110 Matthias Kirchhoff, Ann-Katrin Zimmermann und der beschwingten Tripla und steht im Dienst der entscheidenden Wendung, die der Psalmtext hier nimmt: Erstmals spricht Zuversicht aus den Worten des ansonsten so verzag ten, ja mit Gott hadernden Beters, indem er sich an Gott wendet und ihn zum Handeln auf fordert. Gemeinsam mit der einleitenden Frage: „HERR/ warumb trittestu so ferne? Verbir- gest dich zur zeit der not?“ und dem Beginn des Schlussabschnitts: „Der HERR ist König immer und Ewiglich“ bildet dieser Vers den formalen Rahmen und die Dreigliederung des Psalms (vom Vorwurf der Abwesenheit und der Schilderung des Gotdosen über die Auffor derung zum Einschreiten bis hin zum Bekenntnis zur Herrschaft Gottes). -f fr. 1 Abbildung 7 Rätselhaft bleibt die folgende Textmarke „Gott“ (Abbildung 7). Sie markiert wiederum einen neuen Abschnitt, der entweder mit dem Zeilenumbruch beginnt oder vom Ende der Zeile zuvor eingeleitet wird. Am vorausgehenden Zeilenende könnte eine Kadenz nach E mit großer Terz gestanden haben, die nun mit einem Erniedrigungszeichen als „Warnungsakzi denz“ aufgehoben wird. Diese Information, das |> für die kleine Terz über dem Basston e, ist für den Continuo-Spieler notwendig, wenn ein Akkord mit großer Terz auf demselben Grund ton vorausgegangen ist. Zwei unmittelbar aufeinander folgende E-Klänge mit großer und kleiner Terz sind als Beschluss eines vorausgehenden und Beginn eines nachfolgenden Ab schnitts getrennt durch eine Zäsur denkbar, nicht jedoch ohne Absatz innerhalb einer musi kalischen „Zeileneinheit“. Allerdings könnte der vorausgehende harmonische Vorgang auch auf andere Weise das Erniedrigungszeichen erforderlich gemacht haben. Der Psalmtext liefert zudem keine weiteren Zeilen, die mit dem Wort „Gott“ anheben 1 ’Die Texteinheit „Gott, er hebe deine Hand“ ließe sich nur schwer dem immer noch gültigen Dreiermetrum einpassen. Ein einzelnes Wort „Gott“ wäre als Textmarke zwar vorstellbar, doch liegt die Vermutung nahe, hier könnte eine Wiederholung der ganzen Stelle „Steh auff her Go<tt> , jetzt im Tutti, angezeigt sein — der Wechsel auf die größere Besetzung, die ja die Textstelle beinahe rigen Sachen geneigt. [...] Wie denn auch seine Harmonie zu kläglichen Worten sich gar wohl reimet. Vgl. Joseph Müller-Blattau, Die Kompositionslehre Heinrich Schüttens in der Fassung seines Schülers Christoph Bernhard, Kassel u. a. 2/1963, S. 95. Auch der 11./12. Ton könnte dieser Psalmvertonung zugrunde lie gen. Zu den Besonderheiten des Phrygischen und seiner Verwendung vgl. Eder (wie Anm. 42), passim. 52 Die sechste Stufe spielt insgesamt eine gewichtige Rolle — was freilich für das Phrygische nicht weiter überrascht. 53 Einzig der zweite Halbvers des 11. Verses „Er spricht in seinem hertzen/ Gott hats vergessen beginnt in Luthers Fassung letzter Hand (1545) mit diesem Wort. Eine Rückkehr zu dieser Textstelle nach dem folgenden Vers 12 „Stehe auff HERR Gott“ kann jedoch sicherlich ausgeschlossen werden.