Suche löschen...
Naunhofer Nachrichten : 22.04.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-04-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1787848183-190404229
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1787848183-19040422
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1787848183-19040422
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungNaunhofer Nachrichten
- Jahr1904
- Monat1904-04
- Tag1904-04-22
- Monat1904-04
- Jahr1904
- Titel
- Naunhofer Nachrichten : 22.04.1904
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
ganzen Einfluß dafür elnsetzen, daß die Ent. schädigung nicht an irgendwelche einschnürenden Bedingungen geknüpft werden sollten. Jeder Entschädigung-berechtigte müsse bedingungslos voll entschädigt werden, da sonst die An. fiedler fürchteten, in ein Abhängigkeitsver- hältni- zur Regierung zu geraten. Nur bet voller Entschädigung würden die Ansiedler im Lande verbleiben, andernfalls würden sie auswandern. Sie wünschen in den Stand zurückversetzt zu werden, indem sie sich vor dem Kriege befanden. Die Zusammen setzung der EntschädigungSkommisfion sollte in der Weise geregelt werden, daß sie be- steht aus einem Mitglieds der Regierung und zwei Angehörigen des Berufsstandes, dem der zu Entschädigende angehört. Nach welchen Grundsätzen die Kolonialverwaltung zu ver fahren gedenkt, ist in der gestern von uns erwähnten Denkschrift mitgeteilt. Das Schicksal der Kolonne Glasenapp. ist noch immer unbekannt. Aus Kiel wird der „Voss. Ztg." dazu geschrieben: Die Beunruhigung über das Schicksal der Abteilung des Major- v. Glasenapp tritt hier in allerlei Gerüchten zu Tage. Montag abend wurde auf da- bestimmteste von ver schiedenen Seiten behauptet, daß ein Tele gramm eingelaufen sei, wonach die Kompagnie Fischel 60 Mann verloren habe. Es ist bis her nicht möglich gewesen, zu ermitteln, ob diesem Gerüchte irgend eine Swakopmunder Privatmeldung zu Grunde liegt. Nach Briefen von Kieler Seesoldaten, die vom 12. März datiert find, hatten die Leute sehr unter dem Tropenklima zu leiden. Bei starken Niederschlägen stieg das Thermometer bis gegen 60 Grad Celsius. Geklagt wird über hohe Bierpreise und über eine gewisse Einförmigkeit der Verpflegung. Sie besteht in der Regel aus Reis, Ochsenfleisch und Kokosnüssen. Ueber die Tapferkeit und die aufopfernde Hingabe der deutschen Truppe im Kampfe gegen die Aufständischen in Deutsch - Südwestalrika herrscht nur eine Stimme der wärmsten Anerkennung. Auch der militärische Berichterstatter der „Hamb. Nachr." äußert sich beispielsweise dahin: „Was das Verhalten unserer Truppen in Südwestafrika betrifft, so haben die Führung und die bunt zusammengesetzten Scharen bei Entsatz der eingeschloffenen Stationen schon einen hohen Grad von Kühnheit und Opfer mut gezeigt. Ebenso ist bei den späteren Operationen insbesondere die Zähigkeit anzu- erkennen, mit der die nicht berittenen Truppen in diesem heißen wasserarmen Laude dem Gegner auf den Fersen bleiben. Dem Mangel an Pferden wird nun hoffentlich bald abgeholfen werden, aber man kann fragen, weshalb man nicht sofort einheimische Pferde, wie es jetzt geschieht — einschiffte, gleichgültig, ob eine große Anzahl zu Grunde ging, denn es kam doch vor allem darauf an, die Truppe schnell beritten zu machen. Jedenfalls kann man sich wieder über den Funken kriegerischen Geistes freuen, der sich bei den freiwilligen Anmeldungen gezeigt hat, und daß es der Propaganda der Friedens gesellschaften noch nicht gelungen ist, Wagemut und Lust am Kriegsdienst abzuschwächen." Wir heben dies hervor, weil eine gerechte Würdigung der Schwierigkeiten diese» be dauerlichen Feldzuges noch nicht Platz gegriffen zu haben scheint. Man unterschätze auch da» moralisch« Moment der rühmens werten Haltung unserer Truppen de« Aus lande gegenüber nicht. ES ist immer gut, wenn »ä