67 Hans-Peter Lühr »Große Stürme ..., o ich fürchte euch nicht« 11 Bakunin und der Maiaufstand »Ich habe nie den Kampf geleitet und hatte nie unumschränkte Gewalt. - Der Kampf blieb nach meiner Überzeugung und nach allem, was ich gesehen habe, ohne Leitung.« 2 *, schrieb Michail Bakunin im März 1850 aus der Haft auf dem Königstein an seinen Dresdner Vertei diger Franz Otto. Bakunin war angeklagt, Zentralfigur des militärischen Aufstandes vom Mai 1849 gewesen zu sein. Schon im Januar 1850 war er zunächst zum Tode, kurz darauf zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Seine briefliche Aussage Wochen später war juristisch nicht mehr von Belang, also um so glaubhafter. Und tatsächlich ist auch kaum zu vermuten, daß der relativ ortsunkundige Russe zum berufenen Anführer der nahezu 4 000 Bürgergardi sten Dresdens hätte anvancieren können. Gleichwohl, das Urteil für den Aufrührer war gesprochen, und seither zählt Bakunin vor der Geschichte immer wieder als einer der Köpfe der Dresdner Revolution. Seine tatsächliche Rolle in den Kämpfen zwischen 3. und 9. Mai ist ohne die noch in russi schen Archiven lagernden Prozeßakten schwer zu bestimmen. In jedem Fall - sie wird über strahlt vom Nymbus der Figur, der charismatischen Wirkung, die Bakunin auf seine Um gebung offenbar ausgeübt hat und die die Legende vom Berufsrevolutionär begründet. Als »Oberfeuerwerker« der Revolution sah Richard Wagner den kräftig gebauten, temperament vollen Russen. Der Eindruck muß nachhaltig gewesen sein. In Bakunin sei eine »völlige kul turfeindliche Wildheit mit den Forderungen des reinsten Ideals der Menschheit« 51 verknüpft, bringt der Dresdner Gefährte die im biedermeierlich-deutschen Umfeld so ungewöhnlichen Eigenschaften des Mannes Jahrzehnte später hellsichtig auf den Punkt. Wie Wagner ging es vielen. Nur wenige Jahre in Westeuropa hatten genügt, um Bakunin mit den wichtigsten revoltierenden Geistern in Kontakt zu bringen: Rüge und Herwegh, Weitling und Marx, George Sand und Proudhon. In einer unkonventionellen, aus allen gewohnten Beziehungen fallenden Karriere wird aus einem russischen Adligen die große Lichtfigur des europäischen Anarchismus, dessen Gedankenwelt weit hineinreicht ins 20. Jahrhundert. »Seit Bakunin hat es in Europa keinen radikalen Begriff von Freiheit mehr gegeben«, urteilt Walter Benjamin. Es ist das problematische Schlüsselwort der ganzen Biographie: Freiheit. »Die Menschen müs sen absolut selbständig und frei sein«, schreibt der 27jährige aus Moskau an seine Schwestern. / ' ,