Den Stoff sieht jedermann vor sich, den Gehalt findet nur der, der etwas dazu zu tun hat, und die Form ist ein Geheimnis den meisten. Goethe. 1. Die Welt der Bilder — Fotografie und Malerei Fotografie und Malerei sind zwar durch den Begriff „Bild“ zusammen geklammert, da sie beide — mit sehr verschiedenen Mitteln — Bilder hervorbringen, aber rangordnungsmäßig sind sie nicht, wenigstens nicht im gleichen, allgemein anerkannten Maße, durch den über geordneten Begriff „Kunst“ verbunden, wie dies Malerei, Dichtung, Musik und Tanz unbestritten für sich in Anspruch nehmen. Das ist merkwürdig, denn die genannten Künste bringen nicht einmal einander ähnliche Werke hervor, während Malerei und Fotografie sogar den gleichen Gegenstand zum Vorwurf haben können. Was ist ein Bild? Woher kommt es? Jedenfalls muß — bei der Malerei wie bei der Fotografie — ein Mensch da sein, der es gemacht, ja der es vorher als Bild irgendwie gesehen oder visionär erlebt hat. Ein Bild ist — sonst kommt ihm dieses Prädikat nicht zu — ein geistig geformtes Stück Wirklichkeit. Sein Wert kann weder bei der Malerei, noch bei der Fotografie mit Maßstäben gemessen werden, die den Formungs oder Gestaltungsprozeß als solchen unberücksichtigt lassen. Die Überbetonung der technischen Dinge in der Fotografie hat aber, so wichtig und selbstverständlich diese sein mögen, dazu geführt, dem geistigen Ursprung, d. h. den Wurzeln der visuellen und psychischen Erlebnisvorgänge oder dem Weg vom Seherlebnis zum Bild, nicht die gleiche Beachtung zu schenken, wie dies bei der Malerei geschieht. So stehen sich, wenn wir einmal die zweidimensionale Welt der Bilder als ein Ganzes ins Auge fassen, tatsächlich zwei Welten einander gegen über: Die Welt der gemalten Bilder und die Welt der fotogra fischen Bilder. Und doch liegt beiden die gleiche sichtbare, wirk liche Welt zugrunde. Beide, Malerei und Fotografie, haben den Stoff, den sie bilden und umschaffen, gemein. Er ist für beide fast un beschränkt. Es sind die sichtbaren Dinge schlechthin. Um festzustellen, ob die Vernachlässigung des geistigen Ursprungs, des vor-fotografischen Prozesses, nur an abgelenkter — nämlich durch die technischen Dinge in Anspruch genommener — Aufmerksamkeit oder an einem tiefer begründeten Wesensunterschied zwischen Malerei und Fotografie liegt, wird es nützlich sein, zu untersuchen, was denn das Wesen des gemalten Bildes eigentlich ausmacht. Erst, wenn wir dies wissen, können wir fragen, ob für die Fotografie — abgesehen von den eigentlich technischen Prozessen, die mit Lösen des Verschlusses beginnen — Ähnliches gilt.