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Dresdner Nachrichten : 10.10.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189910108
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18991010
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18991010
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Nachrichten
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-10
- Monat1899-10
- Jahr1899
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- Dresdner Nachrichten : 10.10.1899
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Seite 48V. Belletristische Beilage zu den „Dresdner Nachrichten frrr: Hie Ai7<rrrenr*)ett. Rerkfpruch: Kein Glück ist aus dem Erdenrund HeilkrLst'ger, süßer, reiner. Als Kindermund an Deinem Mund Und Kinderhand in Deiner! Paul Hcyle. Der erste Streit. Der erste Streit! Wie ein Frösteln geht es uns bei dem Gedanken daran durch die Glieder und erweckt in uns ein unbehag liches Gefühl. Ist's uns doch, als sähen wir in eine still-klare Wasserfläche plötzlich einen Stein hineingeworfrn. der dieselbe nun trübt und unruhig bewegt: uns ist's. als würde der Wohllaut einer Melodie, die unser Ohr erfreute, durch eine schrille Dissonanz gestört. Der erste Streit! Mit ängst licher Sorgsalt ist wohl ein Jeder bemüht, ihn so lange wie möglich in seinem Hause, in junger Ehe. im neubegründeten Jrcundichastsbundc oder in einem anderen Lebensverhältniß. das Brensch zu Mcnich in engeren Verkehr bringt, fem zu halten. Höflichleit, geiellige Form, freundliche Rücksichtsnahme und Liebe »um Frieden vermögen es, bei gutem Willen der Betreffenden, auch lange den gefürchteten zurückzuhalten; einmal aber wird doch der Tag kommen, da die streng gehüteten Geister feindlich aneinander gerochen und miteinander kämpfen. Ter erste Streit ist da! Und von ihm, von der Art und Weise, wie er geführt, wie er geschlichtet wurde und wie seine Wirkung auf die Ge- müther war, hängt alsdann die Dauer, die Lebensfähigkeit eines Herzens- verhältnisses ab Ter erste Streit ist der Prüsstein der Charaktere nicht nur. sondern auch der Liebe und Achtung, ohne welche nie ein solches Bündniß bestehen ,ann - - - - Gemüther erregen. Verzeihung erbittet oder selbst verzeiht!" Nun, so laßt uns nach dieser Schön heit streben, dann wird der erste Streit nur fester die Herzen verbinden, statt sie dauernd zu entzweien. Ja. doppelt so innig schmiegen sich zwei Herzen aneinader, dre sich nach einem ersten Streit von Neuem gefunden haben, und um so eifriger sind sie bemüht, den zweiten fern zu halten. Drum: „Nicht glaube, daß der erste Streit Die Herzen trennt und sie entzweit! Er lichtet nur. wo cS nicht klar, Und ist die Liebe echt und wahr. So wird durch die Dcriöhnungssmndm Nur fester Herz an Herz gebunden!" 