Was soll der Musiker von der Akustik wissen? Von Dr. Ernst Schnorr von Carolsfeld. Zwischen den Zahlen und der Musik bestehen von alters her gewisse Beziehungen, die auf der einen Seite dem Musik theoretiker ein geläufiges Beweismaterial und die Grundlage für den Aufbau von Tonsystemen bilden, auf der anderen Seite dem ausübenden Musiker etwas mehr oder weniger Unwesent liches bedeuten, dem er vielleicht gar mißtrauisch gegenüber steht, da er sein Ohr als alleinigen Richter über „Konsonanz und Dissonanz“ gelten läßt. Dem Musiker von heute erscheint es fast unverständlich, daß die Theorie das musikalische Kunst schaffen ganzer Zeitalter derart beherrschen konnte, daß die Terz verhältnismäßig lange unter die Dissonanzen gezählt wurde und man sich in Quinten- und Quartenparallelen gefiel. Der Musiker von heute hört und denkt alle Musik im Sinne der Dreiklangskonsonanz; auf Grund dieser physiologischen und psychologischen Tatsache baut er seine „Harmonielehren“ auf, unter denen wiederum die Lehre von den tonalen Funktionen als die umfassendste, einfachste und logischste anzusehen ist. Dabei spielen nirgends Zahlen eine erklärende oder beweisende Rolle; wohl aus dem einfachen Grunde, weil, was die konse quente Theorie fordert — wir denken beispielsweise an die „reine“ Intonation beim Übergange in andere Tonarten —, teils durch Kompromisse, teils durch unsere musikalische Fantasie ersetzt wird. Selbstverständlich bleibt für die theoretische Be trachtung der Intervalle verschiedener Systeme, etwa für den Unterschied der „reinen“ und „temperierten“ Intervalle, der Zahlenausdruck das einzige Mittel einer genauen objektiven Darstellung. Inwieweit aber die temperierten Intervalle „un richtiger“ sind als die „reinen“, darüber kann die Mathematik nicht so ohne weiteres entscheiden. Eine temperierte große Terz kann sowohl im Zusammenklang als in der Aufeinanderfolge unter Umständen viel „richtiger“ sein als die „reine“ — man höre einem feinhörigen Sänger oder Violinisten zu. Wir sehen, zwischen Mathematik und Ästhetik ist es schwer, „einen ewigen Bund zu flechten“. Von den Zahlen in der Akustik kann die 1*