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Dresdner Nachrichten : 13.05.1923
- Erscheinungsdatum
- 1923-05-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192305132
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19230513
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19230513
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Nachrichten
- Jahr1923
- Monat1923-05
- Tag1923-05-13
- Monat1923-05
- Jahr1923
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 13.05.1923
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vreräner Nachrichten Hitzen öenr ^?L Zonntag, 1Z. Mai t-2Z Der 7S. Geburkskag. Ein Dialog von Paul Burg. „Großpapa — die Bulpiussen ist da!" -DH — oh, Kind — Verzeihen Sie, meine beste Krau Seheimrättn — daS Kind " „Lassen Sie nur, Herr Hofrat Wieland, Kindermund tut die Wahrheit kund. Ich bin den Weimarisck>en eben doch die ,Liulpiussen" und bleibe es bis ans Lebensende. Sic kennen mich ja auch als solche seit — seit zwanzig — dreisttg Jahren, und weil Sie selber heute fünfundsiebzig Jahre sind, komme ich herzlich gratulieren und bringe einen Happen Kuchen und Braten mit, denn so ein einsamer, alter Manu " „Aber — aber, vcrehrtestc Freundin!" Goethes Christel, in Seide und Samt, rauschte a» den Tisch und stellte ihr Paket ab, das sie aus den Armen herein- getragen hatte. Obenauf stand ein schöner Blumenstock. Bater Wieland trat neben sic an den Tisch und schnüffelte be gierig. „Oh — Sic sind doch immer ein prächtiges Weibchen ge wesen und geblieben, für das der Goethe seinem Gott danken sollte — wenn er einen hätte. Ich sehe Sie noch — damals, als er aus Italien zurück war — im Garten . . . Schade, schade, daß Ihnen blost der August am Lebe» blieb, mein gutes Kind! Darin hat mir mein seliges, gutes Dorettchcn ja auch immer die grösste Freude gemacht. Was bin ich überhaupt für ein glücklicher Mann gewesen! Beste Geheimrätin, wollen Sie glauben — heut morgen im Nett Hab ich's mir ausgerechnet — dast von den 27 Mü Tagen, die ich gesehen habe, immer aus einen trüben oder stürmischen vierzehn heitere und vergnügte gekommen sind. Und das bißchen Aerger hat mich gesund und schlank erhalten. Mit dem Alter wird es immer hübscher, und man wird immer geehrter. Kommen Sie, Christel, und geben Sic dem alten Wieland einen Kuß!" „DaS hätt' ich ohnehin getan, denn ich habe Sie immer liebgehabt, Vater Wieland!" Goethes runde, rotwangige Frau umhalste und küßte de» weißhaarigen, mageren Greis. „Grad so gnt war er, als er Anno 75 das erste Mal in weine Stube trat, Ihr Wvlsgnng. Heut Hab ich wieder in seinem „Kaust" gelesen. Liebes Frauchen — viel, sehr viel Hab ich seither von Ihrem erhabenen Herrn und Gemahl ge halten, aber hätt' ich je ahnen können, daß er in der poetischen Welt das gleiche bedeuten wird, was Napoleon in der politischen! Diese Beiden können alles, was sic wolle», und wollen sic nicht immer das Unglaublichste und Beispielloseste, ivisscn es doch so zu behandeln nnd hcrbeiznführcn, daß es zugleich das Natürlichste scheint?" „Der Gehcimrat brennt daraus, Napoleon kennen z» lernen," verriet die geschmeichelte Frau. „Kommt, kommt alles noch. Wir schmähen von alte» und neuen Zeiten . . . aber was ich ganz vergaß: Wie geht es denn der Krau Aja in Frankfurt, meiner alten Gevatterin, die mich manchmal beschenkt hat?" „Putzmunter ist sic. August hat sie doch besucht — sic schrieb auch