23. Marth en (Ä. v. DienraZ.) Tagebücher. Weißt Du. verehrte Leieriu, was ein Tagebuch ist? „Aber sa." nickst Tu lächelnd und Du denkst dabei wohl sinnend an >ene glück selige Zeit zurück, wo Du selbst, ein rosiger Backfisch, im Besitze eines solchen Buches warst und den goldqeränderten Blättern desselben mit pochendem Herzen und glühende» Wangen Deine stimmtlichen Geheimnisse anvertrautesl. An rothseldener Schnur wurde der kleine Schlüssel zu dem Hciligthum um den Hals getragen, damit nicht etwa ein Unberufener den Inhalt des Buches durch profane Blicke entweihte. Ich weiß nicht genau, ob man ie versucht hat. zu ergründen, wann und wo das allererste Tagebuch austauchte. Jeden falls ist die Idee nicht mehr die neueste, und lange vor unserer Zeit hat cs . ,,, „ Menschen gegeben, welche das Bedüisniß in sich fühlten. Wichtiges und Uu- Erst nach dem ersten Streit, mag er früher oder später die wichtiges. Interessantes und Uninteressantes auS ihrem Leben niederzuschrciben, kann man mit Sicherheit am die Wahrheit und Echtheit ^ damit es der Nachwelt unverloren bleibe. Wie diese Bücher ausgeiehen haben, der Gefühle schließen. Der erste Streit ist der Btih. der urplötzlich und un- kann ich leider nicht verrathen. denn mir ist noch keines derselben zu Gesicht geahnt die innersten Tiefen des menschlichen Wesens beleuchtet und offenbart.! gekommen. Wahrscheinlich aber waren sie nicht in rolben Sammet gebunden und wenn der Blick, den er uns gestattet, auch nur kur; war. der Eindruck ist ^ oder in feines Jnchlenleber, ebensowenig werden sie die elegante Goldprcssung nachhaltig, so daß er bei jeder Erinnerung neu auslebt. Wohl hat das Ge- S der heutigen aufgewicien haben. Das Aeußeie ist ja wohl auch Siebensache, Witter eine wohllhätige. reinigende, klärende Macht. Die dumpfe Schwülei inst wie beim Menschen, aut das Innere kommt es an. Was ist ein schöner verwandelt sich in ersriichende Atmosphäre, aus der. »eubelcbt, sich das Er-! Leib, wenn ihm die Seele fehlt? Manches wundervoll auSiehendc, Tagebuch mattete ausrichtct. und dennoch sülchtet man es. denn es kann auch zerschmettern und zerstören. So bringt auch Streit die gewillcrichwüie Stimmung die angeiammelte Elektrizität von mißbilligenden, unharmonischen Gedanken plötz lich zum Ausbruch und beleuchtet sie iu grellem Licht! Es können Wochen, Monate vorübergehen. in denen es nur wetterleuchtet und die Mißstimmungen wie drohende Wollen am Himmel vorüberziehcu, besonders wenn ein tägliches ist nur mit hohlen Phrasen ungefüllt, mit leerem Geschwätz. Die Tagevncher der Neuzeit kenne ich schon besser. Aus das gewöhnliche, des Schreibers geistige Eigenart verrathende will ich »ich! näher eingehen. denn es dürste wobt nllgemein bekannt sein. Wer besäße nicht ein solches oder hat es doch einmal in seinem Leben beiessen?! Ehe ich aber zu dem modernsten übergebe, mochte ich zuvor noch ein ebenso originelles, wie poesicvoücs Tagebuch oder krachenden Widerhall! Die eigentliche Natur im Brensche» verlangt über kurz oder lang doch nach ihrem Rechte zum Ausdruck zu gelange». Die Stunde ist gekommen, in der sich'S nach dem ersten Streite enttcheidet, ob die Geister zueinander paffen oder sich fliehen müssen Wohl ihnen, wenn sie in letzterem Falle frei genug sind, sich zu trennen: doch wehe, wenn die einstigen Herzensbande zu Ketten werden, an denen sie schwer durch's Leben zu tragen haben, ohne sich davon befreien zu dürfen. Wie oft hing von dem ' Rück ' ersten Streite in der Ehe das ganze Güick der Zukunft ab Ungezügelte! verlebte, ein Bündel graues Moos von dem lauschige» Plätzchen zivöchen dem Heftigkeit, die harte Worte, ziel- und wahllos, wie zündende Strahlen nieder-! Knieholz