49 Hans Böhm Die reiche Musik eines Jahrzehntes und ihre Antipoden Der Versuch, das Dresdner Musikleben in den fünfziger Jahren darzustellen, ist eine eben so reizvolle wie schwierige Aufgabe. Da, wo man ein Buch füllen könnte, muß versucht werden, nicht in das Detail zu gehen, was sich im Einzelfall freilich doch als notwendig erweist. Wer die Zeit miterlebt hat, weiß um die Fülle des Gelungenen wie um die poli tisch und ideologisch bedingten Probleme gerade dieser Epoche. Eines muß zuvor gesagt werden: Die Musik kennt die Formen des Präludiums wie des Posdudiums, wobei dieses manchmal nur eine Art Coda, eine Zusammenfassung und Schlußwirkung, sein kann. Hier ist ähnlich zu verfahren. Wohl kein Dezennium hat nach dem Inferno von 1945 einen solchen Anschub gehabt. Trotz Trümmer, schlechter Ernährung, komplizierter Verkehrsverhältnisse wie vielen inne ren Nöten war wohl nur ganz selten das Bedürfnis nach Kultur so groß wie nach Kriegs ende. Der Begriff »Kulturhunger« umschließt vielleicht am besten die Situation, die Hal tung der Menschen. Das alles war nach der Stunde Null mit einem künsderischen Crescendo verbunden, wie wir es uns heute kaum mehr vorstellen können. Die Staatsoper brachte in der Tonhalle (Kleines Haus) und in der »Kulturscheune« Bühlau in den ersten 14 Monaten nach 1945 13 Werke heraus. Der Kreuzchor sang »als Gast« in Kirchen und Sälen der Peripherie: die musica sacra auf Fahrrädern oder offenem LKW. Die Philharmonie fand im Steinsaal des Deutschen Hygiene-Museums ihr erstes Domizil. Die Staatstheater, das Schauspiel ein geschlossen, traten an manchen Abenden an bis zu fünf verschiedenen Veranstaltungsor ten auf. Die Landesoper, ein Kind der Nachkriegszeit, ursprünglich in Gittersee beheima tet, fand 1950 in der Weintraube Radebeul ihr Stammhaus. Die Palucca tanzte noch und wieder. 1949 wurde ihre Schule staatlich. 1955 zog diese in das inzwischen erweiterte Haus am Basteiplatz ein. Die internationalen Sommerkurse wurden bald wieder zu einem Magnet der Muse Terpsichore. Die Kunstinstitute hatten in den damaligen sowjetischen KulturofFizieren, den späteren Professoren Auslender und Kotschetow, ihre tatkräftigen Helfer. Da konnte man wirklich auf die Zukunft bauen! Künstler, die heute Legende sind, seien genannt: der Dirigent Joseph Keilberth, der Regis seur Heinz Arnold und der Bühnenbildner Karl von Appen. Nur zwei Namen aus dem Solisten-Ensemble seien hervorgehoben: Christel Goltz und Elfriede Trötschel. Kaum eine