02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.01.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000109021
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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S14 formen wollen, so hat er von Neuem gezeigt, daß er mit feiner Strategie am Ende ist. In England erwartet man jetzt alle- Heil von einem einzigen Manne ober eigentlich von zweien, denn neben Lord Robert-, und vielleicht noch mehr als auf ihn, setzt man die Hoffnung auf seinen Generalstabschef, Lord Kitchener of Khartoum. Der Personenwechsel hat aber nicht- zu be deuten, wenn nicht das bisherige System — Zulasten der Einmischung in die Kriegführung von London her, eine Strategie der Zersplitterung und eine unvernünftige Bulldog taktik — von Grund au- geändert wird. Werden die Generale Robert- und Kitchener dazu im Stande sein? Von Lord Robert- ist wenig zu sagen; e» entzieht sich jeder Berech nung, waS der 68 jährige, aus dem indischen KriegStheater bewährte General in Südafrika leisten wird, wenn er auch dort schon vor Jahren gleichfalls gefochten hat. Jedenfalls dürfte ein heroischer Entschluß nvthig sein, nm die verfahrene strategische Lage wieder einzurenken, soweit eS überhaupt noch möglich ist, und nicht minder, um sich von dem politischen und geschäftlichen Gängelbande, dem Sir RedverS Buller sich nicht zu entziehen vermochte, freizumachen. Von Kitchener läßt sich mehr sagen. Von einem brauchbaren Generalstabschef muß man verlangen, daß er in der Technik de- Generalstabsdienstes wohl bewandert und ein erfindungsreicher Kopf sei, fähig, sich blitzschnell in jeder neuen Lage zurechtzufinden, nie um einen Ausweg verlegen und geschickt, alle sich bietenden Möglichkeiten ohne Verzug auszunutzen. Dabei muß er ungeachtet aller innern Festig keit schmiegsam nach außen sein. All diese Eigenschaften besitzt der Held von Khartum nicht, er ist ein nüchtern denkender, energischer, ja herrisch veranlagter Mensch, der als Oberbefehlshaber Großes leisten kann, wenn ihm ein genialer Generalstabschef zur Seite steht; aber zu der ihm übertragenen Rolle paßt er nicht. Wenn Lord Robert» mit einem festen eigenen Willen auftritt, sind die ernstesten Reibungen zwischen den beiden Männern unvermeidlich. Die Tbätigkeit des Oberkommandos wird nur bann eine ersprießliche sein, wenn Diejenigen Recht bekommen, die da behaupten, Kitchener werde bald der wahre Oberbefehlshaber sein. Seine in die Oeffentlichkeit gelangten Aeußerungen beweisen, wenn sie wirklich gefallen sind, daß er persönlich das Heft in die Hand zu nehmen gewillt ist, nm „die Karre aus dem Sumpf zu ziehen'. Entwickeln sich die Verhältnisse so, dann haben wir eine methodische, Schritt für Schritt vordringende, jeder Genialität entbehrende Art der Kriegführung zu er warten, nnd dann mag Kitchener's Wort^ daß der Krieg wohl ein Jahr dauern könne, wahr werden. , Wir verzeichnen noch folgende Nachrichten von Interesse: * London, 9. Januar. (Tel.) Die „Times" melden aus Louren^o Marques: „Standard and Niggers' News" zufolge schloß der Präsident des. Oranje-Freistaats Steijn seine Neujahrs botschaft an die Burghers folgendermaßen: „Möge im nächsten Jahre die Asrikander-Nation Frieden und Ruhe genießen! Möge der Frieden auf der Grundlage errichtet werden, daß der Feind, der uns während de- ganzen Jahrhunderts unterdrückt und verfolgt hat, nicht länger in der Lage sei, unschuldiges Blut zu vergießen! Möge Gott in seiner unendlichen Gnade nnS dies gewähren!" * London, 9. Januar. (Telegramm.) „Daily News" zu» solge beginnt übermorgen die Einschiffung der achten Division. — Ter Firma Vickers und Maxim ist die Anweisung zugrgangen, bis auf Weiteres so viel 4-, 7- und 6zöllige Schnellfeuergeschütze herzustellen, als sie zu leisten vermag. * LonVon, 9. Januar. (Telegramm.) Den Morgenblättern zufolge ist das Kanonenboot „Harrier" aus dem Mittelmeer in Aden eingetrosten, nm sich an der Ueberwachung ver dächtiger Schisse zu betheiligen. * Washington, 8. Januar. Im Senate brachte heute Pettigrew einen Beschluß an trag ein, der die Regierung er mächtigt, ihre Vermittelung in dem Kriege zwischen Groß britannien und den beiden südafrikanischen Republiken anzubicten. * Boston, 8. Januar. Das demokratische Centralcomit« des Staates Massachusetts nahm einen Beschlußantrag an, in dem die Boeren zu der glücklichen Bertheidigung ihres Landes be glückwünscht werden. Ans dem Wege zur Anklagebank. 