aus dem Berge. Wie weil komue man doch von dort in's Land fallen ließ, das edelste Fühlen verletzend und achtlos zerstörend; hartnäckiger! hinein sehen! Die nächsten Blätter bergen Andenken an frohe Winlerlage. Trotz und Wrverspruch, übertriebene Empfindlichkeit, die Tage und Wochen! Ern paar Veilchen, wohl von lieber Hand geschenkt, eine Granatbiüthe, bei Gedanken kommen würde, möchte ich doch bezweifeln Da sind schön gepreßte Farcen sauber aus das weiße Papier geheftet. Fairen, im kühlen Waldesgmud gepflückt. In zierlichen Buchstaben sieht der Ort nebst dem Datum in der Ecke Dann kommen rosige Erikablistheu, gepflückt im Sonrieiiglaiiz auf dufl- flimmernder Heide, ein Epheublatt vom dunllen Gerank an der alle» Burg mauer droben auf dem schroffen Felsen. Da ist eine seltene, schimmernde Blütbe. die Erinnerung an icnes liebliche Thal, wo man die Sommerwochen ebre. ' „achzutiagen versteht, wie gefahrdrohend ist dies Alles lenen Gefühlen, die zwei Menschen für ein ganzes Leben verbinden sollen Wede. wenn es wie fernes Donnergrollen im Herzen nachtönt nach solchem ersten Streite, wenn nicht die Sonne der Versöhnung wieder sieundlich durch die Wolken des Uu- muths dringt; wenn ein gewlttcrschwerer Wvlkcuhinrmel hängen bleibt über solchem Herzensdündniß, o daß bei jeder Gelegenheit neue grelle Blitze durch die bedrückende Schwüle riederzucken! Kann da wohl ei» Herz mifathmen in Glück und Wonne, wie die Natur nach einem Gewitter, das. ohne Schade» anzurichten, vorüberzog. dieselbe erfrischend und die Lust reinigend? Und doch, ohne Kamps kein Friede! Steter Sonnenschein wirkt ermattend, und da weder in der Natur, noch im Menschenleben Kampf und Streik vermieden werden können, so laßt sie uns geduldig Hinnehinen in der Hoffnung, daß sie znm Segen gereichen und stets auch wirtlich zum Frieden führen mögen. Lagt uns darum auch muthig dem ersten Streit emgcgeuiche», in welchem Lebens- Verhältnisse es auch sei! Ein Jeder sorge jedoch dafür, daß der Sonnen schein des Friedens nach dem Aufruhr der Gefühle das Leben bald wieder freundlich und klar gestalte. Jeder aber trage auch Sorge, daß der erste Screit zum Segen für Herz und Gemüth werde. Der erste Streit macht uns bekannt mit den wunden, empfindsamen Stellen unseres eigenen, wie des Gegners Wesen: er lehrt uns die Achillesferse kennen, die jeder Sterbliche mit sich durch's Leben trägt, und dieselbe Schonung, die wir für die unierige erwarten, laßt auch der des Nächsten zu Theil werden. Je mehr wir aus in dieser Rücksichtnahme üben, desto mehr werden wir Her: über unier eigenes schwaches Ich werden, das so leicht ans einem kleine» Streik einen großen werden läßt Vor Allem aber laßt uns der Mahnung gedenken, jeden Mißklnng, noch ehe die Sonne nnlergegangen, wieder in Harmonie zu verwandeln, auf daß die Saiten der Seele nicht verstimmt werden oder gar eine springt. Jeder rühre Herz und Hand, die Wolken bei Seite zn schieben, die den Lebenslstninie! zu oerdmckeln drohen, und schon nach dem ersten Streite gehe Jeder in sich, selbst wenn er sich im Rechte glaubt, und frage sich, ob er auch nicht im Eifer, onrch böses Wort Wunden geichlagen bat, die schwer besten, und bemühe i sich, Balsam darauf zu träufeln. Wer