ooulo, demonstriert wird, die Heldentugenden der Väter hätten sich auf die Söhne vererbt und die alte vielgerühmte Disziplin wie die Schulung der Führer seien noch immer dieselben, wie zurzeit der unvergänglichen historischen Erfolge. Rundschau — Der BundeSrat wird demnächst eine neue, vielfach verschärfte Prüfungsordnung für Apotheker beschließen, die noch im Laufe dieses Kalenderjahres in Kraft treten dürfte. — Um die Bekämpfung der Wurm- krankheit zu studieren, wird eine Kommission des Reichsgesundheitsamts mit dem Präsidenten an der Spitze das Ruhrkohlengebiet bereisen. — Die Denkschrift über die staatliche Hilfsaktion aus Anlaß von Unwetterschäden im Jahre 1903 ist dem preußischen Abgeordnetenhause zugegangen. Im ganzen werden 10600000 Mk. aufgewendet. — Berlin. Eine Vertagung des Reichstages bald nach Pfingsten bis zum Herbst steht in Aussicht, da der Reichstag das ihm vorliegende BcratungSmaterial doch nicht mehr erledigen kann. Allenfalls dürften nach Verabschiedung des Etats noch das Reblausgesetz, vielleicht das Gesetz übe, die Kaufmannsgerichte, der Entwurf über die Entschädigung unschuldig Verhafteter und die Reichsfinanzreform zum Teil erledigt werden. — Berlin. Graf Heribert zu Dohna- Waldburg ist bet Waterberg gegen die HereroS gefallen. — Köln. Angesichts der Zunahme der Erregung unter den Bergleuten hat sich ein Komitee gebildet, das mit dem Vertrauens leuten der von der Stillegung betroffenen Zechen des Ruhrgebiets in Verbindung tritt, um durch eine gemeinsame Petition an den Kaiser eine Aenderung des heutigen Zustandes herbeizuführen. Weiter soll eine Denkschrift an den Reichstag und Landtag abzesandt werden, in der sämtliche betroffenen Gemeinden die wirtschaftlichen Schäden statistisch nachweisen und zum Ankauf der stillgelegten Zechen durch den Staat auffordern sollen. — Kiel. Die im vorigen Jahre von der Germaniawerft unternommenen Probe fahrten mit dem Unterseeboot sind wieder ausgenommen worden und derart günstig ausgefallen, daß die Marineverwaltung der Anschaffung von Unterseebooten näher treten will. — — Wilhelmshaven. Der kanadische Kapitän Bernier kam hier mit dem Lloyddampfer „Wilhem II. - an. Er will das Südpolarschiff „Gauß", das von Kanada für die Nordpol- Expedition augekauft ist, übernehmen und die Expedition vom Behringsmeere aus mit Schlittenautomobil unternehmen und Aus rüstung auf sieben Jahre mitnehmen. — Karlsruhe. Die Kaiserin trifft am 29. April hier ein, um mit dem Kaiser, der über den St. Gotthard nach hier zurückkehrt, wieder zusammenzutreffen. Von hier aus setzt das Kaiserpaar die Reise nach Mainz fort. — Merseburg. Ein Mord auf offenem Marktplatze wurde hier in der Sonntagnacht hier verübt. Ein in Nmmeldorf arbeitender Maurer erstach den Arbeiter Klingenmüller von hier, nachdem auf dem Neumarkte ein Streit der beiden voraus gegangen war. — Breslau. Die gewaltigen Gewitter in Niederschlefien in der Sonntagsnacht haben, soweit bisher bekannt, 20 Feuersbrünste ver ursacht. Außer der katholischen Kirche in Friedeberg brannte auch das Müllersche Säge werk in Neuhammer nieder. In Kleinhenners dorf bei Landshut wurde der Hausbesitzer Hertrampf durch den Blitz getötet. — Der älteste der lebenden inaktiven preußischen StaatSminister.Dr.LudwigHermann v. Schelling, vollendete dieser Tage sein 80. Lebensjahr. Er wurde am 19. April 1824 als Sohn des Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph v. Sch-lling geboren und widmete sich dem Juftizdtenste, in dem ihn eine rasche Laufbahn zur Präsidentschaft de« AppellationS- gerichts in Halberstadt, zum Vizepräsidium des Obertribunals, zum Staatssekretariat des RetchsjustizamteS (1879) und im Jahre 1889 zum preußischen Justizmiuisterseffel führte. — Der Kaiser übersandte dem Staatsminister v. Schelling aus Sizilien einen Glückwunsch. — Pest. Im ganzen Lande ist der Streik der