8.-0. London, 8. Januar. Ter Ruf: „Auf die An klagebank mit den Schuldigen!" ertönt immer lauter in der Presse, und zwar bezeichnender Weise nicht sowohl in den Organen liberaler und radicaler Opposition, sondern in den vornehmsten Blättern der conservativen Partei. So schreibt heute der „Observer": : „Nicht mißzuvrrstehende Anzeichen deuten darauf hin, daß di« Eröffnung des Parlaments markirt werden wird durch eine sehr entschlossene Anstrengung, die Verantwortlichen für die lauge Reihe von Fehler» zur Rechenschaft zu ziehen, welche in unserem süd afrikanischen Feldzüge so verderbenbringende Früchte gezeitigt . . . Alle-, wa» sich seither ereignet und so tropfenweise bekannt geworden, fordert strengste Rechnungslegung sowohl vom Krirgsamte, wie vom Ministerium. Gelegentlich drS Krimfeldzuges wurde rin besondere» Comitö vom Han» der Be- meinen ernannt, trotz der leidenschaftlichen Opposition Mr. Glad stone'-, und das Ergebniß war, daß dir Verwaltung die wohlver diente scharst Züchtigung erhielt. Die Regierung kann versichert sein, daß in dem gegenwärtigen Falle eine nicht weniger scharfe Unter suchung gefordert werden wird. Die Haltung und die Rathschläge Lord Molselry'S und Sir William Butler'- sind Gegenstand allgemeinsten CommentarS und Jedermann besteht darauf, genau zu erfahren, welcher Natur dieselben waren und ob und we-halb dieselben un beachtet blieben. Es handelt sich (wir resumittn hier in wenigen Worten eine spaltenlange Ausführung) nicht nur um die Tbätigkeit der Kriegs ministeriums, unsere Ausrüstung, die Minderwerthigkeit unserer Artil- lerir, den kläglichen Zusammenbruch unseres Train- und Verpflegung-« wesenS rc., sondern auch nm unsere Rüst ungen zur Ser. Glück licher Weise beschränkte sich unsere Hauptausgab« auf die Krieg-» sührung zu Lande, aber wenn wir uns erinnern, daß wir unsere Landstreitkräste durch Marine-Brigaden zu ergänzen hatten, uod die einzige Aussicht, mit der schweren Artillerie der Boeren unS zu messen, dadurch geschaffen wurde, daß wir nn» an unsere Kreuzer wandten, so ist es klar, daß die kommende Untersuchung sich sowohl auf die Admiralität, wie auf da- Kriegsamt erstrecken muß. Wir rechnen zuversichtlich darauf, daß dieselbe noch einen Schritt weiter und zwar bis zur Abschaffung der alten und unbrauchbaren Vorderlader geführt wird, welche noch einige 16 unserer Schiffe belasten, zur Beschämung des einen oder beider der streitenden Amtsstellen. John Bull wird sich nicht damit begnügen, daß man den ersten Lord der Admiralität und den Staatssekretär verantwort lich macht. DaS Volk hat weder Leben, noch Geld» noch seinen guten Namen geschont in diesem furchtbaren Kampfe, und hat das Recht, strenge individuelle Rechnungslegung zu fordern vom höchsten bis zum niedrigsten seiner Diener. ES ist noch nicht leicht, endgiltig» Schlüsse zu ziehen, aber der allgemeine Gang der Ereignisse scheint aus die Ueberlegenheit der privaten über die ossicielleAction und Tbätigkeit in den verschiedenen Abtheilungen kriegerischer Vor bereitungen zu deuten. Im Krimkriege brach der Transport nnd Verpslegungsdirnst vollständig zusammen, bis daS leitende Zeitungsorgan den Behörden zu Hilfe eilte und mit Erfolg die Bekleidung und Verpflegung unserer frierenden und verhungernden Jungen in den Gräben vor Sebastopol unternahm. Im Sudan- feldzuge