neulich." „Das ist eine stolze Mutter. Neulich erzählte man hier, daß der Fürst-Primas von Frankfurt ihrem Sohne zu Ehren ein Festmahl gab und sic selber das Hoch ans ihren großen Wolfgang ansbrachtc. Hat sie sich der Krau von Stadl nicht auch mit den Worten vorgestcllt: „Ich bin Goethes Mutter"!" „Wer sollte nicht stolz sein auf ihn —!" Christel hatte Tränen in den Augen, »nd ihre Stimme zitterte. ,Lind — Kind, Sic doch am meisten, denn Ihnen gehört er — Sie trage» seinen weltberühmten Namen und pflanzten ihn lebendig fort, kleine dicke Billpins. Wenn ich Sie noch jo vor mir sehe damals!" „Jetzt wird man alt und seit. ES ist nicht leicht, dem Geheimrat zu gefallen. Hoffentlich Hab ich es heul recht ge macht, hier " Christel stand energisch aus und bot Bater Wieland die Hand zum Abschied: „Noch alles Schöne heute und immer, lieber Alter!" „Noch einen süßen Kuß von Deinen roten Lippen, Goethe weib!" bat der Künsundsicbzigjühiige schmunzelnd. „Daraus können Sie sich aber was ctnbtlden, denn ich habe außer Ihm und unscrm Jungen »och keinen Menschen geküßt." „Tu ich auch — und Sie sollen eS ihm erzählen." „Wollen sehen!" Sie küßten sich froh. Cr brachte den Gast biö vor die Tür. lüpfte sein schwarzseidcnes Käppchen und verneigte sich tief. „Grüßen Sie! Bor allem Frau Aja — und ich wünsch' der bravurösen Alten im „Güldenen Brunnen" noch viele Jahre!" „Wcrd's herzlich gern ausrichten, Vater Wieland!" Lucie Wlers Keimkehr. Skizze von Paul-Richard Henscl. „Du gehst fort, Lucie?" ,-Ja, zu Frau Major Nettbcrg. Du hast ja doch zu ar beiten, nicht wahr?" „Gewiß." Der Man» am Schreibtisch ließ einen Blick über die vor ihm liegenden Papiere schweifen. „Du hast recht. Ich könnte Dich doch nicht begleiten. Kommst Du spät nach Hause?" „Dn weißt, daß es unhöflich ist, eine Gesellschaft zu früh zu verlassen." „Also dann gute Ulsterhaltung, Lucie." „Danke. Aus Wiedersehen." Die junge Frau in dem braunen Pelzmantel ging aus dem Zimmer. Wozu immer noch die Worte? dachte sie. Es sind immer wieder dieselben, drei-, viermal in der Woche. Sie hatte sich allmählich daran gewöhnt, ihre eigenen Wege zu gehen und die Eintönigkeit der Tage nach eigenem Gut dünken zu unterbreche». Man sah die Frau des berühmten Dozenten überall sehr gern, sragtc wohl auch bisweilen nach ihrem »Kalten, aber hörte immer nur dieselbe Antwort: „Er arbeitet." Daß der junge Harro Lecrs eifrig nnd unverhüllt der jungen Kran den Hvs machte, men kümmerte das? Lucie Ritter machte sich vielleicht die wenigsten Gedanken darum. Sic hatte geheiratet, weil ihr Mann eine ciiiflnß reiche angesehene Stellniia hatte, ihr ein sorgenfreies Leben bieten konnte, und weil cs ihr schmeichelte, daß dieser Mann um sic warb. Ob sic ihn liebte, ob er sie liebte, das schienen ihr so überflüssige Frage», die vielleicht auch schon längst im regelmäßigen Alltag erstickt waren. Aber sic war jung nnd suchte über den Ernst und die Verschlossenheit ihres Mannes hinweg Wege zur Freude, zum Leben in ihrem Sinne. Hans Ritter hinderte sic nicht. Und Harro Lcers wartete auf sie. . . . „Ich bin so froh, gnädige Frau, daß Sie unserem tleinen Kreise erhalte» bleiben," sagte die üppige Frau Rcttbcrg. „Ter Entschluß Ihres Gatten kam wirklich sehr überraschend." „Von welchem Entschluß sprechen Sic!" fragte Lucie ver wundert. „Wovon man heute überall spricht. Sollen wir Ihnen »och mit der Berühmtheit Ihres Gatten