Die Vorschriften der Reichs- und Landes gesetze, die sich auf die eingeschriebenen HilsSkassen beziehen, gelten sür die Verstcherungsvereine auf Gegen seitigkeit, die zum Betriebe der Versicherung ihrer Mitglieder gegen Krankheit befugt sind. Die Mitglieder dieser Vereine sind von der Verpflichtung, der Gemeinde-Krankenver sicherung oder einer nach Maßgabe des Krankenversicherungs» gefetzes errichteten Kranlenkasse anzugehören, befreit, wenn die Satzung außer den Bestimmungen des K ^5 deS Kranken- verslcherungsgesetzes den nachstebenden Anforderungen genügt: Der Beitritt darf von der Beteiligung an anderen Vereinen nur dann abhängig gemacht werden, wenn eine solche Be teiligung für fämtliche Mitglieder bei Errichtung des Ver sicherungsvereins durch die Satzung vorgesehen ist. Als Krankenunterstützung dürfen nur Krankengeld, ärztliche Be handlung, Arznei und andere Heilmittel, Krankenhaus verpflegung und Rekonvaleszenten - Gelder gewährt werden, daneben Wöchnerinnen- und Schwangerschaftsunter stützung. Den Hinterbliebenen verstorbener Mitglieder kann eine Beihilfe gewährt werden, die das Zehnfache der wöchent lichen Unterstützung nicht übersteigt. Zu anderen Zwecken dürfen Beiträge nicht erhoben werden. Wegen Ueber- schrcitung der Altersgrenze, über die hinaus nach Be stimmung der Satzung Mitglieder nicht ausgenommen werben, und wegen Veränderung des Gesundheitszustandes, von welchem nach Bestimmung der Satzung die Aufnahme ab hängig ist, darf der Ausschluß nichl erfolgen. Erfolgt eine Ausschließung aus dem Grunde, daß sie dem Vereine bereits 2 Uahrc angehören, oder vor Ablauf dieser Zeit, so haben die Mitglieder mindestens Anspruch aus Ersatz des von ihnen bezahlten Eintrittsgeldes. — Versicherungs unternehmungen, die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes aus Gründ landcsrechtiicher Vorschriften bestehen, bedürfen zur Fortführung ihres Geschäftsbetriebs keiner Erlaubnis. — Die Begründung besagt: E« sind so große Mißstände auf veulrches seiest. Leipzig, 2. Dezember. * Eine Adresse an den Kaiser. In mehreren Blättern wird angesichts der besonderen Bedeutung der diesmaligen Thronrede die Frage aufgeworfen, ob für den Reichstag jetzt eine Gelegenheit geboten sei, in einer Adresse an den Kaiser seinen zustimmenden Standpunkt gegenüber den fort währenden Treibereien und frivolen Angriffen gegen das Deutsche Reich gleichfalls zum llaren AuSdrucke zu bringen; jedenfalls werde eine solche Kundgebung der deutschen Volks vertretung geeignet sein, dem Auslände gegenüber die Ein mütigkeit des deutschen Volkes festzustellen, und dadurch sür die Aufrechterhaltung des Friedens einen gewißen Wert haben. — Obwohl in der Geschäftsordnung deS Reichstages über die Beratung einer derartigen Avrcffe besondere Be stimmungen vorgesehen sind, ist eine solche Ueberreichung in Deutschland etwas so Ungewöhnliches, daß man auf diesen parlamentarischen Gebrauch auch nur unter ganz ungewöhn lichen Umständen zurückgreifen soll. Aehnliche internationale Situationen wie die gegenwärtige haben wir aber auch schon sonst gehabt — man denke an die Jahre 187L und 1887. Die beste Antwort auf die kaiserliche Thronrede wird sein, wenn die Parteien bei den Beratungen LeS Etats zeigen, daß sie sich dem Ausland gegenüber bewußt sind, unsere nationale Ehre zu schützen, untere Rechte in der Weltpokitik zu verteidigen und daun auch bereit sind, die Pflicht rückhaltlos zu erfüllen, die heut« mehr denn je in der Mehrung und Festigung unserer militärischen Rüstung vor allem auf dem Meere liegt. Diese Pflicht wirv von allen nationalen Par teien um so ernster erfüllt werden müssen, al» die Sozial demokratie nach einer Meldung ihre» Karlsruher