löste die Firma Look L Son die Aufgabe, welche das Kriegsamt nicht zu lösen verstand uod jetzt scheint «S, daß wir bessere und billigere Waffen von den großen Fabriken in Elswick, Sheffield, Crriisot und Essen «halten, al- unS Woolwich zu liefern vermochte." Tas Beschieße» vou Ambulanzen; Kugelwnube». Der „Army und Navy Gazette" schreibt einer ihrer militärischen Kriegsberichterstatter vom Kriegsschauplätze: „Es scheint eine gewisse Sorte von Männern zu geben, welche planmäßig den Feind verdächtigen, unsere Verluste hrrobsetzen und diejenigen der Boeren auf daS Gröbste übertreiben — Männer, die ihr höchstes Vergnügen darin finden, Geschichten von Krankenträgern und Ambulanzwagen zn erfinden, aus welche der Feind geschossen haben sollte u. s. w. Ich verstehe ihre Beweggründe nicht. Soldaten mit offenem Blick müssen einsehen, daß es gar nicht zu vermeiden ist, daß Verwundetrnträger auf dem Schlachtfelde beschossen werden. Kein einziger Boer aber würde meiner festen Urberzeugung nach absichtlich auf eine Rothekreuz» abtheilung schießen. In dem letzten Kampfe hier wurde das BoerenhoSpital von mehreren Bomben getroffen und alle unsere Ambulanzwagen er hielten Schüsse. Aber auf beiden Seiten handelte es sich dabei nur um reine und unvermeidliche Zufälle. Ich selbst stand dabei, wie ein Krankenwärter einen verwundeten Artilleristen verband und letzterer während des Verbindens rin zweite Kugel in da- andere Bein erhielt. Aber rS regnete Kugeln rund um nnS her und wie kann man da behaupten, die Boeren zielten auf das Rothe Kreuz oder einen schon verwundeten Mann? DaS war bei Graspan. Am nächsten Morgen rückten wir in die Stadt ein und der ganze Tag verging mit dem Begraben unserer Tobten. DaS FrldhoSpttal war an diesem Morgen überfüllt mit mehr denn 400 Todten und Verwundeten. Die durch die Mauserkugeln hervorgebrachten Wunden sind so gut als man wünschen kann. Eingang und Ausgang derselben sind von thatsächlich derselben Größe und sehr klein. Die meisten der Ber» mundeten machen einen ununterbrochenen Heilungsproceß durch. Die Mauserkugel der Boeren ist eine viel menschlichere als unsere eigene Lee-Metford, und zwar aus zwei Gründen. Ihr Kaliber ist geringer und ihre Schnelligkeit weit bedeutender. Ich hab» bisher einige Tausend KugrlwunLen gesehen, einschließlich derer in dem Filipinokriege. Meine Erfahrung geht dahin (sie basirt zum Theil auch auf Experimenten, welche ich dieses Jahr bei Wri-hai-wei machte, während deren ich über 1000 Wunden Remington Kupfer- hüllenkugeln und Nickelhüllen-Lre-MetfordS abseoertr und zwar auf lebende und leblose Objecte), meine Erfahrung, sagte ich, hat mich zu dem Schluffe geführt, daß diejenigen Wunden am schnellsten heilen und die geringste Sorge machen, welche dieselben Charakter eigenschaften besitzen, nämlich: 1) eine sehr große Schnelligkeit, 2) eine flach» Fluglinie, so daß sie mit dem Apex treffen und nicht, wa» wir „ein Schlüsselloch" nennen, machen, 3) eine harte glatt« Hüll« mit glattem runden Apex; 4) rin« kurz« Gchußw«it« aus demselben Grunde wie ack 2, da eine weit schießend« Kugel ihren Gegenstand seilweise treffen kann. Würde ich diese Geschosse in der Reihenfolge tabelliren, in welcher die durch sie bervorgerufenen Wunden in absteigender Linie schwerer werden, so würde die Tabelle etwa folgendermaßen lauten: 1) Mauser, 2) Krag-Iorgensen, 3) Ler-Metford, 4) Lre-Metkord mit hohlem Kopf und Nickelaiantel, 5) jede der vorhergehenden drei mit Nickelmantel vom Apex «nlserut, so daß der Bleikrgrl expoairt ist, 6) Dum-Dum, 7) Remington mit Kupierhülle, wie di, Filipino- verwenden, 8) Remington Bleikugeln oder Martini-Henry, 9) Remington Kupfer- kugeln mit offener Kupserhülle und entblößtem Vlrikegrl, 10) Shrap- nelkugeln, 1l) Bomben und deren Thrilstücke. Explosivkugeln sind mir nicht bekannt; e» heißt, die Boeren hätten solche benutz», aber ich halt» das für