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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.02.1865
- Erscheinungsdatum
- 1865-02-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-186502207
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18650220
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18650220
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1865
- Monat1865-02
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- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.02.1865
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946 f. die an ihrer Zukunst verzweifeln, sich nicht bester zu Helsen wissen, als durch Selbstmord. Dies sind gewiß sehr schadhafte Gebrechen unseres socialen Lebens, und ich muß mich des Ausrufes bedienen: die Gesellschaft ist krayk, sehr krank. Nun ist die Frage, was für Mittel wir dagegen anwenden können, um Sittlichkeit und Moral zu begründen. Zuvor aber wollen wir einen Rückblick auf die Völker Asiens thun, um zu sehen ob bei uns in Europa ein Fortschritt gegen jene zu bemerken ist. Auch ist es nicht unwichtig, einen Blick auf das freie Amerika zu werfen und zu erkennen, wie es dort mit der Sittlichkeit und Moral bestellt ist. Ich habe beide Erd- theile bereist und mir Manches notirt. Folge» Sie mir nach Konstantinopel; es ist eine ebenso be lebte Stadt wie Paris, es hat 1 Million Einwohner. Die Ge sellschaft sehr gemischt, Asiaten und Europäer, doch die orientalisch- muhamedanische Sitte vorherrschend. In den beiden von Christen bewohnten Städten Pera und Galata ist eine große Anzahl von Polizisten nothwendig, in Stambul, Skutari, Top-Hana fast kein Polizist zu sehen, daher muß es dort besser mit der Ordnung be stellt sein. Und ich habe in der Thal gefunden, daß der Orientale sich nicht so verwahrt, nicht Thür und Thor verschließt, sick- sicherer in seinem Hause fühlt, als wir. Die Thore haben nur einen Holzschieber. der nicht schwer zu öffnen ist, und dann stehen die Zugänge zu den Gemächern offen, indem dieselben nur durch Vorhänge von einander getrennt sind. ES wäre also leicht ins Innere des Hauses einzudrmgen, wenn solche feindliche Elemente vorhanden wären, aber sie sind nicht vorhanden. Der Orientale legt sich ruhig zu Bett, ohne die Thür zu verschließen, und doch hört man nie von Räub, Mord und Diebstahl. Man hat wohl oft gehört, daß Muselmänner sich stark gegen Christen vergriffen aben, das beruht aber auf anderen Motiven, auf der gegen- eitigen Feindschaft der dortigen christlichen und muhamedanischen Bevölkerung ; daß überhaupt der Morgenländer keinen guten Be griff von den Europäern bekommen kann, denn dw meisten, die hinkommen, wollen nur seine Einfall auSbeuten. Der Musel mann erkennt in jedem Europäer, respective Christen, einen Be trüger. Die dortigen Christen sind aber auch auf der untersten Stufe der Cultur geblieben und nach den Beispielen, die ihnen die Europäer milbringen, können sie keinen bessern Sinn bekommen. Und weit entfernt, dem Muselmann in dieser Beziehung zu im- poniren, verachtet er sie vielmehr. Er hat erkannt, daß er ein besserer Mensch. Wird aber sein religiöser Fanatismus angefacht, dann ist es nicht schwer, ihn dahin zu bringen, daß er über eine christliche Bevölkerung hersällt und sie mafsacrirt, was freilich auch schon christliche Völker mit andern gethan. Eine solche Thal läßt sich nicht beschönigen, aber ein Maßstab für die Sittlichkeit deS Morgenländers ist es nicht. Der orientalische Gläubige be trachtet jeden Gläubigen seines Stammes und seiner Religion als seinen Bruder und hält es für seine Pflicht und Schuldigkeit, ihm nach Kräften beizustehen, und für das größte Verbrechen, ihn rgendwie zu belästigen. Wenn wir