Organs daran ist, die „Bevölkerung" zum Einspruch gegen die neuen Floltenpläne aufzurufen, also Wohl eine große Agitation zu entfalten, die geeignet ist, dem Ausland vorzutlschen, als stünde nicht die wert überwiegende Mehrheit deS deutschen Volkes hinter den Worten, die der Kaiser unmißverständlich in seiner Thronrede an eben dieses Ausland gerichtet hat. * Unsicherheit in Lwakopmunp. AuS Swakopmund, 6. November, erhalten wir folgende Mitteilung: In letzter Zeit find bier durch das Einströmen neuer Zuzügler aus der Kapkolonie recht unsichere Verhältnisse geschaffen worden, waS sich namentlich durch vielfache, leider geglückte nächtliche Einbrüche und Ueberfälle von Passanten dokumentierte. So verfnchten heute am Hellen Mittag drei „schwere Jungen" in die im Zentrum der Stadt gelegene Damara- und Namogua-Bank einzubrechen. Sie hatten sich reichlich mit Waffen und Stricken zur Unschädlichmachung der Beamten versehen, und es wäre ihnen der Coup auch sicher geglückt, wenn die Sache nicht vorher der Polizei „gepfiffen" wäre. Nun konnten die Beamten der Polizei die Herren empfangen und in Nummer Sicher bringen. Die Stadt ist natürlich freudig über den guten Fang der Polizei erregt. ES kann niemand abend« ruhig über die Straße gehe», ohne angepöbclt zu werden, wenn nicht gar Schlimmeres passiert; die Polizei ist ständig in voller Arbeit, nimmt fast täglich Verhaftungen vor und das Gericht füllt unser Gefängnis, so daß fast kein Platz mehr vorhanden ist — und doch hilft daS nur wenig. Am besten wäre die Ein bringung eines Gesetzes, welches eine Auswahl unter den Zu züglern — namentlich fremder Nationalität — festsetzte. Bücher existiert ebenso wie früher und eS kommen Fälle vor, wo aus dem revisionistischen Lager der deutschen Sozial- demoiraten stammende Schriften hier zu übersetzen verboten wurden. Dieselbe Haltung nimmt die Regierung in allen inneren Fragen ein. So zum WahlrcchtSgesey. Die ver schiedensten Schichten der Gesellschaft fordern das allgemeine direkte, gleiche und geheime Wahlrecht. Witte erklärte f. Z., er werde das Wahlgesetz vom 6. August nur etwas modifizieren. Dann aber unter dem Andrängen von allen Seilen entschließt sich Witte, das Projekt Schipoff — allgemeines Wahlrecht mit zweistufigen Wahlen sür das Land und direkte Wahlen in den Städten — anzunehmen. Nun tritt ihm die „Gegen regierung" entgegen. Das Ministerium des Innern — Durnow und sein DepartemeutSdirektor Krisckanofski — ändert den Gesetzentwurf und schlägt vor, direkte Wahlen überhaupt zu streichen, und in den Sitzungen des Ministerkab netts tritt Durnowo fvgar gegen das allgemeine Wahlrecht aus, wobei er seine Entrüstung darüber nicht verbergen kann, daß die „Sansculoten", nur weil sie 25 Jahre alt sind, das Recht zu wählen bekommen. — So „einig" ist das Ministerkabinett dem entfchlossenen Vorgehen der radikalen Parteien gegenüber. Da nun Witte jetzt nichl mehr den Einfluß besitzt, den er am 17. Oktober auSzunben vermochte, ist eine starke Reaktion, ein neuer Versuch, bas alte Regime wieder lebendig zu machen, durchaus möglich." Daß dieser Versuch höchstens einen kurzen vorübergehenden Erfolg haben und ganz sicher das Chaos nach sich ziehen würde, ist sonnenklar. So viel Einsicht dürfte doch aber auch der Zar baden. Deshalb darf man trotz allem reaktionären Wiverstande in den oberen und trotz allen Streiks, Meutereien und zurzeit noch unerfüllbaren Forderungen in den unteren Regiouen hoffen, daß der Zar fest auf dem beschrittenen Wege verharrt, „auch Wenns schwer fällt". Feuilleton. „Lin Irsum ist »II ckss Treiben In ckunlcker blüh'. Vock, uns must ewig verbleiben Oer Sehnsucht Weh." „Ich seh' nur klommen unck 8cheicken Km kkimmelrrelt, Ls rieht ckl« 8eele cker Leicken Durch «Ile Well." „Die Wolken wsnckern so nächtig Ohn 8chmerr unck Lust, Ich «der riehe cklch mächtig Kn meine Lrust." llksiiin Soetk t„bi«dern»ctit">. Van de Velde. Ein Rückblick aus seine historische Mission. . 8n der geschichtlichen Betrachtung beginnt man die Neu- -kit müdem Gebiete der dekorativen Künste meist mit Ruskin oder Mm:ri». Und kein Zweifel, daß diese Propheten in «nntgen Rücksichten den Eintritt in die neue Zeit markieren. Denn sie hatten den Glauben an die soziale Bedeutung der Kunst und an die hohe Mission des Knnstaewerbes. das sie rn moderner Auffassung al» den freien Künsten ebenbürtig melken. Auch in mancher wichtigen Beziehung waren RuSkin und Pormt reaktionär und unmodern. Sie batten noch keine Ahnung davon, daß die Neuzeit eine Blütezeit der Industrie und einen Triumph der Maschine bedeuten würde. Ruskin fuhr mit der Postkutsche durch die Welt und entzog seine Bücher ausdrücklich dem Masfenabsatz, und Morris fegnete die Handarbeit und verdammte alle maschinenmäßige Her stellung. Und doch zeigte schon die Londoner erste inter nationale Weltausstellung des Jahres 1850 mit ihrem Jn- dustriepalast lCrystall-Palastj, von dem Semper jagte, daß er die Tendenz bedeute, in der sich unsere Zeit vorerst bewegen wird, den Triumph des kommenden Jnduftriezeitalters, des Majchinenzeitalters. ES kam darauf an, den in der Eisen architektur am bezeichnendsten zum Ausdruck kommenden Charakter der Neuzeit nun auch im Kunstgewerbe zur Herr schaft zu bringen- Ruskin und Morris hatten aus der ge werblichen Industrie Kunstgewerbe gemacht. Nun galt es noch, aus dem Kunstgewerbe moderne Industrie zu machen oder besser, daS Kunftgewerbe auf der Grundlage der mo dernen maschinenmäßig arbeitenden Industrie neu zu errich ten. Ruskin und Morris batten das Gewerbe als Kunst gewerbe auf den Rang der freien Künste erhoben, aber von dem maschinenmäßig arbeitenden Kunstgewerbe noch nichts wisse» wollen. Aber gerade daraus kam es nun an, die Ma schine für gleichsam hoffähig, daS heißt hier für kunstjähig zu erklären und den Mut, ja die Dreistigkeit zu dem Glauben und zu der Ueberzeuaung zu haben, daß Jabrikessen und rauchgeschwärzte Jndustriehallen mit der hohen, hehren, hei ligen Kunst eine Ehe eingeben können. Diese Dreistigkeit hatte van de Velde. Darin liegt seine kulturhistorische Mis sion. Er legte den Grund zu einem Kunstgewerbe des mit der Maschine arbeitenden und mit Eisenschienen bauenden Jnduftriezeitalters. Nur aus Belgien konnte dieser Prophet kommen. Denn Belgien mehr noch als England war ein moderne» Industrie land mit einem Meer von Kohlenbergwerken und Fabrikessen. In diesem Lande hatte schon ein Konstantin Meunier in an derem Sinne die Fabrrkesfen für kunstfäbig erklärt und in der Malerei verherrlicht und desgleichen den Fabrikarbeiter für kunstfähig erklärt und in der Plastik verherrlicht. Daß aber au» diese»,Sabriken und Maschine« sekbst «ine Kunst hervorgehen könne, daß diese Fabrikarbeiter selbst Kunst produzieren könnten, das glaubte und erwies erst van de Velde. Und wiederum ist es so sehr bezeichnend, daß dieser kunst gewerbliche Prophet sich gerade aus der den modernen Cha rakter am schärfsten aussprechenden Eisenarchitektur die An regung holte. Tenn von ihr entlehnte er die Kurven, die Krümmungen und Biegungen des Holzes. Und wie in der Industrie im allgemeinen und im Ejjenbau im besonderen nicht die Pbantasie, sondern die nüchterne Berechnung herrscht, so schaltete van de Velde wenigstens theoretisch jene aus, und ließ sich von dieser leiten. Dies wiederum aber war nur möglich dadurch, daß er die Handarbeit sür veraltet erklärte und für die Maschine allein dachte und entwarf. Er ist der erste Vertreter des Maschinenzeitalters im Kunstge- werbe Das ist seine geschichtliche Bedeutung. In dieser Beziehung ist «r m der Tat moderner Künstler mit Licht- und Schattenseiten, und in dieser Beziehung beginnt die moderne Bewegung mit ihm, nicht mit Morris oder RuSkin, deren Ideal noch die Postkutsche war. Und lxrn d« Veld« war konseguent, wenn da» neue Kunst- gewerbc auf der Industrie sich erheben und von der Maschine leben muß, so muß die Phantasie ausaeschaltet werden und die mathematAche Berechnung, die abstrahierende Vernunft an ibr« Stelle treten. Also kein Naturalismus im her- köinmlichen Sinn mit geschnitzten Blumen und getriebenen Köpfen. Die abstrakte Linie^wurde auf den Schild erhoben. An die Stelle des „an sich Schönen" trat da» in der Sach lichkeit und Nützlichkeit Schöne. Hier könnte sich van de Veld« aus den Biedermeierstil stützen, mit dem er sonst nicht» gemeinsam hat. Mer auch mit dem Rokoko teilt er nnr die Vorliebe für bewegte Linien, während gerade die Grazie deS Rokoko» va« de Velde abgeht. Sogar er selbst hat zwar zuaestandcn, daß er vom Rokoko manche» genommen hat. Ülber er tauscht sich hierin wohl selbst. Der Rokokostil al» rein dekorativer Stil ist so unsachlich wie möglich, unter scheidet sich also gerade im. wichtigsten Punkte von van de Velde. Eher noch geben wir ihm recht, wenn er seine An hängerschaft an den gotischen Stil betont- Denn von diesem hat er in der Tal ha» Konstruktiv«, Li« vorlieb« für Rippen bildung, das Herausarbciten des Plastischen aus dem Kon struktiven gemein. Wichtiger aber noch ist dieS, daß van de Velde allen figürlichen Dekor pevhorreSziert. DaS Figürliche ist für ihn zu unsachlich, zu konkret, zu natürlich. Modern ist für ihn gleichbedeutend mit unfigürlich. Wahrend die Kunst vor ihm und um ihn die Linie nur als Rahmen des figürlichen Dekors verwendete, ward bei ihm die Linie selbst zum Dekor. Und auch hier muß man sich erinnern, daß die Ma'chme in Linien, nicht in Figuren arbeitet, daß die Eisenschicne» i» Linien sich begrenzen. Von der Eisenarchitektur aber läßt sich van de Velde befruchten, wenn er nach dem ornamentalen Schmuck seiner Arbeiten sucht. Schmuck, Dekor freilich in herkömmlichem Sinne gibt es für van de Velde nicht; das Ornament ist dem Gegenstand oder einem Glied an ihm nicht als Dekoration ausgekledt oder angcmalt, sondern cS ist organischer Teil mu chm, cS wächst auS ihm heraus, es ist nichts als betonter Ausdruck dr» Linienflusses des be treffenden Gliedes hder seiner konstruktiven Aufgaben. Deshalb findet sich daS Linienornament bei ihm auch meist da, wo Konstruktion und Umriß cs nahelegen. Streng ge nommen darf man deshalb bei ihm ebensowenig von Linien- ornamenl als von Linlendekor reden, vielmehr ist bei ihni die Linie die Sprache der Konstruktion. Manche seiner Nach treter nur mißverstanden ihn so gröblich, daß sie aus der von de Velde-Linie einen Dekor und em Ornament machten, da» sie neben dem figürlichen Ornament und wie figürliches Ornament verwandten. In Li« große Öffentlichkeit trat van de Velde zuerst im Jahre 1896. Es handelte sich, um die Einrichtung des ncu- «gründeten Kunstyeiverbehauies LArt Nouveau S Binq M Pari», tzlan de Velde enllvarf di« Nlöbcl für drei Zimmer, einschließlich Tapete» nah GlaS. Die Zimmer waren ein Svcckezimmer, ei» Rauchzimmer und «in Ruhesaal (dieser „erschien" zuerst anonym). Und bei diHer Gelegenheit wurde t>an Le Pelbe nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland bekannt. Die Dresdener Kunstausstellung wollt« im Jahre 1897 -um erst« Make «in« kunstgewerblich« Uh,
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