aber im Unrecht war. schäme sich nicht des Eingeständnisses, denn ie eher die Hand sich, Verzeihung erbittend, aus- Isteckt, desto eher giebt ihm der neu geschlossene Frieden auch Freude und deren Anblick die Besitzerin erglühend an jene» einzig-schönen Ballabend denkt, und dann einige Maiblumen aus dem Strauß, den der Geliebte ihr am Ver- lobungstaye geiandt Ob das nächste Blatt für die Mnrthe bestimmt ist? Das andere Tagebuch ist ei» mächtig dickes Postkarren-Album. Fast möchte ich glauben, daß ein zweites von so repspetlnblem Umfang nicht existirt. Ter Aiisichtskarlemammc'iport hat mitunter sonderbare Früchie gezeitigt, doch die Idee, ein Tagebuch zu „sammeln", finde ich gar nicht so übe! Freilich dürste sich nicht senes so interessant gestalte!!, wie das vor mir liegende, welches das Eigenthuin eines modernen Wanderers ist. Viel des Schönen gievt es darin zu sehen, und man empfindet beim Turchblättcrii tief die Wahrheit des alten Liedes: „Wem Gott will rechte Gunst erweise», den schickt er in die weite Wett!" Von allen Orten, die ani Neuen berührt wurden, von allen Sehens würdigkeiten, die das Auge emzücklen. brachte der Betreffende Karten mit, ans welchen er in kurzen Umrißen alles Wissenswerthe niedcrschrieb. Wie schön, wenn sich Wort und Bild vereinigen, um all' die Erinnerungen fesizn- ha teil! Das Pendant zn diesem Tagebuch sah ich bei einer inngen Radlerin, welche jede der Pvsttarten mit einer» lustigen, treffenden Vers ausgesüllt hatte. Aus der ersten Seite, oberhalb des flotte» NameirszugeS, war zn lesen: „Wie auch die Züge geh'n, mir ist's egal, .Nomm' mit dem Nadel doch fort allemal! — Bin ein gar frisches Blur, dem's nimmer fehlt. Hab' ich mein Radel nur und kleines Geld! Ella Lin du er. ä t h s e l - L cke. Zwar läßt dort die Dorsiimsik Ihre Weisen laut erschallen, Und doch kann das Wort, getrennt, Selten nur herüherhalleu: Wenn doch — schade ist's fürwahr'. — Die verschicd'nc» Instrumente Sie in das vereinte Wort Miteinander bringen könnte! em Glück zurück. Jean Paul lagt: „Nie ist der Brensch Be als wen» er, Palindrom. Ein Thierchcn, überall bekannt, kann winden sich und drehen. Und hat es ganz sich umgedrebt. siebt man's als Stadt ersteben. »in» »i, HMNchnHg, «!.«>, «H» Gegründet 1856 ^ Ho. L2O. Dienstag, den 10. Oktober. 18NS. Ein Gottesmann. Roman von Marie Bernhard. (Nachdruck verboten.) (^ortte-un-.) In der Kirche begann die Orgel ihr Vorspiel, — ein Zeichcu, daß der Geistliche von der anderen Seite her in die Sakristei getreten war. — eilfertig strömte Alles in s Gotteshaus und nahm die gewohnten Plätze ein. Prediger Dcinhardt war im Ganzen beliebt bei seiner Gemeinde, doch mischte sich in dio e Beliebtheit und in die Anerkennung seiner Verdienste eine leite Geringschätzung. Er war „gut", jawohl, das war der Herr Pfarrer. — aber doch mich sehr „schwach": es war so leicht, ihm beizukommen, er glaubte und vertrante immer wieder auf's Scene so oft er sich auch schon vom Undank und von der Heuchelei der Menschen überzeugt hatte. Die Leute mißverstanden eben die Motive, die ihn leiteten: von den inneren Kämvfeii. die dieie un ermüdliche Güte und Nachsicht begleiteten, von dem Schmerz, mit dem solch' traurige Erfahrungen ihn stets erfüllten, von den heißen Gebeten, die er »u Gott emporiaudte »nd sich neue Kraft erbat für das immer wiederkelirende Verzeihen und Vergessen . . . von alledem ahnten sie ja nichts. Sie sahen die Thatsache, iahen, daß ihr Seelsorger seine Hilfe oft an Unwürdige ver schwendete, und das nahm die Leute gegen ihn ein und ließ ihnen das als einen Mange! an Energie und Einsicht erscheinen, was doch nur die Folge eines sich stetig erneuernden starken und doch demüthigen Gottesglanbens war. Daß es schlechte und verderbte Menschen gab, mußte der Pfarrer zugcbeii, — denen aber gehörte »ur sein tiefstes Mitleid, er hielt sie in ihrem Inneren für so grenzenlos unglücklich und beklagenswerth. daß nie ein Wort des Zornes oder der Anklage über seine Lipven kam. Wachte ienrals ein solches Gefühl in seinein Herzen auf so rang er es ui inbrünstigem Gebet nieder. Vergeben. — siebenmal siebenzigw.al. wenn es sein mußte. — und im gier wieder auf das Gute im Menjchenber; hoffen, — jeden armen Sünder für einen verirrten Bruder airichen und Silles daran setzen, ihn zu bekehren . das war das Evangelium dieses wahrhaft christlich gesinnten Mannes. — aber Derer, die ihn, so wie er war, verstanden und würdigten, waren beschämend wenige. Seine heutige Aniprache war nur kurz, aber, wie stets bei ihm. war sie getragen von einer eigenen inneren Freudigkeit, welche für Diejenigen, die Dcinhardt zum ersten Mal höucn. etwas Fortreißendes, für Viele freilich auch etwas Befremdliches halte. Jedesmal, wenn er Kanzel oder Altar betrat, war es sein immer erneuter Wunsch, Gott eine Seele zn gewinnen. — sei eS die eines ihm Unbekannte», sei es die eines Solche», an die er vielleicht osl schon vergebens gepocht hatte, für die ihm heute aber das rechte Wert, die rechte Kraft gegeben sein konnte. In all' den Jahren seiner Amtsrhätigteit halte dicier Wunsch nichts von seiner Kraft und Größe verloren, und es war sein tägliches Gebet, Gott wolle ihn nicht müde werden taffen in diesem Ringen, das ihm den herrlichsten, unvergänglichsten Preis zu bieten schien, wenn es einmal nur i» Jahren von Erfolg gekrönt sein sollte. Am Aller reihte es sich Kopf an Kopf, — flachshell, blond, rothhaarig, — selten nur schwarz oder braun. Tie Kinder waren alle sauber, wenn auch manche sehr ärmlich, gekleidet, die Haare schlicht gescheitelt, viel mit Wasser glatt gemacht. Unruhig sahen die Augen ans den fremden Herrn, den Superintendenten, der die Kinder heule prüfen sollte. — viele von ihnen tuchlen in der gedrängt vollen Kirche nach ihren Angehörigen und nickren sturen verstohlen zu. Auf die Worte ihres Pfarrers hörten nur sehr Wenige, — an seinen warmen und inbrünstigen Ton waren sie gewöhnt, sie wären sehr erstaunt gewesen, zu hören: datz das etwas Besonderes sei, — io sprach ia der Plärrer doch immer. „Ich kann das viclgerühinte Ptarrtöchterlein gar nicht sehen!" flüsterte Sylvester seinem Vetter Friedheim in's Ohr. „Immer schielst sich das kurz- geschvrene Haupt dieser alternden Jungfrau davor, — höllisch marlantes Ge sicht ! Gewiß „Fraucnfragc" in reinstem Extrakt, — ich danke!" „Das ist die Schwester des Pfarrers!" flüsterte Friedhelm zurück, während die Orgel von Neuem einietzle. „Was kauf' ich mir für die Schwester! Die Tochter will ich zu sehen kriegen! Siehst Du sie denn?" „Ja!" „Na — und? Wie ist sic denn? Hübsch?" „O> ja!" „Wollen 'mal mit Onkel Franz tauschen, vielleicht glückt's da besser! Du, — Onkel Kemieweg! Stell' Dich 'mal hier neben Friedbelm!" „Warum denn, mein Jüirgschen ?" brummte der Inspektor in seinem vor sichtig gedämpften Baß. „Weil Du doch neben ibm lieber stehst, wie neben mir — die reine Rück sicht auf Dich meinerseits. So! Dante!" Svwestc: bog seinen hübschen Kopf ungeduldig nach rechts und links. Er sah Frau Johanna Teinhardl, sah wieder ihre Schwägerin, — rechts neben ihr einen klugen Jünglingstopf . . . nun endlich tauchte sür einen Moment ein zartes rundes Gestchichen auf unter einem weißen Hut mit Maiglöckchen. - und ein Paar Augen ftanden rn diesen: Gesichkchen, so fcappireiid in ihrem Ernst, in ihrer weltentrückten Andacht, daß wohl Wenige, die cs so sahen, wenn auch noch so kurze Zeit, es wieder vergaßen. Und Hauptmann von Winterfeldt zählte nicht unter diese Wenigen. „Na. Adieu, Cousine Hede I" dachte er halb mitleidig und halb humoristisch. „Thut mir leid, aber ich muß Dir den Laufpaß geben. Neben dem Gesicht kommst Du nicht aus!" Während des nun folgenden Examens, das Pastor Deinhardt's Gemeinde» kinder übrigens im Ganzen gut bestanden, kam bald eine gewisse Abspannung über die Zuhörenden Zu Anfang hatte man mit einiger Aufmerksamkeit den Antworte» der Kinder gelauscht, hatte hier und da eine unfreiwillig zu Tage tretende Komik belächelt. — aber das Interesse dafür erlahmte sehr rolch, und nian sah sich wieder auf das gegenseitige Beobachten und Krttisiren angewiesen. Mieze Deinhardt nahm das allgemeine Interesse in Anspruch, die Wenigsten hatten sie wiedererkannl, sie wurde sehr hübsch gesunde», auch ihre einfache und dabei so kleidsame Toilette fand Beifall. Daß das iungc Mädchen sich so wenig in der Kirche umiah und diesen Ausdruck ernsten Nachdenkens und tiefer Ergriffenheit in den Augen iah man wieder einmal, was die atte. imvonirte den Leuten beinahe, da , ftzrehung wirkte! Die echte PrediaerS- tochter. wie sie im Buch stand l Denn nach Gefallsucht sah dies junge Wesen wirklich nicht aus! Tante Chailottes Charakterkopf wurde gleichfalls aufmerksam betrachtet, doch waren die Meinungen über sie sehr gethcilt. Dem Einen gefiel das kur» abgeschiiittene Haar nicht, — „das trägt man doch nicht mehr in den Jahren, ich bitte Sie!" — der Zweite tadelte ihren Gesichlsausdruck. der Dritte fand es unpassend, daß sie einen Zwicker trug, der Vierte fragte, wer fie wäre. „Pfarrer Deinhardt's Schwester, das heißt, eigentlich gar nicht verwandt mit ihm: sein Vater, der Wittwer war, heirathetc eine Wittwe, die chm^rri« Tochter mit in die Ebe brachte!" — „Darum auch! Es ist ja keine Svur einer Aehnlichkeil zwischen dem Pfarrer und ihr zu entdecken!" — „Sie sieht so cmanzivirt aus I" — „Ist sie auch! Sie hat die halbe Erdkugel bereist, soll Studien betreiben wie ein Mann und haarsträubend ungenirl sein!" — „Na. hören Sie. ich danke! Solche Frauenzimmer find mir ein Greuel und wenn sie noch so klug sind! Hat sie denn Geld?" — „O ja, eigentlich viel sogar, ein hübsches, eigenes Vermögen und von ihren brillanten Stellen in fürstlichen