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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 05.10.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-10-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188410054
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18841005
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18841005
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungChemnitzer Anzeiger und Stadtbote
- Jahr1884
- Monat1884-10
- Tag1884-10-05
- Monat1884-10
- Jahr1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 05.10.1884
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VT-. -- MH - - M' ' M 8 . U«ierh«It««--»vl«tt z«« ,.,U-e««itzr» Anzeiger". Kora Renard blendend und unerreichbar wie ein Zaubergebilde der Fata Morgana in der Wüste entgegen. Sein Heri, da- nie höher für ein Weib geschlagen, als er ihm gestattet«, empörte sich schon bei ihrem ersten Anblick gegen die ihm angethane Gewalt, sein Blut wallte heißer auf, Ungeduld verzehrte ihn, das VermSchtniß der Mutter trat endlich in Kraft. Aber hätte Casimir sich auch nicht gebunden gefühlt, zwischen seiner Liebe und jener Kunstreiterin lag eine himmelweite Kluft, die unauSsüllbar schien. Seiner väterlichen Erziehung verdankte er eine gewisse über hebende Gleichgültigkeit gegen alle ausübenden Künste, vornehmlich gegen solche, die seinem reizbaren Zartgefühl nicht schmeichelten — und Kora war eine wilde, leidenschaftliche Reiterin. Ihr Zauber war demnach desto gewaltiger, gefährlicher, je mehr Lasimir sich bemühte, ihn unbegreiflich zu finden. Trotz aller selbst quälerischer Gegenvorstellungen mußte er sich gestehen daß ihr Be wagen nicht das einer Kokette gewesen sei, ja, unwillkürlich flüsterte er Kora'S halb gelächelte Worte vor sich hin. „Nicht wahr, man redet Sie Durchlaucht an?' Ein Kind konnte nicht harmloser fragen. Dazu diese wunderbar tiefen, leuchtenden Augen, die eine Welt voll Seeligkeit in sich bargen, dieser eigenartig dämonische Hauch voller Lebenslust und spröder Geringschätzung, welcher sie umgab. Der Fürst sprang heftig von seinem Platze auf und durchmaß da- Zimmer mit hastigen Schritten. Oh, unerträglich, jetzt auch nur an eine kühle Verstandesehe mit Llarissa zu denken I Ihm graute jetzt vor ihrer vornehmen Kälte, obwohl sie ihm vorher, da er nicht- Besseres kannte, wünschenswerth erschienen war. Gern würde er das schwerste Opfer gebracht haben, ihre Wünsche, die er ja getheilt und genährt, zu befriedigen, nur nicht sein Herz in ihrem Umgang ertödten lasten. Die stillen Dualen der Mutter belebten seinen Abscheu vor solcher Marter. Zu derselben Zeit, als Georg von Hammerstein Philipp Fuchs für seine Unverschämtheit züchtigte, war Casimir Pawlowsky zu dem Entschlüsse durchgedrungen, Clarista über den Zustand seines Gc- müthS aufzuklären und eS ihrem Edelmuth zu überlasten, ihn wegen seiner Aufrichtigkeit zu verdammen oder hochzuschätzen. Die Bitter keit, welche er ihrem Stolze damit schlug, einigermaßen zu versüßen, wollte er nach diesem Bekenntniß die Residenz verkästen, um fortan arbeitsam und freudlos seine Besitzungen daheim zu verwalten. Nach Allem, was seiner Liebe zu Kora hindernd im Wege stand, einer Liebe, die nichts mit der flatterhaften Gesinnung seiner Freunde gemein hatte, war auch in dieser Richtung eine plötzliche, gewaltsame Trennung das beste Heilmittel für sein brennendes Herz. Nur einmal noch wollte er sie sehen. In diesem letzten An- fchauen wollte er alle Wonnen auf einmal genießen, die ihm fortan versagt waren, wollte er sich die kurzen Stunden hindurch glücklich und wunschlos träumen, wie die Sommersonne den Traubensaft schneller