Suche löschen...
Naunhofer Nachrichten : 03.01.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-01-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1787848183-190401033
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1787848183-19040103
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1787848183-19040103
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungNaunhofer Nachrichten
- Jahr1904
- Monat1904-01
- Tag1904-01-03
- Monat1904-01
- Jahr1904
- Titel
- Naunhofer Nachrichten : 03.01.1904
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
gründung führt ec au-, daß der Verzicht auf 25000 Mann keim Schwächung de- Heeres bedeutet, da diese 25 OSS Mann gegenwärtig meist in den Krankenhäusern liegen. — Großer Unmut herrscht in der fran zösischen Armee-Berwaltnng. Ein Soldat namens Dumortier legte laut „B. T " seinen Vorgesetzten die Erfindung einer neuen Mitrailleuse vor. Man dispensierte Dumortier vom Dienst und stellte ihm ein Bureau für seine Studien zur Verfügung, lehnte ober schließlich die Erfindung ab. Dumortier, der wieder in die Truppe eingestellt wurde, ist jetzt nach London desertiert, wo er seine Er findung zu verkaufen hofft. Und wenn sie nichts taugt, wie's den Anschein hat? Aus Stadt «ud Land. Naunhof, de» 2. Januar 1904. Naunhof. Das neue Jahr ist mit Glockenkiang empfangen worden. Vor dem Rathause spielte das StadtmusikLor und in den Häusern klangen die Gläser zusammen und erschallten die Zurufe „Prosit Neujahr". Auf den Straßen ging es aber nicht so lebhaft her wie andere Jahre; während sonst, namentlich auf dem Marktplatze viel Verkehr herrschte, war es diesmal verhältnismäßig sehr ruhig. DaS neue Jahr ist bei uns also sehr ruhig begonnen worden, hoffentlich wird eL auch in seinem weiteren Verlause nicht stürmisch werden. ch Dec vor einigen Tagen erschienene Geschäftsbericht der Landes Ver sicherungsanstalt Königreich Sachsen auf das Jahr 1902 zeigt, daß die Zahl der Rentenempfänger von Jahr zu Jahr beträcht lich gestiegen ist und daß der BeharrunqS zustand keineswegs vorliegt. Ende 1902 waren in die Rentenlisten für Sachsen 50859 Invalidenrenten, 2215 Krankenrenten und 31061 Altersrenten eingetragen; nach Abrechnung der wegen Todeseintrittes oder aus anderen Gründen in Wegfall gekommenen Posten bezogen in Sachsen Ende 1902 noch 30 272 Personen Invalidenrente, 1352 Per. sonen Krankenrente und 15 070 Personen Altersrente. Die Zahl der Jnvalidenrentner ist verhältnismäßig mehr als die der AlterS- rentner gestiegen und dies ist erklärlich, da eine große Anzahl von Lohnarbeitern bereits vor Erfüllung des 70. Lebensjahre- dauernd arbeitsunfähig wird, was vorwiegend in den Orten mit Fabrikbevölkerung der Fall ist. Von den 79 sächsischen Städten haben Zschopau, Netzschkau und Glauchau prozentual die meisten Jnvalidenrentner, Hainichen, Treuen und Oederan prozentual die meisten Altersrentner, Schandau, Netzschkau und Glauchau prozentual die meisten Krankenrentner. -j- Lehrlinge, die ans der Lehre lausen, gehören heutzutage nicht zu den Seltenheiten. Die Herren Jungens sind oftmals schon so überklug, wenn sie aus der Schule entlassen werden, daß sie eine energische Zurechtsetzung von Seiten dcs Lehrherrn nicht vertragen können; haben sie in ihrer Ansicht noch gar „zu Hause" etwas Unterstützung, dann