01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 14.10.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071014019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907101401
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- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907101401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-10
- Tag1907-10-14
- Monat1907-10
- Jahr1907
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Anzeigen-Preis Mr Inserate au« Leipzig und Umgebung d,e 6gcspaltene Petitzeile 25 Ps., finanziell« Anzeigen 30 Ps., Neklamen I M.; von auSwärt« 30 Ps., ReNamcn 1.26 M. vomAutland.VIPs., finanz. Anzeigen75Ps. Reklamen 1.50 M. Inserate v. Behärdcn im amtlichen Teil 40 Ps. Beilagegebübr 5 M. p. Tausend exkl. Post gebühr. ÄeschastSanzcigeii an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Taris. Aesterteilte Austräge können nicht zurück- gezogen werden. Mr da« Erscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Barp.ntie übernommen. Anzeigen-Annahme: AugustuSplatz 8 bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditioncn de« In- und Anilande«. Paupt Stlialr Berlin: Carl Tunck: , Herzogl. vayr. Hofbuch handlung, Lützoivsiraße 10. (Telephon VI. Nr. 4603). Nr. W5. Montag 14. Oktober 1907. 101. Jahrgang. Das wichtigste von, Tage. * Ter Kaiser und die Kaiserin sind gestern früh von Ber lin in Hubertus stock eingctrofsen. Prinzessin Victoria Lnisehat gestern vormittag im Schloß Bellevue Wohnung genommen. * Dernburg befindet sich auf der Rückreise nach Europa. lS Ttschs. R.j * Die Verhandlungen des Allgemeinen Knapp schaf t s v e r ei n 8 in Bochum über das neue Statut sind ge scheitert. fS. Ttschs. N.j * Das Befinden des Kaisers von Oesterreich ist nach einer Wiener Meldung laut Bulletin unverändert. * Die passive Resistenz bei der österreichischen Staatseisenbahngesellschaft ist, wie ein Telegramm aus Wien meldet, beendet. * Die holländische Regierung hat den Kammern einen Gesetzentwurf über dicAenderung der Verfassung vor. gelegt. lS. Letzte Dep.j * Tie Grenzrcgulierungsarbeitcn auf der Insel Sachalin sind, wie aus Petersburg gemeldet wird, beendigt worden. lS. Letzte Tcp.j * Auf dem Sperlingsberg bei Kapellendorf ist gestern en. Denkmal zur Erinnerung an die bei dem letzten Ansturm der Preußen in der Schlacht bei Jena Gefallenen enthüllt worden. l§- Letzte Tep.l * In R o m ist gestern der internationale medizinische Kongreß für Physiotherapie eröffnet worden. (S. Letzte Tep.) * Ter Fahrer Moritz Hübner ist gestern auf der Weißen felser Rennbahn tödlich verunglückt. lS. Letzte Tcp.j Fvench nnd Delcrnires in Ketevsbrrvg. Der Himmel, an dem die politischen Augurc den Vogclflug beob achten, biciet dem Staatssekretär Herrn von Schoen kein freundliches Blau. Kaiser Franz Josef ist erkrankt, und wenn auch die herzlichsten Wünsche der Welt des greisen Monarchen Genciung gelten, so ist doch nicht zu vergessen, daß der Herrscher Oesterreich-Ungarns vas Alter des Psalmisten überschritten hat. Wenn aber Franz Josef abberusen werden sollte, so können die Tinge in Oesterreich eine Entwicklung nehmen, welche über Nacht den Botschafterposten am Ballplatz zum wichtigsten Vorort der Berliner Politik machen kann. Herr v. Tschirschky würde dann mehr als ausreichende Gelegenheit haben, zu beweisen, daß er als Botschafter wirklich mehr wert ist, als er es auf dem Sessel des Staatssekretärs war. In Paris hat man mehr deutlich als höflich von vornherein den etwaigen Versuch, deutsche Werte an der Pariser Börje zur Notierung zu bringen, als aussichtslos erklärt. Nun erklärt zwar die „Norddeutsche Allgemeine", daß wir nie einen solchen Versuch beabsichtigt haben, aber wenn unsere Offiziösen nun endlich Ohren zu hören haben, so werden selbst sic nun endlich cinschen. daß olles, was von beginnenden guten und freundlichen Beziehungen zwischen Paris und Berlin verlautet, eitel Tunst ist, ein künstlicher Weihrauchqualm, erzeugt, um unsere diplo matische Niederlage in Algeciras zu verschleiern, und um deutlich zu zeigen, daß man in Frankreich gar nicht mehr gesonnen ist, auf deutsche Empfindlichkeit zarte Rücksichten zu nehmen. Auch nimmt der „Motin", dem man gewiß etliche Beziehungen zum Quai d'Orsay nachsagcn darf, das Wort, um klipp und klar zu sagen, daß das „Papier von Algeciras" einer Revision bedürfe, die dem heutigen Stande der Tinge in Marokko entspreche. Tas heißt in dürren Worten: nachdem Deutschland in Algeciras nachgcgcbcn hat, erwartet man von ihm eine Fortsetzung dieses mutigen Zurückwcichcns. Tas prominenteste Ereignis ist aber die gleichzeitige An wesenheit dcS englischen Generals Frcnch und des französischen Kameraden Delanncs in — Peters burg. Wer zu Bismarcks Zeiten davon geträumt hätte, daß einmal einem englischen General — noch dazu einem politischen — drei Tage lang russische Truppenübungen vorgcsührt würden, dem wären warme Blicke herzlichen Mitgefühls zuteil geworden. Aber das alte Bismarcksche Rezept, die Reibungsfläche zwischen dem Zarenreiche und dem Kaiser tum Indien nicht allzu glatt zu machen, ist heute anscheinend, wie so vieles andere, antiauiert. Natürlich beeilen sich unsere Offiziösen, zu versichern, daß es sich nur um zentralastatische Fragen bandelt, welche zwischen Rußland und England erörtert werden. Ganz am Rande figu riert daneben noch der Besuch des Königs Eduard bei Nikolai II. Das Deutsche Reich kann also ruhig sein. Aber wahrscheinlich hat der fran zösische General auch mit diesen zentralasiatischen Fragen zu tun. Die Tinge stehen leider etwas anders. Das englisch-japanische Bündnis bat allmählich seinen Zweck erfüllt. England hat glücklich das Kunststück fertig gebracht, die Wut der Japs auf Amerika abzulcnkcn, als sic merkten, daß der englische Kontrahent gar nicht in der Lage war, seine Zusage beim Abschluß des Bündnisses zu erftillcn. Japan garantierte den Engländern ihren Besitzstand in Asien, dafür sahen sie nach englischer Zusicherung in Australien, Britisch-Kolumbia und Kanada neue Sied- lungsbezirke für ihren Volksüberschuß. Einstweilen mußte Korea aller dings geopfert werden. Aber die Japaner sind damit nicht abgespeist, und für England konnte eine Forderung, seine Zu lage zu halten, höchst fatale Folgen haben. Japan wurde also auf Amerika gehetzt, und heute ist die Frage, ob eine kriegerische Aus einandersetzung zwischen den Vereinigten Staaten und dem Reiche des Mikado notwendig sein werde, beiderseits prinzipiell bejaht — trotz alles Fricdcnsgctöns. Diese Entwickelung ist aber von starkem Einfluß gewesen aus die deutsche Politik. Japan legte Englands gefährlichsten Gegner, Ruß land, lahm, nahm in einem zweiten Vertrage der englischen Regierung die Sorge um Asien ab, zwang durch seinen halsstarrigen Egoismus die Vereinigten Staaten, sich auf einen Krieg mit Japan statt mit England zu rüsten, und schuf damit erst dem Könige Englands die Grundlage seiner Einkrcisungspolitik. an deren Vollendung bisher das zustimmende Votum Rußlands und Oesterreichs fehlte. Es ist gut, sich in solchen klagen mit ruhigem Blick die Lage zu vergegenwärtigen, in der wir tat- sächlich sind, und wir müssen feststellen, daß cs sich in Petersburg nB'! nm zcntralasiatische Fragen und die Entrevuc Eduard VII.—Nikolai II. handelt, wenn auch diese Fragen als schöne Ornamente das Hauptstück garnieren, sondern um die prinzipielle Fe ststcllung, und zwar vor dem Besuche Kaiser Wilhelms in London. welchcRolle Rußland bei einer Ncuaufrollung der Marokkofrage spielen wird. Man will in London dem Kaiser mit vollendeten Tatsachen in freundschaftlichster Weise auswartcn könne« Unsere Diplomatie hat in der ganzen Behandlung der Marokko- frage die Grundlage zu diesem neuen Vorstoß gegen die Stellring des Reiches im Ansehen der politischen Welt leider selbst geschaffen. Die Tonarten gegen Frankreich haben so unvermittelt zwilchen Dur und Moll gewechselt, daß cs den Franzosen und ihren Freunden und Gön nern von London bis Rom nicht zu verargen ist, wenn sie nicht mehr an das böse Deutschland glauben. Die Tangcrfahrt, das entschiedene Veto gegen jede territoriale Okkupation in Marokko, die Forderung nach Delcassäs Sturz, alles das schreckte die chauvinistischen Heißipornc, denen Fürst Bülow ausdrücklich zum Bewußtsein bringen ließ, daß man NN barck ck'ubkinc» wandele. Dann, als Herr von Holstein als Sünden bock sür diese Politik in die Wüste gescheucht war, begann man in Paris zu merken, daß man sich lediglich vor einer Löwenhaut gefürchtet Halle, und Herr v. Tschirschky lächelte freundlich dazu, als Casablanca von den Franzosen besetzt wurde, nachdem sie Udjda genommen hatten. Dieses milde Gönnerlächeln war das liebliche ^nckant« con varirrrioni nach dem dröhnenden ^IIc-rrc> furioso der Marokkosuite. Nun nabt das Finale, das Herr von Schorn dirigieren soll. Er hat mit Iswolski konferiert, natürlich beeilten sich die Offiziösen, zu konstatieren, daß dieses Zusam mentreffen nur ein Werk des Zusalls sei. Warum nicht? Beileibe nicht den Schein wecken, als ob ein deutscher Staatssekretär dem russischen Kollegen einmal unverblümt die Meinung zu dsm Petersburger Gencralkonvcnt sagen werde! Wir sind eine so glatte Tonart gewohnt, daß' jede schroffe, feste Note beinahe schmerzlich empfunden wird. Es wäre aber ein Glück sür die Zukunft unserer verfahrenen Marokko politik, wenn Herr von Schoen den Agenten Frankreichs und Englands in Petersburg keinen Zweifel daran ließe, daß Rußland mehr als einen Grund hat, sich mit seinem westlichen Nachbarn gut zu stellen, ehe es ein Ja oder Nein zu den Plänen Frankreichs spricht. Das haben wir der Liebcnberger Runde zu verdanken, daß man in Paris bester wußte, was das Ende der deutschen Politik in Algeciras sein werde, als in den Bot schaften des Reiches selbst. Herr von Schoen selbst hat das au seinem eigenen Leibe erfahren. Denn während er dem russischen Minister seine amtlichen Mitteilungen machte, waren diele ost genug bereits durch die Tinge in Algeciras überholt, und die fatale Depesche Graf Lambsdorffs nach Algeciras, daß Rußland nicht daran denke, den „berechtigten An sprüchen seines Verbündeten den Beistand zu versagen", während von deutscher Seite der Glaube an eine völlige Neutralität des Zarenreiches in Algeciras genährt wurde, wird dem neuen Staatssekretär keine wonnige Erinnerung sein. Alles in allem — die Marokkofrage steht vor einem neuen Stadium der Entwicklung. Frankreich hat durch die neuerliche Unterstützung Mulen Abdul Aziz' dafür gesorgt, daß ein Bürgerkrieg im Lande des Schcrifcn jeden Augenblick die nötige Handhabe zum Einschreiten der Polizcimächtc bietet. Spanien ist bereits auf sein Pflichtteil beschränkt, Frankreich aber langt nun nach der Erbschaft, die ihm nach der Meinung aller echten Franzosen längst gebührt und längst in den Schoß gefallen wäre, wenn nicht der deutsche Neid es bisher verhindert hätte. Man hat sich aber in Paris von dem ersten Schreck über die deutsche Haltung längst erholt, man fürchtet die gepanzerte Faust Germaniens nicht mehr, und man gedenkt nicht mehr nach deutschem Ja oder Nein zu fragen, sobald man Rußlands sicherisr Die russische Preste bewahrt bezeichnenderweise völliges Schweigen zu dem Besuche Frcnch-Telannes. Man will in Petersburg der deutschen Meinung nicht unnötig die Ein- rede erleichtern. Sind die Würfel erst am Newski-Prospckt gefallen, so wird die Welt auch ohne offiziöse Artikel sehr bald wissen, was von Frcnch und Delanncs erreicht ist. Rußland wird natürlich sich seine Schaukelpolitik sür die Zukunft möglichst erhalten wollen, aber Herr De- lannes wird Order haben, ein rundes Ja oder Nein zu verlangen. So bald aber das erstere gesprochen ist, wird Frankreich seine Marokkoaktion lebhafter weiterführen lasten, die jetzt ziemlich abwartend verläuft — wenn man nicht das kleine Divertissement des französisch-spanischen Verdrusses als etwas Wichtiges hinnebmen will. Wichtig ist das aber nur insofern, als Deutschland von den Parisern in diesem Falle schleunigst als der böse Feind bezeichnet wurde, der auch dieses Unkraut gesät habe, und dem endlich das Handwerk gelegt werden müsse. Wie das letztere zu geschehen habe, ist gegenwärtig das Thema der Herren Frcnch und Delanncs in Petersburg. Natürlich ist unsere Regierung längst unterrichtet gewesen von dieser Generalsrcise an die Newa, wahrscheinlich schon in Wilhelms- Höhe, denn die Kaiserrcise nach London ist beschlossene Tatsache und bleibt eine solche. Wir haben keinen Grund, auf eine Verschlechterung der Beziehungen mit England zu dringen. Will Rußland sich mit seinem alten Todfeinde arrangieren — wir haben nichts dagegen einzu wenden und haben auch diese Kombination nie aus dem politischen Kal kül sortgelasscn. Aber das Gute sollte die Anwesenheit der Herren Frcnch und Delanncs in Petersburg wenigstens für unsere Politik haben, daß wir endlich ausbören an die Möglichkeit einer frcun blicken Verständigung mit Frankreich zu glauben. Viel besser wäre es, sich schon heute klar zu werden, daß wir vor einer neuen, und wahrscheinlich bedeutend ernsteren Periode der Marokkoangelegcnüeit stehen, die un-5 bisher keinen grünen Lorbeer ge bracht hat, und ans der wir nur mit Ehren hervorgchen können, wenn wir den Franzosen sehr sachlich und ruhig bedeuten, daß nicht nur Noten und Protokolle, sondern auch nock 6st Millionen deutscher Unter tanen eine Willcnsmcinung vertreten. Noch ein Schritt rückwärts auf dem Algeciraswcge — und wir hören bald die Ehauvins nock unver frorener reden, als den famosen Komma «seur an unserer lothringer Grenze! Äb Tic Marvkkopolitik Deutschlands gibt dem Pariser Korrespondenten der „Times" zu verschiedenen Ausstellungen Anlaß. Sie sei Frankreich gegenüber zwar ausnehmend korrekt, aber nicht freundlich. „Man könnte darauf antworten", so schreibt die offiziöse „Süddeutsche Reichs- korresponden z", „daß Deutschland nicht, wie andere Mächte, durch besondere Abmachungen zur Unterstützung Frankreichs in Marokko ver pflichtet ist. Aber auch ohne solche Verpflichtung hat unsere Diplomatie seit Unterzeichnung der Akte von Algeciras bei wiederholten Anlässen ein von französischer Seite selbst gewürdigtes freiwil liges Entgegenkommen bewiesen. Das Maß dieses nicht erzwingbaren Wohlwollens wird durch die Rücksicht bestimmt, die Frankreich seinerseits den berechtigten Interessen Deutschlands in Marokko angedeihcn läßt." — Wir wünschten, daß das „freundliche Ent- acgenkommen" recht sorgfältig abgemessen werde. Mit „Korrektheit" kommt man Frankreich gegenüber am weitesten. Zertringssti-nineir zriin Ciebknecht-Orozesz. Ter Prozeß Liebknecht, und zwar sowohl die Tatsache, daß über- Haupt Anklage erhoben wurde, wie dann das Urteil in dem Prozeß, werden in der Presse einer sehr verschiedenen Beurteilung unterzogen. Wir geben einige der markantesten Urteile wieder: Tie „Nat.-Ztg." hat ähnliche Bedenken wie die von uns geäußerten: Handelte cs sich hier nur um eine juristische Frage, so wäre über den Prozeß weiter kein Wort zu verlieren. War es zweckmäßig, Herrn Liebknecht jr. die Ehre eines Prozesses vor dem Reichsgericht anzutun? Tie Frage ist mit einem runden Ja oder Nein nicht zu beantworten, man wird die Wirkung des Urteils auf die Oesscnilich- kcit, innerhalb wie außerhalb der sozialdemokratischen Partei, ab- warten müssen. Wir fürchten aber, den „Maßgebenden" hat sür die Bedeutung der Persönlichkeit des Angeklagten das richtige Augen maß gefehlt. Wenn es ine Absicht war, von Staats wegen dafür zu sorgen, daß eine Mittelmäßigkeit wie Liebknecht jr. in Zukunft von der eigenen Partei, auch von den verständigen Leuten der eigenen Partei, ernst genommen werden muß; daß er in Zukunft auf sozial demokratischen Parteitagen nicht mehr der Lächerlichkeit verfallen kann — ein Schicksal, das ihm bisher regelmäßig widerfuhr — so dürfte diese Absicht zuverlässig erreicht sein. So war es aber doch jedenfalls nicht gemeint, und darum soll man froh sein, daß des alten Liebknecht hoffnungsvoller Sprößling nur zu Festung, und nicht, wie die Anklage wollte, zu Zuchthaus verurteilt wurde. Ein Philosoph auf dem Throne würde den Verurteilten vielleicht sogar begnadigen, ehe er Zeit hätte, sich zum Märtyrer auszuwachsen! Aehnlich die liberale „Hallesche Allg. Ztg.": Aber — war es nötig, den Richter zur Hilfe zu rufen kn einem Kampfe, den man mit politischen Mitteln besser und schneller zum siegreichen Ende führen würde? War es nötig, einem Manne, der keinen Namen hatte, einen Namen zu verschaffen? Mußte man einem kleinen, armseligen Geiste eine Märtyrerkrone verschaffen, an deren Glanze sich nun die Massen der Sozialdemokratie beraujchen können, daß sie nun vielleicht nicht mehr unempfindlich sind gegen über den verbrecherischen Lehren, die man auf Grund falsch ver standener oder aus dem Zusammenhang gerissener Lehren ihnen tci- zubringcn versuchte? Ob nun vielleicht nicht die Gefahr größer ist als zuvor? Ob es nun nicht erst heißt: vickoant: oousulcs, us quick cketriruonti cspiat ras publica?! Schärfer spricht sich die „B. Z. a. M." aus: Und das Resultat entspricht dem, was man, wenn die Anklage er hoben wurde, annehmen mußte: Mit derselben Schrift, die im Organ der Revisionisten ein „kleines Monstrum", eine „Parodie", das schwächlich naive Werk eines marxistischen Orthodoxen genannt wurde, wird nun die ganze Partei aus Ägitationsrücksichten sich soli darisch erklären wollen. Ein Genosse zweiten Ranges, der von der Leitung ferngehaltcn werden sollte, steht nun als Märtyrer da. Er hat, wie er schon in Stuttgart sich rühmte, ein „Gottesgeschenk" «n der Hand. Noch schärfer die „Frkf. Ztg.". Sie gibt zunächst die Gedanken der Liebknechtschen Broschüre wieder und urteilt dann über den Spruch des Reichsgerichts wie die politische Seite des Prozesses: Dies sind Liebknechts Vorschläge, dies sind die Handlungen, zu denen er auffordert, dies also ist dasjenige, worin der Hochverrat liegen müßte, wenn Liebknecht gegen das Gesetz gefehlt hätte. Aber darin liegt weder ein Hochverrat, noch überhaupt etwas Strafbares, und das Delikt konnte nur dadurch konstruiert werden, daß man eben einige theoretische Bemerkungen der inkriminierten Broschüre in den Begriff des bestimmten hochverräterischen Unternehmens ein bezog! Man hat kein Recht, die subjektive Ueberzeugung der Richter in Frage zu ziehen. Aber daß hier ein schwerer Justizirrtum vor- liegt, ist uns klar, und Tausende werden derselben Ueberzeugung sein. Man stelle sich nur die Konsequenzen dieses Standpunktes vor! Es gibt unzählige Schriften, in denen sich Acußerungen finden, die nach der vom Reichsgericht geübten Methode die Verfasser auf die An klagebank gebracht hätten oder bringen würden, und zwar nicht etwa nur in Schritten „revolutionärer" Autoren, sondern auch sehr bürgerlicher. Man prüfe z. B. einmal die Werke Treitschkcs unter jenem neuen Gesichtspunkt der Vorbereitung strafbarer Handlungen, und man wird finden, daß er leicht in eine üble Lage hätte kommen können. Unter dieser Methode des Reichsgerichts ist es ja überhaupt nicht mehr möglich, ohne Rücksichten Theorien zu entwickeln, denn man muß sonst stets befürchten, auf irgendeine Denunziation bin die Theorie in eine strafbare Handlung verwandelt zu sehen. Dr. Lieb knecht ist das erste Opfer dieser neuen Rechtsauifastung. und Dr. Liebknecht ist Sozialdemokrat, und sogar ein radikaler. Man wird sich nicht wundern dürfen, wenn das Volk an diese Tatsachen Kom mentare knüpft, die für die deutsche Rcchtsvrechung nicht gerade schmeichelhaft sind Aber auch, wenn man sich davon nichts zu eigen macht, hat man allen Anlaß, den Prozeß Liebknecht und seinen Ans- aang zu beklagen. Diese Affäre ist wieder eines der bedauerlichen Vorkommnisse, die den Gegensatz zwilchen Juristenreckt und natür lichem Empfinden verschärfen. Es ist wieder eine Erfahrung, die dazu beiträgt, die weit verbreitete Volksmeinung zu bestärken, daß es d-utschc Richter gibt, die allzu oft das Recht, das wahre Recht nicht finden können. TaS „B. T." führt aus: Der französische Antimilitarismus der Hervo und Genossen ist nicht mehr als eine kindische Spielerei. Herr Liebknecht wollte cs anders machen als Hervc-, aber man könnte nicht behaupten, daß er es bester gemacht hat. Sein ganzes Verhalten zeigt, daß noch sehr vicl Unreifes in seinen Gedanken ist Hatte er wirklich geglaubt, mit seiner Agitation den Militarismus überwinden zu können, dann war er ein Tor. Und vollends töricht war es, zu glauben, daß sich die Negierung seine Agitation stillschweigend gefallen lassen würde. Kam es einmal zur Anklage, dann war es so gut wie sicher, daß auch eine Verurteilung erfolgen würde. Am freundlichsten stellen sich zu dem Prozeß und seinem Urteil die Scharfmacherorgane von der „Täglichen Rundschau" bis zu den „Hamb. Nachr." hin. Das erstgenannte Blatt hält das Urteil für zu gering und urteilt dann: Trotz des geringen Strafmaßes wird die Tatsache der Verur teilung mit Genugtuung zu begrüßen sein, weil hiermit zum ersten mal das höchste deutsche Gericht der sozialdemokratischen Agitation Maß und Grenze gesetzt und ihr gezeigt hat, daß sie im Begriff ficht, die seine Scheidelinie zwischen der „Verbreitung hochverräterischer Grundsätze" nnd der „Vorbereitung zur hochverräterischen Handlung" zu überschreiten, d. h. über das vom Gesetz allenfalls noch Gedultzete lnnauszugchen und die Bahn des Verbrechens zu betreten. Die So- zioldemokratie bat diese Entwicklung von langer Hand vorbereitet nnd mußte wobl oder übel einmal dahin gelangen, wo sie heute nach dem rcichsgcrichtlichcn Spruch angckommcn ist. Und noch deutlicher die „Hamb. Nachr.": Die Sozialdemokratie wird natürlich trotz des milden Urteils behaupten, der Prozeß yegen Liebknecht sei ein Tcndenzprozch, der jede Kritik an den militärischen Einrichtungen unmöglich zu machen bezwecke. Davon kann natürlich keine Rede sein; aber kein Staat, der an sich glaubt und sich nicht aufzugeben wünscht, darf eine Agi tation „vor" der Kaserne, wie sic z. B. aus dem frivolen „Rekrutcn- Absckicd" spricht, dulden, sondern muß die vorhandenen Strcnaeietze zur Anwendung bringen. Und wenn unsere Gerichte auf Grund dieser Gesetze den Soualdemokratcn das Geschäft erschweren, der deutschen Arbciterbcvölkcrung nicht nur die Kaserne, sondern daS Vaterland zu gefährden, so erfüllen sie damit lediglich eine Aufgabe, die ihnen obliegt. Ter „Deutsch Tagcszt g." endlich ist ebenfalls das Urteil des Reichsgerichts zu milde und sie beginnt deutlich darauf hinzuweisen, daß ihr eine neue Umsturzvorlage erwünscht wäre: Tas Urteil des Reichsgerichts wird, wie man annehmen kann, schwerlich eine Korrektur erfahren; womöglich bleibt Herr Liebknecht auch dem deutschen Anwaltsstandc erhalten. Tic Frage aber bleibt often ob Staatsintcrcssc und Vatcrlandsgcdankc in dem Lcivziyer Gerichtssaal ganz zu ihrem natürlichen hohen Rechte gekommen sind.
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