Tragischer und komischer Tyrann in Mittelalter und Renaissance 133 Zwecke der Erbauung, Belehrung oder Unterhaltung zum Epos, zum Abenteuerroman, zur Idylle. Ganze Stücke aus Herodot oder Thukydides werden einfach in die Heiligengeschichten über nommen, vor allem aber werden die alten, schlichten Märtyrer akten nach den Gesetzen der Rhetorenschule bearbeitet. Das ge schichtliche Verhör mit den kurzen, stereotypen Fragen und Ant worten wird zu einer langen Kontroverse ausgesponnen, in der Richter und Angeklagter gleich Advokaten mächtige, für den Zu hörer berechnete Orationen über Glaubenssätze halten. Die Mar tern, die wenigstens nach den Berichten des Eusebios grausam genug waren, werden ins Phantastische ausgedichtet. Die Richter aber, von denen der Kirchenvater Ambrosius bezeugt, daß es in der Regel wohlmeinende und gütige Männer waren, die es sich zur Ehre anrechneten, ohne Blut durch ihre Amtszeit gekommen zu sein, die werden nun mit einem Male blutdürstige, argwöhnische, jähzornige Gesellen — in ihnen findet der Typus des populären Tyrannen eine neue Inkarnation. Kaiser, Statthalter, Richter werden ohne Unterschied Tyrannen genannt und von den Märtyrern sehr un höflich behandelt. Die hl. Margaretha hat contra daemonem et tyrannum zu kämpfen. „Tyrann, du offenes Grab,“ sagt der hl. Eleu therius zu seinem Richter, „wenn es dich nach Menschenfleisch und Menschenblut gelüstet, so nimm deinen Teil an mir, gleich Satan, deinem Vater!“ Im Mittelalter sodann wird die Bearbeitung von Heiligenlegenden sehr häufig als Schulaufgabe gestellt. Und da die Vorlagen der christlichen Dichter: Prudentius, Sidonius, Venantius oder schon vorliegende frühere Heiligenviten bereits einen starken Einfluß der Rhetorik aufweisen, so erkennen wir just in diesen Schularbeiten einen Weg, auf dem trotz des Auf hörens antiker Schulen, die Gepflogenheiten der Rhetorik dennoch auf das christliche Mittelalter übergingen. Doch nicht bloß der tragische Tyrann tritt in diesen Legenden förmlich als stehende Figur auf, sondern auch der komische Bösewicht. — Da sind die Märtyrerakten der hl. Jungfrauen Agape, Chionia, Irene. 1 ) In der Verfolgung Maximians waren sie in Thessalonich vor Gericht gestellt worden. Agape und Chionia i) Über Agape Acta SS. i. April, Erzählung und Carmen Aldhelms in MG. Auct. ant. t. XV: Prosa 305ff., Carmen v. 2225ff., S. 444: Günter a. a. O. 57, 68; Hrotswit ed. Winterfeld, Berlin 1902; ed. Strecker, Leipzig u. Berlin 1906.