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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.11.1895
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951111016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895111101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895111101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Ausgabe ohne Seitenzählung
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
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Ktkv Busch, fein Schiltzenrock, kein bunte» Fahnenmalen.! schreckt den Kroaten ab. Das Anlehn ist sehr gut, DaS Ansehn mein' ich nur, das nichts zum Schlagen thut. Wir feigsten Krieger wir, die Phöbus kann bestrahlen. Was ängsten wir unS doch und legen Rüstung an, die doch der weiche Leib nicht um sich leiden kann? Des grotzen Vaters Helm ist vielzuweit dem Sohne, Der Degen schändet ihn. Wir Männer ohne Man, Wir Starken auf den Schein, so ist's um uns gethan, uns Namensdeutsche nur! Ich sag's auch mir zum Hohne. WaS Gustav Adols'S Vorstellungen und Bitten nicht ver mocht hatten, bewirkten Tilly's und Fürstenberg's Rücksicht« losigkeit. Der Kurfürst, rasch gerüstet, schloß sich am 1. Sep tember 1631 den Schweden an. Fleming bejubelt in einem latei nischen Gedicht dieses BUndniß, das, lange gesucht, lange verschmäht, die beiden nun willig und freudig vereine. Die Kosten, aber auch der Segen deS Bundes fielen in erster Linie Leipzig zu. Am 3. September rückte Tilly heran. Die Vertheidiger steckten die Vorstadt in Brand, mußten aber bereits am 5. September die Stadt dem Feinde über geben. Nur Bauern-Miliz („Defensioner") stand zu ihrem Schutze bereit. Allein am 7. September kam es zur Schlacht bei Breitenseld und am 12. September mußten die Ligisten sie wieder raumen. Diese an Aufregungen reiche Septemberwoche hat ihren poetischen Niederschlag gefunden sowohl in Gedichten von Fleming, als in solchen seines intimsten, wenige Wochen später verstorbenen Freundes Georg Gloger, eines Schlesiers, der um seines Glaubens willen aus Glatz vertrieben war, in Leipzig studirte und das Verdienst bat, Fleming Opitz und der deutschen Dichtung zugeführt zu haben. Was aus Leipzig fort konnte, war geflohen. Darüber sagt Gloger: Als Leipzig nicht daheime war. Als Tylli nervlich kam vor diese Stadt gezogen, Vnd suchte Leipzig hier, war gleich cs ausgeflogen, Vnd mit dem ganzen Schmuck vnd Geiz- vnd Hoffartgeist Vnd was man sonsten sagt, das Leipzig sei, verreist. Diß thete Tyllen weh, vnd wolt' ihn fast verdrießen, Daß er an Leipzig nicht sein Müthlein solle büßen. Doch war cs gut vor vns. Denn wär ein solches Nest, Wie dieser Vogel sucht, in dieser Stadt gewest, Wir wären nimmermehr so gnädig durchgekommen. So wäre zwar Gefahr, doch schonte Gott der Frommen, Die hier verblieben warn, vnd nahm sich ihrer an, Daß Niemand sattes Lob dafür ihm sagen kan. Tilly hatte in eines Todtengräber'ö Hause „umb Leipzigische Ergebung" verhandelt. Man fand das ominös: „WaS kann man anderswo! beym Todtengräber machen, als Dingen vmb die Bahr' und andere Leichen-Sachen?" In diesem Sinne ist es von Gloger in einem deutschen, von Fleming in einem lateinischen Gedicht gedeutet worden. Ebenso spottete Letzterer über eine unerschwingliche Brot lies erung, die Tilly der Stadt anferlegt hatte. Nun aber gar der Jubel über die „Leiprigische Schlacht", wie sie hier regelmäßig genannt wird. Man erkannte sofort ihre welt geschichtliche