schmeicheln?" Die Gastgeberin lächelte vertraulich. „Ich bin über die Tätigkeit meines Mannes wirtlich gar nicht orientiert. Hatten Sic das für so unbedingt nötig?" „Aber ich bitte Sie, Sie scherzen. Cs stand doch sogar i» den Zeitungen." Lucie wandte sich mit einer Ausflucht ab und suchte Harro LccrS, den sic in einem Ncbeiizimincr traf. „Du, was ist das mit HanS? Was schreibe» die Zeitungen?" „Dein Mann hat die Berufung als Leiter an die Hoch schule inD.... bekommen. Und hat abgelehnt. Warum, weiß ich nicht." „Und waS denkst Du?" Der junge Alaun küßte galant ihre Hand. „Ich denke nur, daß cs gut so ist. Sonst tönnren nur nnS wohl in einigen Woche» nicht mehr sehen." Lucie Ritter war recht wortkarg, als Harro Leers sic nach Hanse begleitete. Sie verstand es nicht, daß ihr Mann etwas ablchnte, was er immer als das Ziel seiner Wünsche bezeich net. und daß er zu ihr mit keinem Wvrtc davon gesprochen hatte. Als sie die Tür zn der Wohnung aufschloß, nahm sie mit Verwunderung wahr, dos; im Arbeitszimmer »och Licht brannte. Nach kurzem Zögern trat sie leise ein. Hans Ritter saß immer noch an seinem Schreibtisch nnd hatte wie in tiefem Nachdenken den Kops in die Hand ge stützt. In dem scharfen Licht der Tischlampe sah sein Gesicht alt und durchsaltet aus. Mit müden Auaen drehte er sich nach ihr um. „Dn bist schon da, Lucie?" „Ja. Ich hörte eine sonderbare Geschichte von Dir und wollte Dich danach fragen, da Tu von selbst es mir doch nicht sagst." In gemachter Gleichgültigkeit zoa sie ihre Hand schuhe ab. „Aas ist es mit der Berufung an die Hochschule?" Hans Ritter sah sic lange av. „Macht es Dir nicht Freude, hier zn bleiben?" Die iilnge Frau suchte nach nach einer Erklärung für diese Frage, aber der Mann nahm ihre Hand und sah ihr ruhig in die Augen: „Sieh' mal, — warum sagst Du es mir nicht, daß Tu ihn lieb hast?" ^ ^ Äusgeschrcctt, verwirrt zog sie ihre Haird zurüst. ,,Vv» wem sprichst Du?" Da wandte sich der Mann wieder seiner Arbeit zu und sagte müde: „Ich habe Dich immer lieb gestabt. Und Liebe fordert nicht, sondern opfert. Ich verzichtete auf das Ziel meiner Sehnsucht, weil ich wußte, daß cs Dir schwer sein würde, mi> zukommen. Geh' schlafen. Lucie. Du kannst nicht einmal ehrlich zn mir feinst" Sie hatte noch etwas erwidern wollen, aber dann war sie still in ihr Zimmer gegangen. Aus der ganzen Bahn ihres Denkens geworfen, saiinngs los und verwundert, sann sic über die Wvrle nach, die sie nicht begreifen kvnnte, weil sie aus einer neuen Welt kamen Und langsam, während sie die vergangenen Woche» »nd Monate noch einmal durchdachte. — erst die rastlose Tätig keit des Mannes um die sreigewordene Stelle, dann die Müdigkeit, die plötzlich über seinem ganzen Wesen lag, seine stille Freundlichkeit zu ihr. die doch immer etwas von Trauer in sich trug. — langsam wuchs in ihr die Erkenntnis, daß der Mann sie liebte, und daß er um ibrc Liebe zu einem anderen wußte... und schwieg. Ratlos und freudig zugleich machte sie diese Erkenntnis, »nd sic dachte weiter, an die ersten Tage — an die kommenden nnd plötzlich stand sic wieder in seinem Zinrmer. dicht vor ihm. ,Lch möchte mit Dir sprechen, Hans." Da zog der Mann sic leise zu sich. „Ich weiß, ivas Du mir sagen willst, Lucie. Und ick kann Dir jetzt schon die Antwort geben: Ich will nichts, als daß Dn erkennst, wie ich Dich liebe. Wenn das sein wird, wirst Du auch Deinen Weg wissen. — Nein, sag' nichts