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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.07.1861
- Erscheinungsdatum
- 1861-07-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-186107214
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18610721
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18610721
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1861
- Monat1861-07
- Tag1861-07-21
- Monat1861-07
- Jahr1861
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.07.1861
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3594 Sparta aufzurichten, so bleibt allerdings der Schule die Mission, körperliches Wohlsein beim Kinde überall und auf alle Weise her beizuführen. Die Schule soll das wieder gut machen wa- das Hau- verdorben hat, oder aber (e- giebt ja noch viele einfache und brave Familien, welche über die Gesundheit ihrer Kinder treulich wachen) nicht einreißen, sondern stärken und fördern, waS das Haus angelegt hat. Aber da kommen eine Menge Vorwürfe von allen Seiten. „Die Lehrer thun ja nichts in dieser Hinsicht", heißt eS, „die Kinder verkrüppeln in den Schulen, sie siechen oder legen wenigsten- den Grund zu spätern Nebeln." Wo auch solche Vorwürfe Herkommen und wie übertrieben sie sein mögen, die Schule muß sie beachten und sie dann theilS zurückweisen wie sichs gebührt, oder aber aus ihnen zu lernen suchen. Werfen wir zu diesem Zweck einen neuen Blick in unsere Volksschulen und sehen wir, wie ihre Gesundheitspflege beschaffen ist. Freilich wäre es gut, wenn vor allen Dingen die Kinder nicht vor dem achten Jahre der Schule zugeführt würden. Der Geist braucht den Körper. Ist der letztere noch wenig ausgebildet, so ist er ein unzureichendes Werkzeug und die Fortschritte des Geistes gehen nur langsam, oder werden sie erzwungen, zum Schaden des Körpers vorwärts. Doch darüber kein Wort weiter. Eben so klar ist, daß ein Kind mit acht Jahren in den Lebensanschau ungen viel weiter vorgerückt ist als ein sechsjähriges, und daß der Unterricht desselben leichter und schneller vor sich geht. In dem zartesten Alter verfährt sich ein Kind weit mehr als später. Da her sagt Rousseau: „Ein schlecht geleitetes Kind ist viel weiter vom Wissen entfernt als ein Kind, welches man noch gar nicht unterrichtet hat". Aber die guten Aeltern wollen nun einmal den dickbackigen Wildfang so schnell als möglich auf ein paar Stunden loS sein und so muß er sein Ränzel schnüren. Die Schule fragt nach seinem Alter und gehört er noch unter die fünfjährigen, so weift sie ihn wieder zu seinem Steckenpferde zurück. Eben so nimmt kein verständiger Lehrer ein Kind, von dessen zu schwäch licher Ausbildung des Körpers er überzeugt ist, zum Unterrichte an, er würde ja eine große Schuld auf sein Gewissen laden. Sind die Kinder nun in der neuen Heimath angelangt, so wird jeder schädliche Einfluß derselben verhindert. Die erste Be dingung für das Wohlbefinden des Kindes in der Schule ist, wie bekannt, die reine Luft. Wird die Luft im Zimmer dick und schwül, ist sie mit schädlichen Dünsten vermischt, so zeigt sich dies sehr bald an den Kindern. Sie werden träg, sie erlahmen geistig, sie antworten nicht, weil sie nicht — können, weil dem Gehirn die rechte Erfrischung fehlt. Daher öffnen alle Lehrer von Zeit zu Zeit die Fenster und nur hier und da sperrt sich noch ein alter Papa mit seinen Schülern in eine gewitterschwüle Atmosphäre ein. Die Gewitter bleiben auch nicht aus, es folgen Schläge, weil die Jugend in schlechter Luft nicht aufmerksam sein will und unruhig wird. Werden die Kinder auch durch Zwang anS Lern seil gefesselt, sie sitzen dann wie geschlagene Fliegen da und machen einen trostlosen Eindruck. Gehen wir zum Unterricht selbst fort, so muß er natürlich so stattsi'nden, daß er den Körper nicht stört, sondern fördert. Er muß