Eisenbahnangestellten ausgebrochen. Kein Zug der Staatsbahnen verkehrt. Von Pest gehen heute nur die Züge der Südbahn ab, die in privatem Betriebe steht. Dienstag nacht sind sechs fällige Züge nicht in den Pester Westbahnhof eingefahren und acht fällige Züge nicht abqegangen. Der Streik begann damit, daß Dienstag abend auf dem West bahnhofe sämtliche Weichenltchter und Signal lampen ausgelöscht wurden, nur das Semaphor licht wurde belassen, der Semaphor aber auf Halt gestellt. Ein Güterzug wurde an der Einfahrt dadurch gehindert, daß einige hundert Ausständige sich vor die Lokomotive drängten, worauf der Lokomotivführer, der Heizer und der Zugführer abstiegen. Der Wiener Schnellzug wurde auf der Station RakoS-Palota angehalten. Die Passagiere legten darauf den eine halbe Stunde betragenden Weg nach Pest mit der Stadt bahn zurück. — Die Verluste der Ansiedler in Südwekafrika durch den Herero - Aufstand werden jetzt amtlich auf 6 712 000 Mark beziffert. — Wien. Die Erzherzogin Maria Josepha, Gemahlin des Erzherzogs Otto, die gegenwärtig in Abbazia weilt, schwebte gestern in Lebensgefahr. Sie hatte mit Gefolge auf der Jacht „Dalmaia" einen Ausflug unter nommen und fuhr die Jacht so unglücklich auf ein Felsenriff auf, daß sie ein Leck bekam und zu sinken begann. Glücklicherweise fuhr gerade die „Pannonia" der ungarisch-kroatischen Dampfschiff-Gesellschaft an der Stelle vorbei und hörte die Hilferufe von der „Dalmata"; sie rettete die gefährdeten Insassen und brachte sie nach Fiume. König Oskar von Schweden, der von Abbazia aus einen Ausflug nach Fiume gemacht hatte und bei der Landung anwesend war, beglückwünschte die Erzherzogin zu ihrer Errettung. — Der Lloyd-Dampfer „Kaiser Wilhelm II.' hat auf der Fahrt zwischen Newyork und Plymouth einen neuen Rekord aufgestellt. Die ganze Reise von Newyork nach London dauert jetzt 5 Tage, 23 Stunden und 39 Minuten. — Ein Pariser Blatt verbreitet die wenig wahrscheinliche Meldung, der Zar habe sein Prtvatvermögen in einer ausländischen Bank gekündigt und beabsichtige, alle von der Kriegskasse geforderten Summen unverzinslich zur Verfügung zu stellen. Atts Stadt und Land. Naunhof, den 21. April 1904. Naunhof. Der vor einigen Wochen aus Kleinsteinberg verschwunde Gemeinde vorstand M. ist gestern im Brandiser Winkel von einer Frau, welche Blumen suchte erhängt aufgefunden worden. Naunhof. Das Bahnprojekt Rötha- Belgershain—Naunhof—Ammelshain bezw. Seelingstädt ist von der Finanzdeputation L der II. Kammer, der Staatsregierung zur Kenntnisnahme überwiesen worden. ES ist damit, wenn auch noch lange nicht die Er füllung des Wunsches, doch die erste Stufe des Erfolges erreicht. Freilich wird es not wendig bleiben, auch in Zukunft bis zur Verwirklichung von Neuem zu petitionieren und die Angelegenheit nicht mit der Ansicht „es wird einmal nichts" abzutun. Mit zäher Ausdauer wird schließlich doch noch etwas, aber es muß eben daran weiter ge arbeitet werden. Naunhof. Es kommt nicht selten vor, daß Besucher der hiesigen Waldungen Reh- kälbchen oder junge Hasen aulfinden, welche von den bei der Annäherung von Menschen die Flucht ergreifenden Muttertieren zurück gelaffen werden. Hierbei kommen die Auffinder sehr leicht zu der Annahme, den jungen, noch hilflosen Tieren Schutz zu gewähren, und nehmen dieselben an sich, um sie an die Forstverwaltung abzugeben. Aus diesem Anlässe wollen wir im Interesse des Jagdschutzes sowohl als auch dem Publikum gegenüber bekannt geben, daß solche aufgefundenen Tiere nicht aufgehoben werden dürfen, vielmehr unversehrt diese Tiere liegen zu lassen, da erfahrungs gemäß die Muttertiere bei der Entfernung der Menschen bald zu den Jungen zurück kehren, um sie in Schutz zu nehmen. Ganz besonders wollen wir aber die Besucher der hiesigen Waldungen, auch vor der Aufhebung oder Wegnahme dieser jungen Tiere zum Zwecke der Aneignung oder zur Zucht ausdrücklich warnen, für solche Vergehen werden sehr empfindliche Strafen verhängt. ch Es ist zwar noch zwei Wochen bald hin bis zum Mai, aber das tut nicht», unsere Jugend singt doch schon: Der Mai ist ge kommen, die Bäume schlagen aus!" Und wie sie draußen singt, springt und jubiliert, sich von den jungen Schulsorgen die Köpfe nicht allzusehr bedrücken läßt, jedenfalls nicht mehr als notwendig, da haben wir alle unsre Freude dran. Im Frühling werden auch die alten wieder verjüngt, in all dem Hellen Licht, dem frischen Maiengrün, der ganzen Lenzwonve gehen die Herzen auf und der Mund über. Immer ist's schön im Frühling aber am schönsten an einem Sonntage, wie dem gestrigen, wenn alle Welt ins Freie strömt, die neuen Reize zu genießen, ewig einfach, ewig erhaben, da ist's eine Lust zu leben. -j- Universitätskurse in Leipzig für Lehrer und Lehrerinnen. Der sächsische Lehrer verein beabsichtigt, in diesem Jahre an der Universität Leipzig Ferienkurse für Lehrer Hotdene Jesseln. Roman von Erich Reichardt. 62 Voll warmen, dringenden Ernstes sagte er: „Fran Baronin, Sarf ich eine Bitte aussprechen? Gehen Sie nicht weiter auf dem Dornenweg, den Sie eingeschlagen haben. Kehren Sie in Eisenach um, fahren Sie nach Zedern zurück. Erweitern Sie Ihr Vertrauen, das Sie mir schon geschenkt, dahin, daß Sie alles, was in der traurigen Angelegenheit noch gesagt und getan wer den muß, mir allein überlassen. Ja, erfüllen Sie mir diese Bitte. Sie können und sollen nicht vor den Untersuchungsrichter mit der Anklage gegen Ihren Herrn Vater hintreten. Ein späteres Verhör wird Ihnen ja wohl nicht erspart bleiben. Aber der erste Schritt, der Ihnen beispiellose Qualen bringen würde, darf nicht von Ihrer Seite getan werden. Mir will eS als eine Unmöglichkeit erscheinen." „Geben Sie darum das Büchlein in meine Hände und seien Sie überzeugt, daß ich alles versuchen werde, um für unseren unglücklichen Kranken, der auch meinem Herzen nahe steht, jede nur denkbare Schonung zu erwirken. Wollen Sie, Frau Baro nin?" „Ja, Herr Rudloff, ich will." Nach kurzem Zögern, die ge- senkte Stirn dem offenen Fensterrahmen zugewandt, sagte sie diese Worte und heftete dann langsam einen feuchtschimmernden, dankbaren Blick auf das Antlitz des jungen Ingenieurs. Wie ein leises Zittern der Erlösung ging es durch ihren zierlichen Körper. Ja, die Aufgabe, die sie sich gestellt, wäre eine Unge heuerlichkeit gewesen. In Eisenach blieb sie auf dem Bahnhof. Im Wartesaal setzte sie sich m eine Ecke und harrte auf das Einlaufen des Zuges, der sie schon in weniger als einer Stunde nach Zedern zurückfüh ren sollte. Ihr Herz war auf einmal voll von innig bebender Sehnsucht nach dem Vater. Ja, sie wollte nicht mehr von der Seite des so grausam vernachlässigten Unglücklichen weichen, bis die eiserne Notwendigkeit kam und sie auseinanderriß. * * Inzwischen hatte sich im Herrenhaus zu Zedern Marga nach dem Zimmer RollenhagenS begeben. Er öffnete sofort, als sie anklopfte, jedenfalls in der Mei nung, sein Kind kehre zu ihm zurück. Voll mißtrauischer Un ruhe betrachtete er da-fremde Gesicht. Marga richtete ihm den Auftrag seiner Tochter auS und fragte dann tastend, ob sie ihm vielleicht irgendwie nützlich sein könne bis zur Rückkehr der Frau Baronin. Rollenhagen ließ sein Mißtrauen nicht fahren. Er antwortete gar nicht, sondern ging mit hastigen, unregelmäßigen Schritten ein paarmal durch das Zimmer, wobei er unablässig nach dem jungen Mädchen hinjchielte, daS sich Mühe gab, in Haltung und Aussehen möglichste Unbefangenheit zu zeigen. Plötzlich drängte sich Rollenhagen an Marga vorüber und erreichte die Schwelle. Bon dort rief er in abgerissenen, zer hackten Sätzen: „Sagen Sie .. Sie . . meiner Tochter . . ich . . ich wäre hinüber in die Arbeitshalle gegangen, ja. Da . . da hab' ich noch allerlei Vorbereitungen zu treffen. Wenn . . wenn Jeanette kommt, soll sie mir .. dahin folgen. Sagen Sie ihr das." Und er verließ mit scheuen Bewegungen das Zimmer. Marga sagte sich, daß es zwecklos wäre, ihn zurückhalten zu wollen. Dazu fand sie weder die physische Kraft, noch einen genügenden Grund. Schließlich war er in der Arbeitshalle ebenso sicher als hier. Ihre Pflicht mußte es nun sein, ihn dort zu überwachen. Möglichst unauffällig folgte sie ihm durch den Park. Er verschwand in dem mächtigen Holzbau, dessen Fenster so hoch lagen, daß ihr jeder Einblick verwehrt war. Sie hielt es für das Beste, keinen Versuch zu machen, in das Innere zu drin- gen. Von Fritz Rudloff wußte sie ja, wie eifersüchtig Rollen hagen darüber wachte, von dem Geheimnis seines entstehenden großen Werkes jeden unberufenen Blick fernzuhalten. Wenn sie ihm folgre, so würde sie nur seinen Widerspruch herausfordern und seine krankhafte Erregung steigern. Das mußte sie vermei den. Sie mußte ihn so ruhig als möglich zu erhalten suchen. Denn es konnte immerhin spät in der Nacht werden, ehe Frau Jeanette aus Eisenach zurückkehrte und die notwendigen Be stimmungen traf, wenn er nicht von anderer Seite, auf der die kalte Macht der ausgleichenden Gerechtigkeit war, härtere Be stimmungen vorweg getroffen wurden. Marga entdeckte drüben seitwärts vor dem silbergrauen Stamm einer uralten Buche, deren weithingebreitete Krone von einem ersten zartjungen, grünen Schein überhaucht erschien, eme Bank. Dahin begab sie sich. Von diesem Platz aus konnte sie den Eingang zu der Halle gut überwachen und jeden überwachen, der kommend oder gehend über die Schwelle trat. Bald saß das schöne Mädchen in der Abgeschiedenheit weh mütigen Sinnens. Ihr verschleierter Blick schweifte ziellos über den Himmel hin, in dessen Glanz da und dort dnrchsichtig-weiße Wolkenflöckchen auftauchten und wieder zerflossen, gleichsam die in der Unendlichkeit für kurze Zeit sichtbar gewordenen Atem züge der großen Allmacht. Marga hatte die eine Hand mit den festgeschlossenen Fingern auf die Brust gelegt, als wolle sie jeden verräterischen Seufzer am Entweichen hindern. Und ihre Seele war voll von Seufzern des Schmerzes und der Bitterkeit. Der riesige Holzbau dort drüben war nur noch in unsicheren Umrissen sichtbar. Marga spähte hinüber und das Herz klopfte ihr. Ob sich der unglückliche alte Mann noch in der Halle be- fand? Sie mußte sich jedenfalls davon überzeugen. Eine halbe Minute später stand sie an der Tür und lauschte. Was war das? Dort drinnen erscholl es wie Lachen von unheimlichen! Klang, und dazwischen flackerten die Rufe einer Stimme: „Das Abend rot, erst muß das Abendrot da sein, eher können wir die Fahrt nicht antreten, hinein in das Abendrot, da wollen wir hin, da ist der Friede!" Unwillkürlich hob Marga die Augen zum Himmel. Nein, dort glühten hente keine Purpurfeuer. Der arme, betörte Mensch wartete vergebens. Plötzlich prallte sie zurück, mit tief erschrockenen! Gesicht. War das nicht Brandgeruch, den sie zu spüren vermeinte? Ja, ja! Und da . . feiner Rauch entquoll den Ritzen des Balken- und Brettergefüges, ganz gewiß, es war Rauch. Und zugleich jubelte es drinnen triumphierend auf: „DaS Abendrot. . heisa! .. das Abendrot, nun kann die Fahrt begin nen." Eine wilde Angst ergriff Marga. Sie rüttelte an der Tür, die jedoch verschlossen war. Der Unselige hatte sich eingeriegclt und zündete sich selbst das Abendrot an, das ihin der Himmel versagte. Ein Unglück gab es, ein schreckliches Unglück! Sie mnßte hinein. Abermals riß und zerrte sie am Schloß, in der ersten Ver wirrung stemmte sie sogar die Schulter gegen die schwere Tür, natürlich ohne Erfolg. Dann rief sie mit plötzlichem Einfall und allem Stimmaufgebot: „Herr Rollenhagen, Herr Rvllenhagen, Ihre Tochter ist hier, sie will zu Ihnen, öffnen Sie!" 113,20
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder