34 Ingo Zimmermann Der humanistische Bildungsauftrag der Kreuzschule (Erwägungen zur Erneuerung einer Tradition) Der Leipziger Gräzist Franz Dornseiff bemerkte einmal: »Flumanismus, das Streben, wah- ! rer Mensch zu werden, ist für den abstrakten, umkrusteten, musikhaltigen Deutschen eine Richtung. Für den Franzosen ist die damit gemeinte Sache etwas so unsagbar Selbstver ständliches, daß er das Wort erst vor kurzem aus dem Deutschen entlehnt hat. Zum Huma nismus haben die Franzosen die Antike als Hilfe nie nötig gehabt, darin sind sie selber antik genug« (Sprache und Sprechender, Leipzig 1964, S. 324). Ich benutze dieses Zitat, um mir von vornherein bei dem, was ich auf dieser Konferenz zum humanistischen Bildungsauftrag der Dresdner Kreuzschule sagen möchte, eine gewis se geistige Freiheit von strengen, herkömmlichen Definitionen zu schaffen. Ich halte es aber persönlich - und das bitte ich Sie als Bekenntnis zu meinem Thema zu verstehen - , mit der von Karl Jaspers 1931 in seiner Schrift »Die geistige Situation der Zeit« (Samm lung Göschen Bd. 1000) geäußerten Auffassung, daß Bildung im Abendland bis heute nur auf dem einzigen 5Xk:g des Humanismus geglückt ist. Jaspers schrieb damals. »Wer in der Jugend Griechisch und Lateinisch lernte und die antiken Dichter, Philoso phen, Geschichtsschreiber las, wer Mathematik in sich aufnahm, die Bibel und wenige der großen Dichter der eigenen Nation kennenlernte, ist erfüllt von einer Welt, die ihm in ihrer unendlichen Beweglichkeit und Offenheit einen unverlierbaren Gehalt gibt und die Zugänglichkeit alles anderen möglich macht.« War eine humanistische Bildung dieser Art an der Kreuzschule im SED-Staat noch mög lich? Hierauf möchte ich mit eigener Erfahrung antworten. Ich habe von 1955 bis 1959 • die Internatsschule des Dresdner Kreuzchores besucht, im altsprachlichen Zug, wie man das nannte. Unser Lehrer in den alten Sprachen war Dr. Werner Hoffmann, der seit 1934 dem Lehrerkollegium der Kreuzschule angehörte, in der Nazizeit Konrektor und von 1945 bis 1950 Rektor war. Ich habe diesen Altphilologen gewissermaßen in seinem biblischen Alter erlebt - er unterrichtete sogar noch eine kurze Zeit nach der Zusammen führung von Internatsschule und Kreuzschule 1959 im Gebäude des ehemaligen Freimau rerinstituts in Striesen, der heutigen Kreuzschule. An dem Lehrer Werner Hoffmann, an seiner Persönlichkeit, zeigte sich die wesentliche Bedeutung der menschlichen Substanz desjenigen, der jungen Menschen Bildung zu vermitteln hat. Er war das Beispiel des klu-