mebr.." Und jetzt erst fühlte die junge Fra», baß sic beim gekehrt war. Der zähe Engländer. Bon Peter Robinson, München. Als ich das letzte Mal von Pisa nach Genua fuhr — das ist nun schon zehn Jahre her, aber ich glaube nicht, daß ich noch einmal in jene Gegend kommen werde; warum, das wird man sich wohl denken können —; also: als ich das letzte Mal von Pisa nach Genua fuhr, hatte ich dieses Erlebnis. Bon Pisa bis Spezia läuft die Bahn einige Kilometer vom Meere entfernt, von Spezia bis Genua aber ist sic unmittel bar der Küste entlang geführt, und das wäre nun eine prächtige Fahrt, wenn keine Tunnels da wären. ES sind aber welche da, oder vielmehr entsetzlich viele, etwa 85 Stüst, und dabei dauert die Fahrt nur zwei Stunden, so daß cs eigentlich viel ehrlicher von den Ingenieuren gewesen wäre, wenn sic die Bahn ganz »nd gar als Untergrundbahn angelegt hätten. So aber wird man unaufhörlich genarrt. Ach, wie schön! Da brandet das ivaschblniic Meer gegen die gewaltigen Blöcke dcS Ufers. Tn steht noch ein alter Sarazenentnrm, trotzig die nagenden Fluten verachtend. Und dort —aber, da wird cs dunkel, nnd das schöne Bild ist verschwunden, als wen» im Kino der Film von der Spule gesprungen ist. Und dann wird es wieder hell und gleich wieder dunkel und immer so fort. Leute, die poetische Vergleiche lieben, können sagen, so eine Fahrt wäre wie das menschliche Leben, in dem tmch das Dunkel mit kurzen Lichtblicken gemischt ist. Natürlich muß man die Fenster geschlossen halten,' in den engen Tunneln ballt sich der Ranch der Lokomotive zu scheußlichen Klumpen, und wehe, wenn so ein Haufen Rauch und Gestank hinei-i- dringt und gierig alle Lungen, die er trifft, anöznfttllen sucht. Es war Ende Mai und ein höüeuhast heißer Tag, und darum stieg ich in Spezia aus dem Zuge und trank zur Vor bereitung ans die kommenden Tunnelgnalen einen ganzen Siphon leer. Als ich wieder in mein bis dahin leeres Abteil kam, hatte sich ein Reisegefährte eingcfunden, von dem a»- zunehmcn war, daß er sich eine Ilalienreise bei Cook and Sons hatte znsammcnstcllen lassen. Es war ein junger Mann, höchstens Mitte der Zwanziger: reichlicher, aber durch Fußball und Boxübungcn in gedeihliche Bahnen geleiteter Becftteak- konsum war ihm anzumerken. Er hatte ein ganz freundliches Gesicht, sah aber doch mit dem gewöhnlichen Ausdruck angel sächsischer Entschlossenheit in die Weit. Engländer sehen fast immer entschlossen ans, auch wenn cs gar nicht nötig ist. Er wähnt muß werden, daß er in einen weißen, leicht in ein schwaches Gelb schimmernden Anzug gekleidet war und einen Panama trug von köstlicher Zartheit. Ein geradezu jungfräu licher Panama war das: wahrscheinlich hatte er ihn eben erst erstanden. ^ -8- 8 L- Schön ist der Frühling. Schön ist der Frühling, wenn der Himmel glänzt Blansrlden über den Tristen, Schön, wenn die ewig« Sonn« strahlt <Hn Flammen und goldenen Schriften. Schön ist der Frühling, wen» «in Blühen bricht Berauschend au» allen „Zweigen, Schön, wenn die blühend» Welt erklingt 2m Lander von göttlichen Geigen. Schön ist der Frühling, wenn die Liebe führt Lnbelud in glücklichem Jkachen. Aber der seligste Frühling ist doch 2» Lenz et» T^inderlacheu! LLlaZ Leiblg, Bautzen. Ein gran-lrses Sllick Welk. Was vom höchste« Rcrgc der Erde aus zn sehe« ist. AIS eine Landschaft, die an grandiosen Formen, kühner Skulptur und wilder Schönheit alles