38 Josef Matzerath Der sächsische Adel und o die Revolution von 1848/49 Sachsen war 1848 kein ausschließlich von der Landwirtschaft geprägter Staat mehr. Bereits seit dem 16. Jahrhundert lebten mehr als 30 Prozent der Bevölkerung in Städten." Im aus gehenden 18. Jahrhundert war die Bedeutung des Handels und Gewerbes in den Städten und auch auf dem Land zu groß, als daß sich von einer feudalen Gesellschaft sprechen ließe, deren allein charakteristischer Zug das Lehnswesen gewesen wäre. Deshalb beschreibt man das Sach sen vor den großen gesellschaftlichen Transformationen des 19. Jahrhunderts angemessener als eine traditionale Ständegesellschaft mit der herkömmlichen Schichtung in Adel, Stadt bürgertum, Bauern und unterbäuerliche bzw. unterbürgerliche Schichten. Die Bewohner der sächsischen Städte und des Landes besaßen auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus nicht alle den gleichen rechtlichen und gesellschaftlichen Status. 1843 hatte nicht einmal die Hälfte der Stadtbewohner das Bürgerrecht, und lediglich etwa ein Fünftel der Landbevölkerung gehörte im vollen Sinne zu den Bauern. Auch der Adel war in sich differenziert, obwohl er bei einer Gesamtbevölkerung von knapp zwei Millionen mit etwa 6000 Personen nur etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung ausmachte. Die stärkste Trennungslinie verlief zwischen hohem Adel der regierenden und mediatisierten Häu ser und dem niederen landsässigen Adel. Zum hohen Adel rechnete man in Sachsen nach der Landesteilung von 1813 das Königshaus (die albertinischen Wettiner) und die sächsischen Standesherren (die Grafen Solms und die Fürsten/Grafen/Herren von Schönburg). Die Wetti ner hatten im Verlaufe der Geschichte die ehemals nur dem Kaiser und dem Deutschen Reich unterstellten Adelsfamilien Solms und Schönburg in ihren Herrschaftsbezirk eingegliedert, sie mediatisiert, indem sie sich als unumgängliche Zwischengewalt zwischen diese Familien und das Reich schoben. Die sächsischen Standesherren behielten jedoch für ihre Familien die Zugehörigkeit zum Hochadel und für ihre Gebiete gewisse Sonderrechte. Zum niederen sächsi schen Adel zählten alle übrigen Grafen, Freiherrn (oder Barone) sowie untitulierten Adligen. 21 Nicht alle sächsischen Adelsfamilien führten ein »von« vor ihrem Namen; bei den bedeutenden Geschlechtern der Pflug und Metzsch war dies beispielsweise traditionell so üblich. Zwischen Wettinern und Standesherren auf der einen Seite und dem niederen Adel auf der anderen Seite konnten keine ebenbürtigen Ehen geschlossen werden. Der Hochadel bleibt somit schon wegen seines internationalen Heiratskreises für eine Betrachtung zur sächsischen Geschichte immer ein Einzelfall. Allgemeine Aussagen über die Landes- oder Standesherren sind nicht in der Begrenzung auf ein deutsches Land zu gewinnen; sie müssen mindestens vor dem Hintergrund des gesamten Deutschen Reiches reflektiert werden.