Suche löschen...
Sächsische Dorfzeitung und Elbgaupresse : 05.07.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-07-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480533490-191607055
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480533490-19160705
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480533490-19160705
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungSächsische Dorfzeitung und Elbgaupresse
- Jahr1916
- Monat1916-07
- Tag1916-07-05
- Monat1916-07
- Jahr1916
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Seite IOK. A«ch Aeteraseud. NnterhaltungS-BeUage Und Pierre schnalzte mit den Fingern: „Nun adieu, Serre Enavant, setzt bist du der Pankratius 'inter'uber, wer's nicht glaubt, kann's lesen. Aber schwer ist das wie der auszusprechen! Ja, überhaupt die Sprache — reden darf ich nicht, sonst haben sie mich gleich. Bas mach ich ?enn nur da?" Ter neue Nazi Hinterhuber schritt in schweren Gedanken dahin, plötzlich tat er einen Luftsprung: „Ich hab's — taubstumm bin ich, da hab' ich meine Ruhe! Mo, Pierre, jetzt nimm dich zusammen und halte dein Maul!" Und mit diesem löblichen Vorsatz die Lippen zu- sammenprefsend schritt er fürbaß, immer nach Westen, der Sonne und seiner Ninette zu. Schon lange hörte er ein Wagenknarren hinter sich, aber er muckste sich nicht. Es kam näher und näher, er ging ruhig seines Weges. „Holla, Landsmann, willst di ebba überfahren lassen!" rief's ihn dann von hinten an, „lmrst net, daß a Fuhrwerk kimmt? Aus'n Weg sag i, daß d' Rosier weiter könna!" Pierre hörte und sah nicht. „Jetzt so a Narr, a damischer, schlaft der net am hellichten Tag im Gehen!" schalt es hinter ihm und im selben Augen blick erhielt er einen derben Stoß von dem Pferdekopf, der über seiner Schulter auftauchte. Schnell sprang er zur Seite wie einer, der ahnungslos von allem ist, was um ihn vorgeht. „Ja, du Tepp du, was bist denn net aus 'm Weg ganga, wenn ein' komma.hörst!" schimpfte der Bauer, der auf dem Wagen stand, „a Kerl wia du derf do net so tramhabat dahin marschieren! Wo gehst denn zu," Pierre zuckte die Achseln und zeigte auf Mund und Ohren. „Was willst sagn? Stumm bist und hören kannst a nixen? Ar mer Kerl du, was tuast denn nacha? Bist deswegn net beim Militär?" Und er illustrierte seine Worte durch Ge wehrschultern mit dem Peitschenstiel und sprang vom Wa gen, um neben Pierre herzugehen. Als Pierre stumm den Kopf schüttelte, erwärmte sich der mitleidige Bauer immer mehr. Er setzte Arme und Beine in Bewegung und brüllte aus Leibeskräften, um sich verständlich zu machen. „Was kannst denn arbeiten?" schrie er ihn an, „bist ebba a Holz knecht?" — Sägebewegung —, „ebba a Maurer?" — er klatschte Kalk an eine eingebildete Wand — „kannst Feld arbeit tuan?" — er mähte und sichelte aus Leibeskräften — „kannst mit die Roß umgehn?" — er fiel über seine ahnungslosen Gäule her und begann heftig an ihnen her umzustriegeln. Als er ganz in Schweiß war, hatte Pierre endlich Mitleid mit ihm und nickte. „Gott sei Dank, das hätten ma," seufzte der Bauer erfreut, jetzt nacha, wia heißt denn du?" „Wia heißt denn du?" brüllte er noch mals an Pierres Ohr, so nahe, daß beinahe dessen Trom melfell geplatzt wäre. „O mei, is des a Plag, nacha schreib i's halt mit dem Geißelstecken auf," und er malte langsam und riesengroß in den feuchten Waldboden „Wie heißt?" Pierre überlegte schnell, wenn er ein paar Tage bei dem Bauern unterkroch, dann war sicher der erste Verfolgunzs eifer vorbei und er hatte mehr Aussicht durchzukommcn. Weit genug war er auch vom Gefangenenlager entfernk. Er tat also als buchstabiere er mühsam nach, lachte mög lichst breit und deppig und holte den Briefumschlag aus der