übcrtrisft, was die übrige Erde zu bieten vermag, schildert Sven Hedin in seinem neuen Buche „Mount Everest", das weite Ge biet der Erde, das sich dem Eroberer dieses höchsten Berg riesen bet klarem Wetter und durchsichtiger Luft, genügende Schärfe seiner Augen vorausgesetzt, bieten würde. Er würde hier auf dem höchsten Punkte der Erdkruste stehen, auf der Grenze des unendlichen Raumes, und trotz der Kugclform des Planeten würde er mit seinem Blick dir ganze südliche Hälfte von Hochtibct umfassen, und im Süden würde in der Ferne daS blaugrüne Meer schimmern. Eine Reihe schnee- gekrönter Gipfel, von denen keiner niedriger ist als 77A> rn, würde unter ihm liegen. Vom nördlichen Horizont bis zum Fuße des Transhimalaja würde das mittlere Tibet den Ein druck eines ebenen Landes machen, aus dessen flachen Bcckcn- füllungen jedoch unzählige Gebirgsketten emporragen, bald langgestreckt, bald unterbrochen, in allen Farben schillernd, «ackt. unfruchtbar und öde; nur in geschützten Tälern sieht man GraSwuchS, niemals einen Busch, noch weniger einen Baum. Gipfel mit ebenen Schnee- und kurzen Gletscher zungen erheben ihre weißen Kuppeln an den Ufer» türkis blauer Seen. Der Beobachter auf dem Mount Everest er hielte elnen Eindruck, als ob er sich auf einer Schäre mitten s» sttnem aufgeregten Meer befände, in dem die Wogen parallel zueinander laufen, ungefähr gleiche Höhe haben und sich nur selten in Sturzseen mit schaumgckiönten Kämmen verwandeln. In kreideweißen Perlenschnnrcn und unregel mäßigen Flecken würden die Schneefcldcr sich aift den Kämmen des Himalaja abzeichnen, und der Beobachter würde sehen, wie die grün und weiß schimmernden Gebirgsbäche non den Fronten mächtiger Gletscher ihren Ursprung nehmen. Hätte er ein ebenso feines Gehör wie einen scharfen Blick, so würde er ihr dumpfes Brauses hören, wenn sie sich in schäumenden Ltnrzbächcn »nd pochenden Wasserfällen einen Weg bahnen durch wilde, enge, steile, stets unveschreiblich romantische O.uertälcr zwischen bewaldeten Felsen. Um ßck nach und nach miteinander zu Flüssen zn vereinigen, die sich dank der üppigen Vegetation, die sic aus dem Boden hervor- zaubern, als grüne Schlangenbänder in dem gclbgraucn Flachland nördlich des heiligen Ganges abzcickncn. Könnte der Beobachter ein ganzes Jahr lang seinen Posten aus dem Mount Everest festhaltcn, so würde er einen Szenenwechsel im Laufe der Jahreszeiten erleben, von dessen Großartigkeit man sich nur einen schwachen Begriff machen kann. Im Spätherbst und Winter wird er sehen, wie die weißen Flecke auf den Kämmen der Gebirge wachsen und in den höheren Regionen auch die Täler und ihre Hänge erobern. DaS Brausen der Flüsse nimmt an Stärke ab, da sich die Wasier- mcngc vermindert hat und die unzähligen Ouellslüssc zu Eis erstarrt sind. Im Innern Tibets werden sich weiße Flecke da und dort für kürzere oder längere Zeit ansbreitcn, wie Totenblässe über das Angesicht eines Sterbenden zieht: die Niederschläge sind so gering und die Trockenheit der Lnst so groß, daß sich eine dauerhafte Schneedecke hier nicht halten kann. Im Frühjahr und Sommer siegt wieder die Sonne, schrumpfen die weißen Flecke, spielen Täler und Bcrghänge ins Grünliche, wenn das neue Gras hcrvorgcsprvssen ist, nnd die Berge Hallen wider von dem dröhnenden Sang der Flüsse. Klare Tage sind im Winter wie im Sommer selten, der Himalaia liegt oft in ganze Meere von Wolken