außerordentlich zweifelhaft. Alle ernsten Männer werden darin überetustimmen, daß die Boeren sich al- brave Männer erwiesen." Südafrikanische Pretzfehde. Wie erhitzt die Gemüther der beiden feindlichen Lager in Südafrika, der englischen Uitlanderpartei und des Bonds, bereits sind und wie weit Wutb und Verzweiflung namentlich die NhodeSleute und die Presse der Kaffirkönige beherrscht, dafür ein kleine- Beispiel au» dem Hauptorgan deS Uitlander- ComitSS, dem Capstadter „Argus" vom 12. December: „Der Krügerismus umfaßt den Bond und diese Combination der Hölle hat Südafrika in Blut ersäuft. Früher oder später mußte diese höllische Kabale ihrer Natur nach nothgedrungen unS in einen mörderischen Conflict drängen und nun haben wir den Krieg, wild und bitter, uod geschändet durch die niedrigsten Verleumdungen und den schwärzesten Brrrath. ES scheint, als hätten sie die Hölle selbst von einem Winkel zum andern ausgeraubt nach Elenden und Feilen, um uns zu verleumden und nach stinkenden Berräthern, um gegen die kaiserlichen Streitkräfte zu operiren. Aber alle ihre Künste bleiben wirkungslos und waS immer die Pläne der Kritger'schen gewesen sein mögen, wir wissen, daß Ihnen der Erfolg fehlt. Es ist jetzt klar, daß nur noch ein Wunder den Krügerismus retten kann — und die Tage der Wunder sind dahin. Dieser Krieg ist nur vorweg genommen dem brudermörderischen Bürger kriege, welchen der Krügerismus ausheckte; aber er batte zu viel Brennmaterial ausgehäust, das Ei war zu faul, barst, und der Staak allein blieb. Wir begrüßen daS Ziel der kaiserkkchen Regierung mit Jubel, denn in der Zerstörung der Tyrannei liegt die Freiheit, für sie fallen unsere Südafrikaner, deren Knochen über die Schlachtfelder zerstreut liegen und deren Blut sich mischt mit dem ihrer edlen Alliirten der Engländer, ohne deren fürstliche Hilfe wir in der Thal arm wären. Noch einmal in der Geschichte dieses un befriedigenden Planeten muß man sich seiner Mitsterblichen ent ledigen und der Dämonen der Ignoranz und des Borurtheils, mit denen sie besessen sind und von dem scheußlichen Conglomerat, daS de» Namen „KriigeriSmuS" trägt. Wir wissen nur zu wohl, daß nicht» als rücksichtsloser Kampf, nicht» als Blut unsere Emancipation vollenden kann und schon liegt da» beste Herzblut unserer Männer nnd bäckt wie Brod unter dem afrikanischen Himmel. Ich freue mich, daß die Tage des Krügerismus gezählt sind, daß er in der Agonie deS Todes und der Vernichtung, in den letzten Zuckungen liegt. Ver flucht sei der Mann, dessen aussätzige Seele dieses scheußliche Un- geheuer mittelalterlicher Ungerechtigkeit wieder neu beleben wollte. Möge er zu Staub vor dem Winde, zerschmettert und alS Dreck in die Straße geworfen werden, um von dort in den heulenden Hochofen zu fliegen und bis zur Vernichtung zu verbrennen, damit selbst seine Asche nicht die Luft vergifte. Ihr fluchbeladenen Autokraten von Pretoria sollt alle, olle umkommen, mitsammt euren großmäuligen Miethlingen und feilen Banditen, ihr hoff nungslosen und verabscheuten menschlichen Vampyre, ihr, die ihr Freund und Feind ausplündern würdet, die ihr selbst das Leben der Unschuldigen in eurer Wnth opfert, um eure verfluchte und unerträgliche Herrschaft über eure Mitmenschen aufrecht zu erhalten, damit ihr straflos Alles, wa» ihnen gehört, unter euch theilen und da» Loos darüber werfen könnt; damit ihr den edlen Geist der Männer brecht und sie wie Vagabunden über Gottes schöner Erde dahin Hetzen könnt. Sollt ihr euren Triumph erleben?! Erhebt euch, ihr Ungeheuer der Hölle und verschlingt sie." Eapstadt, den 12. December 1899. „PerseuS." Dieser Erguß, der fast wie eine Parodie, oder die Aus geburt eines Geisteskranken sich liest, steht wörtlich zu lesen auf Seite 5 der dritten Ausgabe de» „Cape-ArguS" Nr. 10306 vom 12. December 1899 in CorpuSdruck unter den letzten Depeschen vom Kriegsschauplätze und über einem