Hosentasche. Gewagt mußte es werden — der Bauer würde den echten Nazi schon nicht kennen. Erfreut ob des raschen Verständnisses klopfte ihm der Bauer auf die Schulter. „So, der Nazi Hinterhuber bist! No Nazi, hast an Deanst? Hast an Deanst?" brüllte er nochmal, daß es dröhnte. Der Nazi verstand nicht. „Herrgott, is des a Gscher!" stöhnte der Bauer. „So a Knecht is a schöne Arbeit, aber brauchen könnt i den Lackel grad jetzt recht zur Ernt'! Ja, wie mach i 's denn nur, daß er mi ver steht? Halt, i hab's!" Er packte den Pierre-Nazi an den Schultern, schubste ihn zum Wagen, drückte ihm Zügel und — — - - A Peitsche in die eine Hand, fuhr mit den Armen wie Wind- Mühlenflügeln um sich, Pierre und den HDagen und legt« ihm in die ändere Hand ein Markstücke!. „Willst?" „Ja," fand es der Nazi für gut zy nicken. Befriedigt zog sein neuer Herr den Rock aus. „Ua, mit dir is hart reden," meinte er, „aber wenn ma an Verstand hat, nacha geht s scho. Aber hoaß is mir völlig worn. Jetzt hock di auffi, daß ma weita keinmal" Ein Puff vervollständigte die Einladung und zufrieden rollte Pierre mit seinem neuen Brotherrn immer weiter nach Westen. - -- - Auf dem Bauernhof, der groß und stattlich in der Dämmerung vor ihnen auftauchte, war seine Einführung sehr einfach. „Des is der Nazi Hinterhuber," erklärte der Bauer, „des is a taubstummer Depp, aber zum arbeiten können mir ihn grad guat braucha, jetzt wo die Burschen so rar san. Müh braucht's euch keine mit ihm geben, er ver steht do nix, 's Essen wird er scho finden und d' Kammer zum Schlafen a!" „Versteht er gar nixen?" fragte die Bäuerin und sah den Nazi mißtrauisch an. „Versteht er denn gar nixen?" erkundigten sich die Zilli und die Ma rie, die zwei blitzsauberen Dirndl und betrachteten den fe schen Burschen bedauernd. „Ka Wörtl net," versicherte der Vater, „des is a schwere Kirnst mit dein z'reden, des kann nur einer, wo den Verstand dazu hat. Mi hat's völli in Schweiß bracht, bis i alles aus ibm rausdischkicrt hab''?' Damit war der Nazi dem Leben im Bauernhaus «unge ordnet, freilich hart hatte er's, mehr als ein Mensch ahnte. Oder ist es vielleicht nicht schwer, wenn man dasteht und hört hinter sich die Zilli mit der Marie tuscheln: „A feiger Bua is er, meinst net? Wia wohl a Bussel von eam war? Heut Nacht hat mir von eam traamt!" Man bört's und darf nicht mucksen, darf sich nicht umdrehen und dem her zigen Madel ein Busserl naufpappen auf seinen Schnabel. O nein, sondern muß stillstehen und hören, wie die Marie sagt: „A geh, er is doch bloß so a arm's Tapperl — frei!«, gfalln tat er mir a, i möget nur einmal in sein schwarzen Wuschelkopf einistruweln!" Sacrä, bleu — und man ist doch ein Mann und Soldat und die Ninette ist weit! „Aber still, Nazi, nein Pierre, nein Nazi — Herrgott, ich weiß bald selber nimmer, wer ich bin!" stöhnt der Geplagte innerlich und starrt dabei blöd grinsend den DHwalben nach, die über den Hof fliegen. Oder ist cs leicht, wenn der Hausvater beim Essen erzählt, daß wieder so ein Saufran- zos durchgebrennt ist im Gefangenenlager drüben im Ge- birg, und daß er im Rohrsee elendig versoffen ist, man hat nur noch seine Kappen und seine roten Hosen gefun den. „Aber recht is dem Hallodri, dem nixnutzigen, gschehn!" Und der nixnutzige Hallodri muß dasitzen und seinen Knödel nunterlöffeln und darf keinen Muckser tun bei einer solchen Grabred, sondern kann bloß recht damisch vor sich hinglotzen. Oder die Mutter vergißt drauf, daß der Knecht nix hört und schreit über den Hof: „Nazi, zuin' Essen!" und er darf davon nichts wissen, sondern muß mit knurrendem Magen sitzen und warten, bis sie ihn holen, während die anderen die besten Brocken löffeln. Oder, — oder — mein