172 Um zuerst das nächstliegende zeitgeschichtliche Beispiel heran zuziehen, sei das deutsche Gesetz zum Schutze der Republik ins Auge gefaßt. Daß es ein verfassungsänderndes Gesetz darstellt, daß es die jedem Deutschen in der Verfassung gewährleisteten Grundrechte teilweise außer Kraft setzt, ist schon dadurch offiziell anerkannt worden, daß es nur mit Unterstützung einer nach vielen Kuhhandelspraktiken zustandegekommenen Zweidrittel mehrheit des Reichstages sanktioniert werden konnte. Die Väter des Gesetzes Huben behauptet, daß es sich nicht um ein Ausnahme gesetz, sondern um ein Sondergesetz handle. Gewiß läßt sich der Ausnahmecharakter mit knifflichen juristischen Auslegungen weg disputieren. Aber es wird von einer gewichtigen öffentlichen Meinung als Ausnahmegesetz empfunden, und das ist entscheidend. Vergehen und Verbrechen gegen die Staatsgewalt, gegen die Ehre und das Leben von Politikern können im Rahmen des allgemeinen Strafgesetzes geahndet werden. Um eine Sondermaterie, die im allgemeinen Gesetz nicht entsprechend berücksichtigt werden kann, handelt es sich überhaupt nicht. Es sind politische, nicht rechtliche Gründe, die zu einer Abzweigung einer besonderen Kategorie von Straftaten von der allgemeinen Rechtssprechung führten. Der Ausnahmecharakter des Gesetzes ist übrigens schon dadurch ge geben, daß man es auch in Fällen zur Anwendung brachte, wo durch den inkriminierten Propaganda- oder Agitationsakt die Republik weder direkt noch indirekt in Gefahr geriet. Mag auch für die einigermaßen loyal gesinnten Staats bürger und die von ihnen geleiteten Werbeunternehmen die Ge fahr der Vergewaltigung durch diesen legalisierten Zensur knüppel nicht immer allzu groß sein, es können jederzeit Macht haber ans Ruder kommen, die dies Instrument als Knute gegen die Opposition noch ärger mißbrauchen. So schwebt also über dem Haupte eines jeden politischen Werbers die Gefahr, von einer politisch orientierten Ausnahmejustiz seiner bürgerlichen Frei heiten beraubt zu werden. Und das nicht etwa im Namen einer außerordentlichen staatlichen Notwehr, sondern im Namen des Gesetzes! Was von dem Schutzgesetz des Jahres 1922 gilt, bezieht sich ebenso auf das Sozialistengesetz des kaiserlichen Deutschland vom Oktober 1878. Dieses umgab die außerhalb der ordentlichen Ee-