Artikel, welcher den feierlichen officiellen Empfang Sir CharleS Warrens beschreibt, und nicht in einem Winkel. Deutsches Reich. U Berlin, 8. Januar. (Lohnstatistik.) Eine amtliche Lohnstatistik giebt eS in Deutschland nicht, sie ist aber auch nicht absolut nöthig. Mau kann ohne sie recht gut feststellen, daß die Arbeitslöhne sich in den letzten Jahren stetig ge steigert haben. Darüber geben nicht nur die Erhebungen privater wirthschafllichrr Vereinigungen für di« betreffenden einzelnen Gewerb-zweige Auskunft, auch au- amtlichen Statistiken lasten sich Schlüsse allgemeiner Natur nach dieser Richtung ziehen. So belehren unS über diese Erscheinung die jährlichen RechnungSergebniffe der BerufSgenossenschasten für die der Unfallversicherung unterliegenden Gewerbegruppen. Die in denselben enthaltene» LohnnachweisungSbeträge stellen zwar di« wirklich gezahlten Löhne nicht dar, da sie aber in jedem Jahre nack denselben Grundsätzen berechnet werden, so geben sie eine durchaus zutreffende Unterlage für einen Vergleich der Lobnsteigerungen von Jahr zu Jahr. Einen ähnlichen Maßstab für eine zutreffende Schätzung der auf diesem Ge biete sich abspielenden Vorgänge liefern die Rechnungsergebnisse der Versicherungsanstalten, da in ihnen die durchschnittliche Höhe de» nach dem Verdienst der Versicherten berechneten und gezahlten WochenbeitrageS Jahr für Jahr festgestellt wird. Hier zeigt sich ganz deutlich die stetige Steigerung der Lohnsätze. Im ersten Jahre der Geltung der Invalidenversicherung, im Jahre 189l, belief sich diese durchschnittliche Höhe auf 20,81 -1, sie stieg 1892 auf 20,86, 1893 auf 20,97, 1894 auf 20,99, 1895 auf 2l,04, 1896 auf 21,17, 1897 auf 21,33 und 1898 auf 21,55 -F. Man ersieht hieraus, daß die Steigerung Jahr für Jahr angebalten hat. ES ist demnach ganz zweifellos, daß das Einkommen der deutschen Arbeiterschaft sich im letzten Jahrzehnt stetig erhöht hat, und die kommenden Zahlen werden den Beweis erbringen, daß diese Lohnbewegung immer noch andauert. * Berlin, 8. Januar. (Wenn der „Vorwärts" scherzt . . .) Dem „Vorwärts" hat sein „Sylvesterscherz", die Veröffentlichung eines angeblichen Zarenmanifestes gegen die steigenden Rüstungen zur See, so ausgezeichnet gefallen, daß er fortfährt, in diesem Stile zu arbeiten, aber im Ernst. So brachte er angeblich aus dem „Militärwochenblatt" folgende, durch Anführungszeichen als wörtliche- Citat bezeichnete Bekanntmachung: „Freiherr v. Beaulieu-Marconnay, der Sekretär de» Deutschen Flotteavereins, bisher Oberleutnant im Jnfanterie-Regiment von Wittich Nr. 83, ist zur Dienstleistung beim Großen Generalstabe commandirt und mit seinem Patent bei der Marine-Infanterie, und zwar L I» suite deS 1. SeebataillonS, angestellt." Durch die „Bekanntmachung" wird natürlich der An schein erweckt, als ob der neue Sekretär deS Flottenvereins activer Officier geblieben und al» solcher auf einen Posten versetzt wäre, der ihm die Führung seiner Geschäfte als Sekretär gestatten sollte. Die Bekanntmachung ist jedoch eine Entstellung; thatsächlich lautete sie: „Freiherr v. Beaulieu-Marconnay, Oberlt., bisher im Inf.» Regt. 83 und commandirt zur Dienstleistung beim Großen General- stabe, — mit seinem Patent bei der Marine-Infanterie und zwar ü la suito deS 1. Sre-Bataillons angestellt." Frhr. v. Beaulieu ist also zum Generalstab commandirt gewesen, und — was übrigens in derselben Nummer deS „Militär-Wochenblatt-" unter „Abschiedsbewilligungen" verzeichnet war! —au- diesem Dienst „au-geschieden". Die Stellung „L Iu suite deS 1. Seebataillons" hat lediglich den Zweck, den spateren Wiedereintritt deS betreffenden Officiers und die gleichmäßige Weiterbeförderung nach der Anciennität der activen Ofsiciere zu ermöglichen, ohne daß derselbe — da er keine etatsmäßige Stelle bekleidet — sein Gehalt fort bezöge. Die Klage über die „Flottenagitation auf Kosten der Steuerzahler" — der zu Liebe jene Entstellung offenbar vorgenommen war — ist also unberechtigt. — Dem „Vor wärts" ist übrigens auch bei seinem anmuthigen Sylvester scherz da- Glück wenig hold gewesen. Zwar triumphirt er: Wir hatten es den Blättern leicht gemacht, unsern Scherz zu erkennen, und doch wie viele (?) wurden vom Groll über die Störung ihrer Marineherrlichkeit verblendet. Der gute „Reichsbote" über mittelte noch am Donnerstag Abend, als wir schon längst den Scherz aufgeklärt hatten, unser Manifest seinen Lesern und bemühte sich, den Krieg mit der Bibel zu rechtfertigen. Die Jronisiruog unserer zum Weltkrieg rüstenden Bethenrer der Friedfertigkeit hat ihren Zweck vollauf erreicht. Wenn der „Vorwärts" aber im eigenen Lager Umschau hält, wird er finden, daß der Zweck doch nicht so ganz erreicht war, da auch socialdemokratische Blätter „verblendet" waren und die Sache ernst genommen haben; so muß der „Vorwärts" sich denn von den eigenen Freunden sagen lassen, daß er einen „recht thörichten Streich" gemacht hat und daß, wie die „Sächs. Arbeiterztg." schreibt, „ein bloße- Geflunker noch lange kein Scherz" ist. — Die „Berl. Reuest. Nachr." schreiben: Wie fast regel mäßig zu Beginn eines neuen Jahres, so tauchen auch jetzt wieder die mannigfachsten Nacbrichten über bevorstehende Kaiserreisen auf. So weiß ein Hamburger Bericht erstatter, der auch vor einigen Tagen das Kunststück fertig brachte, Se. Majestät mit Panzerschiffen nach Havre und von dort nach Paris zur Weltausstellung reisen zu lassen, jetzt zu melden, daß das Kaiserpaar im April an Bord der „Hohenzollern", anschließend an seine Reise nach Rom, eine Orientfahrt nach Egypten unternehmen werde. ES braucht kaum besonder- hervorgehpben zu werden, daß eS sich bei allen wenn der Teufel ihn ganz des Teufels machen wollte, daß er händeringend aufheulte und mit dem Kopf gegen die Wand wollte, rind kam dann der Wärter und fragte, ob er verrückt geworden wäre, so bat er, weil im Augenblick, verstört und verblüfft, er keiner anderen Ausrede habhaft wurde, man möchte den Pastor bitten, zu ihm zu kommen. Was er mit seinen Ueberzeugungen vom Pastor wollte? Nichts, als rin Menschenangesicht sehen, das Angesicht eines in sich gefestigten zufriedenen, von keinerlei Skrupeln beängstigten Menschen, der an Treu und Redlichkeit glaubte, an die Ewigkeit und Heiligkeit geschworener Eide, an die Tugend bedrängter Frauen und an die Ehrbarkeit gestandener Männer. Er lachte sich selbst aus ob solcher Anwandlungen, und kam dann der Pastor, so gab's ein endloses Wortgefecht über ganz andere Dinge, die Immanuel bei den Haaren herbeizog und mit seltener Verbissenheit festhielt. Der Geistliche verließ den ver stockten atheistischen SoAIdemokraten bald mit Heller Ent rüstung, bald mit seelsorgerisch gemildertem Bedauern, während der Andere, der doch etwas wie Erleichterung empfunden hatte, ohne ein Wort auszusprechen, dankbar die Hand umklammerte, die ihm Jener bei aller Güte nicht lassen wollte. Freilich hielt dieser Trost nicht vor, und Immanuel suchte sich einen anderen, um nicht verrückt zu werden. Wenn es ihm bis in die dritte Woche des ersten Monats seiner Haft unmöglich ge wesen war, seine Gedanken anhaltend auf einen anderen Gegen stand, al» auf das mit wunderlichen Arabesken umgebene Bild der Geliebten zu sammeln, wenn er schon am Ende der ersten Seite eine» Buche» nicht mehr wußte, was auf der ersten Zeil« stand, wenn er diese Tröster der Wissenschaft nach jedem vergeb lichen Versuch, seine Gehirnthätigkeit an sie zu heften, in den Winkel geschleudert oder gar mit Füßen getreten hatte, nach und nach bekannte er sich doch, daß keine Rettung vor dem Teufel war, als bei ihnen, und er klammerte sich, allem Widerwillen trotzend, mit krampfhaftem Eifer an diese Studien, von denen er sich sagte, daß nur sie ihm die Gesundheit und den Verstand retten konnten. Er hatte sich rechtzeitig mit Büchern versorgt und die Erlaub- niß, sie zu benutzen, erhalten. Sie wurden nun seine besten, sein« einzigen Freunde. Mit einem Fleiße, wie er ihn noch nie im Leben an eine Sache gewandt hatte, arbeitete er ein Werk nach dem anderen durch, machte sich Auszüge und rxaminirte sich selbst über da» Gelernte, al» gält eS dai wichtigste Staatsexamen zu machen. Galt r» ihm doch um mehr: zunächst nicht unterzu gehen im Gram und in den Wahnvorstellungen seiner darbenden Leidenschaft, und dann bestehen zu können als ein brauchbarer Mensch vor Freund und Feind, wer und was immer ihm ent gegentreten mochte. Allmählich gelang es seinem festen Willen, sich mit Erfolg von diesen wissenschaftlichen Ideen ergreifen und fesseln zu lassen. Es gelang ihm stundenlang, halbe Tage lang, nicht an Nanda zu denken. Er empfand dies wie eine Wohlthat und schauderte doch bei dieser Erkenntniß wie vor einem Treubruch. Wie, wenn auch sie halbe Tage nicht an ihn dachte? War daS nicht auch Treubruch? Nein, sagte er, und er wünschte es ihr mit zärtlicher Bitterkeit. Er mußte an das Elend solcher Gefangenen denken, welche in ihrer Bildung und deren Hilfsmitteln keine Ablösung von den peinlichen Vorstellungen, die ihr Zustand mit sich brachte, fanden. Er erinnerte sich an allerhand Geschichten, die davon erzählten, wie solche Menschen sich vor Verzweiflung und Wahnsinn zu bewahren gesucht hatten. Und ihn überkam Dankbarkeit für seine bessere Lage, die ihn zwang, ein Vierteljahr lang alles Sinnen und Denken auf seine wissenschaftliche Ausbildung zu verwenden, wenn das Jrrlichteriren seiner Phantasie ihn nicht dauernd schädigen und für sich, wie für seine Partei, für daS politische Leben, wie für die Geliebte entwerthen sollte. Die ganze Willenskraft nahm er zusammen und schwor sich, als ein Mensch von höherem Werth« in die Gesellschaft zurückzukehren, der er zur Strafe seiner und Anderer Sünden noch für Monate entrückt bleiben sollte. StaatSwiffenschaft, Nationalökonomie, Politik und Geschichte, dickleibige mehrbändige Werke, zahlreiche Broschüren dazu und auch Collegienhefte verschlang er und wiederholte uner müdlich, wo er sich nach einiger Zeit über daS Erworbene nicht haarscharf Rechenschaft geben konnte. Versagten ihm dann mit dem spät am Sommerabend schwindenden Lichte die Kräfte, so zog etwa» wie Srolz und Beruhigung vom Kopf herunter über die vordem so gequälte Brust, und milder und lieblicher, freilich auch schwächer in Um riß und Farben, waren die Bilder der Geliebten, die ihn jetzt nach vollbrachtem schweren Tagewerk heimsuchten und bald, un deutlicher werdend, in tiefen festen Schlaf hiniiberleiteten. An Rückschlägen fehlte eS nicht. Sie kamen plötzlich und mit einer überwältigenden Macht. Allein mit der instinktiven Scheu de» Selbsterhaltungstriebes und mit der wachsenden Kraft eine» bewußten Willen» suchte er sie zu vermeiden und hintanzu halten. So wurden auch die Gespräche mit dem Pastor ruhiger und objektiver. Keine tobenden Ausbrüche geflissentlichen Widerspruchs mehr, kein absichtliches Zurschautragen unversöhnlicher Gegen sätze. Sie lernten gegenseitig die ehrliche Ueberzeugung achten, wenn sie sie auch beklagten, und sprachen mit einander wie ge bildete Menschen nur mehr von denjenigen Dingen, über welche sie sich nicht in die Haare zu fahren brauchten. Weniger zufrieden mit der neuen Lebensweise des inter essanten Zellenhäftlings, als der Geistliche, war der Gefängniß- arzt. Daß ein unbändiges Herrchen aus den gebildeten und ge nießenden Ständen in den ersten Wochen, da ihm die Freiheit entzogen wurde, tobte und tollte, war ihm nicht neu, es war daS Natürliche und gab sich ja mit der Zeit, denn auch im Gefängniß und da erst recht ist die Wand der härtere und hartnäckigere und der Kopf der empfindlichere und weichere von Beiden. Auch daß Einer, den die Staatsgewalt zeitweilig hinderte, seine Tage zu verjubiliren, hier in seiner stillen Zelle in sich ging und sich nützliche Kenntnisse zuwendete, um sie nachher gut oder schlecht unter seinesgleichen zu verwerthen, gehörte zu den gewöhnlichen Fällen. Aber der Uebereifer, mit dem daS von Immanuel Wink ler geschah, war vom Uebel. Der Mensch überarbeitete sich augenscheinlich, gefährdete seine Gesundheit und damit den guten Ruf der Anstalt und ihrer Aerzte. DaS konnte, daS durfte man so nicht hingehen lassen. Und der wohlwollende, wenn auch etwas gleichmiithig amtirende, aber durch seinen Beruf und seine Patienten zu befehlerischer Barschheit erzogene SanitätSrath er klärte Winklern gerade heraus, daß er ihm die vielen Bücher con« fiSciren werde, wenn er sich in seinem Uebereifer nicht mäßigte. Winkler aber nahm den Befehlenden ehrerbietig bei der Hand, bat ihn, wie ein Sohn zum Vater sprechen zu dürfen, und deutete ihm dann an, daß man eben einen Teufel durch den anderen auStreiben müßte, und daß er lieber vom vielen Arbeiten etwa» magenkrank und nervenschwach, als ohne anstrengende geistige Thätigkeit vor allerhand innerer Aufregung verrückt werden möchte. Der Arzt sah ein, daß diese Eventualität für sein Gewissen wie für den Ruf der Anstalt noch peinlicher wäre als jene, be schränkte sich auf immerhin eindringliche Ermahnungen, den über großen Eifer zu dämpfen, und sorgte im Uebrigen dafür, daß der gefangene Socialdemokrat, der trotzdem für ihn der Spröß- ling eine» alten, würdigen Gelehrten blieb, an Büchern so viel erhielt, al» er irgend bedurfte. Die Folge war, daß sich der emsige Winkler nach drei Mo naten in der Thal überarbeitet hatte, daß er nunmehr wie der Schatten seine» früheren trotzigen Selbst herumkroch, zu hüsteln begann und endlich im Fieber auf die Krankenabtheilung geschafft werden mußte. Die Führer der Partei ließen sich selbstverständlich die That- sache der Erkrankung ihres Genossen im Gefängnisse nicht ent gehen und schlugen Lärm über schlechte Behandlung, ungesunde Wohnung und verdorbene Nahrung. Freilich, wenn es sich um einen der Besitzenden gehandelt hätte, der zwei oder drei seiner Mitmenschen in sogenannten Duellen kunstgerecht ermordet hätte, dem würden auf der Festungshaft alle Erleichterungen gewährt werden und baldige Begnadigung in Aussicht stehen. Aber für einen armen Socialdemokraten bliebe jede Härte des Gesetzes ungemildert und der schlechteste Kerker gerade gut genug, um ihn für längere Zeit, wenn nicht für immer, kampfunfähig und unschädlich zu machen. Die Bleidächer Venedigs und die Keller der Peter Pauls-Festung avancirten zu behaglichen Sommerfrischen im Vergleich zur Bastille am Plötzensee, und Immanuel Winkler's Werth und Be deutung für die Partei ganz besonders, wie für das öffent liche Leben in Deutschland überhaupt ward mit einer bisher noch unvernommenen Ausführlichkeit und Wärme behauptet und be wiesen. Leider machten etliche Zeilen einer sachgemäßen Erklärung der Verwaltung allen Uebertreibungen ein rasches Ende, und über den drei Tage lang im Sturm gehobenen Namen Immanuel Winkler glätteten sich bald wieder die Wogen der öffentlichen Meinung und rauschten anderen Ufern zu. Nanda von Weffelbrunn hatte von dem ganzen kurzen Ge räusch, da» mit dem Namen de» Geliebten gemacht worden war, sowie von seiner Erkrankung nicht» erfahren. Socialistische Blätter kamen nicht in ihre» Vater» Haus, und von allen Be kannten hatte Keiner auch nur die geringste Veranlassung, den Namen deS kleinen socialistische» SitzredacteurS zu nennen, den sie ja wohl kaum kennen mochte. Man hatte von Wichtigerem mit ihr zu plaudern, und man plauderte viel vor ihr. ES sah um sie herum ziemlich also au», wie e» der Gefangene Winkler in seiner aufgeregten Einbildungskraft sich an die kahlen Wände seine» Zellengefängniffe» zu eigener Qual aufgezaubert hatte. (Fortsetzung folgt.)
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