Hausern her sehr gute Ersparnisse!" — „Daun wundere ich mich nicht, daß reibst so gottesfürchnge. unpraktische Leute, wie Deinhardt's, sich diese Erbtante warm halten!" « Solche und ähnliche Bemerkungen gingen flüsternd, hinter vorgehaltene» Tüchern, in kürzeren oder längeren Pauicn von Mund zu Mund. Allgemach begann es in der Kirche sehr heiß zn werden. Durch die bunten Glasfeiuier. ein Geschenk der Starke-iauer Hcrricbaften, strömre das goldene Sonnenlicht in breiten Bahnen hinein: die Anwesenheit so vieler, eng zmammcngcdrängter Personen begann sich fühlbar zu machen. Hede von Küster zühlte zu ihrem unaussprechlichen Aerger. wie ihr das Blitt nach dem Kopf zu »eigen begann. Sie wurde dann gleich rothfleckig im Gesicht, das wußte lie. Tie Mama batte bereits ihre entsetzliche Knpferfarbe. — o Gott, o Gott — mußte sie dies Schreckgespenst auch noch beständig vor Augen Kaden!! Und drüben dies Mädchen ,m „Pastorensitz". wie man das hier nannte, war auch nicht um einen Hauch rother geworden wie zuvor. Hede fiel Herrn von Schölling s enthusiastische Schilderung der „frischen, zarten Bläffe, — des Kirschblülheuteints". ein. Es war auch ichließlich nicht nölhig, so viel Auf hebens davon zn machen, wenn ein Mädchen blaß war! „Findest Tu denn nun dieie Mieze auch so reizend und ihre Hautfarb« so schön?" raunte sie Christine in's Ohr. „Ja!" cntgcgiiete diese kopfnickend. „Sehr!" Hede tupsie vorsichtig mit ihrem Battisttüchelchen auf ihre Wangen. „Sch' ich schon sehr erhitzt aus?" flüsterte sie nach einem Weilchen. „Ja, — ziemlich!" sagte Christine zögernd. „Es ist ja auch sehr wann!' setzte sie gleichsam begütigend hinzu. „Warm ? Eine wahnsinnige Hitze ist es! Znm Rasendwerden! Ich sind' es geradezu empörend, bei der Temperatur die Menschen hier lebendig zu braten, blos damit das dumme Examen weitcrgcht und den armen Würmern der letzte Gedanke ausgeschmolzen wird. Heraus kann mau natürlich nicht aus dem Schwitzkasten —" „Hede! Sticht so laut, ich bitte Dich! Die Menschen sehen sich schon alle nach Dir um!" „Ach was! Laß sie meinctweaen! Diese verrückte Kirchenvrsitationl Daß wir auch hierher gehen mußte,: „Tu hast es doch selbst gewollt!" „Könnt' ich etwa wissen, daß es hier solch' 'ne höllische Gluth sein würde? Wenn ich blos Sylvester ein Zeichen gellen^ könute, — der ist so findig, vielleicht kann der mich unbemerkt durch emcn Seilen-Eingang hinausschlüpfen lassen!" Es war verlorene Liebesmühe, die Aufmerksamkeit des Vetters festest: zu wollen. Er stand, anscheinend ganz bei der Sache, in strammer Haltung, seinen Helm und Säbel mit beiden Händen vor sich ballend, an einem Pfeiler und leiire Augen nahmen fortgesetzt dieselbe Richtung. Hede gewahrte daS und drückte ihr Taschentuch in der Hand zu einen: winzigen Knäuel zusammen. Sie fing an. diese Mieze Deinhardt unausstehlich zu stnden. Hatb im Aerger begann fie, Johannes zu sludircn, Christine Halle ia gemeint, er sähe gm aus. Und. wahrhaftig, daS that er auch! Wo hatte sie denn neulich, als sie ihm im Waide begegnet war. ihre Augen gehabt ? Freilich war sie seiner nur sehr slücblig nnücvtig geworden, fttzt batte sie mehr Muße. „Ein charakteristisches.
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