ist es schwer mit diesen jungen „Herren" fertig zu werden; oftmals reißen sie einfach aus. Der Meister schützt sich in der Regel dadurch, daß er im Lehr- Vertrag eine Entschädigung ausbedingt, die der Vater des Lehrlings zahlen muß, wenn sein Sohn unbefugt und ohne begründete Ursache die Lehre verläßt. Nun Hot do« Gericht estschieden, daß der Meister -t«e- entlsufenen Lehrling» in jedem Falle eine Entschädigung fordern könne, nämlich auch dann, wenn diese kontraktlich nicht vereinbart sei. In dem Falle trete nämlich der Para graph 127 der R.-G.-O. in Wirksamkeit, wonach der Meister berechtigt ist, für jeden auf den Tag, des Vertragsbruches folgenden Tag der Lehrzeit, höchstens 6 Monate, die Hälfte des in dem bctr. Handwerke ortsüblich gezahlten GesellenlohncS als Entschädigung zu beanspruchen. ch Am 1. Januar 1879 — also vor nunmehr 25 Jahren — trat da- Gesetz in Kraft, nach dem von Spielkarten eine zur Reichskaffe fließende Stempelabgabe zu erheben ist. Die Abgabe beträgt für die gewöhnlichen Kartenspiele 30 Pfg. und für solche mit mehr als 36 Blättern 50 Pfg Abgesehen davon, daß für un- Sachsen die Stempclabgabe für Spielkarten schon von alters her gebräuchlich war, hat auch im übrigen niemand, namentlich ab r kein Karten spieler, an dieser Abgabe einen Anstoß genommen. Man kann wohl behaupten, daß die Spielkartenstempelabgabe eine solche Steuer ist, die ohne jegliches Unbehagen bezahlt bezw. von dem Kartenkäufer über nommen wird. In letzter Reihe wird sie freilich vom Kartenspieler bezahlt, indem er am Ende des mit Verdruß oder Fröhlichkeit abgeschloffenen Skats oder DoppelkopsS das „Kartengeld" in Gestalt eines „Nickels" auf dem Spieltisch zurückzulafsen gewöhnt ist. Welchen Ertrag die Spielkartenabgabe dem Reichsfonds bringt, ist uns genau nicht bekannt; nach früheren Schätzungen hatte sie die Summe von l4/z Millionen Mark überschritten. Sämtliche bei der Ortskrankenkaffe zu Leipzig anaeüellten Aerzte haben für den 31 Marz 1904 ihre mit der Kaffe abge schloffenen Verträge gekündigt. Leipzig. Ein schweres Verbrechen ist am Syioesnrabend in der Seeburgstraße zur Ausführung gekommen. Daselbst wohnt im Hinterhause im ersten Stockwerk der ,aus Oder-Teutschenthal stammende 39 Jahre alte Arbeiter Karl Friedrich Pruschet mit seiner Familie. Nachts gegen ^12 Uhr horte eine daneben wohnhafte Frau Hilferufe aus der Peuschel'chen Wohnung, Sie schlug Lärm, worauf aus einer in demselben Grundstück befindlichen Gastwirtschaft eine Anzahl Personen herbeieilten. Peuschel war beim Nachhausekommen auf dem Vorsoal seiner Wohnung von dem in demselben Hause wohnhaften 23 Jahre alten Tapezierer Friedrich Wilhelm Vogt aus Schwerde, KreiS Hörde gebürtig, überfallen und mittels eines Messers in den Kopf gestochen morden. Der Uebcrfallene entwand dem Angreifer das Messer und setzte sich damit zur Wehr, wobei Voigt verschiedene Verletzungen davontrug. Beide Leute wurden nach dem Krankenhause gebracht. Leipzig. Gegen das Urteil des Schwur gerichts im Prozeß Rechtsanwalt Werthauer und Gen. haben die beiden Verurteilten Ossipowitsch und Strauß Revision beim Reichsgericht angemeldet. Wie verlautet, hat auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Eine in Leipzig stattgehabte stark be suchte Versammlung von Eiien-Jndustriellen aus dem Königreiche