eingebettet. Mitte Juli beginnt der Monsun seinen Zug u»d fegt seine unerschöpflichen Massen Wasserdampf vom Indischen Ozean vorwärts, die sich zn Wolken verdichte» und auf ibrcr Flucht die Berge hinauf in oft mochenlangem Regen Niederschlagen. Die Hauptmasse dieser dichten Regenwolken kommt ivahr- schcinlich niemals bis zur Höhe des Mount-Encrest-GipfclS hinauf. Die Krone des Berges erhebt sich wie ein un erschütterlicher Felsen über ein endloses Feld wandernder kuppelförmlgcr Hügel, wie eine Klippe in einem Meer von flachen, sonncnbeschiencnen Dünungen, die von dem Monsun nach dem öden Tibet hineingejagt werden und dort immer dünner und lichter werden, um sich schließlich wie vom Wind zerrissene Fahnen nach Nordosten -u wenden. Auch die anderen hohen Gipfel erheben sich über das Wolkenmcer des Monsun und bilden Fclscninseln und Schären in seinem Schoße. Die kühnste Phantasie wird sich die Eindrücke einer Juninacht dort oben im Bollmondschcin nicht genügend vor stellen können, wenn diese Bcrgricsen ihre rabenschwarzen Schatten über die mondbeschienenen Wolkcnwüsten werfen, die in ihren Hellen nnd dunkle» Teilen scharf hcrvortrctcn. Ter Beobachter würde das Opfer der optischen Täuschung werden, daß das Wolkenmcer unbeweglich siebt, während sein eigener Berggipfel gleich den anderen in schwindelnder Fahrt nach Südwestcn saust. Immer neue Bilder folgen auf einander. Wenn die Sonne hinter dem Kantschintschanga aufgcht, leuchten Gipfel und Wolkenfcldcr in Purpur aus: die Abendröte taucht wieder die lnftige»Landschast in lauter rote Töne. In Nenmondnächte» brennen die Sterne mit einem Glanze, der in dichteren Luftschichten unbekannt ist. Wenn schließlich der Monsun zu Ende geht, ziehen die letzten Wolkcnmasscn vorüber und dann treten die gewaltigen Ge birgsketten, die flachen Längstülcr nnd die tirseingcschnittcilcn Durchbruchstäler wieder in ihrer ganzen imponierende» Majestät vvr dem Beobachter auf dem höchsten Berggipfel der Erde hervor. Fahrt aus -er Neuyorker Untergrundbahn Von Felix Schmidt. Ncunor k, im April. Der Europäer, der heute nach Ncunvrt kommt, ist im Geiste schon so erfüllt von der Vorahnung der technischen Wunder, die ihm die Neue Well verbeißt, daß er über deren sinnfälligste Erscheinungen, die Wolkenkratzer, weniaer erstaunt als über diejenigen Errungenschaften, an die er vorher gar nicht gedacht hat, ans dem einfackcn Grunde, weil er von ihnen nichts wußte. Und wenn in dem ungeheuren Ciewirr der Scchsmillioncnsiadt irgend etwas verblüffend, übcrwäl tigend selbst für den Anspruchsvollsten ist. so ist das gewiß an erster Stelle das geradezu ins Riesenhafte ausgedehnte Sn st cm von Untergrundbahnen, die teils parallel, teils über- teils untereinander die Riesenstadt am Hudson nach allen Himmelsrichtungen hin durchziehen. Der East River, der weit hinauf für Ucbcrsccdampfcr befahrbar ist, wird an drei Stellen von Untergrundbahn-Linien untertunnelt, deren jede eine durchschnittliche Länge von 20 bis 83 Kilometer hat. Alle Linien sind vicrgletsig,- die beiden inneren Gleise dienen nur dem Expreß-Verkehr. Einige der Untergrundbahnhöfe sind von einer Ausdehnung, daß es für den Fremden geradezu niimögltch ist, sich allein zurcchtzufinden. DaS gilt besonders für die Station 42. Straße „Times Square", ivo mehrere' Linien zuqr Teil untereinander zuscwtm^ntrejfen. Ohne
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