Gott, die „Oder" hatten in Nazi-Pierres Leben kein Ende, und als fünf Tage um waren, da war er völlig zermürbt von der mühsamen Taubstummenrolle, hinter der er sich verschanzte. Lang hielt er's nimmer aus, das wußte er und am Sonntag wollte er seinen Dienst ebenso stillschweigend kündigen, wie er ihn angenommen hatte. Als er aber am nächsten Mittag vom Feld heimkam, war große Freude auf dem Hof. „Die Buam san kemma, die Buam san da!" schrie ihnen die Mutter schon aus der Tür entgegen, und freudig stürzte alles ins Haus. Pierre ließ sich Zeit; als er aber in die Stube trat, da hätte ihn Nr. 27. Aach Ieteraße»d. Unterhaltungs-Beilage zur Sächsischen Torfzeitung und Glbgau-Presie. Seite ll)7. der Schreck bald zurückgerissen. Tausend Donner, da stan den ein paar baumlange Kerle in dem unheimlichen Feld grau, das er so gut kannte, auf und nieder die bayerischen Löwen, die ihm noch in allen Gliedern lagen. Herrgott, mußte der Teufel die grad noch herführen — nicht an schauen konnte er sie — o, er hatte es nicht vergessen, wie sie wie ein Ungewitter über ihn und seine Kameraden ein gestürmt waren, daß es kein Halten mehr gab, daß ihm das Grausen noch heute in den Knochen saß und ihn ein kalter Schauder nach dem andern überrann, als er sich mit ihnen an den Tisch setzen mußte. Sie hatten ihn kaum be achtet. „Mei, so adeppeter Taubstummer is's halt, der Nazi, den ma grad zur Ernt brauchen könna," hatte die Mutter erklärt und dann hatten alle nur Augen und Oh ren für die zwei Söhne, die Helden, die so tapfer gekämpft hatten, daß der eine stolz das Eiserne Kreuz auf der Brust trug. Das war ein Glück für den gepeinigten Pierre. So sah niemand, wie ihm ab und zu die Zähne zusammen klapperten und der Löffel an den Teller klirrte. Doppelt und dreifach taubstumm wollte er sein, das war seine letzte Rettung, aber doch konnte er nicht hindern, daß er auf des hören mußte, was die zwei erzählten. Jetzt war ?er Hans mitten im Kampfgewühl: „Und das Bajonett Hom ma drauf und Hurra — raus aus dem Graben und los über die windigen Franzosen!" „Und," rief der Sepp, der sich nicht lumpen lassen wollte und sprang auf, „und dann 's Messer aussi und nei in Graben von die Franzosen und zuagstochen, daß si keiner mehr gmuckst hat!" Er hatte den Knicker aus dem Stiefel gerissen und wie zum Sturmlauf fuhren sie mit blitzenden Klingen gegen den Tisch her, fort gerissen von der Erinnerung, gerade gegen den zitternden Pierre. Das war zuviel für ihn. So, gerade so hatten damals die Messer der wütenden Bayern um ihn geblitzt, so funkelte der Tod vor ihm, die wilde Angst lohte wieder in ihm auf — ein umstürzender Stuhl, ein Schrei: „Par don, Pardon!" — und vor der erstaunten Familie kniete der taubstumme Nazi stieren Blicks mit hochgrhobenen Händen und wimmerte wieder: „Pardon, Pardon!" Der Hans war der erste, der das lautlose Staunen brach: „Ja, Saxendi, des is ja a Franzos, euer sauberer Taubstummer, ja, wo habt's denn ihr den Franzosen her? Jetzt beicht, Bürschel oder du erlebst was, was dir z'wider is!" Mit rauhem Griff rissen die Brüder den schlottern den Pierre empor. Und da erzählte er alles von Anfang bis Ende und hatte nichts dagegen, daß.die Brüder ihren Fang noch selbigen Tags dahin zurückbrachten, von wannen er gekommen war. Er war ganz zufrieden, denn tausend mal lieber adieu Ninette, als wieder an die Front kommen und noch einmal im Kampfgewühl den schrecklichen bayeri schen Löwen in das Antlitz schauen. Erlösung. SNzze au» unseren Tagen. Bon PaulBurg. Nachdruck verboten Die weiße Gartentür öffnete sich langsam, und unter den grünen, von Kletterrosen rotdurchwirkten Bogen trat Frau Maria Helfreich hinaus auf den sonnenhellen Vor