glüht und süßt. Er griff nach einer Zeitung. Kora'S Name stand in der be züglichen Annonce der Direktion angekündigt. Mit überstürzender Hast, als wolle er in seinem Entschlüsse nicht aufgehalten werden, eilte Fürst Casimir nach dem Zirkus, in das Gewoge und Geranne einer nach Tausenden zählenden Menge. Das erste bekannte Gesicht, welche- ihm hart am Eingänge oufstieß, gehörte Mr. Wiggers, der sein ungeheures Fernglas ohne Aushören auf eine leere Stelle in der Arena gerichtet hielt. In seinen Sitz' zurückgelrhut, ließ Casimir die voraufgehenden Produktionen- Unbeachtet an seinen Augen vorüberziehen. Unaus sprechliche Gedanken mischten sich wie Opiat in sein Blut, daß er -feiüe Umgebung nur wie im Traume und durch Schleier sah. Endlich ward der wohlbekannte Rappe vorgeführt, gleich darauf erschien seine schöne Reiterin in der Bahn. Anmuthig und leicht hüpfte sie von der Hand des Stallmeister- auf den Rücken des Pferdes, besten glänzenden Hals sie liebkosend klopfte, und das Thier, als rühme es sich seines Borzuges, wieherte lustig auf unter ihrer Berührung. Kora hatte nach so vielen bitteren Enttäuschungen es über sich vermocht, die Stelle, wo der Fürst zu sitzen Pflegte, nicht mehr mit den Augen zu streifen. Hier, wie überall, wollte sie ihn und seinen Hochmuth ignoriren. Es war eine Lust, ein Entzücken, ihren Bewegungen zu folgen. Jeder Gedanke an Gefahr verlor sich in der Sicherheit und Grazie, mit welcher sie auch die kühnsten Hinderniste spielend überwand — gleichsam die Gesetze der Schwere verspottend. Noch einmal galt eS die Bahn zu durchfliegen. Heller schmetterten die Trompeten, als Kora, hochathmend vor Erregung und Stolz ihre letzten Kräften zusammenrastte, den Schlußeffekt durch ein letztes brillantes Bravourstück zu erhöhen — da fügte es der Zufall, daß ihr flammendes Auge den heißen, fragenden Blick des Fürsten be gegnete. Erfaßt sie ein Schwindel? Versagten ihre Glieder den Dienst? Einen Moment griff sie wie geblendet nach der Stirn — dann — Ein jäher Aufschrei durchhallte den weiten, dicht gefüllten Raum, selbst Mr. WiggerS zuckle zusammen unter seinem Tubus. Kora hatte, obwohl wie durch Nebel sehend, den Sprung gewagt, das Ziel verfehlt, war vom Schenkel des Pferdes abgeglittcn und heftig zu Bode« gestürzt, während der Rappe erschrocken und durch den Lärm scheu gemacht, in rasendem Galopp davonjagte. Die erste Sorge des just anwesenden aufwartenden Personals war eS, das wild gewordene Pferd einzufangen, damit es die be wußtlos am Boden Liegende nicht mit seinen Hufen verletze. Andere rannten eilfertig herbei. Zu spät! Schon waren Kora'S Freunde, Herfeld, Westerwald, Mr Wiggers, dieser freilich aus besonderen Gründen, der junge Bildhauer, der Poet, sowie andere Herren über die niedrige Brüstung gesprungen, sie aufzurichten; auch sie kamen zu spät. Der Erste am Platze war Fürst Casimir. In seinen Armen hob er das bleiche, schöne Weib empor, besten goldenes Haar gleich Zaubersäden seine Brust und Schulter umsponnen. In dieser einen und ersten Berührung lag der Funke verborgen, der seine Leidenschaft unauslöschlich entzündete. Alles das war das Werk eines Augenblicks. ' Dem inzwischen hcrbeigeeilten Direktor der Truppe die Besinn ungslose übergebend, wollte er zurücktreten, als er glaubte, Kora'S Lider sich matt, langsam öffnen zu sehen. Aber es mußte Täuschung gewesen sein, im nächsten Moment malten ihre langen, schwarzen Wimpern wieder tiefe Schatten über die bleichen Wangen. Casimirs Herz schlug fieberhaft erregt. Wenn sie Schaden ge nommen! Gerade jetzt, wo das Samenkorn seiner Liebe unter der tropische» Gluth der Empfindungen zur plötzlichen Reife gediehen I