3 sehr viel Zeit vergehen, bevor Demokratie als »ein Geschenk der Niederlage« angenommen wurde - um es mit Heinrich Mann zu sagen. 21 Neben den meist hochgebildeten sowjeti schen Kulturoffizieren stand sogleich die NKWD, der Verbrecher, weniger Schuldige und Unschuldige gleichermaßen zum Opfer fallen konnten. Aus den tapferen Männern des Wider standes wurden sehr bald »Funktionäre«, oder sie wurden von diesen verdrängt - nicht zuletzt durch die Liquidierung der Sozialdemokratie in der Zwangsvereinigung. Der Elan des Auf baus endete in einer zweiten Zerstörung durch Spitzhacke und Sprengpatrone, wodurch die Identität mit der historischen Stadt verlorenging. Neue Namen von Straßen und Plätzen ver tieften die Entfremdung. Der Untergang Dresdens wurde bald instrumentalisiert zur Propa ganda im kalten Krieg. Man wird gut tun, sich zunächst an die Fakten zu halten: die Schicksalsbühne der Weltge schichte mit ihren 1993 Kriegstagen bis zum 13. Februar 1945 zu sehen; die intimere der Stadt geschichte, der weitere 85 Kriegstage bevorstanden — ihre schwersten; das Verhalten der Bevöl kerung, ihr Wille zum Überleben, ihre Verzweiflung und ihr Mut zum Neubeginn inmitten einer nicht mehr vorstellbaren materiellen Not und nach einem Ende, wie es - freilich nur in einem weiten Sinne - mit dem von 1760 oder 1813 zu vergleichen war. Diese Botschaft der Fakten vermag uns als das Unmittelbare und Direkte wohl am ehesten anzusprechen - etwa die Tonbandprotokolle, wie sie Matthias Neutzner in seiner Sammlung »Lebenszeichen. Dresden im Luftkrieg« 3 * vorgelegt hat. Sie beschwören die Zeit-Zeichen und die Stadt-Zeichen und weisen in ihren semiotischen Bezügen zugleich auf jene andere Ebene, die der Kalenderzeit entrückt ist und frei für unser Denken über jene Zeit und nach dieser Zeit; dem Nach-Denken also. Stadtnamen - Guernica, Rotterdam, Coventry, Dresden, Hiroshima - stehen für eine Eskalation nicht nur der vermessenen Zerstörung urbaner Kul turen, sondern zugleich für einen Vorgang umfassender Entfremdung von der Welt des Humanen. Dazu vier Thesen: 1. Ich zitiere aus Rolf Hochhuths Roman »Eine Liebe in Deutschland« 41 : »Und da Gegner Eigenschaften austauschen, da Kriege sie - wenn auch in Grenzen - einander ähnlich machen, zum Beispiel schon in der Wahl der Waffen ...: so hat die Geisteskrankheit, die Hitlers Krieg so unvergleichlich grausamer ausarten ließ als den ersten der Weltkriege, auch logischerweise übergegriffen ins Lager seines Gegners ... Und der britische Bomberchef Harris -von seinen Piloten Butcher genannt — ging als der >größte< Städte- und Städter-Verbrenner in die Geschichte ein, selbst wenn man unterstellt, daß sein schmutziger Ruhm nicht >beruht< auf den Leichen einer Dreiviertelmillion kontinentaler Zivilisten - Harris bombte ja keines wegs nur deutsche Wohnzentren -, sondern daß >nur< eine halbe Million ihm zum Opfer fie len: was niemals mehr errechenbar ist; so wenig je zu klären sein wird, ... ob Oberst Großes Bericht über 250 000 Tote in Dresden wahr ist oder gefälscht... Damals jedenfalls, im Februar 1945, waren zwar nicht Churchills Piloten auf das Niveau von SS-Killern abgesunken, denn immerhin brachten sie sich selbst in höchste Lebensgefahr, wenn sie Non-Kombattanten ver brannten, während SS-Männer sich deshalb, weil sie das taten, vor der Front drücken durften.