3 gesamten modernen Kultur. Das Jubelfest der Firma J. G. Schelter & Giesecke ist ein erfreulicher und wohlthuender Ruhepunkt für die Geister und Hände, die in diesem Hause sich munter regen zum Dienste der Es" ladet nicht nur, wie das von 75jährigen Geburtstagskindern gefordert wird, zu ernstem Rückblick ein auf die vergangenen mühe- und arbeitsreichen Zeiten, auf die kürzeren oder längeren Perioden langsamen, aber stetigen Fortschreitens, es ermuntert auch zur Umschau in dem weiten Kreise, dessen Radien aus dem Zentrum dieses Hauses ihren Ausgang nehmen, in dem Kreise, den mit seinen besten Erzeug nissen und zwar mit allen Ehren auszufüllen allezeit Wunsch und AVille der Leiter des Hauses gewesen ist. Wenn wir zu den »Litteraten« unserer Tage alle die grossen und kleinen Geister rechnen, die den literis, d.i. den Wissenschaften im allgemeinen dienen und zur »Litteratur« alles Bütten-, Velin- und Strohpapier, das jemals von »Lettern« berührt worden ist, so würden alle Formeln der Mathematik nicht ausreichen, um den Umfang und Inhalt des Kreises zu berechnen, den die »Lettern« beherrschen. Ja, die kleine bewegliche Letter im Setzerkasten, was für ein unscheinbares und geringes Stückchen Metall ist sie doch, einfarbig grau und wertlos. Und doch, welche guten und welche dämonischen Geister weiss sie zu entfesseln, wenn sie im engen Anschluss an tausend Geschwister, dem Rufe des Ritters von der Feder folgend, in streitbaren Kolonnen auf- marscliirt, um dem im Menschenhirn entsponnenen Gedanken Flügel zu leihen. Was der Dichter singt und was der Weise ergriibelt, was das Gesetz fordert und was der Fürst verkündet, was der Richter urteilt und was die Obrigkeit gebietet, was der Käufer begehrt und was der Kaufmann anpreist — allem Menschenwillen und allen Herzenswünschen gibt sie den sichtbaren Ausdruck im Dienste der Grossmacht »Presse«. Allüberall und allgegenwärtig ist der Abglanz des kleinen Gebildes von Menschenhand: das Kindlein auf der Schulbank begrüsst ihn mit Freude, der Jungfrau zaubert er längst ersehnte Ideale im wachen Träumen vor, dem Manne ist er alltägliche Speise und der Greis schöpft neue Lebensfreude aus seinem Anschauen. Ja, Gutenberg, welch eine Wohlthat hast du der Menschheit gespendet, dass du Kraft und Vermögen geopfert hast, das Buchstabenbild beweglich zu machen! Und wenn heute dein Geist herniederstiege und sähe und spürte die Allgewalt, die Wundermacht und die Schöpferkraft des kleinen Körpers, dem du Schwingen verliehen und Leben eingehaucht, wie müsste ein freudiger Glanz dein Auge umstrahlen! A or Mitternacht trägt der Strom des elektrischen Drahtes über das Weltmeer her die Nachricht eines grossen Ereignisses, die fünf Zeilen, die der Telegraph selbst geschrieben, erregen in den ruhenden Lettern des Setzerkastens ein Leben wie im Zauberreiche, ein Buchstabenbild fügt sich an das andere in musterhafter Ordnung — und am ändern Morgen schon, ehe die Sonne tagt, staunen hunderttausend Augen, halten tausend Leser den Atem an über das, was ein Zeitungsblatt ihnen zugetragen. »Habt Ihr’s gelesen?« so grüsst vor dem Hause der Freund den Freund und der Nachbar den Nachbar. — Ja, »habt Ihr’s gelesen?« so tönt es millionenmal des Tages vom Mund zum Ohr. Zum täglichen Brot gehört es, dass wir lesen, ein Kriterium unserer Kultur ist es, dass wir lesen die Gaben der Jünger Gutenbergs. 21