Bedeutung: Lonu Lausu 8tetit! Die gute Sache siegt, die schlechte unterliegt! Leipzig hatte besondere Ursache zu frohlocken, und wird wohl jeder Bürger gedacht haben, was Fleming aussprach in einem Gedicht Bon dem ergebenen und wieder abgenommenen Leipzig. Der newlich sich vermaß, er habe sich vertrawt nur einer nacketen und unbegabten Braut, sprach: Leipzig sol mir schon den Mangel bald ersetzen, daran wir Liebenden uns wollen wol ergehen, kam draus Begierde voll und meint', er hett es schon. Itzt fleucht der Freiersmann selbst bloß und arm darvon; nun läuft er zu ihr zu und spricht: Ich will sonst keine; ich würfe dir nicht- vor, bliebst du nur, Arme, meine. Die geflohenen Bürger kehrten wieder zurück. Man jubelte unter Thränen, sagt Fleming, als der Kur fürst seinen Einzug hielt. WaS Wunder, daß er so wohl wie sein „DafniS" Sammlungen zeitgeschicht licher Gedichte Herausgaben, die diese September-Er eignisse verherrlichten: Gloger eine veeas Lpigiammatum, Fleming den kromim LÜ8ceIl6Lnorum. Die Schweden hatten die Niederlage der Sachsen in Sieg verwandelt. Sie vietor vietus, victu8 sie Victor abivit. Begreiflich, daß die Lob- gesänge auf Gustav Adolf „den Großen", den „nie be siegten Sieger", an dem jeder Zoll ein König sei, der deut scher Kaiser zu sein verdiene, in diesen Gedichten zu den höchsten Tönen der Begeisterung greifen! Und Leipzig sollte am 16. December 1631 Gustav Adolfs Gemahlin in seinen Mauern begrüßen. Fleming trauerte noch um seinen Gloger, den er auf alle erdenkliche Weise ge ehrt hat. So konnte er sich auch an diesem Tage nicht über winden, das HauS zu verlassen (solu8 ego torpeseo ckowi), während die Stadt aufs schönste geschmückt und festlich be wegt war; wohl aber begrüßte er die Königin Marie Eleonore mit einer lateinischen Zuschrift und einer deutschen Ode, in Welcher es heißt: Bis willkommen, bis willkommen, hochgelobte Königin, nun auch hieher hat genommen seinen Pfad dein edler Sinnt Bis willkommen! rufen Alle, wer nur rufen kan mit Schalle. Leipzig rühmet sich der Ehren, die du ihm hast angethan, daß du ein hier wollen kehren und den Ort selbst sehen an, den Ort, da dein Held sich wagte und den Feind zu Felde jagte. Wo du sitzest, wo du gehest, müssen Rosen mit dir gehn! Wo du liegest, wo du stehest, müssen bunte Tulpen stehn! Blumen müssen dich bespreiten und an jede» Ort begleiten! Der Krieg hatte sich an den Rhein verzogen und wurde im nächsten Frühjahr nach Süddeutschland verlegt. So konnten die Leipziger sich einstweilen friedlicher Beschäftigung widmen. Fleming, jetzt poötu laureatus, schrieb in der Passionszeit 1632 sein Klaggedicht über das unschuldige Leiden und Sterben Ebristi, Anfang Mai die launige Ge burtstagsfeier im Rosenthal. Allein noch in demselben Monat sprühte die Kriegsfackel ihre Funken wieder nach Sachsen herüber. Wallenstein trat auf den Plan, vertrieb den Kurfürsten aus Böhmen und ließ daS Meißner Land durch Abtheilungen überschwemmen, die auch Leipzig aufs Höchste beunruhigten. Dazu kam gleichzeitig ein neuer Würger: die Pest. Unter den vielen Gelegenheitsgedichten, mit denen das Jahr 1632 in Flcming's Werken vertreten ist, finden sich auch verschiedene Trauergesänge, die durch das große Sterben veran laßt wurden, so ein Trostlied für den Leipziger „Handelsmann" Johann von Wirtb, der drei Kinder auf einmal verlor, und unter den lateinischen Gedichten ein solches „De pi'avi posti- ientia Ickpsmm N440XXXH ckepopulaute", in welchem er den Tod mit einem furchtbaren Pflüger vergleicht: der Acker, den er aufreißt, sei wie mit vergifteten Gräsern besetzt. Die Folge war, daß Professoren und Studenten flohen. Recht vereinsamt feiert Fleming am 22. September den Geburts tag seines Tilyrus (Gottfried Wilhelm, -s- 1671 als Arzt in Breslau) und klagt um dieselbe Zeit in einem Lobgedicht auf Buhle's Charitilla: Schöne Stadt, ick trag' Erbarmen über deinen schweren Fall, daß dich Furcht und Tod umarmen hier und da und überall. Wenn, ach! wenn wohl wirds geschehen, Laß wir dich in Frieden sehen? Da man sonsten hin und wieder um den Pleiß'- und Elsterstrand hörte manche schöne Lieder, da ist itzt ein Stillestand. Alle Hirten, alle Heerden sieht man stündlich dünner werden. Es sollte noch schlimmer kommen. Vergebens batte sich Gustav Adolf bemüht, Wallenstein aus feinem befestigten Lager zu locken, vergebens, es zu erstürmen. Er sah sich zenöthigt, Nürnberg zu verlassen, und Wallenstein brach nach Lachsen auf. Am 16. Oktober erschien er vor Leipzig. Dies mal besser vertheidigt, ward es am 17. erfolglos bestürmt, am 21. heftig beschossen. Mitten unter der Belagerung von Leipzig, während der „barbarische" Feind feurige Kugeln in die Stadt warf und wohl nickt blos der Dichter die bange Frage aufwarf, ob denn die schöne Stadt zu einem einzigen Leichenhaufen werden solle, schrieb Fleming ein Epi gramm, in welchem er wehmüthig klagt: „Ferne von hier ist, was mir als Mauer gedient (Gustav Adolf oder Johann Georg); Tyrann, so schlage nur zu!" *) Schon am folgenden Tage fiel die Stadt in Feindes Hände. Gustav Adolf be schleunigte seinen Marsch. Am 6. November kam es zur Schlacht bei Lützen. In ihren Folgen war sie ein Sieg der schwedischen Waffen. Wallenstein ward zum Rückzug genöthigt. Die Pleißenburg konnte nun um gekehrt von den Sachsen belagert werden. Während dieser zweiten Belagerung, die vom 10. November bis zum 2. December dauerte, geschah cS, daß ein „in Kunst und Krieg" gleich tüchtiger junger Mann, Samuel Seidel aus Breslau, während er aus Posten stand, verwundet wurde und am 15. December starb, — ein Todesfall, den Fleming durch drei lateinische und ein längeres deutsches Gedicht geehrt hat. Leipzig War abermals durch einen Sieg Gustav Adolfs befreit worden. Insofern schlugen die Herzen hoch. Fleming hat diesem Gefühl in einem Dankliede Ausdruck ge geben, daS er der „Ehrenpforte", welche Gregor Ritzsch, ein poetisirender Buchdrucker in Leipzig, veröffentlichte, aiigehäugt hat. In diesem Dankliede heißt es: Zweimal kamen sie gezogen, zweimal sind sie auch geflogen, nicht ohn' mächtigen Verlust. Schreit, ihr Jungen, ruft ihr Alten: zweimal hat das Feld behalten Gott und unser Held August. Held, du kämest her vom Weiten, daß Du vor uns möchtest streiten; Held, Du kämest, Held, Du strittst, Held, Du siegest auch im Sterben: Held, wie können wir verderben, weil Du itzt noch für uns trittst? Ist schon unser Heiland blieben, Gott hat Einen schon verschrieben, der ihn rächen kann und soll, ihn und uns und alle Frommen. Kommt er? Ja, er ist schon kommen. Luthrische, gehabt euch wohl! Unter dem Rächer hat er vermuthlich den Herzog Bern hard von Weimar verstanden. Man darf aber aus der hoffnungssrohen Stimmung dieses Dankliedes nicht schließen, Fleming hätte etwa das ungeheure Opfer nicht empfunden, mit welchem der Sieg bei Lützen erkauft worden war. Viel mehr hat er selbst auch der allgemeinen Trauer um Gustav Adols'S Tod in mehr als einem Gedicht Ausdruck gegeben, am schönsten in feiner NeujahrSode zum *) In obsiäiove l-ipsine LIV6XXXII. law moostae reäiore vieos, reäiere pbalavxes, ominn anno nostro lnevn kuere solo, korttor iwdellem magfls ixneus koatis in ordern dardar» tartarie» xranlünnt nrmn manu, kulwinat et totis intentat tunern wuris. tjuis vetat, urbs uaum pulcra caäaver erit? Laova novo ms täte walo ckawnant; wsus ille wurus »best: nuäus prnesto. Dhauns, teri! 1. Januar 1633, welche die damalige Lage vnd Stimmung ergreifend schildert: O du zweimal wüste- Land von der Feinde bösen Hand, och, Du liebes Meißen, Do, wie bist Du gerichtet zu! Deine Felder liegen bloß, deine Flüsse werden groß,, groß von Thränen, die man grüßt und als Ströme fließen heißt. Deine Dörfer sind verbrannt, Deine Mauren umbgerant. Deine Bürger sind verzagt. Deine Bauren ansgejagt. Aller Vorrath ist verzehrt, alle Kammern ausgeleert, alle Kasten sind besucht, unsre Schätze hat die Flucht. Du, vor (zuvor) aller Güter reich, bist itzt einer Witben gleich; wir, die Waisen, sind erschreckt und mit Kummer ganz bedeckt. Unser Heiland, nnser Held, dem wir Alles heimgestellt, der uns zweimal frei gemacht, den reibt aus die wilde Schlacht. Unser Feind ist froh und lacht, baß er uns hat Schaden bracht; zweimal mehr wächst ihm der Muth durch des edlen Helden Blut. Glaublich ists und fast schon wahr, baß er seiner Räuber Schaar, wie er immer kan und weiß, über uns wird geben preis. Großes Kind, Emannel, wende du dis; Ungefäll, komme Loch dem Schaden für, der schon wartet vor der Thür. Am 15. Januar 1633 starb der Superintendent Poly- carp Leyser. Ihm zu Ehren wurde neben Gedichten von Olearius ein Nachruf von Fleming gedruckt, der in demselben schwennüthigen Tone gehalten ist: Gottes .Hand, die böse Seuche hat uns dünne satt gemacht, die Zergliederung im Reiche nabe nur nicht umbgebracht, welche noch mit jungem Morgen uns gebären neue Sorgen. Der mit feurigen Gebeten und mit gliiender Begier vor den bösen Gott getreten und uns stets gesprochen für, den hat er drumb sterben heißen, daß er uns kan schärfer schmeißen. Fleming's Magister-Examen mußte wegen Pest und Kriegs unruhen vom 31. Januar auf den 2. Mai 1633 verschoben werden. Im August wurde Leipzig von den Kaiserlichen unter General Holcke geplündert, dann kam die Pest, im September kamen die Kaiserlichen wieder. Diese Heim suchungen aber hat Paul Fleming nicht mehr mit dnrch- gemacht. Er hatte sich auf die „Flucht" begeben, „die Nie mand schelten kann und er sich oft gesucht." Schon im Mai 1632 hatte er die Fremde als das Ziel seiner Sehn sucht bezeichnet: Wer sich in die Fremde füget, wird bekannt, verdienet Dank. Dieb ist meines Lebens Ziel, daß ich stets mehr lernen will. Doch hat er auch in der Fremde der unglücklichen Heimat!) nicht vergessen. Vor „Astrachan der Reußen", wo auch unter den Reisegefährten fast nur Olearius Sinn für Poesie hatte, widmete er diesem ein längeres Gedicht, in welchem es heißt: Die Elster ruft der Pleiße und die der Parden zu von deinem hohen Fleiße, den du gewiesen hast der dreibeströmten Stadt, die nicht den letzten Preis von dreien schönsten hat, so unser Deutschland rühmt. Ach! daß ichs nun sol nennen, das liebe Vaterland, das kaum noch ist zu kennen, von Wehmut ungcstalt, von Wehmut aller Not, in der es ohne Tod nun ist so lange tot, sein eigen Schwert und Grab. Auf der Rückreise aber konnten selbst die Herrlichkeiten einer paradiesischen Landschaft, wie man sie in „Gilan" am südlichen Ufer deS Kaspischen Meeres traf, das Heimweh nicht bannen. Freilich graute unserem Dichter vor dem Wiedersehen. Sein Meißner Land, fürchtete er, sei in den fünf Jahren zu Pulver ganz verbrannt. Und wiedergcsehen hat er eS auch nicht. Zurückgekebrt, ging er nach Leyden in Holland, um das medicinische Doctor - Examen zu machen, und war in Hamburg, wo er sich als Arzt niederzulassen gedachte, kaum wieder eingetroffen, als ein jäher Tod ihn am 2. April 1640 hinwegraffte. Hartenstein, sein Geburts ort, hat ihm eine Gedenktafei errichtet. In Leipzig wurde der Dichter geboren, der Dichter, der die „dreibeströmte Stadt" lieb gehabt hat. wie ein Kind seine Mutter, der Dichter, dessen leuchtende Krone Gestalten und Zustände auö der Nacht der Vergessenheit wieder anS Licht zieht. Sollte nicht auch Leipzig ihm eine bescheidene Erinnerung schuldig sein? Der ideal schöne Kopf dieses Dichterjünglings würde jeden Künstler reizen, jedes Denk mal zieren. Abbildung bei Kurz, Geschichte der deutschen Literatur N, 253. Frauenprießnitz. Icke. St ölten, Pfarrer. Musik. Auch ein 25jährigeS Jubiläum. * Leipzig, 11. November. Das Programm für daS Concert» welches Herr Kammersänger Gura Freitag, den 15. November, im Theatersaale deS Krystall-PalasteS giebt, enthält neben Stücken, die seltener zu Gehör gebracht werden, alte Lieb linge des Leipziger Publikums. Wenn wir eins besonders bervorheben, so geschieht das, weil eS gerade jetzt das sünf- undzwanzigjährige Jubiläum seiner Wiedererweckung feiert. Am 20. Oktober 1870 sang Gura in einem Eoncerte, das im Gewandhaus zum Besten der Invaliden und Hinter bliebenen der Gefallenen vom XU. Armeecorps stattfand, die Ballade „Heinrich der Vogler". Es war ein glücklicher Griff: die Ballade zündete mächtig, denn die Worte der die Krone an Heinrich überbringenden Großen: „'S ist deutschen Reiches Will'!" gemahnten an die Wiedererneuerung der deutschen Kaiserwürde durch König Wilhelm, die den noth- wendigen Abschluß derj durch Blut und Eisen gekitteten deutschen Einheit bilden mußte. Der Jubelsturm, der damals den alten Gewandhaussaal durchdröhnte, ist jedem Zuhörer unvergeßlich. Schon am 23. Februar 1871, im Concert zum Besten des Orchesterpensionsfonds, wurde Heinrich der Vogler wiederholt, mit nicht geringerem Erfolge. Und daß die Ballade an Anziebungskraft nichts eingebüßt hat, bewies daS Concert am 2. November, wo schon die Ankündigung der selben als Zugabe mit Jubel begrüßt wurde. Ihr wird jeder Löwe-Freund am 15. November gern wieder begegnen. Vermischtes. O Etwas über den Meerschaum. In einem Bericht an seine Regierung theilt der englische Consul in Angora, Cunnberbatch, mit, daß die reichsten Meerschaumgruben 32 Icm südöstlich von Eski-Schehir, einer wichtigen Eisenbahn station in Anatolien, sich befinden. Der belgische Consul in Konstantinopel, der kürzlich jene Gegend besuchte, versichert, daß cs sehr schwer sei den wahren Umfang jener Mcersckaumlager zu bestimmen; er muß aber nach den bedeutenden Entfernungen der einzelnen Abbaugruben ein ganz beträchtlicher sein. Tie Hauptstellen des Betriebs sind Sepetdji - Odjaghi und Kemikdji - Odjaghi. Der Bau auf Meerschaum wird genau so betrieben, wie der auf Steinkoklen. Die Gruben sind von verschiedenen Tiefen zwischen 7,50 und 36 m. Sobald man aus das Lager ge stoßen ist, legt man meist 2 horizontale Galerien an. Das roh gewonnene Gestein heißt „Ham-Tasch", auf deutsch „harter Trum", obgleich es so weich ist, daß es sich mit dem Messer schneiden läßt. Es hat eine Weiße, ins Gelbliche ziehende Farbe und ist von einer röthlichen, etwa 2,5 cm dicken Thonlage umhüllt. In diesem Zustande werden die Stücke an Ort und Stelle verkauft und zwar nicht nach Gewicht oder Maß, sondern einfach nach Schätzung. Das Gestein wird nach der Last zu 3 Sack (jeder etwa 285 kg gleich) verkauft, und die Last wird mit 100—600 ^2 bezahlt je nach der Qualität. Die Stücke werden getrocknet und einer gewissen vorläufigen Behandlung unterzogen, bevor sie nach der Bahnstation Eski-Schehir geschafft werden. Manche Stücke sind nur so groß wie eine Walnuß, während andere ein Gewicht von 50 KZ erreichen. Die Behandlung, die der Meerschaum vor seiner Ausführung erfährt, ist langwierig und kostspielig. Zunächst wird er von dem Thonüberzug befreit, darauf getrocknet, wozu es genügt, wenn man ihn im Sommer 5—6 Tage in der Sonne liegen läßt, im Winter aber muß er in geheizte Räume mit genügend hoher Temperatur gebracht werden, aber gleichwohl vergehen 8—10 Tage, bevor er völlig trocken wird. Nach dem Trocknen werden die Stücke gereinigt, geglättet und nach 12 Graden sortirt. Jedes Stück wird darauf in Watte gewickelt und jede Last auf das Sorgfältigste verpackt. Der ganze Ertrag geht nach Wien und von hier aus wird der Meerschaum iu alle Länder vertrieben. Die jährliche Aus beute beträgt etwa 8000—10 000 Kisten. Die türkische Re gierung erhebt 34 Procent des Werthes als Steuer. ---- Eine Zukunstdphantilsic Bcrthclot's. Wie sich in einem phantasiercichen Kopfe die Zukunft unserer Erde malt, ist schon von vielen Schriftstellern erzählt worden. Größeren Anspruch auf Interesse machen aber jedenfalls die Gedanken, die ein bedeutender Gelehrter sich darüber macht, welcher der Wissenschaft neue Wege gewiesen und dadurch mitgeholfcn hat, dem Leben der Mitwelt wie der kommenden Geschlechter neue Gestaltung zu geben. Der berühmte französische Chemiker Berthelot ist solch ein Mann, und er hat vor nicht langer Zeit ein Zukunftsbild entrollt, welches jetzt angesichts seiner Ernennung zum französischen Minister des Aeußern wieder in mebr als einer Beziehung interessant ist. Die Chemie, so führte er in einer Rede über die zulünftige Be deutung dieser Wissenschaft aus, hat in den letzten Jahr zehnten Großes geleistet; daS ist aber nur der Anfang, bald werden viel bedeutendere Probleme gelöst werden. Um das Jahr 2000 wird es keine Lanbwirthschaft und keine Bauern mehr geben, denn die Chemie wird die biS- berige Bodencultur aufgehoben haben. Es wird keine Kohlen schächte, folglich auch keine Bergarbeiterstreiks mehr geben, denn die Brennstoffe werden durch chemische und physikalische Processe ersetzt sei». Zölle und Kriege werden abgeschafft sein, die Luftschifffahrt, die sich chemischer Stoffe als Be wegungsmittel bedient, hat diesen veralteten Einrichtungen das Todesurtheil gesprochen. Das Problem der Industrie besteht darin, unerschöpfliche Kraftquellen zu finden, die sich mit möglichst wenig Arbeit erneuern. Bisher wurde Dampf durch die chemische Energie verbrannter Steinkchlen erzeugt, aber die Steinkohle ist beschwerlich zu gewinnen und ihr Vorrath nimmt von Tag zu Tag ab. Man muß daran denken, die Sonnenwärme und die Hitze des Der große Mann empfand eS, er vergrub seine Liebe und wünschte in seinem Innern, daß daS reizende Mädchen mit dem russischen Grasen glücklich werden möchte. Als man inS Zimmer zurückging, waren der junge Forst eleve und der alte Professor gekommen. Der Graf begrüßte Emilie äußerst herzlich, flüsterte ihr einige Worte ins Ohr, trat an ihren Vater heran und bat um die Hand der Tochter. Raschel, dem die guten Verhältnisse deS jungen Edel- manneS bekannt waren, gab seinen Segen. Es wurde Verlobung gefeiert, das Brautpaar ließ man leben, und auS ihrem Glase trank Schiller auf das Wohl der Glücklichen . . Der Pfarrer machte jetzt eine kleine Pause und sinnend betrachtete er das Zimmer, in dem sich daS Alles ab gespielt hatte. Nach einer Weile fuhr er fort: „Ich bin nicht abergläubisch, immerhin geschehen im Leben manchmal Dinge, die mit bloßem Menschenverstand nicht zu begreifen sind. Als der Professor auf das Wohl des Brautpaares anstieß, ließ er sein GlaS fallen, so daß es mitten durch »erbrach. Die aufgeheiterte Wcinstimmuna ließ jedoch keine sentimentalen Gedanken aufkommen, ohne Mißstimmung wurden die Scherben beseitigt. Einige Tage später aber starb der Professor an einem Lungenschlage. Jetzt waren die Abende nie mehr so lustig wie früher; der liebenswürdige alte Professor fehlte immer in der Mitte. Aber auch Schiller blieb von dieser Zeit an sehr oft zu Hause — ob ihn noch Liebe zu Emilie zurückhielt und er sie so leichter zu vergessen glaubte? Emiliens Liebe zum Grafen wuchs mehr und mehr, beide kamen Abend für Abend zusammen, und auf beiden Seiten schien man den Tag herberzuwiinschen, der sie auf ewig ver binden sollte. Plötzlich trat eine folgenschwere Wendung ein. Der Graf mußte auf »men Brief seine» BaterS hin nach Rußland reisen. Als er Abschied nahm, versprach er, bald wiederzukommen, um seine Braut zu holen; innerhalb vier Wochen sollte sie den ersten Brief erhalten. Es war ein sehr herzlicher und herber Abschied. Emilie Weinte, als glaubte sie ihren Bräutigam in den Tod geführt zu sehen . . . beklemmte ihre Brust irgend eine Ahnung? Die ersten sechs Wochen vergingen und sie hörte Nichts von ihm; es vergingen weitere sechs Wochen und sie empfing keine Nachricht. Jetzt kam über sie eine unglaubliche Angst. Schiller suchte daS Mädchen, das ibm unendlich leid that, zu trösten. Der Trost diese« edlen Jünglings, der sich die ver änderten Umstände in keiner Weise zu Nutze machte, um viel leicht doch noch seinen Sehnsuchtswunsch realisirt »u sehen, fachte auch immer wieder ihre Hoffnung an, und sie betete auf die Rückkehr ihres Geliebten. Jammer und Elend kommen selten einreln. Hatte sie ihren Bräutigam nicht mehr an ihrer Seite, so sollte sie nun auch Schiller verlieren, der ihr ihre Einsamkeit ertragen half. Es war inzwischen die Zeit gekommen, wo er Dreißigacker verlassen konnte. Als sie jetzt Niemand batte, dem sie ihr Herz anSzuschütten vermochte, der sie so verstehen konnte wie unser Dichter, da faßte sie ein großer Jammer, und alle Hoffnung verließ sie. Sie nahm von Keinem Trost an, nicht von ihrem Vater, der verschiedene Male sich vergeblich nach Rußland gewandt hatte, nicht von den Schwestern, die ihr Benehmen überhaupt nicht begreifen wollten — sie wurde unheimlich still in ihrer Trauer — und eines TageS war sie plötzlich verschwunden. Der Vater glaubte, sie hätte sich daS Leben genommen und rang die Hände und jammerte und weinte, und sein Haar ergraute vor Schmerz und Kummer. Die Schwestern setzten sich leichter darüber hinweg und heiratheten. So war vielleicht «in halbes Jahr vergangen, als plötzlich die Todtgeglaubte wieder in Dreißigacker auftanchte. Bleich und elend sah sie aus, ibre Kleider waren zerrissen, und sie glich einer Bettlerin. Eine Bettlerin war sie fast auch ge wesen — ein weiblicher Handwerksbursche — Emilie hatte zu Fuß Deutschland durchwandert und war bis nach Warschau gezogen, um ihren Geliebten aufzusuchen. Man denke sich, ein Weib besteht alle Gefahren eines solchen NiesenmarscheS, erträgt Hitze und Kälte, Hunger und Durst, Elend und Entbehrung und wandert, nur ihrem liebenden, Zweifel- und verzweiflungsgepeinigten Herzen folgend, un bewacht, schutzlos und allein, Tag und Nacht, Nacht und Tag. Und sie kommt wunderbarer Weise an — Gott muß sie ge führt haben; aber was erfährt sie — der Graf hatte sich verheirathet und machte jetzt seine Hochzeitsreise. Warum er seinen Schwur gebrochen, hatte sie nicht erfahren. Gebrochen an Leib und Seele kehrte sie zurück ... AlS der gealterte Vater seine Tochter in diesem be- jammernswerthen Zustande plötzlich wieder sab, glaubte er, ein Gespenst zu sehen und brach fast vor Schrecken zu sammen. ... Er bat Gott, ihn nicht in Verzweiflung zu treiben und bei Verstände zu lassen. Der Allgütige erhörte ihn, er blieb bei Verstände, aber nicht so seine Tochter. Eines Tages sah sie daS Weinglas in ihrem Schranke, auS dem ihr Bräutigam ihr immer zu- getrunken. Eine wahnsinnige, schrankenlose Verzweisiungs- wuth faßte sie, sie ergriff das GlaS und zerschmetterte cS zu tausend Stücken am Boden. Dann wurde sie wieder ganz ruhig, sie sprach Nichts, lachte und weinte nicht mehr, sie batte ihren Menschengeist verloren. DaS Mädchen bildete sich wohl plötzlich ein, jedes Papier auf der Straße könne ein Brief ihres Bräutigams aus Warschau sein, und so hob sie jedes Papierschnitzel auf, daS sie fand, und suchte r« zu lesen. Als ihr Vater starb, kam sie nach Meiningen ins Armenhaus. . . . Noch in den zwanziger Jahren, erzählen ältere Leute, konnte man öfters auf der Straße ein kleines, dickes, zusammcn- geschrmnpfteö Frauenzimmer in kcmisckein Aufzug sehen, die alle paar Schritte sich bückte, Papierschnitzel auflas und sie in die Tasche steckte. Wurde sie dabei von älteren Personen ausgelacht und „Schnitzelemilie" oder „Papierraschel" gerufen, so genirte sie das nicht; suchten sie aber Kinder zu höbnen und ihr das Papier zu entreißen, dann schlug sie und mur melte unverständliche Worte das war Fräulein Emlie aus Dreißigacker. Schon lange ist die arme Frau gestorben, und nicht viel später folgten auch ibre Schwestern. Von jener schönen Zeit ist nichts übrig geblieben als dieses Weinglas. In einigen Gedichten soll Schiller das schöne Mädchen verherrlicht haben; doch hat sie Niemand zu Gesicht bekommen und gelesen — auch seine Geliebte nicht; mit seiner Liebe hat er sie vernichtet und in keinem seiner Werke ist etwas davon aufzufinden. . . Der Pfarrer schwieg. Ich trat ans Fenster und schaute hinab in die Meininger Schlucht. Die Sonne senkte sich mehr und mehr den Berg hinab und dehnte sich in ihren Purpurgluthen. Als ich mich wieder umwandte, saß der Pfarrer noch schweigend auf demselben Platze — Mutter und Tochter wischten sich die Thränen auS dem Auge, und- das Weinglas flimmerte seltsam im Goldstrahle der unter gehenden Abendsonne.
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