22 Siegfried Wollgast Zur Philosophie in Sachsen zur Zeit Christians I. Personen und Tendenzen In den fünf Jahren der Regierung Christians I. »hat Kursachsen eine politisch ausgreifende I dynamische Phase mit neuen Zielen und vor allem mit dem Versuch einer tiefgehenden konfessionellen Veränderung in Richtung auf den Calvinismus erlebt.«" Nicht bei jedem Regierungswechsel in Vergangenheit und Gegenwart lassen sich auch aus einem politi schen Wandel Auswirkungen auf die Philosophie erwarten. Anders ist es bei tiefgreifenden reformerischen, reformatiorischen oder revolutionären Umwälzungen. Das muß nicht einen Wechsel bei den Personen selbst bewirken! Aber politische Reform, Reformation, Revolution muß zwangsläufig auch die Träger der Philosophie auswechseln, oder anders 1 ordnen, oder die Wertskala ändern. Dies ist auch unter Christian I. der Fall. Aber histo- ' risch läßt sich in fünf Jahren nichts Fertiges erwarten, zumal, wenn es, wie hier, zu einer 1 Re-aktion kommt. Es geht also bei diesen Prozessen um Linien und Tendenzen in statu 1 nascendi. Unter diesen Aspekten fasse ich Personen wie Tendenzen der Philosophie in i Sachsen 1586 bis, 1591. Philosophie ist in dieser Zeit untrennbar mit Theologie verbun- I den, wenngleich beide in unterschiedlichen Fakultäten verankert sind. Auch der Zufall ' dürfte bei den Geschehnissen dieses kurzen Zeitraums in manchen nicht unwesentlichen £ Details hier wirken - wie stets und überall. Es wäre gefährlich, ihn zu einer mit der t Umwälzung verbundenen Notwendigkeit zu befördern. t Die damalige Philosophie umfaßte neun Hauptgebiete: Metaphysik, Physik, Mathematik, \ Ethik, Oeconomia, Politik, Logik, Rhetorik und Grammatik . 21 Die Hochschulen waren 1 weitgehend international Geschrieben wurde in dieser Zeit viel: Lehrbücher, Disputatio- <- nen, Streitschriften etc. Der größte Teil davon ist in Vergessenheit geraten. In dieser Lite- 1 ratur widerspiegelt sich auch der Streit der drei Hauptkonfessionen — Lutheraner, Calvin! z sten und Katholiken —, deren Übergänge und deren weitgehend gemeinsamer Kampf mit r den außerhalb der oder zwischen den Konfessionen stehenden Oppositionellen. c Zwischen 1580 und 1617 gab es an der Universität Leipzig folgende philosophische 1 Lehrstühle: 1. Grammatica graeca e latina, 2. Dialecticam Philippi (zeitgenössische Logik) r 3. Rhetorik, 4. Lateinische und griechische Sprache und Geschichte, 5. Poesie und Prosa § von Terenz, Vergil, Hesiod und Xenophon, 6. Mathemadcae (mit Astronomie), 7. Organot r Aristotelis, 8. Physices, 9. Ethica et Politica Aristotelis. 11 Man sieht sogleich: hier liegt dem v Studium an der Artistenfakultät wie an allen Universitäten stark Aristoteles zugrunde. f