platz. Sie blieb auf der Schwelle zögernd stehen und schattete die Augen mit der Hand. Schmeichelnd umfloß das Licht des frühen Augusttages ihre volle Gestalt, goldete die Sonne ihr reichgewelltes, blondes Haar, zeigte aber auch erbarmungslos die ersten silbergreisen Fäden darin ----- ' — ' '» ''»>>> ' W Man hätte auch ohnedies Frau Maria Hilfreich nicht- mehr für zu jung halten mögen, denn das Leid der nie-- wanden verschonenden Zeit hatte ihr herbe Linien um die. Mundwinkel und ein feines Geäder in die Augenwinkel- gegraben, das von vielen heißen Tränen sprach. Fast zwei Jahre war die Frau in tiefer Trauer ein hergegangen, aber heute trug sie lichte Farben. Ihrem,. Manne zuliebe, den sie erwartet«, und dem sie jetzt ent- gegengehen wollte. Sie zögerte noch immer auf der Schwelle, in den- Augusttag hinauszutreten, der sie wie «ine Qual erwartete. Alles Leiden, all der Kummer von jenem ersten Tage an. stand wieder auf vor ihr und beugte sie so jäh zu Boden, daß sie wie haltsuchend ins dichte Grün und Gerank der^ Kletterrosen bei der weißen Gartentüre griff. Ein Tag wie heut« war es gewesen im blühenden, fruchtverheißenden August. Da erscholl das furchtbare Wort: Krieg! Ta zog mit dem ersten Kriegstaze Han5 Friedrich, der Aelteste, hinaus aus seinem Vaterhauses schritt der jung« jubelnde Held durch diese Weiße Tür,' Vater, Mutter, Bruder mit ihm. Und sie trugen Blumen, trugen tausend Hoffnungen. Und schon nach sieben Tagen- war er tot. „Ich bi» so schwer verwundet, daß ich sterben muß. Ihr habt ja noch den Eberhard. - Vergeßt mich nicht!" Das war sein letzter Gruß, der zerfetzt und blut- gefleckt nach Wochen in der Eltern Hände kam. Da war aus dier jugeydfrischeni blonden Frau Maria einch hse- - brochene, verzweifelte Mutter geworden. Sie hatte sich an. den letzten und nun einzigen Sohn, an ihren Eberhard, geklammert: Bleib Du bei mir! Sie hat auch ihn hingeben müssen, als das Vater land rief. Und auch er ist mit Vater und Mutter, blumen geschmückt, zu Weihnacht, durch die Weiße Tür hinauSge-- gangen. Auf Nimmerwiederkehr. Anfangs waren noch viele frohe Briefe von ihm ge kommen, denen die Mutter entgegenbangte, entgegen jauchzte jeden Tag. Im strengen Winter, im linden Lenze, stand sie unter der weißen Tür und wartete auf den Briest träger. Bis sie dann immer, immer wieder mit leeren; Händen auf der Schwelle stand, eine verzweifelte Mutter.- Da wurde auch der so frohe Gutsbesitzer und Ge meindeschulze Helfreich ein gar ernster und stiller Mann. Der Jammer um seine Frau zerriß ihm das Herz. Aber er konnte ihr den Weg, den tausendmal getanen Weg zur Tür nicht wehren ... Und als der Krieg ein Jahr alt war, auf den Tag ein -Jahr, da kam statt des Briefboten der Pfarrer gegangen. Mit schweren, zögernden Tritten. Die Mutter stand mit gestreckten, mit wehrenden Armen auf der SHvelle. „Nein, nein! Sprechen Sie es nicht aus, o alter treuer Freund! Sie haben doch die beiden Jungen getauft und eingesegnet. Haben Sie denn? kein Herz, Pastor? Lassen Sie mir den Einen, den. Einen 1* ' »* Und der alte Freund deS Hauses nahm sie stillbewegt an seine Arme, führte die jammernde Frau ins Hau». »Ja, Frau Maria! Sieben Schwerter im Herzen trug die Gottesmutter und duldet« das größte Leid. Auch der Eberhard ist tst; es ist jetzt unumstößliche Gewißheit.^ Und sprach noch ein Langes, Inniges zu den Elterir beiden, gab ihnen Gottes Trost und Hoffen, schied selber halbverzagt. Nun ging Maria nie mehr an die weiße Tür. Ver ließ das HauS nicht mehr und weinte so viH, daß es dem Manne neben ihr das Herz zerriß. Er befragte den Arzt, fuhr nach Posen hinein und trug dem Präsidenten seinen
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite