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Naunhofer Nachrichten : 14.12.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1787848183-190412145
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1787848183-19041214
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1787848183-19041214
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungNaunhofer Nachrichten
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-14
- Monat1904-12
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- Naunhofer Nachrichten : 14.12.1904
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wähl wurde auch ein Zettel mit nachstehendem Gedicht abgegeben: Was drängst zur Urne du dich heut', Stadtväter dir zu wählen? Ich meine: Michel, sä gescheit, Tu dich darob nicht quälen. Ob Hausbesitzer, Sozialist, Ob Mietoerein, ob Antichrist: Sammle nur blaue Lappen — Du mußt ja doch berappen! Dresden. Mutter und Sohn vergiftet. Eine furchtbare Familientragödie spielte sich am Donnerstag abend in dem Dorfe Neustadt bei Stolpen in der sächsischen Schweiz ab. Die dort wohnende bejahrte Witwe Heintzmann war mit ihrem erwachsenen Sohne, der in einer Knopffabrik angestellt war, in Streit geraten, weil dieser tagsüber nicht zur Mbeit gegangen war. Infolge diese« Streites beschloß der Sohn, seinem Leben ein Ende zu machen. Er verschaffte sich auf noch nicht aufgeklärte Weise Cyankali, tat dasselbe in ein gefülltes Wasserglas, zeigte letzteres der Mutter mit den Worten: „Siehst Du, Mutter, ich ver gifte mich!" und trank das halbe Glas leer. Die nichtsahnende Mutter glaubte natürlich nicht an den Ernst dieser Worte und setzte das nur halbgeleerte Glas an die Lippen und trank es leer. Inzwischen tat das furchtbare Gift schon seine Wirkung bei dem Sohne. Er brach zusammen und starb vor den Augen seiner entsetzten Mutter. Aber auch diese spürte schon das Gift. In ihrer Todesangst stürzte sie auf die Straße, um zu ihren Ver wandten zu eilen. Aber auch sie brach zu sammen und hauchte kurz nach dem Ende ihres Sohnes ihren Geist aus. Das entsetzliche Drama rief unter den Einwohnern des Ortes eine furchtbare Aufregung hervor. Lommatzsch. Die Vereinigung von Domselwitz mit Lommatzsch wird am 1. Januar 1905 erfolgen. Radeberg. Die Epileptischen-Kolonie des Landesvereins für Innere Mission be herbergt zurzeit in ihren zwei Mädchen- und zwei Knabenhäusern eine Schar von 83 Kindern (35 Knaben und 48 Mädchen, oie mit ihren 12 Dresdner Diakonissen und dem Dienstpersonal eine Hausgemeinde von über 100 Seelen darstellen. Aufsehen erregt in industriellen Kreisen die Tatsache, daß vor kurzem über den großen Jndustrieort Neugersdorf von der Amts hauptmannschaft Löbau eiu allgemeines Bau verbot verhängt worden ist. Diese Maßnahme gründet sich auf ein Gutachten des zuständigen Kgl. Bezirksarztes, der für die genannte Ge meinde die Einführung einer allgemeinen Schleusen-Anlage verlangt hat. Solange Pläne hierzu nicht angefertigt und genehmigt sind und solange man an die Ausführung derselben nicht herangetreten ist, soll für den zurzeit über 10000 Einwohner zählenden Ott Neugersdorf jede Baugenehmigung versagt werden. Wolkenstein. Vor mehreren Jahren wurde in Lauter bei Mattenberg ein Berg werk außer Betrieb gestellt, weil es, wie es in der Bergmannssprache heißt, „ersoffen" war. Um den eingebrochenen Wassern einen Ab fluß zu schaffen und das Bergwerk wieder be triebsfähig zu machen, ließ eine Aktiengesell schaft vom Bahnhof Wolkenstein aus einen Stollen in das Gebirge brechen, der bereits bis in die Mitte zwischen Wolkenstein und Drei-Brüder-Höhe reicht. Jetzt haben jedoch die beteiligten Aktionäre beschlossen, diese Arbeit einzustellen und damit den Betrieb des Berg werks endgiltig ruhen zu kaffen. Böhlitz - Ehrenberg. Herr Fischer- meister Franz Schwarze fing in den soge nannten Leisebeinschen Lehmlachen eine Fisch otter das seltene Tier ist an den Leipziger Zoologischen Garten verlaust worden. Zwickart. Die Mulde ist am Donners tag auf 100 om über Null gestiegen und hat vielfach die Ufer überschritten, jedoch ist schon wieder langsames Zurückgehen der Hochwassers eingetreten. Ein so hoher Wafferstand war selbst in diesem Frühjahr nicht z» beobachten. Schedewitz. Ein Teil der Bevölkerung wünscht seit Jahren die Eingemeindung nach Zwicka» und benutzt auch jetzt wieder die Gemeindevertreterwahl, um dafür zu agitieren. Plauen i. V. Nicht weniger als 13000 Mark hatte in diesem Jahre die hiefige Stadt in wasserarmer Zeit dafür auszugeben, den höher gelegenen Stadtteilen Wasser zu fahren zu lasten. Das vom 22. bis 24. Oktbr. in Plauen i. Vgtl. abgehaltene große Marktfest des Albert-Zweigvereins hat rund 25 000 Mark Reingewinn ergeben. Der gesamte Reinertrag verbleibt in Plauen, d. h. er wird vom Verein gemäß seinen Bestrebungen im Dienste der barmherzigen Nächstenliebe verwendet. Das letzte Marktfest im Jahre 1899 hatte einen Reinertrag von 18000 Mk. ergeben. Auch eiu Zeichen der Zeit! Eine Firma in Plauen i. B., die sich mit dem Kauf und Verkauf.von Grundstücken befaßt, besitzt zurzeit nicht weniger als 37 Häuser, di« sie zu erwerben gezwungen war, um sich vor Verlusten zu bewahren. Pulsnitz. In der Nacht vom Sonn abend zum Sonntag brannte das Anwesen des Bauerngutsbesitzers Gottlieb Freudenberg in Niedersteina nieder. Aus den Trümmern wurden der Besitzer Freudenberg, seine Ehe frau, seine beiden 18 und 21 Jahre alten Töchter, sein 14 Jahre alter Sohn und zwei Enkelkinder als Leichen hervorgezogen. Die ältere Tochter Freudenbergs war mit dem Steinbruchbesitzer Domschke verheiratet. Da dieser nicht im besten Rufe steht und seine Verhältnisse zu wünschen übrig lasten, leitete das Amtsgericht Pulsnitz sofort eine Unter suchung ein, die zur Folge hatte, daß Domschke wegen Verdachts des Mordes und der Brand stiftung am Sonntag verhaftet wurde. Wie verlautet, soll Domschke seine Schwiegereltern, seine Frau mit zwei Kindern, seinen Schwager und seine Schwägerin mit einer Radehacke er mordet und darnach, um die Tat zu verwischen das Freudenbergsche Gut in Brand gesteckt haben. Die Bewohner von Niederstem« und Pulsnitz befinden sich in höchster Aufregung. Lichteustein-C. Die städtischen Kollegien bewilligten zu dem im nächsten Jahre zu ver anstaltenden Heimatsfeste einen Zuschuß von 3000 Mark. Das älteste sächsische Gasthaus soll „Der Löwe" in Adorf sein, der sich überdies seit 1440 im Besitz einer und derselben Familie befinden soll. Königstein. Mit einer Beihülfe des Gebirgsvereins wird jetzt am Gohttschstein ein Weg hergestellt, welcher nicht nur neue land wirtschaftliche Schönheiten erschließt, sondern auch bessere Verbindung schafft. In der nächsten Reisesaison dürfte diese Anlage viele Besucher finden. Crimmitschau. Das Kultusministerium hat genehmigt, daß statt vier katholische Gottesdienste im Jahre künftig deren zwölf hier abgehalten werden. Waldeudurg. Das Neuvermählte Fürsten paar hielt am Sonnabend mittag feinen Ein zug in die mit Flagge« und Guirlandenschmuck prangende Stadt. Am Bahnhofe empfingen und begrüßten das Paar Hofrat Dr. Lamprecht, Oberrentmeister Frhr. v. Uslar-Gleichen und Forstrat Gerlach. Auf dem Wege zum Schlosse bildeten Vereine, Korporationen und Schulen Spalier. Am Schlosse erfolgte die Begrüßung durch die städtischen Behörden. Aus dem Hauptburau der Kgl. Siichs. Staatseifeitbahnen. 'Zur Weihnachtszeit tritt das Bedürfnis zur eiligen Versendung von Paketen besonders stark auf. Es sei daher auf die Einrichtung des Eifenbahnexpreßguter jetzt beson ders hingewiesen. Solches Gut wird mit größter Beschleunigung befördert und innerhalb der Dienststunden der Gepäckverwaltungen, also auch vielfach nachts und an Sonntagen, an genommen. Als Eisenbahnpakete oder Expreß gut können alle Gegenstände versendet werden, die sich zur Beförderung im Packwagen eignen, und zwar von und nach solchen Stationen, die für den Gepäckverkehr eingerichtet sind. Jeder Sendung ist eine Eisenbahn-Paketadresse beizugeben, die der Absender auszufüllen hat; auf eine Adresse können bis zu 5 Stück auf geliefert werden. Dolche Adressen sind bei den Gepäckverwaltungen zu kaufen. Nur Sendungen nach elsaß-lothringischen Stationen werden bis auf weiteres auf Gepäckschein be fördert. Jedes Stück muß mit einer genauen deutlichen und dauerhaft befestigten Adresse versehen sein. Expreßgut wird bet den Ge päckverwaltungen angenommen und mit den Zügen für den Personenverkehr (Luxuszüge und Motorwagenfahtten ausgenommen) be fördert. Es wird die Gepäckfracht, mindestens für 20 Klg. berechnet; bei Beförderung in Personenzügen werden mindestens 50 Pfg., bei verlangter Beförderung in Schnellzügen, auch nur streckenweise, mindestens 1 Mark erhoben. Auf der Paketadresse ist der Zug, mit dem die Beförderung stattfinden soll, an zugeben; fehlt diese Angabe, so wird das Expreßgut mit dem nächsten geeigneten Zuge befördert. Der Empfänger kann sofort nach Ankunft des Zuges mit dem die Sendung zu befördern ist, am Bestimmungsorte die Aus lieferung bei der Gepäckverwaltung verlangen. Findet sich der Empfänger nicht sofort nach Ankunft des Zuges zur Empfangnahme der Sendung ein, so wird sie ihm angemeldet. Sendungen, die nach Dresden (Friedrichstadt ausgenommen) und vom 15. Dezember ab nach Leipzig, Dresdner oder Bayrischer Bahn hof bestimmt sind, werden dem Empfänger, wenn er im Stadtgebiete wohnt, gegen eine festgesetzte Gebühr zugeführt, sofern die Sendungen nicht zur Selbstabholung bestimmt sind. ' Wie wird das Wetter 1SV5? Ein Leser schreibt der „Franks. Ztg.": Wenn man in einer Gegend wohnt, wo auf ein schönes Frühjahr mit unfehlbarer Sicher heit ein schlechter regnerischer Sommer folgt, mußte man in diesem Frühjahre, wenn man nur im Juli oder August Urlaub haben konnte, Zweck haben, und persönliche sowie wittschaft- schaftliche Gewähr für gemeinnützige Durch- fichmng Arten. Staattpreise sollen nur bei Ausst«mgm, dk für das ganze Land von Bedeutung Drd, und nur für sehr hervorragende Leistungen in Farge kommen. f Rittergüter zählte da» Königreich Sachsen Anfang des Jahres 1904 insgesamt 942. Unter den Verwaltungsbezirken wies die Amtshauptmannschaft Bautzen die meisten auf, nämlich 130. Es folgten dann Löbau mit 70, Grimma mit 60 und Borna mit 59. ft Welchen Ausfall die diesjährige Elbe schiffahrt zu verzeichnen hat, geht am besten aus der Prager Meldung hervor, daß im November nur 425 000 är: gegen 500000 är im Vorjahre und seit Schiffahrtsbeginn nur 1800000 ckr gegen 8000000 är im Vor jahre nach Hamburg verladen wurden. ft Auf Patrouille ist i« Tüdwestafrika gefallen: Leutnant Fritz Roßbach, geboren am 31 Mai 1878 zu Leipzig, früher im sächs. 6. Infanterie-Regiment Nr. 105. Otterwisch. Die Vereinigten Porphyr brüche auf dem Rochlitzer Berge haben vor züglich gelungene große Wappen für den Kammerherrn von Arnim in Stein gehauen, die demnächst nach Schloß Otterwisch abgehen sollen. Leipzig. Da der in den Volksschulen versuchsweise eingeführte Flickunterricht sich gut bewährt hat, hat der Rat beschlossen, von Ostern ab ihn obligatorisch einzuführen. Leipzig. Der am Freitag bei der Explosion der Sellerhausener Gasanstalt verunglückte Maurerpolier Brähme aus Schönefeld ist am Sonntag im Stadtkrankeühause verstorben. Die Weihnachtsdividende des Leipzig- Cvrurewitzer Konsumvereins ist hin, was werden die