30 Stand suche sich über den anderen zu erheben und ihr in prunkvollem Lebenswandel zu übertreffen. Geier hat in seiner Schrift »Allgegenwart des allsehenden Gottes« (1674) ein leitend die Pflichten der Obrigkeit dargelegt. Je größer und höher eine Person stehe, desto scheußlicher und häßlicher wirke es, wenn sie mit eindeutigen Lastern behaftet sei. Es sei eine Schande, wenn große Herren, auf die alle Welt blickt, ein anstößiges Leben führen. Denn wie wohl eingeübte Soldaten der Fahne, auch der Trommel und Pfeife folgen, so richte sich der gemeine Mann nach dem Vorbild großer Leute. Doch nimmt Geier die vornehmen Leute gegen den Vorwurf des Hochmuts und des Luxus in Schutz, wenn sie kostbare Kleidung aus Samt und Seide oder Gold- und Silberschmuck anlegen. Geier folgte hier Polykarp Leysers »Regentenspiegel« (1605). Leyser war von 1594-1613 Oberhofprediger in Dresden. Wie nun vollzog sich das kirchliche Alltagsleben in der höchstens 20000 Einwohner zäh lenden Residenz Dresden z. Zt. Johann Georgs II.? Im Dreißigjährigen Krieg war die Festung Dresden nie erobert worden. Nahegelegene Orte wie Leuben, Reick, Langebrück, Seidnitz, Loschwitz u.a. waren dagegen eingenom men und verheert worden. Dresden litt aber auch unter Durchmärschen wie Einquartie rungen und mußte vielfach Flüchtlinge aufnehmen. Von den böhmischen Exulanten, 80000 kamen unter Johann Georg I. nach Sachsen, wurde 1650 ein kleiner Teil »auf dem Sande«, der heutigen Antonstadt, angesiedelt. All das war in seinen Folgen noch nicht bewältigt, als Johann Georg II. die Herrschaft übernahm. Zu dieser Zeit war auch in Dresden das ganze gesellschaftliche wie persönliche Leben von der Kirche geprägt, überformt, ja reglementiert. Äußerlich prägte das Stadtbild in der Neu stadt die aus dem 15. Jahrhundert stammende schindelgedeckte alte Dreikönigskirche, in der Fischerdörfer und Poppitzer Gemeinde die Annenkirche mit dem 1619 erbauten spit zen Turm. In der eigentlichen Festung Dresden waren Markenzeichen: das hohe Dach der Kirche des alten Franziskanerklosters, die alte Frauenkirche - die älteste Dresdner Kirche überhaupt - und besonders die Kreuzkirche. Jeder in Dresden anzustellende Geistliche war vom Kurfürsten zu bestätigen. Noch 1675 beteiligte sich Kurfürst Johann Georg II. mit sei ner ganzen Familie an der feierlichen Amtseinführung des Superintendenten Bulaeus; der Hochzeit von Oberhofprediger Geiers Tochter wohnte der Kurfürst nebst dem Kurprinzen in Geiers Hause bei. Die große Mehrzahl der Dresdner Geistlichen führte den Magisterti tel, die Superintendenten und Oberhofprediger waren fast alle Doktoren der Theologie, teil weise wissenschaftliche Größen ersten Ranges. Deutschland hatte damals etwa 18 Millionen Einwohner, die große Masse konnte gar nicht oder gerade eben lesen und schreiben, es dürfte in Deutschland damals etwa 50000 akademisch Gebildete gegeben haben. Der Dok torgrad wurde relativ selten verliehen. Sonntags wurden insgesamt 23 Gottesdienste in Dresden abgehalten. Zahlreich war noch das Latein im Gottesdienst, so wurden die Epistel und die Evangelien von den Geistli chen zum Teil noch lateinisch gelesen, Chor und auch Gemeinde sangen viele lateinische Lieder. Gepredigt wurde im 17. Jahrhundert jahraus jahrein über die Evangelien, außer halb der Sonntagsgottesdienste dagegen meist fortlaufend über ein biblisches Buch. Das