also unter uns nicht so sind, o stehen wir den Muhamedanern nach, denn es sind nicht die kindlichen Elemente einer fremden Nation oder ReligionSsecte, welche uns bedrohen in Leben und Eigenthum, sondern Christen und civilisirt sein wollende Menschen. — Wir wollen nun eine Rundreise durch den Bazar von Konstantinopel machen. Von Galata aus führt eine Brücke über das Marmarameer nach Stam bul, wo uns vor Allem die aus der alten byzantinischen Kaiser zeit herstammenden Katakomben auffallen; doch steigen wir den Hügel aufwärts. An der berühmten Sophienkirche gelangen wir auf einen mit einem hohen Obelisken gezierten Platz. Um den Obelisken herum sitzen die Schriftgelehrien und ertheilen Rath, fassen Bittschriften und sonstige Aktenstücke für das Volk ab, kurz eS wird hier, wie bei uns Obst, auf öffentlichem Markte guter Rath verkauft. Aber wir müssen noch höher Hinansteigen, ehe wir zu der nach dem Bazar von Konstantinopel führenden Säulen halle gelangen, denn die ganze Stadt ist bergig. Der Bazar selbst ist ungefähr dreimal so lang und viermal so breit als die Grin ma'sche Straße ; eine lange Reihe von Buden, die die Schätze Asiens sowie die Induftrieerzeugniffe Europa's in sich bergen. Hier finden Sie persische Shawls, große Massen indischer Edelsteine von hier nicht gesehener Größe, die Gewürze, Salben und Oele Arabiens, Gold- und Silberwaaren, und die Geldwechsler haben große Summen von Gold und Silber haufenweise aufgethürmt, so daß es einen Wunder nehmen müßte, wie die Dinge so ganz leichtfertig daliegen, ohne daß Sicherheitswächter zu deren Be wachung aufgestellt wären. Aber noch mehr wird eS Sie ver wundern, daß zu gewissen Stunden de- Tages die Sitze der Ver käufer leer und doch die Buden unverschlossen sind, indem die Besitzer zum Gebet nach den Moscheen gegangen sind. Der Be sitzer hängt nur ein Taschentuch heraus zum Zeichen, daß er nach der Moschee gegangen. Ebenso unbekümmert um sein Eigenthum, wie er gegangen, kehrt der Orientale von der Moschee zurück und sieht nicht nach, ob etwas in seinen Sachen geändert ist, er weiß, daß dies nicht stattfinden kann, daß er keinen Einbruch und Dieb stahl zu fürckten hat. Und in der That verhält eS sich auch so. Die durchpassirenden Fremden und Einheimischen halten die Mittelstraße zwischen den Budenreihen ein, an den Seilen der Buden ist alles leer. Dies ist die Grenze, die der Orientale sich selbst setzt ; er wagt sich nicht an einen Platz, wo Schätze aufge häuft sind, die ihn verblenden könnten, er fühlt, daß er ein Natur mensch ist, der sich nicht bezähmen kann, will sich darum nicht erst in Versuchung bringen und geht ruhig die Mittelstraße. Nur die nahen in heiliger Scheu, die etwas mit dem Geschäftsinhaber zu thun haben, äch habe auch darum im ganzen Orient keinen Henker gefunden, ein Beweis, daß das Henkershandwerk daselbst keinen Boden gefunden. Ebenso sind die Gefängnisse leer, nur wenige Sträflinge wegen Ungehorsams finden Sie darin, aber keine Idee von den überfüllten Gefängnissen im civilisirten Europa. ES frägt sich nun was es ist, daS dem Muselmann diese sittliche Kraft gegeben, ihm, einem rohen, ungebildeten Menschen. DaS ist die Religion. Die Religion deS MuhamedanerS ist eine viel reinere, als wir sie uns für gewöhnlich denken. Fern von allem Ceremoniellen hebt sie als Hauptprinzip das SittlichkeitSgesetz hervor. Sie betrachtet den Muselmann nur in sofern als fromm, wenn sein Leben ein solches. Nicht von seinem Spreche« ««V Beten hängt die Frömmigkeit des Muselmannes ab, sondern davon, ob sein Leben ein sittenreines, religiöses ist. Jeder Schritt und Tritt ist abgemessen, daß er sich sagen muß: das ist recht und das un recht. Der Orientale ist daher weit entfernt von solchen Ver brechen , wie sie sich unsere Mitbürger und leider oft unsre nächsten Verwandten gegen uns zu Schulden kommen lassen. Die christliche Religion hat dieses System des religiösen Lebens leider nicht so aufgefaßt, auf das formelle Wesen mehr Sorgfalt verwendet, und daS Formelle ist eS doch eben, was der Begründer der christlichen Religion verwor en, als das Pharisäerthum bezeich net hat. Der Muselmann kennt keine Priesterkaste, und diejenigen, welche bei uns verpflichtet sind, das religiöse Leben einzuführen, leuchten nicht immer mit gutem Beispiel voran Dies hat viel dazu beigetragen, daß das sittliche Leben im Christenthum nicht so ausgeführt ist, wie bei dem Muselmanne. Eine große Zahl der Gebildeten Europa's hat sich loSaesagt von der Kirche und ihrer Anschauung, nur daß die Emen sagen: es genügt uns daS nicht, und sich als Indifferente geriren oder bekennen, daß eS ihnen gleich ist, was man von Religion denkt; kommt rs aber dazu, einen Act zu begehen, so „bekennt" man sich. Der IndifferenttS- mus ist aber die giftige Pflanze, die im socialen Leben den Pest hauch hervorgebracht hat, die Moral untergräbt. So lange die Menschen glaubten, wagten sie nicht zu stehlen ; seit man ihnen gesagt, es sei nicht so bestellt mit dem Gott da oben, er sehe die Thaten der Menschen nicht, stehlen sie. Das ist es aber nicht allein, sondern das Bewußtsein der Menschenwürde sollte die Sittlichkeit befördern, daS ist eS überhaupt, was die Religion uns gelehrt hat, daß wir nur gottgefällig sein können, wenn wir sitt lich uns vervollkommnen. Wir können also vom Orientalen nur lernen, uns nicht rühmen, daß wir irgendwie fortgeschritten sind gegen ihn. t Fortsetzung sorgt » Verschiedene». München. 11. Februar. Ein höchst komischer Fall ereignete sich vor einigen Tagen auf dem hiesigen Stadtgerichte während der Verhandlung einer Ehrenkränkungsklage. Bei der Vernehmung eines Zeugen, welcher nicht den Wünschen des Klägers gemäß auS- sagte, preßte derselbe plötzlich, wohl lauter, als er selbst wollte, zwischen seinen geschloffenen Zähnen hervor: „Miserabler Kerl!" Der Richter fragte sogleich, wen der Kläger mit diesem Ehrentitel gemeint habe, und erhielt mit Ruhe zur Antwort: „Mich selbst." Die Selbstqualification wurde im Sitzungsprotokolle constatirt und derselben gemäß auch die Klage entschieden. Paris, 17. Februar. In der Notre-Dame-Kirche sind drei Opferstöcke bei Nacht bestohlen worden. An einem Altar hat man das Tabernakel erbrochen und die heiligen Gefäße gestohlen, die Hostien auf dem Boden zerstreut. Eine derselben ist nur stück weise gefunden worden, ein (Stückchen fehlt. Gebete zur Wieder auffindung desselben finden fast ununterbrochen statt. — ES ist nun einmal unbestreitbar, daß, wo sich der Engländer nur immer niederläßt, er sich sofort als Samenträger und Ver breiter europäischer Bildung und Einrichtung erweist. Oede Wild nisse werden in fruchtbares Ackerland umgewandelt, Wälder ge lichtet, Städte, Dörfer, Vereine gebildet, Landstraßen, Eisenbahnen, Telegraphen angelegt, Dampfschifffahrten eröffnet u. s. w. So durchbricht er nun durch Anlegung eines ausgedehnten BahnvetzeS allmälig auch die Schranken des indischen Kastengeistes und macht den einyebornen Volksstamm immer mehr der europäischen Cultur zugänglich. Nach dem Berichte des Herrn DanverS (Direktor- der ostindischen Eisenbahnen) erweisen sich die Inder nicht allein als vollständig befähigt zur Uebernahme von Betriebsdiensten, so daß ungefähr 94 pCt. der bei den indischen Eisenbahnen angestell- ten Personen, darunter selbst Locomotivführer, aus Eingeborenen bestehen, sondern die Eisenbahnen werden von den Einheimischen
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