Unschlüssig kehrte er nebst den Anderen aus feinen Platz zurück. DaS ganze Publikum mit ihm verharrte in ängstlicher Besorgniß um seinen Liebling, da — ein nicht endenwollender Applaus durchbebte das HauS, Zurufe und ein dichter Regen dustender Blumcnspenden erfüllt« die Lust — erschien Kora an der Hand des Direktors, bleich zwar, aber in ihrer Bläste doppelt anziehend. Sie lächelte, wenngleich die Lippen noch leise zitterten. Man sah, sie suchte ihre hülfreichen Freunde mit den Augen; plötzlich gab sie enöthend die Mühe auf, grüßte freundlich dankend und verschwand. Mr. WiggerS hatte genug gesehen. In der folgenden Pause entfernte er sich mit der ihm eigenen, umständlichen Langsamkeit. Während er die Straße hinabschritt, rieb er sich vergnügt die Hände. „Ah, ah, wer steht eS der kleinen Lumpenprinzessin an, in welchem schmutzigen Neste sie großgezogen worden ist! Eine kostbare Neuigkeit, die ich dem Schlingel Philipp verdanke! Vor der Hand darf indessen Niemand etwa- davon wissen, als ich!' Schielfips war nach erhaltener Lektion, die Georgs sittliche Ent rüstung zu einer möglichst nachdrücklichen gestaltet hatte, wuthschnau- bend und gerade» Weges zu Mr. Wiggers geeilt, ihm Kora'S Ge- heimniß mitzutheilen. Mr. Wiggers, als erfahrener Weltmann, legte mit Nachdruck und in Kunstpausen ein Goldstück nach dem andern auf den Tisch, bis die Bosheit und Rachsucht des Gemaßregelten ihn über Kora'S Vergangenheit aufgeklärt. „Ich glaube nicht,' sagte der Amerikaner, seine Füße betrachtend, „daß Miß Kora sich ihrer Geburt schämen wird. Sie hat ein großes Herz!" Philipp lachte roh. „Sie wurde roth und blaß bei der Drohung. Himmeldonnerwetter, wäre dieser Liebhaber nicht dazugekommen —' Mr. Wiggers horchte auf. „Wer ist dieser?' „Dann hätte ich sie damit eingeschüchtcrt, so wahr sie Line Fuchs heißt! Aber als dieser Grünschnabel erschien, dieser Kapriolen schneider, dieser Hansnarr, dieser —' Georg von Hammerstein vielleicht?" unterbrach Mr. WiggerS seinen HerzenSerguß. „Ja wohl, natürlich, so hieß er — sie rief ihn an! Das nüchternste Milchgesicht, das man ohne einen Schnaps hinter zu trinken, nicht ansehen kann! Ein niederträchtiger —' „Schweigen!" herrschte Mr. Wiggers ihn an, „Schweig n! Ich wünsche, daß Alle-, war Du mir gesagt hast, todtgeschwiegen wird, verstanden? Todt für Alle. Auch die Geschichte von Kora'r Freund. Es ist genug, wenn ich davon weiß, um Miß Kora zu warnen. Erfahre ich, daß Du geplaudert hast," fuhr er fort, „und Miß Kora würde sich gewiß bei mir beklagen — denn ich liebe sie sehr — dann sind wir fertig miteinander. Im andern Falle —" „Aber Mr —' „Aber Du schweigst jedenfalls so lange, als ich mich noch in dieser Stadt aushalte. Später mögt Ihr, Du und die Füchsin, schwatzen darüber, so viel Ihr wollt,' sagte Mr. Wiggers würdevoll und in geläufigerem Deutsch, als man bisher von ihm gewohnt war „Du verlierst gar nichts dabei — Miß Kora ist ganz in ihrem Rechte, wenn sie Euch nicht mehr kennen mag.' -So?' „Schwelgen Ja! Dagegen kann Miß Kora Dich verklagen Westen Hausfriedensbruchs und Erprestungsversuchs, verstanden? Ich weiß, Ihr habt die Paragraphen in Eurem Strafgesetzbuch. Schwatzest Du nun wie eine Elster," fuhr Mr. Wiggers fort, indem er die Spitze seines unvermeidlichen Stückchens spielend auf der Schulter des Burschen Hüpfen ließ, „so gebe ich Miß Kora den Rath, von ihrem Rechte Gebrauch zu machen und trete als Zeuge gegen Dich auf. Bist Du dagegen zartfühlend genug, das arme Mädchen, noch dazu Deine leibliche Verwandte, mit ihren Antezedenzien unbehelligt z» lasten, so werden wir uns vielleicht öfter sprechen. Hier ist noch ein Goldstück, nun geh' — nun