Zorn wirklichen Gemessen eines Kunstwerkes gelangt man nur durch Vertiefung in seine Einzelheiten. In der Musik ist es wie in der Natur: Jo mehr man das Kleine beachtet, desto mehr lernt man das Ganze bewundern. Die Musik ist die Sprache der Seele, sie sprechen und ver stehen liegt aber weit auseinander. Willst du sie sprechen lernen, willst du musikalische Gefühle ausdrücken, so muss die Technik völlig überwunden sein, so dass sie zur willenlosen Dienerin deines musikalischen Empfindens wird. Darum kann man nur durch höchste Beherrschung des Mechanismus zum höchsten idealen Ziele gelangen: seine eigenen Empfindungen sprechen zu lassen. Das ist das Schwerste und nur Berufene erreichen es. Aber doch werden die Mühen des redlich Strebenden schon weit eher belohnt. Er lernt die Empfindungen anderer verstehen und die Grösse, die Erhabenheit der Kunst allmählich begreifen und bewundern. Er lernt sich erquicken an den Kunstschöpfungen der grossen Meister, und das ist ein herrlicher Lohn. Denn das Verständnis läutert und erhebt den Wert des ganzen inneren Menschen. Es gibt Laien mit rein musikalischer Begabung, welche die Musik mit einer gewissen Naivetät geniessen. Die Natur hat ihnen das Verständnis dafür mit auf den Lebensweg gegeben als Quelle reiner und ungetrübter Freuden. Sie geniessen die Musik, wie das Kind sein junges Leben geniesst, dem noch das Bewusstsein der Tiefen und Untiefen mangelt, welches, harmlos im Sonnenscheine spielend, über ein bescheidenes Blümchen in Entzücken gerät und an der Grenze seines Fassungsvermögens einfach bekennt: »das verstehe ich nicht!« In ähnlicher Weise, wie sich das Kind innerhalb dieser Grenzen glücklich fühlt, zeigen auch viele begabte Laien wenig Verlangen, das begreifen und nachfühlen zu lernen, was ihnen nicht ohne ihr Zutun die Natur zuführt. Auch sie fühlen sich innerhalb ihrer musikalischen Aufnahmegrenzen glücklich. Oft sogar behüten sie mit einer gewissen Aengstlichkeit die Sphäre ihres musikalischen Begreifens und wehren sich gegen Neues eifriger als die doktrinären Künstler, gleichsam als ob sie fürchteten, durch Annäherung an neue, fremde Formen die Kreise ihrer Schönheitscinpfindung zu stören.