199 Hemmung des natürlichen Werbeflusses, die unter dem Druck äußerer Ereignisse erfolgt, hemmt die normale Auswirkung der Meinungsdifferenzen, vergrößert die inneren Spannungen und wirkt nicht ausgleichend, sondern häuft den Explosivstoff und damit den Argwohn aller gegen alle. Auch die von den Regierungen oft beliebte Taktik der Hinaus zögerung fällig gewordener politischer Wahlen wirkt im allge meinen nicht reinigend auf die gesamtpolitische Atmosphäre. Man soll notwendige Operationen nicht verschleppen. Beispielsweise führte bei uns die Überalterung der neudeutschen Nationalver sammlung zu der schweren Krisis jenes rechtsradikalen Gewalt anschlages vom März 1920. Enthält man Oppositionsparteien zu lange ihr Recht vor, so drängt man Teile ihrer Anhänger aus der durch den Wahlkampf vorgezeichneten legalen Bahn auf den staatsgefährlichen Weg illegaler Selbsthilfe. Man soll auch Par teien nicht durch polizeistaatliches Machtwort verbieten, selbst wenn sich unter ihren Mitgliedern Putschisten befinden. Man gehe gegen die Verächter der Ordnung nur einzeln vor, nicht gegen die Partei als solche, sonst wirkt man gerade für die, die man unterdrücken will. Die unterdrückte Parteisache wird auch dann Freunde finden, wenn es sich um eine schlechte Sache handelt. Die Machthaber sind häufig gern bereit, die Wahlordnungen derart festzulegen, daß die Interessen ihrer Partei dabei be sonders Aussicht auf Durchsetzung haben. Die Wahlkreisgeometrie bildet noch ein besonderes Kapitel der politischen Werbetaktik. Die Wahlordnung, die den Charakter des Wahlrechts bestimmt, ist für das ganze Staatsleben von eminenter Wichtigkeit. Die parlamentarischen Wahlordnungen müßten entsprechend den modernen Geistesgrundlagen des Volksvertretungsprinzips formal-demokratischer Natur sein. Die parlamentarischen Wur zeln in Europa stammen allerdings aus Zeiten, in denen der Demokratismus des öffentlichen Meinens sich noch längst nicht allgemein durchgesetzt hatte. Die älteren Wahlsysteme versuchen daher den herrschenden Schichten ein staatsautoritäres Übergewicht zu geben. Inzwischen hat die formal-demokratische Wahlrechts epoche offenbar auch schon wieder neue Gegnerschaft gefunden. Die allerneueste Bewegung in der Wahlrechtsreform geht von den Faschisten aus. Einen ebenso kühnen wie gefährlichen Wurf bildet