geh'! Schweigen! Adieu! Gehen!' „Der Mensch ist offenbar verrückt,' lächelte Philipp Fuchs später, als er allein war, sauersüß, „oder wahnsinnig in Miß Renard ver> schoflen. Hätte er sonst aus purem Zartgefühl, um es todtzuschweigen, das Geheimniß gekauft? Billig hat er es gottlob nicht bekommen." Er klimperte mit dem Gelde in feiner Hosentasche und pfiff leise vor sich hin „Ich weiß auch, daß er Recht hat mit feiner Drohung und ich" — er lachte mit frecher Geberde — „habe alle Ursache, mich den blauröckigen Hunden nicht unnöthig in's Gedächtniß zu rufen." Mr. Wiggers hatte sich gleich nach jenem Zwiegespräch in den Zirkus begeben, um dort Zeuge von Kora'S Sturz und Kasimirs Hilfeleistung zu werden. Jetzt betrat er wohlgemuth das Kasino, diesen fruchtbringenden Boden, den Herfelds Ehrgeiz und Westeiwalds Sorglosigkeit immer von Neuem ertragfähig gestalteten. Seinen Groll darüber, daß Fürst Pawlowsky und mit ihm etliche andere Klubmitglieder sich seit seinem Erscheinen aus der Versammlung nach und nach zurückgezogen, verbarg er hinter der Maske stereotypen Gleichmuths und selbstge fälliger Schweigsamkeit' Anscheinend in die Lektüre eines Zeitungs blattes vertieft, spielten seine Gedanken jetzt um ganz andere Dinge, als die, welche Lord Beaconsfield genöthigt halten, sich auf feine Güter zurückzuziehen. „Die ausgegebene Summe wird heute noch einigermaßen ausge- glichen werden. Im Grunde kann es mir lieb sein, daß der Pole sich hier nur noch selten zeigt und von meinem Spieltisch fortbleibt. Oh, dieses Weib, dieses Weib, das mich dazu getrieben. 6e u'out guo >o Premier pns, qni coute! Diesin polnischen Halbgott, der mit Frauenherzen Handel treibe könnte, meinen neidischen, glühenden Haß fühlen zu lassen, ihn in seine Achillesferse zu stechen, wäre Hochgefühl für mich. Georg von Hammerstein wird mir dazu ver helfen und die Bettlerin, die Lumpenprinzessin. Aber daß ich dar über ja nicht den Hauptkoup vergesse, mit dem ich Revanche fordern will für —' Er unterbrach sein Selbstgespräch beim Eintritt einzelner Klub Mitglieder, gähnte hinter seinem Taschentuch, bestellte sich Selterwasser mit Brandy und las mit halbgeschlossenen Augen in dem angefa. gene» Artikel weiter. Gegen elf Uhr trafen Westerwald und Herseld ein. Sie halten gewissenhaft gewartet, ob Miß Kora nicht noch einmal auftreten würde und fühlten sich schließlich enttäuscht, daß Fürst Casimir und Mr. Wiggers klüger gewesen waren als sie. Kaum hatte Westerwald den Amerikaner in seiner Sophaeckc er späht, als er ihn zu einer Parthie Whist aufforderte. „Ich thue heute nicht spielen," sagte Mr. Wiggers, sich ver neigend. „Weshalb nicht? Ich bin grade in der Stimmung, mich ein wenig durch ihr Glück anärgern zu lassen." „Ich bi» zu aufgeregt." Das unerhörte Phlegma, mit welchem er diese Behauptung vorbrachte, verursachte allgemeines Ergötzen. „Nun wahrhaftig, Mr. Wiggers, mir scheint, Sie können unbe schadet Ihrer heiligen Pulsschläge einen Gang mit uns wage» Kommen Sie doch, Miß Kora ist gesund." „Mir sitzt der Schrecken in allen Gliedern," versicherte Mr. Wiggers gedehnt. „Man sollte die Szene malen lasten, wie sie vom Pferde tel." „Entsetzt darüber sein und sie dennoch malen lassen?' lachte der Graf, an die seltsamen Einfälle feines Freundes schon gewöhnt. „Kommen Sie immerhin, Mr. Wiggers. Ich habe das Gefühl, als würden wir heute unsere bisherigen Niederlagen glänzend an Ihnen rächen." „LI1 ligbt!" Mr. WiggerS zuckte mit derselben Bewegung, welche Herfeld schon so oft zur Verzweiflung gebracht, seine Achseln, stand indessen, nachdem er fein Glas Master gemächlich geleert, auf und folgte den Herren zum Whisttisch. Um Mitternacht hatte er seine Auslagen an Philipp Fuchs mit Zinseszinsen zurückgewonnen. Am nächsten Morgen dämmerte das Bewußtsein in ihm nach, einen wunderlichen Traum gehabt zu haben, in welchem er aus athemloser Jagd noch einem Reh über Elerschaale« gestolpert war in demselben Moment, wo er in dem Reh die Gräfin Mengen zu er- kennen geglaubt hatte. Just, als er seine Büchse angelegt, da- Thier von der Höh« herabzuschießen, pfiff eine fremde Kugel durch die Lüfte ihm in da- Herz. Zur Erde taumelnd sah er Fürst Kasimir- bleiches Antlitz durch die Zweige nach ihm ausschauen und befriedigt nicken. Eierschalen waren es gewesen, die ihn im Traume stolpern gemacht Der Gedanke an Eierschalen trieb ihn jetzt zu früher Stunde schon in die Wohnung des Sonderlings. Aloys Geppert ah ihn mit Freuden eintreten Sei» Aufsatz über „Verschwendung in der Nationalökonomie und Nichtachtung aller Uranfänge menschlichen und thierischen Lebens", war vollendet, sauber während zweier Nächte kopirt und harrte nun des Empfängers. Herr Schleicher hatte versprochen, diese Broschüre sicher in die Hände deS Ministers gelangen zu lassen. Wir WiggerS ließ sich niit großem Interesse einzelne Stellen auS diesem Kuriosum vorlesen. (Fortsetzung folgt). Wiener Brief. Original-Fenilleto» von Max Viola. (Nachdruck verboten.) Wien, 2. Oktober. Schier das Interessanteste der Woche bei unS war eine kleine Notiz, welche in der kaiserlichen Wiener Zeitung erschien und unge fähr folgendermaßen lautete: „Wegen gerichtlich erhobener Ver schwendung wird über das Vermögen des Baron Victor Erlanger das Kuratel verhängt und zu dessen Verwalter der Bankier Baron Ludwig Erlanger in Franksurt a. M. ernannt." Ein heilloses Ge wäsch gab cs über diese Kuratelverhängung. Baron Victor Erlanger, dieser bekannte Lebemann Wiens, dieser Kunstmäcen, dessen Millionen man für unerschöpflich hielt, der gewesene Präsident der vorjährigen elektrischen Ausstellung in Wien, unter Kuratel? Unmöglich! Und dennoch ist es so. Vor vielen Jahren kam Baron Erlanger nach Wien, um hier eine Filiale des Frankfurter Stammhauses zu leiten, aber der Baron war Alles: Sportsmann, Kunstliebhaber, Theater- habituö, nur kein Geschäftsmann, und so kam es denn, daß die Millionen, anstatt sich zu vermehren, immer weniger wurden, bis er endlich das Bankgeschäft ganz aufgab und nur mehr seinem Ver gnügen lebte. Da sein eigenes Vermögen oufgezehrt war, so bekam er vom Stammvermögen jährlich hunderttausend Gulden, das genügte jedoch keinesfalls, die Brüder mußten horrende Schulden für ihn zahlen. Vor einem Jahre arrangirten sie ihn wieder, die Bisriedig- ung der Gläubiger soll weit über eine Million verschlungen haben und heute, nach einem Jahre, hatte Baron Victor schon wieder scchsmalhunderttausend Gulden Schulden. Das ward den Brüdern endlich doch zu viel, er wurde unter Kuratel gesetzt und jetzt ist es aus mit dem Schuldenmachen, der arme Baron wird sich mit seinen lumpigen hunderttausend Gulden behelfen müssen, ob er das aber können wird, daran zweifelt man in Wien. Es giebt eben auch solche Leute, für welche hunderttausend Gulden ein Pappenstiel sind, und Baron Victor Erlanger ist eben ein solcher Mann. Neben der Nachricht über diese Kuratelverhängung hat auch eine andere Emotion hervorgerufen: Fanni Elßler hieß es, sei krank, ge fährlich krank und sie mache sich bereit, den letzten Solotanz: den in'S Grab, zu tanzen. Glücklicherweise erwies sich diese Nachricht als unrichtig Sie ist Wohl erkrankt, jedoch nur geringsügig und hat, trotz ihres hohen Alters, noch ganz und gar keine Lust, das Zeitliche zu segnen. Wer da weiß, was Fanni Elßler einst be deutete, der wird es begreiflich finden, daß „Altwien" geradezu ver ehrungsvoll an ihr hängt. Sie war die göttlichste, die verehrteste Tänzerin ihrer Zeit und ihr Ruf war in der ganzen Welt ver breitet. Die Königin aller Tänzerinnen, Fanni l hieß man sie, und sie tanzt Göthe, sagte nian von ihr. Niemals ist noch eine Tänzerin so bejubelt ihre Triumphpfade gezogen, wie Fanni Elßler, denn sie wurde gefeiert wie eine Königin, die Männerwelt beging ihrethalben die allertollsten Streiche und wirkliche Dichter besangen ihre gött lichen Beine, wie sie sonst etwa den Mond oder den Frühling be sangen. Doch, selbst angedichtete Beine werden mit der Zeit alt und so setzte sich Fanni Elßler endlich mit ihren Beinen und ihren Millionen zur Ruhe und nur wenn eine Nachricht über sie durch die Blätter geht, da sängt es in den Köpfen der alten Wiener zu wirbeln an, sie gedenken der schönen verflossenen Elßler-Zeit und der alte Ruhm und die alten Reminiszenzen werden wieder alle lebendig. Eine hübsche Reminiscenz erzählt man sich hier von zwei be kannten Männer Oesterreichs: Es war vor drei Tagen, in einem Koupee erster Klasse in einem Eifenbahuzuge, welcher sich von Wien nach Lemberg bewegte. Zwei Herren saßen in dem Wagen, der eine in Zivilkleidung, der andere, ein behäbiger Mann, trug den Talar der Geistlichen. Die zwei He-ren konversirten in aller Ruhe mit- einander, als in einer Zwischenstation zwei Herren einstiegen, von welchen der eine ebenfalls dem geistlichen Stande angehörte. Ohne viel zu fragen, hatten sich die Letztangekommenen bald in das Gespräch der bereits früher anwesenden beiden Herren gemengt. Im Laufe des Gespräches theilten sie auch den Zweck ihrer Reise mit. Es waren zwei Brüder, welche in ein kleines Landstädtchen Polens fuhren, um ihren alten Vater einen Besuch abzustatten. Als arme Studenten, so erzählten sie, waren sie vor vielen Jahren von daheim fortgezogen und jetzt kehrten sie heim, der eine als Pfarrer, der andere als Finanzkommistär. „Da geht es Ihnen ganz so wie uns," sagte der Eine von den früher anwesenden Herren. „Mein Bruder ist Geistlicher und ich gehöre dem Finanzfache an. Wir haben also dieselben Carrieren wie Sie und Ihr Bruder." „In welcher Stellung?" fragte der frühere Herr. „In welcher Stellung? Mein Bruder ist Erzbischof von Krakau und ich bin der Finanzminister von Oesterreich." — Tableau! Ein hübsches Tableau war das am verflossenen Montag in einem größeren Wirthshaussaale Wiens. Es war ein großer Nasen- Konkurrenz-Preis ausgeschrieben worden, und am Montag fanden sie sich alle ein, welche sich kolossaler Riechwerkzeuge erfreuen, um vor dem Richterkollegium um den Preis von zehn Dukaten zu konkuriren. Man sah aber da wirklich prächtige Exemplare aufmarschiren. Da kamen rolhe Nasen, blaue Nasen, violette Nasen, alle von einer Größe, welche respekteinflößend war. Natürlich wurde jede besondere Nase von den Anwesenden mit scheelen Blicken betrachtet, weil doch jeder seine eigene Nase für die preiswürdige hielt. In den Drei- Engel-Sälen wurde die Konkurrenz abgchalten und da gab es ein Prüfen und Vergleichen, ohne daß man zu einem Resultat gelangen konnte. Im letzten Augenblicke aber erschien eine Nase und der Streit war geschlichtet. Die letztangekommene Nase bekam den Preis, denn sie überragte die größte anwesende Nase noch um eine Nasen länge. Das war aber auch eine Nase! Das war eine jener Nasen, von welchen Lessing sagt: „Oh, aller Nasen Nas', ich möchte schwören, Das Ohr kann sie nicht schnauben hören." Verantwortlicher Redakteur vr. xbil. O. Müller in Chemnitz. — Druck und Verlag von Alexander Wiede in Chemnitz.
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