69 wurden - als bauhistorische Einheit entworfen - zum Erzieher des Volkes stilisiert und: damit hoffnungslos überfordert. Ganz handgreiflich dagegen waren wohl die täglichen Erfahrungen der Hellerauer in Schmidts Fabrik, das allgemein anerkannte hohe Niveau gewerblicher Arbeit. »Es gibt keine höhere Bildung, als die Fähigkeit, edle Arbeit hervorzu bringen«, wurde zur Eröffnung der Lehrwerkstätten 1907 ein wenig idealisch formuliert. Selbstachtung hatte hier mit Sicherheit gute Bedingungen; wie weit freilich die hochgemu ten Kultivierungs-Hoffnungen der Initiatoren unter den »Normalbewohnern« Wirkung hat ten, darüber gab und gibt es keine Aussagen. (Sehr bald nach Gründung war auch das Experiment durch den Krieg irreparabel unterbrochen.) Die Gartenstadt war wie ihre uto pische Theorie, sie hatte beides: echte Emanzipation und philantropische Sehnsucht, euro päischen Geist und Kleinbürgerlichkeit. Als 1906 Karl Schmidt von unterschiedlichen Eigentümern Land erwirbt, steht eine De vise für das künftige Hellerau fest: besser und billiger. Besser: durch effektives Bauen - Tessenow entwirft für die Gartenstadt beispielsweise die erste vorfertigbare Wand, die es überhaupt gibt. Billiger: durch bewußtes Ausschalten von Bodenspekulation. Grund und Boden sei kein Marktartikel, so meinte man in Anlehnung an den englischen Garten- stadt-Vordenker Ebenezer Howert. Der Wertzuwachs des Bodens gehöre der Gemein schaft. «Dies ist der Gartenstadtgedanke in seinem Kern: Bodenreform in einem umgrenz ten Gebiet« 0 , sagt Wolf Dohrn rückblickend. Solcher Entschluß hatte Tragweite. Auch wenn der Eigner eine Gesellschaft war und nicht, wie 40 Jahre später, ein Hyper-Verwal ter Staat, diese Reform rüttelte an einer ökonomischen Stütze der bürgerlichen Welt. Schon 1898 hatte sich ein »Bund deutscher Bodenreformer« gebildet, der programmatisch dafür eintrat, »daß der Boden, die Grundlage alles nationalen Seins, unter ein Recht ge stellt werde (...), das jeden Mißbrauch mit ihm ausschließt, und das die Wertsteigerung, die er ohne die Arbeit des einzelnen erhält, dem Volksganzen nutzbar macht«. 2 ' Wenn die ser Bund auch eindeutig die soziale Frage an die Problematik des Eigentums von Grund und Boden koppelte, war er doch nicht (klassen-)kämpferisch gestimmt, sondern verstand sich als Protagonist eines allgemeinen Versöhnungswerkes und forderte die »Kamerad schaft aller Stände«. »Weder Mammonismus noch Kommunismus«, hieß die Devise, mit der sich die Reformer nicht nur einmal zwischen die Stühle setzten. Zentralfigur der Be wegung war Adolf Damaschke (1865-1935), anwesend schon in ihren Entwicklungs jahren, später ihre unangefochtene geistige Autorität und am Ende, als der Bund mangels praktischer Erfolge seine Bedeutung verlor, ganz in Verklärung gerückt: vom »sittlichen Erzieher« zum »Apostel sozialer Versöhnung«. Jahrelang war Damaschke eng mit Fried rich Naumann befreundet und gehörte zu den Führungsköpfen von dessen Nationalso zialer Partei. Zwar lassen sich persönliche Kontakte Damaschkes zu Hellerau nicht nach- weisen, aber durch den engen Kontakt Karl Schmidts mit Dohrn und Naumann ist der Zusammenhang unabweisbar: Hellerau ist eben auch prominentes Beispiel praktizierter Bodenreform. Das Grundmodell der Finanzierung des Projektes Hellerau war einfach. Karl Schmidt gründete mit wohlhabenden Freunden eine Aktiengesellschaft, die zunächst das Land