heiter sein und Frohgefühle im Kinde erwecken. Heiterkeit ist nicht nur Mutter der Tugend, sondern auch der Gesundheit. Ein alter Griesgram unk Grillenfänger versündigt sich an der Frische der Jugend; er paßt zu nichts weniger als zu einem Lehrer. Die heutige Volksschule ist nun wirklich viel freundlicher und heiterer geworden als die alte. Da giebt eS Anschauungen aller Art, welche das Kind erfreuen, da werden Bilder gezeigt, Erperimente gemacht, Geschichten erzählt und auch ein unschuldiger Scherz stellt sich ein, wenn die Disciplin es gestattet. Kein Leh rer, der da weiß, daß Lachen gesund ist, wird gleich in Aerger und Zorn gerathen, wenn seine Schüler einmal so recht auS Herzenslust lachen, ohne unartig zu werden. Aber der Unterricht darf auch nicht abspannend wirken. Dauert er zu lange, oder strengt er überhaupt zu sehr an, so erschlafft der Geist und diese Erschlaffung wirkt durchaus ungünstig auf den Körper ein. Da her beschäftigt man kleine Kinder nie länger als eine halbe Stunde oder höchstens drei Viertelstunden durch einen Unterrichtsgegenstand. Nur einzelne Pedanten (und das sind die wahren Kindermörder) gehen von solcher Regel ab und quälen die kleinen Seelen eine ganze Stunde mit Denkübungen oder mit Dingen, für welche daS kleine Gehirn nur ein Viertelftündchen Spannkraft hat. Frei lich sollte jeder Lehrer so weit Psycholog und Mediciner sein, daß er genau wüßte, bis zu welchem Puncte er die Aufmerksamkeit seiner Kinder verlangen kann. Die Berechnung würde freilich immer nur im Allgemeinen treffen (da eben die Unaufmerksamkeit bei einigen Kindern nicht im Gegenstände, sondern in andern Verhältnissen liegen kann), aber unmöglich ist sie nicht. Es ge hört allerdings ein tiefer Blick inS Seelenleben deS Kinde- dazu, und auch eine Kenntniß seiner bereit- gewonnenen Ausbildung. Ein Hauptmittel für die Gesundheit ist passende Bewegung. Und hier thut die Schule zwar viel, könnte aber immer noch mehr thun, wenn sie auch in der Behandlung der Jugend nicht so weit gehen soll, wie die römische Schule. Sencca sagt bekannt lich von der alten römischen Jugend: „Sie war MS auf den Beinen, man lehrte sie nichts, waS sie sitzend hätte lernen müssen." Wahr ist eS, daß das Turnen in sehr vielen Schulen nicht nur auf dem Schulplane steht, sondern auch tüchtig gehandhabt wird. Freilich wäre es besser, wenn der Turnplatz an der Schule sich befände und die Lehrer der Schule auch die Turnmeister machten. Es könnte dieser Gegenstand dann besser mit den sonstigen Schul einrichtungen verbunden und auch noch lebenskräftiger gemacht werden. Wie? mag hier unerörtert bleiben. Es ist ferner wahr, daß viele Lehrer mit ihren Schülern in den Pausen körperliche Uebungen treiben. Ich habe solche Uebungen mit angesehen, und auch wahr genommen, wie schnell die Kinder die Bücher weg legten, wenn eS hieß: Achtung! Hände hoch! Nieder! Rechte Hand vor! rc. Aber eS läßt sich allerdings noch gar Mancherlei bei dem Unterrichte selbst vornehmen, was Gelegenheit zu Bewe gungen giebt uno da- Lernen durchaus nicht stört. Es ist Schreib stunde. Da wird ln der Luft mit der Hand geschrieben oder es geht ein Kind vor und schreibt einen Mufterbuchstaben an die Tafel. Welche Freude für dasselbe. Jubelnd geht es hinter und sieht noch einmal mit verklärten Augen den Buchstaben an, wie er gelungen ist. Wie sehr manche Kinder ein Bedürfniß zum Aufstehen haben, geht auS dem sehnsüchtigen Verlangen her vor, welche- sie an den Lehrer stellen, daß er ihnen auch erlauben soll einen Musterbuchstaben an die Tafel zu zeichnen. Es ist Lesestunde. Die Kinder bleiben da nicht etwa wie angenagelt sitzen. Sie gehen bankweise vor, stellen sich auf, wer ohne Fehler gelesen, setzt sich. Oder sie stehen in der Bank auf und bleiben stehen bis die ganze Reihe gelesen hat. Viel Bewegung kann auch