Gäubigerretten? Die Liquidations kommission hofft, zunächst alle 200 Mark- Gläubiger voll zu befriedigen, diejenigen aber, die Forderungen von 200 bis 500 Mark und darüber haben, sollen nur teilweise abgefunden werden. In Mitgliederkreisen denkt man in dessen weniger optimistisch und fürchtet, daß es nach Ablauf der Zahlungsstundung doch noch zum Konkurse kommen werde. Das Moratorium mußte nachgesucht werden, weil nach dem Krach sich ein starker Rückgang der Einnahmen in den Verkaufstellen bemerkbar machte und ein Ansturm aui^ die Sparkaffe des Vereins veranstaltet wurde. Höchst er bittert sind die Connewitzer Genoffen darüber, daß der reiche Plagwitzer „Bruder"-Verein nur die gutlohnenden Zweige an sich bringen, von der Uebernahme der schlechtgehenden Fleischerei aber, die die Connewitzer Gründung zum Krachen brachte, nichts wissen will. Die Sozialdemokraten in Würze« haben wegen der letzten Stadlverordnetenwahlen bei der Kreishauptmannschaft Leipzig Protest er hoben, weil die Ordnungspattei Stimmzettel verwendet habe, die in Farbe und Format von den Stimmzetteln der Sozialdemokraten hätten unterfchiä>en werden können. Die Sozialdemokraten erblicken darin eine ungesetzlich« Wahlbeeinfluffung. Wurzen. Der Rat hat beschloßen, auf «in Jahr versuchsweise einen Schularzt gegen einen Jahresgehalt von 400 Mk. anzustellen. Die Stadtverordneten stimmten diesem Be schluße zu. Meißen. Bei der Stadtverordneten- HrSfchleicher. Roman von Ewald August König. 33 „Und das Kind gab sich Ihnen zu erkennen?" fragte Hedwig in fieberhafter Erregung. „Nicht sogleich. Ich sprach mit ihm über gleichgültige Dinge, und der Mann hörte uns zn; e» schien ihm Freude »u machen, daß der Knabe so munter war. Nach einer halben Stunde er laubte er mir, den Knaben in die Küche mitzunehmen, aber er fügte in drohendem Tone hinzu, binnen drei Minuten müße ich mit ihm zurückgekehrt sein. Wir waren kaum draußen, al» das Kind sich fest an mich klammerte und mir sagte: Bring mich zu meiner Mama. Da» Kind sagte die» in einem so verzweifelten Tone, daß ich erschrak; aber ich ahnte sogleich, daß es Ursache hatte, den Mann zu fürchten Ich fragte, wo seine Mama wohne, und rS nannteJhrenNamen und d«» Namen dieser Stadt." „Sie hätten e» zurückbalten sollen." „Der Mann hätte mich ermordet." „Das ganze Dorf würde Ihnen beigestanden haben." „In unserem Dorfe wohnen nur arme Leute, und wenn der Mann ihnen einen Krug Branntwein gegeben hätte, so wären sie alle auf seiner Seite gewesen," sagte da» Mädchen kopfschüt- telnd. „Der Ort»vorstand. . ." „Gnädige Frau, an da» alle» dachte ich nicht, ich selbst hatte zu große Angst vor dem Manne. Ich nahm das Kind mit in die Küche. ES sagte mir, man wolle eS zu seinem Papa bringen, und wenn eS nicht gehorche, werde eS gepeitscht." Die Gräfin schrie laut auf. „Ha, wenn ich diesen Mann zur Rechenschaft ziehen könnte!" „Ihrer müssen zwei gewesen sein, gnädige Frau! Der Knabe sagte mir, er habe gehorcht, wie sie über ihn gesprochen hätten. Der Mann dürfe da» nicht erfahren: sie hätten geglaubt, er schlafe, aber er sei wach gewesen." „Daran erkenn' ich mein kluges Sind. Fahren Sie fort Wa» haben die Männer über ibn gesprochen?" „Soweit der Knabe sich jener Unterredung erinnerte, haben sie sich verabredet, ihn über da» Meer in eine große Stadt zu bringen; dort soll er verschwinden." „Nannte er den Namen der Stadt nicht?" „Nein/ „Konnte er sich nicht erinnern . . ." „Im Gegenteil, er erinnerte sich deutlich, daß die Stadt nicht genannt worden war Einer dieser Männer muß Ihnen bekannt Win; der Knabe sagte, dieser Mann sei der Doktor und mit Ihnen gereist." , „Doktor Lampe?" fragte Hedwig rasch. „Den Namen nannte er nicht." „Und dieser Mann begleitete ihn auch gestern?" „Nein, ein anderer." „Kannte mein Sohn ihn nicht?" „Nein; ich habe ihn gefragt, er sagte, er wiße nur, daß die ser Mann Franz heiße." „Wie sah denn der Mann aus?" „Er sah aus wie ein Jäger; er trug einen grünen Rock mit blanken Knöpfen." Die Gräfin war in Nachdenken versunken. Daß der Mann die Uniform eines Jäger» getragen hatte, schien ihr rätselhaft. Aber sie hatte doch eine Gewißheit erhalten, die, daß der Dok- tor Lampe der Anstifter dieses Verbrechen» war. Und der Dok tor hatte jedenfalls im Auftrage de» Baron» gehandelt und . . jetzt ging ihr plötzlich ein Licht auf: der Mann im grünen Rock war ein Diener des BaronS gewesen. „Hat der Knabe Ihnen nicht» weiter gesagt?" „Lassen Sie mich Nachdenken. Sie haben mich so oft unter brochen, ja, er sagte mir, wenn eS wahr sei, daß er zu seinem Vater gebracht werden solle, dann hoffe er, bald auch seine Mama wieder zu sehen, jedenfalls aber möge ich zu seiner Mama ge- hen, damit sie wisse, wo er sich befinde." „Sollte der Mann im grünen Rock ihn über» Meer brin gen?" „Davon sagte er nicht» " „Sagte er Ihnen auch nicht, ob er vor der Abreise den Dok tor noch einmal sehen werde?" „Nein." „Dennoch vermute ich, daß sie über hier gereist sind und die vergangene Nacht hier zugebracht haben. Wären Sie gestern gekommen l" „Gnädige Frau, ich wiederhole Ihnen, daß ich e» getan ha ben würde, wenn mir die Sache klar gewesen wäre. Wir sind arm, deshalb konnte ich nicht mit der Eisenbahn fahren, ich mußte zu Fuß gehen; daher kommt e», daß ich so spät eintreffe." „Armes Mädchensagte die Gräfin teilnehmend. „Sie wer- den müde und erschöpft sein." Das Mädchen nickte bejahend. „Wenn Sie ein Stück Brot haben, dann bitte ich darum," erwiderte eS; „ich habe heute noch nicht» gegeßen." Hedwig eilte hinaus und kehrte bald darauf mit Wein, Brot. Butter uno Fleisch zurück. Das Mädchen ließ sich nicht lange nötigen, e» griff wacker zu, und während es seinen Hunger stillte, dachte die Gräfin über die erhaltenen Mitteilungen weiter nach. Die Auskünfte de» Kindes waren von ungeheurer Tragweite, die sofort verwertet werden mußten Rasch entschloßen holte Heb- wig Hut und Mantel. ES war so sehr spät noch nicht; sie durfte hoffen, den Rechtsanwalt Scharff noch in seinem Kabinett zu fin den ; mit ihm wollte sie die Sache überlegen, er sollte ihr raten. Der Rechtsanwalt Scharff stand im Begriff, zu Bett zu ge- hen, als seine Klientin erschien; er war im ersten Augenblick ungehalten über den späten Besuch, zumal er der Gräfin ge sagt hatte, daß er vor dem nächsten Morgen ihr keinen Besuch erteilen könne. Aber nachdem er ihre Mitteilungen vernommen hatte, verschwanden die Falten des Unmutes von seiner Stirn und sein treuherziges Gesicht nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. Er trat an eine Landkarte, welche an der Wand neben sei- nem Schreibtische hing, und hielt den Blick lange auf sie gehef tet. „Sie müßen über hier gekommen sein," sagte er; „hätten wir gestern gewußt, was wir jetzt wissen, so wäre es vielleicht möglich gewesen, das Kind zu retten. Jetzt aber läßt «S sich mit Sicherheit erwarten, daß der Knabe schon ..." „Nichtsdestoweniger könnte eine Haussuchung bei dem Doktor Lampe doch em günstiges Resultat liefern!" warf Hedwig ein. „ES wäre vergebliche Mühe," erwiderte er; „und nicht allein da», es wäre sogar gefährlich. Lamp« hat jedenfall» seine Bor- kehrungen getroffen; man fängt ihn so wenig, wie den Fuchs in seinem Bau, er hat überall einen Ausweg Man darf ihm nicht einmal verraten, daß der Verdacht auf ihm ruht" „Er weiß «»schon." „Haben Sie e» ihm gesagt?" „Heute abend, noch ehe ich die Mitteilungen der Winswch- ter empfangen hatte. Er ließ mich nicht ein in seine Avhmm : das mußte meinen Verdacht bestätigen." 120,26
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