und der Prov. Sachten, einstimmig, die durch Streik bedrängten Crim« mitschauer Fabrikanten durch eine Selbststeuer energisch zu unterstützen. Stötteritz. Di» im letzten Sommer vorgekommenen typhusartigeu Erkrankungen find nach ärztlichem Urteile dem Genüsse schlechtes Wasser- zuzsfchreibrn gewesen. Da seit der? Einführung der Wasserleitung im Jahre 1893 epidemische Krankheiten hier überhaupt nicht mehr aufgetreten sind, so haben zwar die wenigen Krankheitsfälle den Ruf von Stötteritz als eines der gesündesten Vororte Leipzigs nicht zu erschüttern ver mocht, immerhin ist der Gemeinderat be strebt gewesen, auch die Wiederkehr einzelner derartiger Erkrankungen für die Zukunft möglichst zu verhindern. Er hat deshalb be schlossen, das Wasser sämtlicher hier noch vorhandener Brunnen vom hygienischen In stitute zu Leipzig untersuchen zu lassen. Meißen. Nach Verausgabung gefälschter Wechsel von hier flüchtig geworden, ist der Buchhalter Wannack aus Löbtau, der in einer Ofenfabrik in Buschbad in Stellung war. Er hat, soviel steht fest, 1000 Mark mit genommen und ist gestern früh mit einer von ihrem Manne getrennt lebenden Frau von hier, nach Leipzig zu davon gefahren. Seine Familie — Frau und 4 kleine Kinder — hat er hier in hilflosem Zustande zurück- gelaffm. Meißen. Ein warmherziger Freund der Lehrer und ein tüchtiger Beamter der Stadt, Herr Stadtrat Hofmann, Dezernent für das Schulwesen, hat mit Schluß des Jahres 1903 seine Tätigkeit in Meißen ein gestellt, um einem ehrenvollen Rufe als Bürgermeister nach Altenburg zu folgen. Der SchulauSschbß feierte seinen bisherigen Vorsitzenden in einer besonderen Sitzung, desgleichen die übrigen städtischen Körper schaften. Die Lehrerschaft übermittelte dem Scheidenden durch eine Abordnung von zwei Direktoren und zwei Lehrern die herzlichsten Wünsche für eine aussichtsreiche Zukunft und den Dank für das allezeit bereitwillige und tatkräftige Eintreten, wenn es die Schule und Lehrerschaft zu fördern galt. Callenberg b. Waldenburg. Wegen Unterschlagung eine- Betrages in Höhe von 1500 Mark wurde der Kassierer des hiesigen Sparvereins, Gräschen, in Haft genommen. Dresden. Der Kaiser hat aus Anlaß des Jahreswechsels das nachstehende Glückwunsch telegramm an den König gerichtet: Neues Palais, 30 Dez. 1903. Sr. Majestät König von Sachsen, Dresden. Viktoria und Ich senden Dir zur Jahreswende Unsere wärmsten Segenswünsche. Gott der Herr wolle Dich, Dein Haus, Dein Land auch im neuen Jahre in seine gnädige Obhut nehmen. Zugleich bitte Ich, den Au»druck Meiner aufrichtigen Verehrung und Freundschaft freundlichst entgegen zunehmen. Wilhelm. Der König sandte auf dieses Telegramm folgenden Antwort an den Kaiser: Dresden. Sr. Majestät dem deutschen Kaiser, Potsdam. Herzlichst danke ich Dir für Deine so liebenswürdigen Glückwünsche und erneuere meine schon brieflich Dir gesendeten Wünsche. Gott segne und behüte Dick, die Kaiserin und all die Deinen! Georg. Dresden. Die Sensationsmeldung über neu angebahnte Beziehungen zwischen der „nk kpm sächsischen Kram Prinzen bestätigt sich nicht. — Demnach werb-« die Zweifel, die wir in dem Artikel in voriger Nummer an die Meldung knüpften, in vollstem Maße bestätigt. Am ersten Weihnachtsfeiertage früh in der 6. Stunde ist in Dresden der bekannte, langjährige Bärenschenkenwirt, Herr Oswald Russig, im 49. Jahre stehend, nach nur ganz kurzem Krankenlager plötzlich am Herzschlag verstorben. Der Heimgegangene war der Gründer der Bärenschenke aus der Webergaffe, die 1887 von ihm eröffnet wurde. Königsbrück. Ein schwerer Unglücks- fall trug sich bei einem Ballfeste im „Schwarzen Adler" zu. Eine junge Dame, die mit einem Wattekostüm bekleidet war, und das Christ kind darstellen sollte, kam dem brennenden Lichterbaum zu nahe, sodaß das Kostüm Feuer fing und die Dame sofort in Flammen stand. Sie erlitt schwere Brandwunden, ebenso auch ein Herr, welcher Rettungsversuche anstellte. Falkenstein. Der Vormittagsgottesdienst am zweiten Weihnachtsfeiertag erlitt insofern eine bedeutende Störung, als infolge eines Defekts an der Heizung sich die Kirche mit Gasen anfüllte und eine Anzahl Frauen ohnmächtig wurden. Ter Gottesdienst mußte vorzeitig geschloffen werden. Lauter. Vermißt wird seit Mitte Dezember der als Kommis in einer hiesigen Fabrik angestellte Kurt Ficker aus Fichten hainichen bei Gößnitz (S.-A.) Er hatte sich am 16. Dezember im Auftrage seines Chefs aus dem Kontor entfernt und dabei, wie sich später herauSgestellt hat, einen nicht unansehnlichen Geldbetrag unterschlagen. Die Lage in Crimmitschau hat sich verschärft. Die Vermittlungsversuche von privater Seite sind endgültig gescheitert, die Industriellen stehen nach wie vor auf dem Standpunkt, daß die Verkürzung der Arbeits zeit nur erfolgen kann, wenn die im Wett bewerb mit Crimmitschau stehenden deutschen Industriestädte die Arbeitszeit ebenfalls verkürzen, und daß bis dahin eine vollständige Wiederaufnahme der Arbeit nur zu den alten Bedingungen erfolgen könne. Die Hilfsaktion der deutschen Arbeitgeber, setzt, wie berichtet wird, immer kräftiger ein, und dem Organ des ZentralverbandeS der Sozialdemokratie solle diesmal eine Niederlage bereitet werden, wie sie noch nicht dagewesen ist. Bei dieser Sachlage dürfte auch der jetzt entsandte amtliche Vermittler nichts ausrichten, denn es ist fraglich, ob die streikenden Weber von ihren Forderungen abgehen werden. Die Unversöhnlichkeit ist jedenfalls zu bedauern; die Reue wird nicht ausbleiben, aber zu spät kommen. Der Wahrheit die Ehre geben. Vor ungefähr sechs Jahren wurde ein junger Kaufmann nach Verbüßung einer drei jährigen Gefängnisstrafe zur Abschiedsunter redung seinem Seelsorger vorgeführt. Er war au- Berlin und hotte dort ein junge» Weib mit einem Kinde. „Was soll nun aus mir werden?" Das war die Frage, und noch einmal wurde ermahnt, streng bei der Wahrheit zu bleiben und Gottes Gebot all zeit vor Augen zu haben. Wiederum wandte er ein, daß er nirgends eine Stelle erhalten werde in einem Geschäft, wenn er wahr- heitSgemäß sage, daß er wegen Betrüge» drei Jahre Gefängnisstrafe erlitten habe. Aie Wacht der Töne. Roman von Jeanne Mairet. 