beim Rechnen Vorkommen. Einmal rechnen Einzelne vor an der schwarzen Tafel; ein ander Mal tritt eine Bank heraus und das Kind, welches zuerst fertig ist mit der Aufgabe, stellt sich allemal zuerst. Dadurch tritt nicht nur Bewegung, sondern auch ein reger Wetteifer auf, der noch dazu höchst unschuldig ist, weil es sich blos um die Eroberung eines Platzes für den Augenblick handelt. Wer übrigens wissen will, wie das Rechnen zu einem geistigen und leiblichen Turnen namentlich in der Vor- oder Ele mentarschule gemacht werden kann, der findet darüber Ausführliches in dem Büchlein: „Der kleine Denkrechner, oder mathematische Spiele, Räthsel und Uebungen; für Kindergärtnerinnen und Mütter und Elementarlehrer. Leipzig bei H. Fries." Eben so bietet auch das Singen Gelegenheit zu Bewegungen. Man läßt Tactübungen mit der Hand machen oder es wird das, was ge sungen wird, irgend wie mit dem Körper angedeutet. Verfasser dieser Zeilen wohnte einmal dem Singen in dem Frankenbergschen Kindergarten bei und war entzückt über die gewandten Körper bewegungen, welche mit den Tönen Hand in Hand gingen. Da ahmten z. B. die Kinder mit den Händen die Wellen nach, von welchen sie sangen, oder sie stellten plätschernde Fischlein vor, oder es wurde marschirt zum Gesänge, kurz der Körper der Kleinen theilte die Erregung ihres Gemüthes. — Wer freilich aus Vor liebe für eine strenge Zucht die Kinder am liebsten wie angenagelt auf den Plätzen sitzen sieht, wer nie duldet, daß Kinder auch außer der harten Bank einmal ihre Uebungen machen, der versündigt sich an der Kindheit. Gott sei Dank, es giebt nur hier und da einen solchen alten finstern Zopfpädagogen. Was die Erhaltung und Schärfung der Sinne anlangt, so möchte freilich, noch mehr dar auf verwandt werden. Zwar wird den Kindern gar Mancherlei in der Schule vorgezeiqt und ihr Blick geschärft; man läßt sie Figuren, Winkel, Striche rc. vergleichen und beurtheilen; man zeigt ihnen Blätter oder ganze Pflanzen vor und läßt sie beschauen und beurtheilen, man erklärt Bilder und Karten vor ihren Augen und gewöhnt sie an scharfes sichre- Sehen. Man läßt nicht zu, daß sie sich auf das Buch zu sehr neigen, oder daß sie schief oder unter der Stirn vorsehen, oder andere Unarten mit den Augen treiben. Aber freilich ist auch nicht zu verschweigen, daß manche blassen zu finster sind, daß namentlich im Winter oft Wochen lang die Kinder furchtbar ihre Augen anstrengen müssen beim Lesen und Schreiben. Eben so beurtheilt man wohl nicht allemal richtig, wie weit die Wandtafel entfernt sein kann, wenn die Schüler ohne Anstrengung das daran Geschriebene lesen sollen; und mitunter ist auch die Schrift der Lehrbücher wahre- Augen pulver. Kurz hier ist wohl noch zu reformiren, und die Lehrer und die Behörden sind gewiß immer bereit zu solchen Reformen, sie mögen nun das Licht in den Classen oder da- Lernmaterial betreffen. Ganz besondere Pflege verlangen aber die Kranken, deren eine Schule auch immer einige aufzuweisen hat. So leiden manche Kinder an den Nerven. Sie wollen sanft behandelt sein, man darf sie nicht durch scharfe Drohungen ängstigen, nicht anschreien, nicht zu sehr anstrengen. Augenkranke wollen geschont sein, man giebt ihnen Plätze, wo das Licht sie nicht stört, man sieht darauf, daß sie nicht in den Augen reiben und man läßt sie ausruhen von Zeit zu Zeit. Stotternde wollen freundlich und theilnehmend behandelt sein, man macht ihnen Muth und verhindert jedeS Gelächter, fängt mit kleinen Sätzm an, läßt diese recht ruhig aussprechen und geht dann weiter und weiter bi- der Stotterer sich mehr zutraut. Trotz der größten Mühe, die man anwendet, gelingt- freilich nicht immer, die Stotterer zu heilen, zumal wmn organische Fehler vorhanden find. Mitunter find noch ganz andere
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