65 Volkmar Billig Die Begegnung der »Brücke«-Künstler mit der Moritzburger Kulturlandschaft Auf den ersten Blick scheint es eher zufällig zu sein, daß die vom sächsischen Barock geprägte Moritzburger Landschaft am Beginn des 20. Jahrhunderts aus ganz anderem Anlaß in den Blickwinkel der Kunstgeschichte tritt. Die Maler Erich Heckei (1883-1970), Ernst Ludwig Kirchner (1880-1 938) und Max Pechstein (1881 - 1935), Mitglieder der am 7. Juni 1905 in Dresden begründeten Künstlergruppe »Brücke«, haben dort im Verlaufe der Sommer 1909 bis 1911 ein Reihe von Akt- und Landschaftsbildern geschaffen, die heute zu den exemplari schen Ausgangspunkten der künstlerischen Moderne zählen. 11 Die farbig revoltierende, sich über alle bildnerische Konvention hinwegsetzende Gebärde jener Werke, für die man das Schlagwort des »Expressionismus« fand, will sich kaum den sanft-verspielten Schwüngen einer barock geprägten Landschaft fügen. Doch wird allein der Vorsatz, »unbehelligt in freier Natur Akt zu malen« (Max Pechstein) 21 , kaum genügen, die Entscheidung für das traditions reiche Moritzburg als sommerlichen Arbeitsort zu erklären. Daß die Künstler selbst ihre Dresdner Zeit später zuweilen zu »Entbehrungsjahren« stilisiert haben und ein allem Modernen gegenüber verständnisloses Publikum beklagten, hat häufig verführt, eine latente Protesthaltung als Ausgangspunkt formaler Revolte zu erklären. Wer indes mit dem auch in der Gegenwart wirkenden Vorwurf Dresdner Provinzialität vertraut ist, der beinahe zum Mythos der Kunststadt gehört, wird diese gelegentlichen Äußerungen nicht überbewerten. Gerade die unsicher zwischen Bewußtsein musealer Größe und gefürchteter Provinzialität schwankende geistige Atmosphäre der Stadt bereitete den Boden, auf dem sich die eindrucksvolle Karriere der künstlerischen Autodidakten bis hin zur bahnbrechenden Aus stellung in der Galerie Ernst Arnold im September 1910 vollzog. Dresden gab dabei »durch die landschaftlichen Reize und seine alte Kultur viel Anregung«, bekannte Kirchner in der von ihm 1913 verfaßten »Brücke-Chronik« 31 . Die in Anlage und Architektur der Stadt und ihrer Umgebung verkörperte Kunsttradition bot Malerei und Zeichnung der »Brücke«-Künstler ungezählte Motive. Den »Canaletto-Blick« auf Dresdner Altstadtsilhouette und Augustus-»Brücke« hat allein Kirchner wenigstens dutzendmal gezeich net. Die Eindrücke der Gemäldegalerie trugen zu einer Blickwendung auf altmeisterliche Kunst bei, mit der die »Brücke« im Kontext der avantgardistischen Zeitgenossen allein steht. Cranach und Dürer, Behams Holzschnitte, Rembrandtsche Zeichnung, Poussins Malerei u.a.m. gaben Anregung und Anlaß zur Prüfung eigener Formerrungenschaft. Der land schaftliche Reiz des Elbtals beflügelte das Interesse an Freilichtmalerei und bewirkte frühe