47 nen Leib lange vom Grabe bewahren! Dir, mein Leben, werde ich immer fol gen, zu dir, die du im Lichte singst, richten wir unsere Ohren, die übrige Masse mag wegbleiben. Wen deine Stimme nicht durch ihre wundervolle Kunst gefan gen hält, dem mag der Ton des Kuckucks lange Zeit in den Ohren klingen. Die Zeit wird kommen, wo der Hundsstern rasende Hitze erzeugt, dann wird er in Furcht vor dem Feuer seinen Leib mit Rinde bedecken. Die Torheit ergreift die flatternden Sinne, ein jeder hat seine eigene Lust, und Midas freut sich, einen Dudelsack statt einer Laute zu besitzen. Wie in diesem Gedicht, bleibt der Kuckuck fortan Majors Deckwort für Flacius Illyricus; andere Anspielungen zielen u. a. auf Erasmus Sarcerius (1501 -1559), den früher melanch- thonisch, später flacianisch gesonnenen Theologen, auf (den »Hahn«) Nicolaus Gallus (1516-1570) in Regensburg, Johann Agricola (1499-1566), die Hauptfigur des sog. Antinomistenstreits, und (die »Amsel«) Johann AmsdorfF (1483-1565), den führenden Theologen des ernestinischen Sachsens. Das Gedicht sollte Vergnügen gewähren in der Entschlüsselung der aktuellen Bedeutungen, verstand sich zugleich als poetische Positions bestimmung und rückt am Schluß in gleichsam emblematischer Opposition die Laute in Kontrast zum barbarisch-bäuerlichen Dudelsack. Midas, der sagenhafte König des antiken Mythos, repräsentiert nach Ovids Metamorphosen (XI, I46ff.) offensichtlich die Nieder lage und das fehlende Urteilsvermögen im literarisch-poetischen Wettstreit. Bereits ein Jahr später (1557) veröffentlichte Major seine ehrgeizigste und umfangreichste, wiederum an Aristophanes angelehnte Kampfdichtung, in der er den endgültigen Zerfall des protestantischen Lagers in Form einer erfolglosen, von Zwietracht und Streit bestimm ten Versammlung der Vögel, d. h. der seinerzeit maßgeblichen Theologen, zu Protokoll gab (Synodos Avium, depingens miseram faciem ecdesiae, propter certamina quo- rundam qui de Primatu contendunt, cum oppressione recte meritorum). 13) Nach dem Tode Luthers können sich die Vögel nicht auf einen neuen Führer einigen. Die sanges kundigen und friedliebenden Vögel, die nicht mit Schnabel und Klauen kämpfen und für die Nachtigall (Melanchthon) stimmen, werden vom Kuckuck und seinem gefiederten Gefolge attackiert und unterdrückt. In dem epische Ausmaße annehmenden poetisch-theo logischen Zeitgemälde (das dringend neu herausgegeben werden müßte) bleibt am Ende nur die resignative Bilanz, jeder könne und solle singen, wie ihm der Schnabel gewachsen sei. Traurig verklagt die Grasmücke, d. h. die Wittenberger Hochschule den Kuckuck: 14 ’ Gleich einem Feinde betrug sich der Gast. Mit mordender Freßgier Raubt er die theuere Brut und senkt, o straf es der Himmel, Senkt in den gierigen Bauch vor den Augen der Eltern die Kinder. In Streitschriften und Gedichten wurde Major nicht müde, weiterhin gegen die Flacianer zu kämpfen 151 . In Wittenberg zum Professor für Poesie ernannt (1560), hielt er über zehn Jahre hinweg die jährliche Gedächtnisrede auf Melanchthon und setzte sich 1569 auch für das Corpus Misnicum symbolicum ein, in dem die philippistische Partei ihre Über zeugungen dokumentierte. Erbittert beklagte er zugleich die Greuel der sog. Bartholomäus-