29 Lyda wollte auch Herrn Febroiny zum Bleiben auffordern. Er zögerte einen Moment, sah Davoust an und gab in etwas barschem Tone einen abschlägigen Bescheid Dann entfernte er sich, wütend über sich selbst, vor allem wütend darüber, daß er die Aufforderung nicht angenommen hatte. Frau Wilburs üble Laune war nicht von langer Dauer. Davoust zeigte sich ihr heute in ganz neuem Lichte. Der Mu siker mit dem etwas ruhelosen und selbstquälerischen Talent ver fügte im Grunde genommen über eine Naivetät und Jugend- frische, die ganz seltsam berührte und überraschte. Fühlte er sich glücklich, so verriet sich diese Empfindung durch eine fastkind- liche Heiterkeit, und jener erste Abend, den er in LydaS Heim zubrachte, gehörte zu den frohesten, die er jemals kennen ge lernt hatte. Er empfand das Bedürfnis, sich so zu zeigen, wie er wirklich war, gewissermaßen ein Generalgeständnis abzule- gen ; er wollte Vertrauen schenken und Vertrauen empfangen. Er hatte fast immer allein gelebt, hatte den süßen Zauber des Familienlebens nie kennen gelernt und war flüchtigen Bekannt schaften mit dem weiblichen Geschlechte aus dem Wege gegangen. Nun brachte er, als ob sich dies so ganz von selbst verstände, sein Herz dem jungen Mädchen offen dar ; er betrachtete selbst äußer- Üche Dinge plötzlich in verklärendem Licht. Dem Reichtum und Luxus gegenüber war er bis jetzt immer gleichgiltig geblieben; er begnügte sich leicht mit dem Dasein eines armen Studenten. Das Behagen, das in diesem Raume herrschte, der Blumenduft, die schön servierte und gut besetzte Tafel, all das erfüllte ihn mit freudigem Behagen. Was in dieser Umgebung hübsch und kokett war, schien zu Lydas Zauber, zu ihrer strahlenden Jugend und Schönheit zu gehören, und deshalb sagte ihm dieser gediegene Luxus zu, des- halb wirkte er auffeine Einbildungskraft. Und inmitten des abgebrochenen Geplauders, daS bald dieses, bald jenes berührte, ließ der Gedanke, sie werde sein Werk ver- sinnbllblicheu,sein Herz höher schlagen. „Dadurch allein schon wird sie die Meine werden, wird sie mich lieben lernen," sagte er sich unaufhörlich. Lyda betrachtete den jungen Mann mit einigem Befremden; sie fragte sich, wie es möglich gewesen, daß sie ihn für linkisch und ungeschickt habe hatten können, ihn, der in jeder seiner Be wegungen jetzt mit einem Male gewandte Sicherheit an den Tag legre; er bekundete so viel Aufmerksamkeit für ihre Tante wie für sie selbst, lind sie hegte die Empfindung, als ob er sie beide von jeher gekannt habe. Die Ueberraschung, die sie empfand, mußte wohl in ihren Blicken zum Ausdrucke kommen; sie hatte es gar nicht notwen dig, zu sprechen, er erriet ihre Gedanken. „Weshalb staunen Sie? Ich habe die Empfindung, als hätte ich Sie seit Ihrer frühesten Kindheit gekannt, nichts scheint mir fremd an Ihnen; vielleicht sind wir einander schon begegnet. Sie sollen sehen, wie mein Sirenen Gesang Ihnen bekannt erschei- neu wird." „Das geschieht vielen Musikern," warf Frau Wilbur mit ihrer undurchdringlichsten Miene ein, „daß ihre Zuhörer die Empfin- düng hegen, die Melodie, welche sie geschaffen, bereits vernvm- men zu haben. Die seltsame Betonung, womit sie da» Französische sprach, gab jedem ihrer Worte einen fast ironischen Klang. „Ich werde Sie bekehren, gnädige Frau; Sie sollen sehen, daß es mir gelingt, und daß Sie es dann aufgeben werden, mir- grausame Dinge zu sagen." Man erhob sich nach einiger Zeit von der Mahlzeit, und Da voust setzte sich ans Klavier. Als er die ersten Noten gespielt hatte, bemächtigte sich seiner eine neue Begeisterung über seine Schöpfung. Wie er es Herrn Febroiny gegenüber zum Ausdrucke gebracht, so war es auch: er hatte nicht das Gefühl, als ob er komponiere, sondern es war ihm weit eher zu Mute, als ob er einem Gesänge lausche, den er, fast ohne es zu wollen, wie dergeben mußte, so gut es eben anging. Lyda hörte ihm zu, trachtete zu verstehen und hatte ihre Blicke auf das schwer zu entziffernde Nvtenmanuskript gerichtet. ES gelang Davoust, der ein Pianist ersten Ranges war, ziemlich gut, von der Zusammensetzung des Orchesters seinen Zuhörern einen richtigen Begriff zu geben. Im ersten Augenblick hatte das junge Mädchen die Empfindung gehabt, als sei es vollstän dig aus der Fassung gebracht; er begriff das und hielt inne, um ihr einige erforderliche Erklärungen zu geben, um ihr die Mög lichkeit zu bieten, nebst^er Musik auch den Gang der Fabel zu verfolgen, die erste Scene zu erfassen und die Klänge zuverste- hen Dann gelangte er zu dem Sirenengesänge, den er während seines einsamen Spazierganges am Meeresstrande komponiert hatte, sich in Gedanken mit ihr und ihrer melodienreichen, köstli chen Stimme befassend, die in der niedrigen Stimmlage so ernst, im hohen Sopran so krystallhell und vibrierend war. Jetzt verstand sie alles. Die Künstlerin in ihr erwachte zum vollen Bewußtsein, sie bat ihn, das Lied zu wiederholen, sie lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit und empfand einen be seligenden Stolz in dem Bewußtsein, daß ohne sie diese Schöp fung eine unvollständige bleiben werde. Ein leises Beben durchlief ihren Körper, sie versuchte zu sin gen, aber noch nicht mit der ihr zu Gebote stehenden Vollkraft ihres Organes. Anfangs rief es den Eindruck hervor, als ob sie die Worte nur halblaut vor sich hinmurmele, er aber leitete und ermutigte sie mit unendlicher Geduld; er vergaß alles, den Ort, wo sie sich befanden, die Anwesenheit Frau Wilburs, die sich bei diesen musikalischen Versuchen nicht unterhielt und wäh rend des Strickens einschlief, ja, er vergaß sogar Lydas Schön- heit; sie war Künstlerin, sie war die Darstellerin seiner Schöp fung, und sie mußte das wiedergeben können, wovon er geträumt hatte. Für den Musiker existierte im gegenwärtigen Augenblicke nichts als dieses Bewußtsein. Endlich ließ Lyda ihrer Stimme freien Lauf. Sie hatte keine Angst mehr, es lebte in ihr nur noch die Künstlerin; sie identifizierte sich mit der Sirene, mit diesem armen Geschöpfe, das weder Weib noch Göttin war, mit diesem Wesen, dessen von seltsamer Zärtlichkeit durchglühtes Herz nur nach Liebe begehrte. Die Begleitung schien ihr in der That das Meer zu versinnbildlichen, für das sie so leidenschaftlich schwärmte; sie sah im Geiste die Wellen vor sich, die den Sand bespülten oder sich an den Felsen brachen, jene Wellen, welche nie unbeweglich daliegen, sondern stets gequält sind, gleich un- fern armen, für Ideale sich begeisternden Seelen. Sie legte in ihren Gesang eine unendliche Leidenschaft, viele zurückgedrängte Wünsche, verzweifelndes Hoffen; es sprach aus ihm auch ein glühender Appell an die Liebe, an die Freude, an das Leben. Ja, das waren jene Laute, welche Davoust im Geiste so oft vernommen, während er längs des Strandes dahingewandelt war, oder während er an seiner Arbeit geschaffen hatte. Er empfand eine innige, fast übermenschliche Freude, eine jener Freuden, die im stände sind, uns alles vergebliche Harren, alle Grausamkeit eine» harten Berufes vergessen zu lassen. 109,20
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder